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THEMA: Fraktale und Chaos
12 Antwort(en).
Dietmar
begann die Diskussion am 01.09.04 (11:39) :
Das Zusammenwirken von Mathematik und Computereinsatz führt zu einem sehr reizvollen Spezialgebiet der Mathematik, der fraktalen Geometrie. Bekannt sind die Mandelbrotmenge und die Juliamenge, die mit ihrer Formenvielfalt viele Menschen ansprechen. Ausgelöst wird das Ganze dadurch, daß man sich überlegt, was passiert, wenn man auf einem Taschenrechner immer wieder die x-quadrat-Taste drückt. Man kommt zu überraschenden Ergebnissen.
Wer wäre an einem Gedankenaustausch interessiert.
Internet-Tipp: https://www.scc-alzenau.de/julia1.jpg
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greisi
antwortete am 01.09.04 (11:52):
Hallo Dietmar,
ich bin an einem Gedankenaustausch intressiert. Fraktale Geometrie und die Anwendung ihrer Regeln und Gesetzmässigkeiten auf andere Bereiche (Biologie, Soziologie) faszinieren mich seit vielen Jahren. Habe mich immer wieder zwischendurch viel damit beschäftigt und doch -muss ich sagen- letztendlich wenig kapiert. Irgendwie liegen hier tiefe Einsicht und Trivialität sehr sehr nahe beisammen.
Internet-Tipp: https://www.techlar.com/fractals/websys.exe?file=index.html
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Dietmar
antwortete am 01.09.04 (14:13):
Hallo greisi, vielen Dank für Dein Interesse und den aufschlußreichen Link. Was Du ansprichst, die Anwendung der fraktalen Geometrie auf Biologie oder Soziologie steht allerdings ganz am Ende. Zunächst muß man erst einmal die mathematischen Algorithmen und ihre Umsetzung in Computerprogramme verstehen. Es ist leider so, die Beschäftigung mit Fraktalen ist pure Mathematik und nicht so leicht zugänglich. Als Einführung sind die beiden Bücher: Peitgen/Jürgens/Saupe: Chaos - Bausteine der Ordnung Peitgen/Jürgens/Saupe: Bausteine des Chaos - Fraktale erschienen im rororo-Verlag, sehr zu empfehlen, die für mathematisch interessierte Laien geschrieben und sehr spannend zu lesen sind.
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Karl
antwortete am 01.09.04 (16:58):
Ich schließe mich an. Mich hat die Struktur eines Farnblatts immer fasziniert. Im Kleinen wiederholt sich die Struktur der nächst größeren Ebene. Überhaupt sind Entwicklungsprozesse in der Biologie faszinierend. Einfache Regeln erzeugen durch wiederholte Anwendung komplizierte Strukturen.
Internet-Tipp: " target="_new" rel="nofollow" >
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Dietmar
antwortete am 01.09.04 (19:05):
Hallo Karl, mit der Darstellung des Farnblatts stößt Du auch schon an die Grenzen, die der fraktalen Geometrie nach meinen Erkenntnissen gesetzt sind. Das Programm, mit dem man das Farnblatt erzeugen kann, sieht garnicht so schlimm aus, hat es aber, von den mathematischen Grundlagen her gesehen, in sich!
'------------------------------------------------------------------------ 'Quellprogramm: IFS05.BAS '------------------------------------------------------------------------ 'Berechnung von Fraktalen mit einem 'Iterierten Funktionensystem nach dem Zufallsprinzip. '------------------------------------------------------------------------ 'Eingabewerte:
a(1) = .849: a(2) = .197: a(3) = -.15: a(4) = 0 'Farn b(1) = .037: b(2) = -.226: b(3) = .283: b(4) = 0 c(1) = -.037: c(2) = .226: c(3) = .26: c(4) = 0 d(1) = .849: d(2) = .197: d(3) = .237: d(4) = .16 e(1) = .075: e(2) = .4: e(3) = .575: e(4) = .5 f(1) = .183: f(2) = .049: f(3) = -.084: f(4) = 0 'p(1) = .25: p(2) = .25: p(3) = .25: p(4) = .25 p(1) = .85: p(2) = .07: p(3) = .07: p(4) = .01
stufe = 15 'Iterationstiefe nmax = 100000 'Anzahl der Punkte '-----------------------------------------------------------------
SCREEN 12 'VGA 640 x 480 Pixel, 16 Farben px = 420: py = 420 'Bildschirmbereich xmin = 0: xmax = 1.3 'mathematischer Bereich ymin = 0: ymax = 1.3 xschritt = (xmax - xmin) / px 'Schrittweite yschritt = (ymax - ymin) / py
p(2) = p(1) + p(2): p(3) = p(2) + p(3): p(4) = p(3) + p(4)
FOR j = 1 TO nmax Ax = 0: Ay = 0 FOR i = 1 TO stufe x = RND IF x >= 0 AND x < p(1) THEN abb = 1 'Zufallsauswahl der IF x >= p(1) AND x < p(2) THEN abb = 2 'Funktion IF x >= p(2) AND x < p(3) THEN abb = 3 IF x >= p(3) AND x < p(4) THEN abb = 4
Axx = a(abb) * Ax + b(abb) * Ay + e(abb) 'Abbildungs- Ay = c(abb) * Ax + d(abb) * Ay + f(abb) 'gleichungen Ax = Axx NEXT i Asx = (Ax - xmin) / xschritt 'Koordinatentransformation Azy = (ymax - Ay) / yschritt PSET (Asx, Azy) 'Punktausgabe NEXT j
END
Man kann es mit dem BASIC-Interpreter, der auf der Windows 98 CD unter tools > oldmsdos > qbasic.exe enthalten ist, ablaufen lassen. Es ergibt sich ein Bild, wie im unten stehenden Link angegeben. Das Erstaunliche daran ist, daß man mit wenigen Parametern (in diesem Fall 32) eine so komplizierte Struktur wie ein Farnblatt beschreiben kann. Allerdings hat Barnsley (1988), nach dem dieses Farnblatt benannt ist, nicht verraten, wie er zu den Parameterwerten gekommen ist. Dieses Kodierungsproblem ist meines Wissens auch heute noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Internet-Tipp: https://www.scc-alzenau.de/farn1.jpg
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Ursula
antwortete am 01.09.04 (21:10):
Ein faszinierendes Thema! Ich werde gespannt Euren Gedankenaustausch verfolgen - zu mehr wird es bei mir vermutlich nicht reichen ... ;-(
Ich kann aber zwei sehr schöne Bücher mit tollen Abbildungen (und auch viel, viel informativer Mathematik ;-))empfehlen:
1. H.-O. Peitgen / P.H. Richter The Beauty of Fractals - Images of Complex Dynamical Systems -
Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1986
2. Michael Field / Martin Golbitsky Chaotische Symmetrien - Die Suche nach Mustern in Mathematik, Kunst und Natur -
Birkhäuser-Verlag Basel Boston Berlin 1993
(Die Originalausgabe ist 1992 erschienen unter dem Titel "Symmetry in Chaos. A Search for Pattern in Mathematics, Art and Nature" Oxford University Press, Oxford, England)
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Ursula
antwortete am 01.09.04 (21:15):
Sorry, mir ist ein Tippfehler passiert: Der zweite Verfasser des letztgenannten Titels heißt Martin G o l u b i t s k y
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Karl
antwortete am 01.09.04 (23:26):
@ Dietmar,
Klasse! Dass es bereits ein Programm gibt, dass die Farnstruktur generieren kann, war mir nicht bewusst! Ich bin ganz weg.
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greisi
antwortete am 02.09.04 (13:56):
Ich will dann gleich mal über mein Unbehagen sprechen. Man kann mit fraktaler Mathematik -vergleichsweise einfach- alle möglichen realen Wachstums- und Strukturprozesse beschreiben und simulieren. Es gibt inzwischen Programme z.B. zur computergestützten Erzeugung von Landschaften. Oder die inzwischen täuschend echten Hautstrukturen von animierten Filmfiguren (Herr der Ringe, Shreck I und II). Also das zeigt, man kann alle möglichen Strukturen der realen Welt auf eine fraktale Geometrie zurückführen. Aber was bedeutet das nun wirklich. Nur weil ich einen Baum gemalt habe, weiss ich doch nicht wie er gewachsen ist und warum. Nur weil ich Selbstähnlichkeiten in der Natur erkenne, heisst das doch nicht, dass Selbstähnlichkeit ein Naturprinzip ist.
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greisi
antwortete am 02.09.04 (14:00):
Eigentlich sollte ich noch ein Beispiel bringen:
Als Kind hatte ich einen sog. Spirographen. Das waren Zahnräder mit Löchern in die man einen Stift stecken konnte und dann auf einem Papier hübsche geometrische Figuren malen konnte. Die sahen dann aus wie Blumen oder Planetenbahnen. Was den Spirographen betrifft würde man nie auf die Idee kommen eine prinzipielle Beziehung zwischen so einem Spirographenbild und einer realen Blume oder einem Sonnensystem zu machen. Aber viele tun dies bei den Fraktalen, hat dies eine Berechtigung oder ist dies nur eine Verführung weil die einfach so atemberaubend aussehen.
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Dietmar
antwortete am 02.09.04 (18:19):
Ich glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor. Die fraktale Geometrie ist ein Teilgebiet der Mathematik und nicht irgendeiner Naturwissenschaft. So wie Kreise, Kugeln, Pyramiden, Quadrate Objekte der euklidischen Geometrie sind, so sind die Cantor-Menge, das Sierpienski-Dreieck, der Menger-Schwamm, die Julia-Menge Objekte der fraktalen Geometrie. Diese fraktalen Objekte sind reine Gedankengebilde, die gemäß ihrer Konstruktion eine gebrochene (nicht ganzzahlige) Dimension und eine Selbstähnlichkeit im streng mathematischen Sinne aufweisen und mit der uns umgebenden Natur nichts zu tun haben. Erst durch unser Abstraktionsvermögen versuchen wir einen Berg mit einem Kegel, die Gestalt der Erde mit einer Kugel in Verbindung zu bringen. So erkennen wir beim Farn, beim Blumenkohl gewisse Eigenschaften der Selbstähnlichkeit, eine typisch fraktale Eigenschaft. Aber die Objekte der uns umgebenden realen Welt sind nicht Gegenstand der Mathematik auch nicht der fraktalen Geometrie und können somit auch nicht durch sie vollständig beschrieben werden.
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greisi
antwortete am 06.09.04 (11:57):
@Dietmar, als das glaube ich gerne, dass es da ein Missverständnis gibt. Aber dieses Missverständnis ist nicht so ganz einfach abzuhandeln. Es ist gut, wenn Du klarstellst, dass es sich um reine Gedankengebilde handelt. Dennoch folgen sie den gesetzten Regeln eines Bereiches der Mathematik - also hier der fraktalen Geometrie. Dem naturwissenschaftlich orientierten Menschen drängt sich aber sofort die Erwartungshaltung auf, dass ich mit diesem mathematischen Instrumentarium auch natürliche Phänomene beschreiben, verstehen und letztendlich beeinflussen lassen.
Sehen wir uns das Programm zur Generierung jenes graphischen Objektes an, dass so aussieht wie ein natürliches Blatt. Der automatische Reflex des Naturwissenschaftlers ist nun, sofort zu versuchen den Eingangsparametern irgendwelche Stoffe und Einflussgrössen aus der Natur zuzuordnen und dem Algorithmus, irgend ein genetisch bedingtes Regelwert. Sollte dies gelingen erwacht der Ingeneur im Menschen und versucht irgendein Gewächs am Computer zu modellieren um dann im Labor eine Pflanze zu erhalten, die -gefüttert und gezogen mit Zugaben entsprechend den Parametern- genauso nachwächst wie auf dem Computer. Gelingt dies, kann ich behaupten mithilfe der fraktalen Geometrie ein Naturphänomen beschrieben und begriffe zu haben und umgekehrt kann ich behaupten die Natur verhält sich fraktal oder selbstähnlich.
Ok. Du sagst, das ist Quatsch, hat mit der Natur nichts zu tun. Ich habe jetzt hier keine Referenzen parat, aber es gibt viele Wissenschaftler, die dies behauptet haben.
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Dietmar
antwortete am 06.09.04 (20:08):
Hallo greisi,
in vielen Punkten Deines letzten Beitrags stimme ich Dir voll und ganz zu. In den Naturwissenschaften, in der Technik, auch in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre hat man immer schon Modelle entworfen, die mit mathematischen Methoden beschrieben werden konnten. Damit ist es möglich, einige bestehende Phänomene zu beschreiben, zu verstehen und das ist ja das Ziel, Voraussagen für die Zukunft zu machen. Aber es handelt sich immer nur um Modelle, die Teilaspekte beschreiben. Man kann umgekehrt nicht sagen: Die Natur in ihrer Gesamtheit verhält sich wie diese Modelle. Auch wenn die Gestalt eines Farnblattes mit den Aussagen der fraktalen Geometrie annähernd beschrieben werden kann, heißt das nicht, daß sich die Natur "fraktal verhält".
Ein Fraktal ist und bleibt ein mathematisches Gedankengebilde. Vielleicht erkläre ich das an einem klassischen, fraktalen Objekt, dem Sierpinski-Dreieck, benannt nach dem polnischen Mathematiker Waclaw Sierpinski (1882 - 1969). Man kann es konstruieren, wenn man die Seiten eines Dreiecks halbiert und das so entstehende innere Dreieck heraussschneidet. Dieses Verfahren wird für die übrigbleibenden Dreiecke ständig (unendlich oft!) wiederholt. Das nach diesem Grenzprozeß übrigbleibende Dreieck besitzt einige bemerkenswerte Eigenschaften: So ist seine Fläche gleich null und sein Umfang unendlich. Es ist weder eine Linie (Dimension 1) noch eine Fläche (Dimension 2) sondern besitzt eine gebrochene Dimension dazwischen von 1,584.... Solche geometrische (Gedanken-) Gebilde , es gibt noch mehr davon, pflegte man früher als "mathematische Monster" zu bezeichnen.
Es ist erstaunlich, daß man dieses Dreieck mit dem gleichen Programm, wie oben angegeben, berechnen kann. Man muß nur andere Parameterwerte einsetzen, am Algorithmus wird nichts geändert.
'Eingabewerte:
a(1) = .5: a(2) = .5: a(3) = .5: a(4) = 0 'Sierpinski- b(1) = 0: b(2) = 0: b(3) = 0: b(4) = 0 'Dreieck c(1) = 0: c(2) = 0: c(3) = 0: c(4) = 0 d(1) = .5: d(2) = .5: d(3) = .5: d(4) = 0 e(1) = 0: e(2) = .5: e(3) = .25: e(4) = 0 f(1) = 0: f(2) = 0: f(3) = .5: f(4) = 0 p(1) = 1 / 3: p(2) = 1 / 3: p(3) = 1 / 3: p(4) = 0
Das Sierpinski-Dreieck in seiner 15. Näherung ist mit untenstehendem Link aufrufbar. Es ist schon fast zu einer Ikone der fraktalen Geometrie geworden.
Das obige Programm mit seiner Einfachheit ist in der Lage, eine ganze Klasse von Fraktalen zu generieren, zu der auch das Barnsley-Farn gehört. Aber zu behaupten, die Natur ist nach dem gleichen Konstruktionsplan aufgebaut wie die Konstruktion des Sierpinski-Dreiecks, das ist dann doch etwas weit hergeholt.
Da dieses Spezialgebiet so interessant ist und man mit Computerexperimenten (obwohl die bei Mathematikern verpönt sind) auch neue Erkenntnisse gewinnen kann, habe ich die eingangs formulierte Frage nach einem Gedankenaustausch in dieses Forum gestellt. Es hätte ja sein können, daß sich jemand schon damit beschäftigt hat. Ansonsten würde ich mich freuen, wenn ich vielleicht einen Anstoß gegeben hätte, sich mit diesem sehr reizvollen Spezialgebiet gedanklich und praktisch am Computer mal näher auseinanderzusetzen.
Internet-Tipp: https://www.scc-alzenau.de/sierp1.jpg
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