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THEMA:   ein ganz banales Problem? Wenn Eltern alt werden

 15 Antwort(en).

Manja Schmidt begann die Diskussion am 16.03.01 (02:38) mit folgendem Beitrag:

ich bin 44 Jahre, alleinstehend ohne Anhang und Geschwister, berufstätig (selbstständig)und habe eine 81 jährige Mutter, die ich sehr liebe und die 500 km von mir entfernt wohnt, ebenfalls allein, die Hälfte des Jahres aber bei mir verbringt.

Wo das Problem ist? Den Wandel von der ehemals aktiven, belastbaren und tatkräftigen Frau zur körperlich schwachen und geistig nachlassenden alten Dame, die viel Unterstützung braucht und auch einfordert (was sie auch bekommt), mit zu erleben.

Die Tatsache, dass sie schwerhörig ist und somit kaum noch etwas versteht bzw. fast alles falsch versteht, sich aber vehement gegen ein Hörgerät wehrt, dass sie einen stark nachlassenden Geruchssinn hat und die eigene Hygiene vernachlässigt (Ich rieche doch nicht!!! Das würde ich doch merken!!), einen nachlassenden Geschmackssinn hat und nur noch ganz scharf gewürztes und öliges Essen (Öl ist ein guter Geschmacksträger) mag, aber einen so empfindlichen Magen hat, dass sie danach oft bricht (was mir das Herz zerreißt), ich dann aber gleichzeitig auch sauber machen muß, sie magenverträgliches Essen aber strikt ablehnt, die Tatsache, dass sie meinen Geschirrspüler bedienen kann, aber lieber per Hand abwäscht, wobei sie nicht sieht, dass noch Essensreste am Geschirr und Besteck kleben, was mir bei Benutzung sofort auffällt und mir den Appetit verdirbt (ihr Kommentar: ich wasch sauber ab, das ist nicht von mir!)

und so weiter. Viele andere Dinge. Fremde Menschen ins Haus läßt usw.

Keine Geschwister, mit denen man sich austauschen könnte, Freunde, die sagen: denk an dich selber, du arbeitest 15 Stunden am Tag, hast keinen Urlaub, du machst dich kaputt.

Und die Trauer nicht verstehen, die ich beim Umgang mit meiner Mutter empfinde, die immer mehr zum kleinen Kind wird.

Gibt es eine Gruppe, die sich mit diesem Thema beschäftigt??

Liebe Grüße, Manja


Rosmarie Schmitt antwortete am 16.03.01 (17:18):

Liebe Manja,

leider kann ich dir keinen Tipp geben! Das Einzige, was ich kann, ist, dir zu sagen, dass ich deine Trauer verstehe!

Meine Mutter war nach einem Schlaganfall so verwirrt und verändert, dass ich sie aus dem Ruhrgebiet hierher zu mir in ein Altenheim um die Ecke geholt habe (Mein Vater war überfordert). Dort habe ich sie zehn Jahre lang jeden Tag besucht. Urlaub länger als eine Woche (mit Sohn in Vertretung) war nicht mehr drin. Mutti war emotional ganz auf mich angewiesen - und das, obwohl sie gesund eine sehr couragierte und selbständige Frau gewesen war! Auch sie veränderte sich mehr und mehr. Erstaunlich, wie viele Parallelen es zum Verhalten deiner Mutter gab!

So bereichernd diese Zeit in vielerlei Hinsicht war, sie war auch sehr, sehr schwer! Über Muttis Abbau, über ihre Wesensveränderungen, Aggressionen, Ängste und fixen Vorstellungen und später über ihren lang andauernden Verfall habe ich viele, viele hilflose und verzweifelte Tränen geweint!

Auch du bist berufstätig. Deshalb bewundere ich dich, dass du die Pflege und Verantwortung für deine Mutter noch ganz übernehmen kannst. Du musst damit rechnen, dass sich die belastenden Symptome bei deiner Mutter in den nächsten Monaten und Jahren noch deutlich verstärken. Auf Einsicht bei ihr kannst du meiner Erfahrung nach nicht hoffen. Keine Einsicht in die eigenen Beschränkungen zu haben, gehört wohl mit zum Krankheitsbild. Und je größer diese Einschränkungen werden, umso weniger werden sie von deiner Mutter wahrgenommen werden. D.h. für dich, du wirst immer mehr gegen Windmühlen kämpfen müssen.

Ich drücke dir sehr die Daumen, dass du eine begleitende Selbsthilfegruppe oder Ähnliches finden wirst! Und ich wünsche dir viel, viel Kraft!


Heidi Lachnitt antwortete am 22.03.01 (00:23):

Meine liebes Kind

verzeih, dass meine Schrift so zittrig
und voll Fehler ist
meine Hände zittern und mein Gedächtnis
lässt nach
84 Jahre fordern ihren Tribut

verzeih, wenn ich dich nicht immer
verstehe und mein Fernseher so
laut eingestellt ist
ich höre nicht mehr gut und ein Hörgerät
erschreckt mich
84 Jahre fordern ihren Tribut

verzeih, wenn auch meine Zunge und
meine Nase ihren Dienst verweigern
und meine Augen durch den grauen Star
nur noch verschwommen sehen
84 Jahre fordern ihren Tribut

Verzeih mir, liebes Kind,
dass ich alt geworden bin, sehr alt,
und dass ich oft nicht bemerke, wie alt
mein Körper mit seinen Funktionen
geworden ist

In meinem Herzen bin ich noch die gleiche,
das Kind das ich einmal war,
das junge Mädchen, die Frau die deinen
Vater geheiratet hat, die Mutter die dich
geliebt hat und immer noch liebt

Nur mein Gedächtnis bringt manchmal
die Zeiten durcheinander und manchmal
auch die Personen und Orte.
Ich weiss dann nicht mehr so genau,
bin ich die Mutter oder die Tochter,
In den klaren Momenten die ich habe,
öfter als Du glaubst, verletzt es mich,
wenn du mich behandelst, als sei ich ein
Kind oder schwachsinnig.

Ich weiß, mein Kind - es ist schwer für dich,
obwohl oder weil du mich liebst,
ich war für dich immer die starke, die liebevolle,
die verständnisvolle Mutter, ein Vorbild für dich
und nun kannst du nicht akzeptieren, dass ich alt bin
und gebrechlich an Geist und Seele

Es ist auch schwer für mich... Bitte, mein Kind
lass mir einen Rest an Würde,
übersieh' die Flecken auf der Kleidung
lass den Fernseher laut und wenn ich
dich nicht verstehe, sag es noch einmal
langsam und deutlich ohne zu schreien,
ich versteh' dich dann
gib mir Salz und Pfeffer zum Essen,
dann kann ich selbst nachwürzen
und lass mich nicht im Haus allein,
dann kommen auch keine Fremden
die manchmal den Freunden aus alter Zeit
so ähnlich sehen,

und wenn es gar nicht mehr geht, liebes Kind
- ich weiss es kann noch viel schlimmer werden -
dann such' mir ein freundliches Haus
mit freundlichen Schwestern
die mich versorgen und akzeptieren
können - so wie ich bin
eine fremde sehr alte Frau

Traure nicht um mich mein Kind
ich gehe nur den Weg, den alle gehen
du musst mich nicht begleiten
bei den letzten Schritten
und sollst nicht durch mich leiden
- nur bei dem allerletzten Schritt
da wünsche ich mir, Deine Hand
die mich hinüber geleitet
vom Leben in den Tod

hl/Febr.2000


Manja Schmidt antwortete am 22.03.01 (03:30):

zwei Reaktionen, eine von Frau R. Schmitt, die verstanden hat, worum es mir geht, für deren Zuschrift ich sehr danke. Die mir hilft und damit auch meiner Mutter. Eine verbissen wirkende von Fr. Lachnitt (Nomen est Omen??). Ich zitiere, gib mir "Pfeffer und Salz, damit ich nachwürzen kann". Wie schön sich das liest.

Wenn Sie, liebe Fr. Lachnitt, einmal meinen Brief genauer gelesen hätten, hätten Sie begriffen, dass ich nicht an Gewürzen sparen möchte. Sie hätten verstanden, dass meine Mutter schwere Magenprobleme hat, die durch starke Gewürze und viel Öl, also scharfes und fettiges Essen, zum Erbrechen führen. Täglich, trotz der Medikamente. Sie finden es also richtig, noch mitzuhelfen, das Erbrechen zu fördern.

Weiteres Zitat: " Sorge dafür, dass ich nicht allein zu Hause bin". Sehr schön. Geschwister und Verwandte gibt es nicht. Vielleicht haben Sie es schon einmal geschafft, von der Pflegekasse eine Tagesbetreuung einer ansonsten noch rüstigen Dame zu erhalten? Kennen Sie die hohen Maßstäbe, die da gesetzt werden? Und mit Verlaub, die Dame ist noch so rüstig, dass sie sich dagegen wehrt. Sie empfindet das als Bevormundung. Sie ist doch nicht alt! Nach ihrer Meinung sieht und hört sie alles und kann voll entscheiden, wen sie in das Haus läßt und wen nicht.

Dass dann die dollsten Sachen passieren, können Sie sich, Fr. Lachnitt, bestimmt so gefühlsbeduselt, wie Sie Ihre Antwort geschrieben haben, nicht vorstellen.

Es geht hier, für Sie, Fr. Lachnitt noch einmal erörtert, nicht um die alte, halbblinde, schwerhörige Frau, der ihre Tochter noch nicht einmal ein schmackhaftes Essen gönnt.

Es geht um eine sich selber versorgende, und darauf in höchstem Maße bestehende, sehr selbstbestimmte alte rüstige Dame, die aber viele Dinge tut, die ihr subjektiv nicht gut tun. Fragen Sie einmal Ihren Hausarzt nach den Auswirkungen täglichen Erbrechens! Dies passiert übrigens nicht, wenn meine Mutter das von mir zubereitete, frisch gekochte, gesunde Essen isst. Das sie auch täglich haben kann, aber heimlich zur Pommesbude mit dem bekannt schlechten Öl geht.
Bevor Sie meine Kochkünste in Frage stellen, wozu Sie selbstverstänlich berechtigt sind, meine Feunde und Bekannten sind begeistert. Ich koche auch nach den Wünschen meiner Mutter, ihr wird also nicht einfach etwas vorgesetzt.


Und wenn Sie mir sagen, wo ich als mich allein versorgende, allein stehende Frau, Geld herbekomme, damit ich meinen Lebensunterhalt nicht mehr allein verdienen muß und ganztags bei meiner Mutter sein kann: Ich wäre Ihnen dankbar. Meine Mutter auch.

Zum Schluß noch etwas, um die Diskussion anzuheizen: Jeder darf nach Belieben Kinder in die Welt setzen. Ist damit eigentlich auch eine Verantwortung verbunden, für sein eigenes Alter vorzusorgen? Oder darf man bedingungslos sagen: ich habe dich geboren, ob du das wolltest oder nicht (gefragt wird man ja vorher nicht)> jetzt sorge mal gefälligst für mich, mein Kind!

Und ist es für einen alten Menschen wirklich so viel würdiger, ihn unsauber zu lassen, auf die Flecken und den Geruch nicht hinzuweisen, nur damit die Illusion bleibt, es wäre allein in Ordnung ? Ich rede von alten Menschen, die durchaus mobil sind und Kontakt aufnehmen können zu anderen, sich aber Dinge angeeignet, die andere, fremde Menschen zum Teil abstoßen. Und was einen ganzen Teil des erwünschten sozialen Lebens erschwert.


Rosmarie Schmitt antwortete am 22.03.01 (09:10):

Liebe Manja,

gerade wollte ich ein begeistertes Feedback an Heidi geben, als ich deine Reaktion las. Ich bin erschrocken, nein, nicht darüber, dass du dich gekränkt fühlst, sondern darüber, dass ich in meiner Ergriffenheit über Heidis Gedicht gar nicht daran gedacht habe, dass es auf dich wie ein Schlag ins Gesicht wirken müsste.

Ich verstehe das Gedicht von Heidi aber nicht als Antwort auf deinen Brief. Ich nehme an, dass dieser Text schon lange existierte, bevor du von deinem Kummer berichtet hast. Ich hatte Heidi einfach so verstanden, dass sie deine Trauer als Aufhänger für etwas Neues, ganz Anderes, aber eben auch zum Thema Passendes in den Raum stellen wollte.

Eine Verbindung zu deinem speziellen Problem sehe ich dabei nicht. Die Dinge, die in diesem Brief einer Mutter angschnitten werden, sind doch zu verschieden!

Wenn ich mich jetzt also noch begeistert bei Heidi bedanken möchte, so nimm das bitte nicht als Herz- und Gedankenlosigkeit dir gegenüber. Ich habe im Hinterkopf allein die Bilder des Altwerdens meiner Mutter und die unendlich vielen, die ich bei meinen Besuchen im Altenheim von anderen Müttern und ihren Kindern erlebt habe. Mit deiner Situation hat das nichts zu tun.

Liebe Heidi,

dein Brief einer Mutter hat mich zutiefst erschüttert! Ist der Text von dir?
Das, was du anklingen lässt, habe ich beim Altwerden meiner Mutter genau so empfunden. All den Schmerz, dass die Mutter nicht mehr die Stützende, Tragende und Liebende von einst ist, aber auch die täglich neue Beschämung, dass ich (und andere mit ihren Müttern) damit nur so unvollkommen und oft nicht angemessen liebend umgehen konnte.
Danke!


Heidi Lachnitt antwortete am 23.03.01 (00:20):

"... Dort habe ich sie zehn Jahre lang jeden Tag besucht. Urlaub länger als eine Woche (mit Sohn in Vertretung) war nicht mehr drin. Mutti war emotional ganz auf mich angewiesen..."

Liebe Rosemarie, im Rahmen meiner Tätigkeit als Altenpflegerin sehe ich viele "Töchter" die sich genau wie Du liebevoll um ihre Mutter kümmern, ich sehe auch die Trauer, das Leid und das Unvermögen die Veränderung der "Mütter" zu akzeptieren. Aus diesem Beobachten heraus entstand im Februar letzten Jahres der obige "Brief einer alten Dame".

Ich wollte damit weder verletzen noch verurteilen, nichts liegt mir ferner. Nur darauf hinweisen,dass das "Titel-Problem" zwei Seiten hat und vielleicht auch, dass das Altern zum Leben gehört und keiner von uns weiss, wie wir uns einmal verhalten im hohen Alter.

Dir Manja, möchte ich noch sagen, dass die Selbstbestimmung und die Würde eines alten Menschen in meinen Augen tatsächlich wichtiger sind als eine blütenweise Bluse oder ein fleckenfreier Rock.

Herzlichen Gruss, Heidi


Manja Schmidt antwortete am 24.03.01 (00:39):

Öffentliche Entschuldigung an Heidi!

Ich habe einen Fehler gemacht, ich bin nicht geübt, in Foren zu schreiben und habe vergessen, dass ich nicht nur einen Teilbereich schildern kann, sondern ein umfassenderes Bild geben müßte. Ich mußte so falsch verstanden werden.

Mit dem Satz: "Von der aktiven und selbstbestimmten Frau zur körperlich schwachen und geistig nachlassenden" meine ich den Weg, nicht das Endresultat. Meine Mutter kann, wie ich Heidi schon schilderte, noch sehr viel, viel mehr als andere in ihrem Alter, bemüht sich aber nicht, obwohl es in ihren Fähigkeiten läge, dies zu erhalten. Und das mit anzusehen, tut mir weh.

Sie könnte sich gesünder zu ernähren z.B. Oder mehr auf Körperpflege zu achten ( sie kann problemlos Duschen), damit andere sich nicht von ihr distanzieren oder das Hörgerät zu benutzen, was sie aus Eitelkeit nicht tut, was bei Einsatz aber bestens funktioniert.

Heidi war so lieb, mir zu versichern, sich bezüglich Motivations"tricks" noch einmal bei mir zu melden. Danke, Manja


Heidi antwortete am 24.03.01 (01:18):

:-)) Ich bin dabei, Manja - gib mir noch einen Tag Zeit.Muss der Verständlichkeit halber doch ein bisschen weiter ausholen. -- Entschuldigung war nicht nötig :-).

Lieben Gruss, Heidi


Britta Sobieroj antwortete am 24.03.01 (18:01):

Eltern, die liebevoll und fürsorglich waren, werden im Alter immer geliebt von ihren Kindern - auch wenn die erwachsenen Kinder meist nicht mehr so fürsorglich sein können, weil wir in einer anderen Zeit leben.

Eltern, die nicht liebevoll waren, sondern hart und egoistisch, bekommen auch nicht viel Liebe und Dankbarkeit von ihren Kindern und sollten dies auch nicht erwarten.


Rosmarie Schmitt antwortete am 24.03.01 (23:58):

> Öffentliche Entschuldigung...

Liebe Manja,

wohl jeder, der hier mitgelesen hat, kann in meinen Augen verstehen, dass du in deiner Situation jetzt sehr dünnhäutig bist und Dinge auf dich bezogen hast, die nur allgemein gemeint waren.
In meinen Augen brauchtest du dich für diese Art von Verletztlichkeit wirklich nicht zu entschuldigen!

Wer von uns möchte momentan in deiner Haut stecken?

Übrigens empfand ich den Umgang mit meiner Mutter später, als sie viel viel stärker abgebaut hatte, wesentlich unproblematischer als zu Anfang.

Ein Trick, der bei meiner Mutter funktioniert hat, war z.B. ihr bei Dingen, von denen ich erwarten musste, dass sie sie ablehnt (zeitweise fast alles aus Prinzip wie ein Kind im Trotzalter), ihr eine Wahl vorzuschlagen. "Möchtest du jetzt lieber die Fingernägel ausgeputzt haben oder möchtest du lieber die Haare gewaschen haben?" Oder: "Möchtest du, dass wir jetzt sofort zum Essen hinunter gehen, oder möchtest du noch zehn Minuten warten?"
Vielleicht könntest du fragen: "Möchtest du lieber, dass ich gedämpften Fisch koche oder lieber Hähnchenfrikassée?" Nur könnte deine Mutter, da es ihr ja noch recht gut geht, auch sagen: "Nein, ich möchte Bratkartoffeln mit Schnitzel!" Und wenn sie´s nicht bekommt, könnte sie später zur Frittenbude marschieren...
Du bist wirklich in einer sehr, sehr schwierigen Lage, liebe Manja!

An deiner Mutter wirst du sicher nicht allzu viel ändern können. Aber vielleicht schaffst du es, dich selbst nicht im Übermaß verantwortlich zu fühlen. Meiner Erfahrung nach ist es nur in Glücksfällen oder in Ansätzen möglich, den älteren, nur leicht verwirrten Menschen zu sachlich klugem und angemessenen Verhalten zu bringen, ohne ihm gleichzeitig das Gefühl der Fremdbestimmung zu vermitteln. So lange deine Mutter noch so empfindlich auf deine Versuche reagiert, ihr Handeln in vernünftige Bahnen zu lenken, so lange hast du in meinen Augen eigentlich keine andere Wahl als ihr ihren Willen zu lassen.

Die Würde des Menschen ist unteilbar... Meine Mutter hatte jahrelang schmutzige, lange Fingernägel, weil sie niemanden dran ließ, nur unter Geschrei, als wolle man sie umbringen. So bat ich die Schwestern, ihre Nägel eben dreckig zu lassen. Später erledigte sich das Problem durch den oben genannten Trick. Vorher funktionierte der aber noch nicht...

Die Mutter meiner Freundin hat immer wieder im Garten arbeiten wollen, und das, obwohl sie ernsthaft herzkrank ist und schon zweimal in Büsche gefallen ist (wohl Schwächeanfälle) und einmal ca. zwei Stunden nicht mehr hoch kam... Meine Freundin versuchte, ihr diese Arbeiten auszureden und schließlich "zu verbieten". Ich war anderer Ansicht: Es geht einfach nicht, dass wir mit Mitte 50 bestimmen, was eine 80jährige mit ihrem Leben anfangen will. Wenn sie soooo gern im Garten arbeitet und das Risiko eines vorzeitigen Todes bewusst in Kauf nimmt, so sollten wir uns nicht erdreisten, dies unterbinden zu wollen...
Aber sicher kann man diese Dinge auch anders sehen...

Wenn ich heute in deiner Haut steckte, würde ich auch versuchen, meiner Mutter bekömmliches Essen vorzusetzen. Wenn sie sich dann nach einem heimlichen Besuch an der Bude erbrechen müsste, würde ich versuchen, mich nicht schuldig zu fühlen und mir sagen, dass ich kein Versager bin, bloß weil ich es nicht geschafft habe, dieses Erbrechen zu vermeiden...
Du kannst einfach nicht alles abfangen!



Heidi antwortete am 25.03.01 (00:15):

:-) Hallo Rosmarie,

ich habe gerade meinen Beitrag wieder gelöscht, weil er - zwar mit anderen Worten - inhaltlich exakt das gleiche aussagte wie dein obiger Beitrag. Ich kann jedes Wort nur unterstreichen und vor allem Deinen letzten Satz.

Liebe Manja,
mehr als Rosmarie bereits gesagt hat, kann ich auch nicht sagen. Tut mir leid, "Tricks" gibt es hier keine - Du kannst nur immer wieder versuchen, im direkten Gespräch a) Deine Zuneigung/Wertschätzung zu zeigen und b) aber auch konsequent Deine Meinung zu den verschiedenen "Problemen" äußern ohne jedoch Deine Mutter dabei unter Druck zu setzen.


Rosmarie Schmitt antwortete am 25.03.01 (10:00):

Liebe Heide,

dass du mit meinen Äußerungen so sehr übereinstimmst, bedeutet mir viel. Denn schließlich bist du professionelle Altenpflegerin und hast damit weit mehr und vielseitigere Erfahrung als ich!
Vielleicht bedeutet es mir auch deshalb viel, weil mir noch heute - vier Jahre nach dem Tod meiner Mutter - immer mal wieder Unzulänglichkeiten und Versagen im Umgang mit ihr einfallen.

Herzlichen Gruß
Rosmarie


Pepsi antwortete am 11.04.01 (23:33):

Liebe Manja,

jeden Satz von dir kann ich nachempfinden! Meine Mutter - vorher recht mobil und mit Auto und Handy unterwegs - fiel vor 1 1/2 Jahre beim Frühstück vom Stuhl. Schlaganfall!
Was sich mit diesem "Schlag" alles geändert hat, kann und möchte ich gar nicht aufzählen. Ich kann dir nur soviel dazu sagen: Als ich eben deine Zeilen las, fing ich wieder an zu heulen.

Meine Mutter ist mir immer die beste Freundin gewesen - jetzt kann sie nicht mehr bei ihrem Lebensgefährten in Dänemark sein, und will doch nichts anderes, als wieder "heim" zu fahren!
Und genau da setzt ihre Demenz ein. Wenn es darum geht, raus aus dem Altenpflegeheim und rein ins Auto - schlägt ihre Phantasie Kapriolen! Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass sie nach dem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist und ihre Beweglichkeit nur sehr sehr eingeschränkt langsam wieder kommt.
Jeder Arzt, jede Schwester und jeder Pfleger - egal ob im Heim oder in den zwei verschiedenen Reha-Häusern - sagt mir, dass meine Mutter sehr viel weiter sein könnte, wenn sie nur richtig mitarbeiten würde!
Aber wie ich sie dazu motivieren soll - keine Ahnung!
Ich habe ihr gesagt, dass ich sie zu mir nach Hause hole, sobald sie es schafft, allein zu stehen (wenn sie sich dabei festhält). Aber davon ist sie noch weit entfernt...

Am Anfang hat sie nur geweint. Brach immer wieder plötzlich in Tränen aus... und sie ist bis heute nicht in der Lage, ihre Krankheit anzunehmen. Es ist gerade so, als warte sie auf den richtigen Arzt, der ihr die richtige Spritze gibt - dann schmeißt sie die Beine aus dem Bett und der schlimme Traum ist endlich vorbei!

Man kann sich nach wie vor wunderbar mit ihr unterhalten! ... wenn es nicht gerade darum geht, dass wir ihr Auto mitbringen sollen, "damit sie es mal versuchen kann!"

Was mir am meisten weh tut ... dass sich ihre Mimik überhaupt nicht verändert.

Ich leide entsetzlich unter schlechtem Gewissen! Die Frau, die da im Bett sitzt... sie sieht aus wie meine Mutter... aber irgendwie ist sie es nicht mehr.

Glaub mir bitte - helfen kann ich dir auch nicht, leider. Aber ich verstehe JEDEN Satz von dir!!!

Ich wünsche dir Durchhaltevermögen!

Gruß Pepsi


Rosmarie S antwortete am 12.04.01 (17:31):

Liebe Pepsi,

dein Bericht hat mich sehr angerührt! Du vermitteltst sehr anschaulich all den Schmerz, die Verzweiflung und auch die Ratlosigkeit, die man in einer solchen Situation als Tochter auszustehen hat!

Ich wünsche dir viel Kraft, auch um vom ursprünglichen Bild deiner Mutter Abschied nehmen zu können, und ich wünsche dir die Weisheit, das Richtige tun und das Ungünstige unterlassen zu können! Und vor allem wünsche ich dir, dass du dir nicht wegen eventueller Fehlentscheidungen ein schlechtes Gewissen machst! Denn selbst wenn du dich in dieser Situation nach besten Kräften bemühst, alles richtig zu machen, so wird sich das eine oder andere im nachhinein doch als weniger sinnvoll herausstellen. Oder deine Mutter wird dir Vorhaltungen machen...

Und euch beiden, deiner Mutter und dir, wünsche ich - jenseits von allen abgedroschenen Floskeln - eine Portion Glück in all dem Unglück!

Rosmarie


Pepsi antwortete am 12.04.01 (20:57):

Danke, liebe Rosmarie...

meistens kommt man ja klar! Aber es gibt eben immer wieder Tage und Situationen (wie z.B. die Zeilen von Manja) wo alles wieder wie ein Riesenkloß auf der Seele liegt.

Pepsi


Friedrich Sch. aus dem Ammerland antwortete am 14.04.01 (21:12):

Hallo, an alle Briefeschreiber zum Thema "Wenn Eltern....

Die Zuschriften zum Thema "Wenn Eltern alt werden" haben mich sehr berührt. Alle bisherigen Zuschriften fanden meine volle Zustimmung.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass alle Briefe von Frauen bzw. "pflegenden" Töchtern geschrieben wurden, an denen doch der größte Teil der Pflege hängen bleibt.
Den Artikel von Frau Heidi Lachnitt vom 22.03.01 fand ich einmalig, Sie hat den Artikel ja nicht als "Anklage" an die pflegenden Angehörigen gemeint. Es ist ja auch anschließend so bestätigt worden!

Wir mussten leider meine Mutter und meine Schwiegermutter in ein Pflegeheim geben, da die ordnungsgemäße Versorgung und die erforderliche Pflege nicht mehr zu Hause gewährleistet werden konnte. (Meine Ehefrau und ich sind bereits auch im Renten-Anfangsalter.)


Herzliche Ostergrüße an Alle

Friedrich Sch.