Archivübersicht | Impressum



THEMA:   An Iris Zum Thema Einsamkeit der Jugendlichen!

 11 Antwort(en).

Ilse Fahl begann die Diskussion am 22.11.00 (22:18) mit folgendem Beitrag:

Du, Iris, leider bist Du nicht per E-Mail anzusprechen -bzw. Du bist leider gar nicht anzusprechen!!!!! Ich habe hier einen Beitrag an Dich geschrieben! Aber ich fürchte, daß diese Nachricht Dich nie erreicht! Aber es interessiert mich doch,ob Du einer Statistik so absolute Gültigkeit zuordnest! Beobachtest Du nicht die realen Auswirkungen der Situation der Emanzipation auf unsere Kinder, magst Du sie so ganz außer acht lassen ?!? Das würde mich doch sehr interessieren! Läßt Du es mich mal wissen?


Iris antwortete am 23.11.00 (07:57):

Hallo Ilse,
ich verstehe deinen Standpunkt. Aber ich denke, die Situation ist sehr vielschichtig.

Es ist sicher richtig, daß gerade meine Generation (ich bin 48) sehr viel Mist mit ihren Kindern gebaut hat. Ob das unbedingt nur mit der Emanzipation zusammenhängt, wage ich zu bezweifeln. Gleichberechtigung heißt ja nicht Verantwortungslosigkeit. Was ich schlimmer finde, ist der oft zu beobachtende Mangel an Frustrationstoleranz; Erwachsene wollen wie kleine Kinder alle ihre Wünsche erfüllt haben, sofort und ohne Rücksicht auf Verluste - und sie werden in dieser Tendenz von sog. Lebensberatern und Psychologen auch noch unterstützt (der Schwachsinn, der von diesen Leuten angezettelt wird, wäre ein eigenes Thema wert).

Zurück zu den Jugendlichen. Mein Sohn ist 18. Das beste, was man jungen Leuten in diesem Alter bieten kann, ist ein streßfreies Zuhause, einen Platz zum Nachhausekommen. Sie wollen nicht über ihr Seelenleben reden, sie wollen nur eine stabile Basis. Mein Eindruck ist, daß gerade Jungs weniger Lust haben als Mädchen, sich in irgendwelchen organisierten Jugendgruppen zu engagieren. Mädchen tendieren eher dazu, sich Hierarchien anzupassen - das ist ihr Vorteil innerhalb des Schulsystems.
Deswegen bin ich auch so skeptisch, was die Hilfemöglichkeiten der Schule anbelangt.

Letzte Woche hat sich ein 18-jähriger in unserem Dorf erschossen. Ich kenne die Eltern nicht und hüte mich vor jeglicher Interpretation. Aber die Leute rätseln jetzt natürlich: Die Eltern sind nicht geschieden, der Junge war gut in der Schule.... Warum also?
Mein Sohn, der ihn vom Sehen kannte, meinte, er hätte kaum Freunde gehabt.

Glaubst du, die Schule oder die Kirche oder irgendeine Institution hätte das verhindern können? Ist es nicht einfach unsere eigene Ohnmacht, die uns angesichts solcher Vorkommnisse schmerzlich bewußt wird? Die Tatsache, daß wir akzeptieren müssen, daß trotz allen guten Willens das Leid auf dieser Welt nicht zu beseitigen ist?


Iris antwortete am 23.11.00 (08:27):

Nachtrag:

Zum Beitrag von Manty: Es ist natürlich sehr wichtig, sich um Randgruppen zu kümmern. Zynischerweise muß man sagen: Schon im eigenen Interesse.
Unsere Gesellschaft hat sehr subtile Mechanismen, Ungleichheit zu produzieren. Es ist nicht so, daß in Jugendliche nichts investiert würde. Aber es werden die "Gewinner" gefödert. Jugendlichen, die begabt, ehrgeizig und belastungsfähig sind, stehen Möglichkeiten offen, von denen frühere Generationen nicht einmal zu träumen wagten. Denjenigen, die da nicht mithalten können, wird spätenstes beim Nicht-Übertritt in die höhere Schule signalisiert, daß sie Versager sind. Kinder spüren das sehr deutlich.

In früheren Gesellschaften waren die Klassengrenzen sehr strikt. Die Begabten hatten kaum Möglichkeiten, sich gesellschaftlich zu verbessern (es sei denn, sie schlossen sich dem Klerus an). Die weniger Belastungsfähigen hat diese Situation geschützt.

Ich befürchte auch, daß dieses Thema in den nächsten Jahren noch sehr brennend werden wird - zusätzlich angeheizt durch die Möglichkeiten der Gentechnologie. Auch wenn vieles, was diese Technologie verspricht, hoffentlich nicht durchführbar sein wird, scheint es, daß die Toleranz gegenüber Nicht-Angepaßtheit noch weiter abnehmen wird.
Es wäre wünschenswert, daß dieses Thema gesamtgesellschaftlich besser wahrgenommen würde. Im Moment sieht es so aus, daß "Versagen" von Jugendlichen diesen als persönliches Problem angelastet wird und die "Reparatur" an soziale Stellen delegiert wird.


Ilse Fahl antwortete am 23.11.00 (18:58):

Danke Iris, für Deine Mail,Auch ich war alleinerziehende Mutter dreier Kinder - 8 - 10- 12 Jahre alt, ich mußte vollberuflich tätig sein! Du, das war massiver Streß! Es entstand keine Möglichkeit, mir selber "ein Glück" zu suchen! Aber meine drei hatten sich selber und wir haben gemeinsam vieles besprochen! Aber meine Schüler waren total allein und das mit 10 - 12 Jahren! Tagsüber verdienten die Mütter - bei denen sie leben mußten - den Lebensunterhalt, abends waren sie todmüde und der Lebenspartner stellte auch noch Forderungen auf! Mein Schüler war schon sehr, sehr dankbar, daß wir über vieles miteinander sprachen! Es war deutlich sichtbar, daß ihm das gut tat! Du, ich habe da viel erlebt! Und fürchte, daß so allgemeine Dinge nicht greifen, keine "Bewahranstalt" sondern Menschen, die dazu stehen, daß auch sie Menschen sind, die Einfühlungsvermögen haben, die Humor vorleben und Spaß, dann können sie ruhig auch mal richtig massiv durchgreifen! Wenn die Kinder das verstehen, dann nehmen sie das auch an! Sie brauchen energische Stützen! und sind richtig dankbar dafür, wenn sie angeboten werden, und nicht nur mit Stärke das "Recht des Stärkeren" deutlich wird! Nein, ich weiß auch nicht, wie es genau sein könnte - gar müßte! Aber es gibt einen unendlichen Bedarf, der uns allen - vor allem aber die Jugendlichen besser führen könnten, als wenn sie sich aus Mangel an klaren Vorstellungen den Rechtsradikalen zuordnen, und danach fürs Leben irgendwie auf eine falsche Karte gesetzt haben!
Als Lehrerin fühle ich mich arg betroffen, weil so hilflos, hier wirklich Hilfe bieten zu können!


Iris antwortete am 24.11.00 (17:41):

Hallo Ilse,
ich teile deine Meinung, daß die beste Hilfe für Kinder und Jugendliche aus dem persönlichen Umfeld kommt. Eine Person, die sie mögen und der sie vertrauen. Das ist glaubwürdig und bringt wirklich was.


Gegenüber institutioneller Hilfe bin ich etwas skeptisch, auch wenn ich mir bewußt bin, daß diese Hilfsangebote dringend gebraucht werden.
Ich habe den Eindruck, daß wir uns immer mehr in Richtung einer Elite-Gesellschaft bewegen, in der die Jugendlichen, die nicht mithalten können, automatisch an den Rand gedrängt werden. Die Globalisierung fördert diese Tendenz, weil plötzlich Menschen aus ganz anderen Ländern und Kulturen mitkonkurrieren. Trotzdem finde ich, daß die Globalisierung die fairste Art von Entwicklungshilfe ist, weil die Länder der dritten Welt nicht mehr als arme Almosenempfänger behandelt werden, sondern sich an dem ökonomischen Spiel beteiligen können. (Das ist allerdings ein anderes Thema).

Ich denke, daß auch beim Rechtsradikalismus dieses diffuse Gefühl, zu den Verlierern zu gehören, eine Rolle spielt. Wobei ich annehme, daß die Eltern der jungen Rechtsradikalen diese Meinungen entweder auch teilen oder mittragen. Die Menschen im Osten waren zu lange daran gewöhnt, vom Staat alles vorgekaut zu bekommen. Daß sie jetzt plötzlich Eigeninitiative entwickeln sollen, überfordert sie.

Was aber hilft gegen dieses Gefühl, nichts und niemand zu sein? Ich denke, alle Interessengruppen wären da zu nennen. Jede Art von friedlicher und nicht-radikaler Interessengruppe fördert die Kommunikation und das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie die Anerkennung durch andere. Auch der Präsident des Kaninchenzuchtvereins genießt in seinem Verein den Status des Präsidenten.

Solche Gruppen gibt es viele. Wenn sich jemand allerdings überall heraushält und dadurch vereinsamt, liegt das für mich eher im Bereich eines persönlichen Kommunikationsdefizits. Man kann niemanden zwingen, sich zu öffnen und sich mit anderen wohlzufühlen.


Ilse Fahl antwortete am 24.11.00 (22:48):

Liebe Iris, fast habe ich den Eindruck, daß Du meine Worte gar nicht richtig gelesen oder nicht richtig verstanden hast! Bitte bedenke:
Jungendliche, die keinerlei Anerkennung finden, - und das ist auch statistisch festgestellt - die schließen sich gern derartigen Gruppen oder Sekten an, um irgendwo eine Zugehörigkeit zu erfahren, welches sie in ihrem Selbstwertgefühl stärken, und dann erst gewinnen sie Mut zu sich selber! Deshalb ist es so wichtig und auch durchaus erfolgreich gewesen, was ich in der Schule erlebte: Die Jugendlichen fühlten sich wahrgenommen, ernstgenommen und begannen jetzt auch meine - unsere- Argumente ernstzunehmen! Du, da begann eine positive Entfaltung!
Weißt Du, ich bin ein Gegner vom Beschimpfen der "faulen Menschen" die nur ihr" eigenes Glück" im Auge haben! Du, darin liegt zu wenig! Wenn Du mal Mütter beobachtest, die mit ihren Kindern durch die Stadt gehen: sie reden kein Wort mit ihren Kindern, die Kinder werden nur pausenlos unter energischen Druck gesetzt: Tu dies nicht, tu das! Und nur im Befehlston! Mütter können gar nicht mit Kindern sprechen! Und darin liegt das große Problem! Die Kinder lernen gar nicht erst, daß sie Menschen sind, auch die Mütter haben es nie gelernt! DIE GESELLSCHAFT IST KRANK; WIE KÖNNEN DIE KINDER DA GESUND SEIN UND DAS WIRD AUCH TÄGLICH DEUTLICH IN DEN ALSTALTEN DER KINDER- UND JUGEND-
PSYCHIATRISCHEN HÄUSERN! Darum sollten wir alle das Problem erstmal ernstnehmen und versuchen uns Wege einfallen zu lassen!


Iris antwortete am 25.11.00 (13:52):

Liebe llse,

du beschreibst ja selbst die Möglichkeiten, die jeder hat, der mit Kindern und Jugendlichen zusammenkommt: Ihnen zuhören, sie ernst nehmen, mit ihnen reden.

Nur, ich weiß beim besten Willen nicht mehr, was du meinst, wenn du vorschlägst, wir sollten uns neue Wege einfallen lassen. Wer ist "wir"? Soll man den Müttern, die ihre Kinder herumkommandieren, die Kinder wegnehmen und sie einer staatlichen Erziehung zuführen?
Natürlich hängt die Art, wie Kinder behandelt werden, sehr stark mit den Vorstellungen und Regeln der einzelnen Gesellschaften zusammen, das habe ich in meinen Beiträgen zu beleuchten versucht.

Ich zweifle allerdings daran, daß wir hier im Internet auf die Schnelle das Problem lösen werden. Das sind Prozesse, für die es keine Patentlösungen gibt und bei denen jeder in seiner eigenen konkreten Lebenssituation gefordert ist.


Ilse Fahl antwortete am 26.11.00 (10:02):

Liebe Iris, Dank für Deinen Beitrag! Du, wenn auf die Schnelle ein Weg zu beginnen wäre, denn hätte ich das nach meinen persönlichen Erfahrungen längst getan!Aber die Tatsache, daß ich an einer OS war, wo die Kinder jeweils nur 2 Jahre blieben, war mein Wirken zwar deutlich als erfolgreich sichtbar, aber eben die Zeit zu kurz! Und daß irgendjemand hier meinen könnte, "ich" wolle allen Müttern Unterricht geben, wie man es "richtig" macht, davon kann absolut keine Rede sein!- Aber es ist mir damals deutlich geworden, daß hier von höherer Seite gezielt und geplant etwas durchgeführt werden sollte, was möglichst noch wissenschaftlich meine pers. Beobachtungen noch überdenkt!So wie es zur Zeit läuft ist es doch verdammt beängstigend!? Und da kann der Chat nur mich auf meinen Überlegungen begleiten, eventuell viel Besseres entdecken und dann könnten wir vielleicht gemeinsam Wege suchen und vielleicht sogar finden, wie man hier etwas erreichen könnte? - Du, jetzt komme ich mir vor, wie Manfred Franz es im Forum "Diskussion" dargestellt hat: da hat einer drei Worte von mir - netterweise - sich zum Durchdenken angenommen, aber dann gleich weitere Gedanken mir unterstellt, die so absolut nicht zu mir gehören! Sicherlich kann ich mir denken, daß Du überlegt hattest, das es wohl möglich wäre, ich würde das so wollen! Aber so bin ich mit einer mir fremden Meinung konfrontiert, die mir total abwegig ist! Ich denke nicht, das das so hilfreich ist!?


Iris antwortete am 27.11.00 (09:24):

Hallo Ilse,

dass du nicht wortwörtlich meinst, man sollte die Erziehung ganz in staatliche Hände geben, ist mir schon klar.
Trotzdem geht für mich dein Vorschlag, von "höherer Seite" sollte etwas unternommen werden, sehr stark in diese Richtung.

Ich kann diese Meinung nicht teilen, weil ich basisgesellschaftliches Engagement für wichtiger halte und staatliche Hilfe nur als letztes Mittel sehe. Die Gesellschaft fühlt sich sehr schnell aus der Verantwortung entlassen, wenn höhere Stellen ihr alles abnehmen. Wenn der Fall des kleinen Joseph aus Sebnitz sich wirklich so abgespielt hat, wie jetzt kolportiert wird, dann würde das von genau jenem Defizit an mitmenschlichem Engagement zeugen, das staatliche Bevormundung nur noch verstärken könnte


Ilse Fahl antwortete am 27.11.00 (17:23):

Liebe Iris, zunächst möchte ich Dir einfach mal sagen, daß ich Dir dankbar bin, daß Du Dich so darum bemühst, meine Gedanken zu verstehen! Daß das nie gleich richtig geht, das ist uns beiden ja klar! Aber: ich denke, durch dieses Gespräch wird hier oder dort vielleicht doch dieser oder jener Gedanke deutlich, der helfen könnte!?
Zunächst möchte ich Dir noch einmal klar machen, daß es überhaupt nie mein Gedanke war, eine öffentliche Institution damit zu behängen,hier weiterzuhelfen! Allein könnte ich mir da nur vorstellen, daß die Leute da dann wieder das heute unter den Menschen so bliebte "Machtspiel" fortzusetzen:"Ich befehle,Du parierst,schließlich bin ich der Ältere!" - Gibt es etwas Blöderes? Durch das dumme "Parieren" wird nichts erreicht!Ich sehne es herbei,daß Menschen Kinder ernst nehmen, ihnen erklären, warum sie dieses tun oder lassen müssen, einfach um in ihnen das Verständnis für Lebenszusammenhänge aufzubauen und außerdem, um ihnen beizubringen, daß ich auch ihnen gern zuhöre, um ihre Gedanken und Gefühle zu erfahren und ernstzunehmen! - Du, wenn es irgendeinen gut durchdachten Weg gäbe,hier etwas zu tun, zu gern würde ich auch nach meinen Kräften ehrenamtlich mithelfen! Du, es ist auch ein tolles Erlebnis, wenn Du irgendwann bemerkst, daß da plötzlich ein Kerlchen zu Dir Vertrauen gefunden hat! Und das möchte ich so sehr gern aufbauen! Nicht eine öffentliche Institution!


Ilse Fahl antwortete am 29.11.00 (20:25):

Liebe Iris, da ist mir noch etwas eingefallen zu Deiner Meinung: "Willst Du nun allen Müttern sagen, was sie zu machen haben?" (in etwas war es wohl so?) Du, meinst Du nicht, das wir beiden mit unserer Diskussion vielleicht doch die eine oder andere Mutter mit unseren geäußerten Ideen zunächst zum Nachdenken bringen und danach vielleicht zu eigenen und neuen Wegen, den Kindern das Gefühl zu geben, daß sie gern gesehen sind, daß man Interesse an ihnen hat, daß man mit ihnen gemeinsam vieles machen möchte, kurz: daß unser Gespräch anregend wirken könnte? Und wäre das nicht ein toller Erfolg? Das finde ich wenigstens!


Ilse Fahl antwortete am 30.11.00 (18:42):

Schade, Iris, daß Du nun wohl ausgestiegen bist? Oder mangelt es Dir an Zeit? Mir kam doch der Gedanke, daß wenn Großeltern oder Eltern sich mit dem Problem überhaupt - und wenn angeregt durch unsere Diskussion hier - auseinandersetzen, wäre das nicht doch ein wenigstens schmaler Weg, daß jeder selber drüber nachdenkt und aus Überzeugung neue Wege sucht und vielleicht auch findet!? Ich fände das doch eine Möglichkeit! Was meinst Du ? Gruß von Ilse.