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THEMA:   Neurobiologie provokant

 19 Antwort(en).

Zacharias begann die Diskussion am 18.09.04 (08:07) :

Hier: Zur Frage der persönlichen Schuld.
Haben wir keinen freien Willen?

Neurobiologen sagen, der Mensch sei nicht Herr seiner Handlungen, sondern das Gehirn schreibe ihm vor, was zu tun ist. Demnach hätten wir keinen freien Willen. „Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun“.

Hirnforscher wie Gerhard Roth (Uni Bremen, Abt. für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie, Neurokognition), Wolf Singer (Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt/M.) und andere sind der Auffassung, daß sich „das Gehirn längst auf bestimmte Handlungen festgelegt hat, b e v o r man selbst das Gefühl erlebt, sich mit freiem Willen entschieden zu haben“ (Roth). "Neurobiologisch gibt es keinen Raum für Freiheit" (Singer) besagt, daß wir keinen freien Willen haben. "Das Gefühl, daß ich als bewußt handelndes Subjekt der Herr meiner Handlungen bin, ist eine Illusion. Das Gehirn hat entschieden, bevor ich das Gefühl habe, daß ich das will, was ich gleich tun werde" (Roth). "Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun!" (Dr. Wolfgang Prinz, Direktor am Max - Planck - Institut für Psychologische Forschung in München)


Konsequenzen aus diesen „Erkenntnissen“ würden sich auf vielfältige Bereiche beziehen.
Im Vordergrund meines persönlichen Interesses stehen die möglichen Auswirkungen auf das Strafrecht und auf die Soziobiologie („Schuld“ ist Fiktion).

Habe ich n i e m a l s (bewußt) S c h u l d auf mich geladen?

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(Quellen u.a.:
https://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/1/0,1872,2118113,00.html
https://www.geist-oder-materie.de/Psychologie/Freier_Wille/freier_wille.html
https://www.pm-magazin.de/de/heftartikel/artikel_id836.htm)


Graugans antwortete am 18.09.04 (09:44):

Hallo Zacharias,

Schuld ist ein überflüssiges Konstrukt. Es dient zur
Schaffung von Abhängigkeiten, Übervorteilungen, zur
Unterordnung usw..
Wenn wir leben, sind wir aktiv und schleppen Altlasten
hinter uns her. Diese Altlasten sind wie verschüttetes
Wasser: Man kann es nicht mehr einsammeln!
Die Hirnforscher werden nach weiteren Forschungen
feststellen, daß Schuld als solches nicht existiert!

Viele Grüße
Graugans


Zacharias antwortete am 18.09.04 (10:05):

"Graugans antwortete am 18.09.04 (09:44):
......................
Die Hirnforscher werden nach weiteren Forschungen
feststellen, daß Schuld als solches nicht existiert!"


Das haben sie doch schon (s. mein Eingangsbeitrag):
wenn wir keinen freien Willen haben, laden wir auch keine Schuld auf uns.

Forschungen in dieser Richtung gibt es schon seit den sechziger Jahren und die Philosophie dazu seit Urzeiten.


Gerdest antwortete am 18.09.04 (10:43):

Vorschlag: Teilen wir die Themen auf. Schuld oder Nicht-Schuld ist ein Thema der Ethik.
Freier Wille oder "gesteuerter Sklave des Hirns" ist ein Thema der Wissenschaft.

Ich gebe zu bedenken, daß jedwede kreative Tätigkeit nur mit freiem Willen möglich ist. Eine maschinelle Funktion bringt nur Kopien hervor, niemals etwas Neues.


mimosa antwortete am 18.09.04 (10:57):

Zacharias,
und was ist, wenn ich nicht will was ich tue
und wenn ich tue was ich nicht will?
LG mimosa :-)


Zacharias antwortete am 18.09.04 (11:59):

mimosa,
ich denke mal: dann kommt dabei etwas Gutes oder etwas Böses heraus. Nur welches von beiden? Das können wir (lt. Roth et alii) nicht steuern. Insofern wären wir für Ungutes auch nicht verantwortlich zu machen, denn eine "Schuld" kann es dann ja nicht geben.

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Gerdest,
nichts hindert Dich daran, in diesem Zusammenhang eine ethische Diskussion zu thematisieren.

Ist aus meiner Überschrift nicht zu ersehen, daß es sich hier um eine Diskussion über wissenschaftliche Forschungsergebnisse handeln soll? Täte mir leid.


Miriam antwortete am 18.09.04 (18:40):

Ein schwieriges aber verlockendes Problem, Zacharias, bei dem wir auch einige Texte lesen sollten, um uns zu orientieren, denn du möchtest, dass die Diskussion hier auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zentriert bleibt, was ich persönlich auch sinnvoll finde.

Von Anfang an aber dies : ich denke nicht, das die Strukturen des Gehirns und deren Funktionen eine befriedigende Antwort geben können zum Bestehen oder eben Nichtbestehen des freien Willens.

Seltsamerweise habe ich also auch, gestützt auf meinem freien Willen, Texte gesucht, die mir so zu sagen entgegenkommen.

Ich zitiere nun aus den Artikel von Peter Kügler : Quantentheorie, Bewußtsein und Willensfreiheit.

Kügler erläutert als erstes die Theorie von David Chalmers, der dabei zwischen "schwierigen Problemen" des Gehirns und den so genannten "leichten problemen" unterscheidet:

"Die "leichten Probleme" sind laut Chalmers für wissenschaftliche Theorien grundsätzlich lösbar, denn sie betreffen alle die Funktionsweise des Gehirns. Es geht dabei immer um die Frage, wie das Gehirn bestimmte kognitive Aufgaben ausführt. Zu den "leichten Problemen" gehört beispielsweise die Frage der unbewussten Verarbeitung sensorischer Informationen durch das Gehirn - ein gutes Beispiel dafür ist die Erzeugung räumlicher Wahrnehmung aus zweidimensionalen Netzhautbildern. Ein weiteres "leichtes Problem" betrifft die Fähigkeit des Gehirns, Gedächnisinhalte abzuspeichern und bei der richtigen Gelegenheit wieder abzurufen.........
.........es ist zumindest prinzipiell möglich, diese Probleme mit wissenschaftlichen Methoden zu lösen, denn es geht dabei letztlich um Gehirnfunktionen, die von der Neurobiologie entschlüsselt werden können.

Die "leichten Probleme" unterscheiden sich dadurch vom "schwierigen Problem" des Bewußtseins, denn dieses ist durch physikalische Theorien grundsätzlich nicht lösbar - auch nicht durch die Quantentheorie.........
.............Ein anderes in philosophischer Hinsicht höchst bedeutsames Problem, das häufig mit der Quantentheorie in Verbindung gebracht wird, ist das Problem der Willensfreiheit. Die Quantentheorie ist bekanntlich eine indeterministische Theorie."

Vorläufig soviel. Ich melde mich wahrscheinlich erst Dienstag, um die Diskussion fortzusetzen - wenn Ihr es wollt.

Internet-Tipp: https://www.aurora-magazin.at/wissenschaft/phil_kuegler.htm


Graugans antwortete am 18.09.04 (18:52):

Hallo Zacharias,

unsere ganze Strafgesetzgebung wird durch die Neurobiologie
über den Haufen geworfen. Da wir nicht mehr schuldig sein
können, ist Bestrafung ein falsches Instrument, welches
durch Belehrung ersetzt werden sollte.

Viele Grüße
Graugans


Karl antwortete am 18.09.04 (20:25):

Zacharias hat die Ergebnisse der Neurobiologie richtig wiedergegeben. Die Entscheidung darüber, was wir tun wollen, ist gefallen, bevor wir uns der Entscheidung bewusst werden. Wir sollten nicht die Botschafter (die Neurobiologen) für die Nachricht schelten, sondern überlegen, was diese Nachricht bedeutet.

M. E, bedeutet sie keineswegs, dass ich nicht für eine Tat verantwortlich zu machen bin, denn ich bin dieses Kausalgeflecht, dass die Entscheidung wie auch immer hervorgebracht hat. Es war m. E. schon immer ein Kantscher Trugschluss zu glauben, dass "freier Wille" bedeute, es gäbe keine Verursachung für unser Wollen. Akausalität ist etwas Furchtbares. Man stelle sich vor, eine Entscheidung über Leben und Tod würde von dem Spiel des Zufalls abhängig gemacht. Das, was ich an meinen Freunden schätze, ist ihre Zuverlässigkeit (sprich die Berechenbarkeit ihres Willens).

Ich verweise auf einen älteren Text hierzu (nicht zum ersten Mal ;-)):

Internet-Tipp: https://www.zum.de/ki/Willensfreiheit.htm


Karl antwortete am 18.09.04 (20:45):

Ich möchte noch anfügen, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen: Obwohl ich die Egebnisse nicht anzweifle, widerspreche ich der Aussage "Neurobiologisch gibt es keinen Raum für Freiheit" (Singer). Diese Aussage ist deshalb völlig unglücklich, weil sie offensichtlich voraussetzt, dass "Freiheit" im Gegensatz zu "kausaler Verursachung" steht. Dies ist verqueres Kantsches Denken.

Freiheit hat mit der Frage der Kausalität soviel (oder so wenig) zu tun wie ein Fisch mit einem Fahrrad. Freiheit ist ein subjektiv erlebtes Gefühl und dieses stellt sich immer ein, wenn wir genügend Handlungsoptionen offen haben, die uns das Erreichen unserer Zielvorstellungen ermöglichen.

Subjektiv sind wir frei, wenn wir uns selbst verwirklichen können und diese subjektive Freiheit kann uns auch Singer nicht nehmen, sie ist die einzige die zählt. Dass mein Wollen und Fühlen mit der Funktionsweise meines Gehirns zusammenhängt, ist eine Selbstverständlichkeit (für den naturwissenschaftlich denkenden Menschen).

Natürlich bin ich als Person weiterhin für meine Handlungen verantwortlich zu machen, denn sonst gibt es niemanden. Ich muss identifiziert werden mit diesem komplizierten wabbeligen Gehirn, das wollen und fühlen kann.

Allerdings wird man durch das fortschreitende Verständnis fehlerhafter Handlungen als falsche Programmierungen (entweder angeboren oder erlernt) schon die Frage stellen, ob es möglich sein wird, solche Programmierungen zu korrigieren (therapieren).

Der Rache- und Strafegedanke ist es, der in den Hintergrund treten wird. An seine Stelle wird in modernen Gesellschaften die Frage nach Reprogrammierungsmöglichkeiten treten.

Internet-Tipp: https://www.zum.de/ki/Willensfreiheit.htm


Miriam antwortete am 18.09.04 (20:49):

@Graugans,

im Text von Peter Kügler, der sich auf Chalmers bezieht, steht:
"Ein anderes in philosophischer Hinsicht höchst bedeutsames Problem, das häufig mit der Quantentheorie in Verbindung gebracht wird, ist das Problem der WILLENSFREIHEIT.
Die Quantentheorie ist bekanntlich eine indeterministische Theorie."

Indeterminismus, im Gegensatz zum Determinismus, bedeutet: die Lehre, wonach das Geschehen nicht kausal (also nicht durch eine Ursache) bestimmt oder vorausgesagt werden kann.

Handlungen wurden in früheren Theorien, als durch neuronale Prozesse determiniert, erklärt.
Durch die Quantentheorie, die nun in Verbindung gebracht wird mit der Willensfreiheit, wird der Indeterminismus an Stelle des Determinismus gestellt.


Karl antwortete am 18.09.04 (21:17):

@ Miriam,

und genau das ist eben falsch:

Internet-Tipp: https://www.zum.de/ki/Willensfreiheit.htm


Wolfgang antwortete am 18.09.04 (22:13):

Deine Ausfuehrungen, Karl, halte ich fuer richtig... Auf einen Deiner Gedanken moechte ich aber kritisch eingehen.

Du schreibst, dass man sich fragen soll, "ob es moeglich sein wird, solche [falschen] Programmierungen zu korrigieren (therapieren)."

Das ist ja nicht nur moeglich, sondern seit es Menschen gibt gaengige Praxis: Jegliche Erziehung beruht darauf, den Willen eines (meist noch jungen) Menschen in einen sozial akzeptierten oder gar erwuenschten Rahmen zu zwingen.

Solange dies mit herkoemmlichen Erziehungsmethoden geschieht, sehe ich kaum durchschlagende Missbrauchsmoeglichkeiten (obwohl es bekanntlich auch hier jede Menge Missbrauchsversuche gibt).

Aber, wie gesagt, die Moeglichkeiten sind nicht sehr gross.

Dem Missbrauch Tuer und Tor geoeffnet wird aber, wenn moderne Bio-Techniken (vom eher schon altertuemlichen Doping bis zu den revolutionaeren Moeglichkeiten der Gen-Techniken) eingesetzt werden, um Menschen so zu programmieren, dass sie bestimmte Handlungen nicht nur bevorzugen, sondern sie auch ziemlich perfekt ausueben koennen - perfekter jedenfalls, als sie es ohne diese Bio-Techniken jemals tun koennten.


Zacharias antwortete am 19.09.04 (08:24):

Antwort an Graugans (gestern 18:52)


„Karl antwortete am 18.09.04 (20:25):
...................................
M. E, bedeutet sie (Anm.: die Nachricht der Neurobiologen) keineswegs, dass ich nicht für eine Tat verantwortlich zu machen bin, denn ich bin dieses Kausalgeflecht, dass die Entscheidung wie auch immer hervorgebracht hat.“

Dazu:
Roth bestreitet – trotz aller morphologischen Ergebnisse, die seinen Thesen ja zugrunde liegen - die persönliche Verantwortung für Taten keineswegs.

„Straftäter können im moralischen Sinne nichts für das, was sie tun, sondern sie tun das, was das Resultat des komplizierten und höchst individuell verlaufenden Abwägungsprozesses in ihrem Gehirn ist – so abartig dieser Prozess auch ablaufen mag! Das heißt aber nicht, dass sie nicht bestraft werden dürfen. Sie dürfen nur nicht bestraft werden auf Grund der Annahme, dass sie auch anders hätten handeln können, sondern weil die Gesellschaft ihr Verhalten nicht duldet – und damit sie sich eventuell bessern.“

Quelle (ich habe den vollständigen Artikel gekauft): P.M.Magazin 04/2004, „Sind wir wirklich Sklaven unseres Gehirns?“


mimosa antwortete am 19.09.04 (12:41):

Kann ich denn, ganz unwissentschaftlich, sagen,
dass mein Gehirn auf Grund von endogenen, ererbte Anlagen
plus Erlebnisse, Erziehung, umwelt und gesellschaftliche Einflüsse, Bildung,
Erfahrung, auch Ernährung in der Lage ist, mir zu signalisieren was ich will oder möchte?
Und somit " will " ich verantwortlich sein für mein Tun und Handeln?
Was für eine Rolle spielt der Zufall? Wo, wie, wann
unter welchen Umstände geboren und aufgewachsen?
Schon als Embryo gehörte Musik soll Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns und die Intelligenz haben.
Gibt es denn Menschen,denen, vom Zufall schlecht behandelt,
das Straftätertum schon in die Wiege gelegt wurde?
Chanchenlos, weil sie umständehalber das falsche
wollen?
Richtig frei sind wir wohl wirklich nicht,abhängig von
vielerlei Umstände und Einflüsse.
Aus freier Willen begebe ich jetzt in den Garten.
LG
mimosa





Wolfgang antwortete am 19.09.04 (13:37):

Der Mensch ist nicht fest verdrahtet. Das Gehirn ist keine Maschine, die nach einem ein fuer allemal festgelegten Programm arbeitet.

Menschen koennen sich entscheiden (in aller Regel gibt es in jeder Situation eine Fuelle von Moeglichkeiten). Menschen lernen auch bestaendig (oft auch schlimme Sachen). Sie lernen sogar aus vergangenen Entscheidungen (besser: aus den Folgen vergangener Entscheidungen).

Von Determinismus ist also weit und breit keine Spur zu finden. Ein Irrtum ist aber weit verbreitet: Dass der freie Wille eines Menschen sich unabhaengig von einem bestimmten zeit-, orts-, situationsbeeinflussten Rahmen abspielen koenne.

Dem ist aber nicht so.

Diese Umstand aendert aber nichts daran, dass Menschen sich entscheiden und lernen koennen. Sogar den Rahmen koennen sie unter Umstaenden (wenn sie Mut haben, Beispiele dafuer gibt es zuhauf) anders stecken. ;-)


Zacharias antwortete am 19.09.04 (15:06):

"Wolfgang antwortete am 19.09.04 (13:37):
Der Mensch ist nicht fest verdrahtet. ..."

Roboter nach menschlichem Ebenbild wird man nicht entwickeln können.


Karl antwortete am 19.09.04 (20:51):

Die Zeit wird es weisen. Warum sollten Roboter fest verdrahtet sein? Lernverhalten zu programmieren ist bereits ein alter Hut:

Internet-Tipp: https://www.zum.de/ki/index.html


Zacharias antwortete am 22.09.04 (11:36):

"Fest verdrahtet"?
Nein. Mit Chips im Metall.


Graugans antwortete am 27.09.04 (21:24):

Hallo Zacharias,

kein Lebewesen wird durch die Gemeinschaft solange geprägt
wie Menschenkinder. Der Erfolg dieser Prägung wird durch
Routine gesichert, verfestigt. Ein wirklich freier Wille
wird dadurch im Vorhinein unterbunden. Die genetische
Konstellation spielt eine untergeordnete Rolle.
Diese beschränkt sich auf das Körperliche.
Die Zwangsmaßnahmen der modernen Pädagogik lassen keinen
freien Willen zu. Anpassung ist das Ziel der jahrelangen
Prägung! Die Erkenntnisse der Neurobiologie sind wirklich
nicht provokant, aber die immer feineren pädagogischen
Maßnahmen für eine perfekte Anpassung.

Viele Grüße
Graugans