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THEMA:   Abgebrüht oder ausgebrannt - gibt es etwas dazwischen?

 23 Antwort(en).

hl begann die Diskussion am 07.08.03 (22:41) mit folgendem Beitrag:

Berichte aus der Altenpflege.. für die, die noch nie in einem Altenpflegeheim waren

1. Zurück auf der Station

Nach acht Tagen Urlaub bin ich wieder auf meiner Station. Meine Lieblingsbewohnerin, Frau A. kommt auf mich zu und strahlt. Sie erkennt mich nicht, aber sie kennt mein Gesicht und verbindet es mit Zuneigung. Ihre Sprache ist kaum noch verständlich und nur mit genauer Beobachtung und Kombinationsgabe zu verstehen. Ich umarme sie und bringe sie zu ihrem Tisch zurück.

Sie wundern sich vielleicht, dass wir "Lieblingsbewohner" haben? Natürlich haben auch wir, das Pflegepersonal, Vorlieben und Abneigungen gegenüber den Altenheimbewohnern, die uns anvertraut sind. Wir lassen es uns nur nicht anmerken. In dem großen offenen Raum, der am Ende des Flures gegenüber der Stationsküche liegt, sitzen andere Bewohner meiner Station, die wenigen, die noch in der Lage sind, ihr Bett zu verlassen.

Es ist die Zeit nach dem Mittagessen, die Zeit in der wir im Stationszimmer die Übergabe besprechen. Die Zeit, in der für die Bewohner nichts geschieht. Sie sitzen stumm an den Tischen, einige schlafen im Sitzen ein. Sie warten auf die tägliche Kaffeemahlzeit.

Ich freue mich, die KollegInnen wieder zu sehen. Es hat sich nicht viel ereignet in dieser Woche.

Das Übliche: Bewohner M. ist noch im Krankenhaus, Bewohner U., der nur vier Stunden bei uns war, ist noch im Krankenhaus verstorben. Wir sind froh darüber - er hatte kein schönes Leben mehr: beinamputiert, blind, keine Sprachfähigkeit, kaum eine Form der Kommunikation , Ernährung über Sonde, Dauerkatheter, Druckgeschwüre am Gesäß.

Bei den Bewohnerinnen S. und T. muss unbedingt auf Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Frau S. verweigert, je nach aktueller Stimmung jedes Getränk. Bei der sich anschließenden Diskussion ist die Meinung unter den KollegInnen zweigeteilt. Die einen plädieren für "gewaltsame" Zuführung der Flüssigkeit, weil Frau S sonst noch mehr austrocknet und letztendlich verdurstet. Die anderen lehnen das ab. Sie halten diese Maßnahme für unmenschlich und unwürdig . Beide Parteien sind unzufrieden mit ihrer Handhabung , weil im Hintergrund unserer Köpfe der Idealfall schwebt: Zeit nehmen für diese Frau, sehr viel Zeit, damit sie wieder zugänglich wird und von selber trinkt. Wir haben diese Zeit nicht.

Bei Frau H. ein ähnliches Problem: Sie verschluckt sich sehr häufig beim Trinken und auch bei ihr wäre mehr Zeit notwendig, als uns zur Verfügung steht. Auf ihrem Trinkprotokoll steht die ärztliche Anweisung, dass sie, falls eine bestimmte Flüssigkeitszufuhr pro Tag nicht erreicht wird, eine subcutane Infusion bekommen soll. So einfach ist das für einen Arzt.

Die KollegInnen berichten weiter: Herr P. hat sich mal wieder seine Hosen und Windelhosen ausgezogen, weil sie "voll" waren und seine Exkremente im und über das ganze Bett verteilt. Eine Stunde Reinigungsarbeit. Aber niemand von uns kann diesem alten Mann ernsthaft böse sein. Er hat eine Art, uns mit seinem verschmitzten Gesicht anzulächeln - wir lieben ihn einfach, trotz seiner "Eigenheiten".
Außerdem - hätte man ihn frühzeitig zur zur Toilette geführt, wäre das Problem nicht aufgetreten.

Bei der eingangs erwähnten Bewohnerin, Frau A., wurde ein Beruhigungsmedikament für den Abend verdoppelt. Sie war nachts ständig unterwegs, lief in andere Zimmer, legte sich in fremde Betten und steckte alles was eßbar erschien in den Mund. - Wir werden sehen, ob diese Verordnung Erfolg bringt. Die einzige Alternative wäre eine physische Fixierung oder Unterbringung in einem geschlossenem Haus. Unvorstellbar für mich. Sie hat zwischendurch kleine Momente, in denen sie vollkommen "klar" ist und bemerkt, wie sehr ihre kognitiven Leistungen nachgelassen haben. Eine Qual für sie und für uns, die wir es beobachten.

Die Übergabe ist vorbei, die Kolleginnen der Frühschicht gehen nach Hause und ich beginne mit den ersten Arbeiten des Spätdienstes.


hl antwortete am 07.08.03 (22:42):

2. unbewacht..

niemand, der wacht..

So erbärmlich kann ein Leben enden
unter Qual und Schmerzen
im Nebel von Medikamenten
allein in der Nacht
und keiner, der wacht

niemand hat dich begleitet aus diesem Leben
niemand spendete dir den letzten Segen
die Tochter starb an deiner Pflege
ihr Mann ging seine eigenen Wege

du warst allein, allein in der Nacht
und keiner hat gewacht...

hl




Doch.. es haben zwei Pflegekräfte gewacht in dieser Nacht. Zwei Pflegekräfte für 75 Bewohner.Warum musste diese Frau trotzdem alleine sterben?

Es geschah in einem Haus, in dem auf menschenwürdige individuelle Sterbebegleitung großer Wert gelegt wird. Wo waren die Pflegekräfte als diese Frau starb? Nun, sie erledigten ihre Arbeit.

Wie sieht die Arbeit einer Nachtwache dort aus? Dienstbeginn ist um 19:45 Uhr, Übergabe auf drei Stationen, um 20:30 Uhr Beginn der ersten Runde.Jede Zimmertüre wird geöffnet, nachgeschaut ob selbständige Bewohner schon schlafen, kurzes Gespräch mit denen die noch wach sind, Toilettengänge mit denen die es nicht alleine schaffen, Getränke bereit stellen oder reichen, kleinere Hilfeleistungen je nach Wunsch. Die ständig bettlägerigen Bewohner werden neu gelagert, die Inkontinenzeinlagen – so vorhanden – werden gewechselt, laufende Infusionen werden kontrolliert, Nachtmedizin und Spätmahlzeiten für die Diabetiker werden gereicht, ggf. Blutzuckermessungen und Insulininjektionen vorgenommen, etc...

Dauer dieser ersten Runde ist dreieinhalb Stunden. Es ist jetzt 24:00 Uhr. Die Dokumentation per PC für jeden einzelnen Bewohner und jede einzelne Maßnahme wird jetzt vorgenommen.Das dauert ca. 30 Minuten. Danach ist eine Stunde Pause in der aber selbstverständlich jedem Ruf von Bewohnern nachgekommen wird.

Um 1:30 h beginnt die zweite Runde. Wieder Lagerung und Wechseln der Inkontinenzeinlagen, viele der Bewohner schlafen jetzt tief und fest, die anderen erhalten beruhigende Ansprache evtl. noch ein Getränk. Um ca.5:00 Uhr werden vier der bettlägerigen Bewohner schon gewaschen, um dem Tagdienst etwas Arbeit abzunehmen (Eine im Kollegenkreis sehr umstrittene Anordnung).

Von 6:00 bis 6:15 Uhr dann Übergabe an den Tagdienst. Eine Nachtschicht ohne besondere Vorkommen.

In der Nacht als Frau G. starb, wies bei der ersten Runde nichts auf eine Verschlechterung ihres Zustandes hin. Sie wurde gelagert, bekam zu trinken und dämmerte dann weiter unter dem Einfluß von starken Schmerzmitteln.Ob sie das sanfte Streicheln der Pflegekräfte noch erreicht hat, weiß man nicht. Aber es war die letzte persönliche Zuwendung die sie erhalten hat. Fünf Stunden später, bei der zweiten Runde wurde sie tot in ihrem Bett aufgefunden.Niemand trägt die Schuld dafür, daß sie alleine sterben musste.

Warum ich trotzdem das obige Gedicht geschrieben habe?

Frau G. war allgemein in einem sehr schlechten Zustand, sie litt unter starken Schmerzen, bekam Schmerzmittel und war dennoch zwischendurch bei relativ klarem Verstand. Es war voraus zu sehen, daß sie innerhalb der nächsten Tage sterben würde. Sie behielt bis zur letzten Minute den Tod ihrer Tochter in Erinnerung, die während einer Pflegeverrichtung an ihrer Mutter mit einem Herzinfarkt zusammenbrach und starb. Wir konnten ihr bis zum Schluß das Schuldgefühl nicht nehmen.

Ich hätte mir gewünscht, daß die verbliebenen Angehörigen wenigstens in den letzten Wochen bei ihr gewesen wären. Ich hätte mir gewünscht, daß zumindest einer von uns, dem Pflegepersonal, die Zeit gehabt hätte, bei ihr zu sitzen und ihre Hand zu halten.

Es war nicht möglich.


hl antwortete am 07.08.03 (22:43):

3. Dienstzeiten..

Es gibt Nachtwachen und Nachtwachen

Es ist vielleicht noch wichtig zu sagen, daß in vor beschriebenem Hause die Nachtwachendienste durch sogenannte Dauernachtwachen geleistet wurden und nur in Krankheits- oder Urlaubszeiten jemand vom Tagdienst für ein oder zwei Nächte in den Nachtdienst musste.

In anderen Häusern arbeitet das Pflegepersonal in drei Schichten, d.h. auch der Nachtdienst wird vom gesamten Pflegepersonal abgedeckt.

Der Vorteil für die Bewohner ist eindeutig. Sie haben auch nachts die gewohnten Gesichter, das Pflegepersonal kennt die Eigenheiten und Besonderheiten eines jeden Bewohners von der Tagschicht her und kann in Notfällen besser reagieren.

Allerdings ist die Belastung für das Personal wesentlich höher. Es bedeutet jeden Monat mindestens 2 Nächte Dienst, am Wochenende oder an Feiertagen auch 3 Nächte. Ständige Umstellung zwischen Frühschicht, Spätschicht und Nachtschicht.

Während in den Tagesschichten nur 6,5 Stunden abgeleistet werden, dauert die Nachtschicht 10 Stunden, und das sind 10 Stunden harte körperliche Arbeit, denn in vielen Häusern sind von ebenfalls zwei Pflegepersonen insgesamt 120 bis 180 Bewohner zu versorgen. Die Tätigkeiten sind die gleichen wie oben beschrieben, allerdings wird hier niemand am frühen Morgen gewaschen, dazu ist keine Zeit und es ist auch keine Zeit für Gespräche mit den Bewohnern, zumindest nicht außerhalb der Pflegetätigkeiten, die in schnellstmöglichem Tempo ausgeführt werden. Zu der Arbeit am Pflegebett kommen die endlos langen Wege auf den Fluren und Treppen, wenn z.B. ein Bewohner im Erdgeschoß des linken Hausteils klingelt während sich die PflegerInnen im 2.Obergeschoß des rechten Hausteils aufhalten.

Es gibt keine Gelegenheit müde zu werden, außer in der einstündigen Pause zwischen den zwei Runden. Wer, wie ich, bereits zu den älteren Semestern gehört braucht in der Regel zwei Tage um sich von der körperlichen Anstrengung zu erholen von dem Wechsel des Tag/Nachtrhythmus mal ganz abgesehen.

"Was ist, wenn ein Notfall eintritt, wenn jemand fällt oder jemand stirbt?" werden Sie sich vielleicht fragen. Auf Notfälle müssen wir natürlich sofort reagieren. Das bedeutet alles andere wird verschoben oder bleibt liegen, im wahrsten Sinne des Wortes, der Bewohner bleibt nämlich dann liegen, in nassen Betten, mit der gleichen Lagerung. Wenn garnichts mehr geht, besteht natürlich die Möglichkeit die PDL oder Heimleitung um Hilfe zu rufen.

Ich beschreibe das so ausführlich, weil ich kürzlich gefragt wurde, ob die Nachtwachen nicht sehr langweilig seien. Ich habe ihm unsere Tätigkeiten während der Nacht geschildert und er war entsetzt. "Wie man das denn aushalten kann?" fragte er.

Nun, wir müssen es und wir können es offensichtlich auch. Fragt sich nur wie lange?


hl antwortete am 07.08.03 (22:44):

4. Ärzte..


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Unser täglicher Frust mit den Ärzten oder was AltenpflegerInnen tatsächlich alles wissen

Frust mit den Hausärzten haben wir täglich, mit den meisten jedenfalls, es gibt auch löbliche Ausnahmen. Der Durchschnittsarzt kommt mit dem festen Wissen in ein Altenpflegeheim, daß AltenpflegerInnen gut sind für die Körperpflege aber von allem medizinischen Wissen unbelastet sind. Also belasten sie uns auch nicht mit Informationen, fragen nur das Notwendigste und handeln ansonsten wie der Chefarzt (eines Krankenhauses) persönlich.

Bedingt durch die Pflegegesetze sind sie mittlerweile wenigstens bereit, Anordnungen zu dokumentieren und abzuzeichnen. Spätestens dann, wenn wir sie darauf hinweisen. Über die Lesbarkeit von ärztlichen Schriften brauche ich wohl nichts zu sagen.

Kleines Beispiel aus der Praxis. Ein Bewohner neigt zur Stuhlverstopfung und war bereits mehrmals wegen eines Darmverschlusses im Krankenhaus. Die Ursache für die ständigen Verstopfungen war uns bekannt und auch, dass hier keinerlei medikamentöse Behandlung Erfolg zeigt. Es war also wieder einmal so weit, der Bewohner hatte drei Tage nicht abgeführt und ich informierte den zuständigen Hausarzt um ihn zu einen Besuch zwecks Einweisung ins Krankenhaus zu veranlassen.Da er im Zeitdruck war fragte er mich erst einmal nach den Umständen und beschrieb mir dann ausführlich, wie man mit einem Stethoskop die Darmgeräusche abhört. Als ich ihm sagte, daß das bereits erfolgt war und absolut nichts zu hören ist, war er sekundenlang sprachlos und fragte mich dann ganz perplex woher ich denn wisse, daß und wie man Darmgeräusche abhört bzw. was daraus zu folgern ist, daß man nichts hört. Dass dieses Wissen zu jeder Altenpflegeausbildung gehört konnte er kaum glauben.

Kleinigkeiten,natürlich - aber es ist an der Zeit, dass die Ärzte und nicht nur diese erfahren, was der Altenpflegeberuf alles beinhaltet, dass es nicht nur um "Popowaschen" und "Füttern" geht.

In Zeiten der Kostenersparnis müssen wir zum Beispiel auch sehr genau die Wirkstoffe eines Medikamentes kennen, es reicht nicht aus, sich die Namen eines Medikamentes zu merken, weil die Ärzte (lobenswerterweise) mittlerweile dazu übergehen immer das preisgünstigste Medikament zu verschreiben und die tragen immer unterschiedliche Namen. Also müssen wir die Wirkstoffe kennen um beim Stellen der Medikamente zu sehen, dass es das gleiche Medikament wie vorher ist.

Selbstverständlich, sagen meine KollegInnen. Aber für die breite Öffentlichkeit ist dass noch lange nicht selbstverständlich.


hl antwortete am 07.08.03 (22:45):

5. Solidarität..

Es gibt eine Frage, die mich bewegt seit ich in der Altenpflege tätig bin: Warum gibt es keine Solidarität unter den AltenpflegerInnen? Warum wird niemanden der KollegInnen klar wie groß unsere Macht ist, wenn wir alle zusammen halten und gemeinsam handeln.

Mißstände gibt es in fast jedem Altenheim, größere oder viel häufiger die kleinen unauffälligen, die nicht an die Öffentlichkeit geraten.

Der Druck kommt von ganz oben, den großen Organisationen (die kleinen Privathäuser klammere ich einmal aus), wird weitergereicht an die einzelnen Geschäftsbereiche, von dort an die Heimleitungen und die Pflegedienstleitungen und kommt endlich zu den Stationsleitungen und den einzelnen KollegInnen.

Wie äußert sich dieser Druck?
"Es muss wirtschaftlich gearbeitet werden, das Personal ist der größte Kostenfaktor, wir haben xx Krankmeldungen im Monat, es wird zuviel Material verbraucht, bei richtiger Organisation ist die Arbeit zu schaffen, der Personalschlüssel ist erfüllt, in anderen Häusern ist die Personalsituation noch viel schlimmer, die Dokumentationen müssen zeitnah ausgefüllt werden, Pflegeplanungen zeitnah geprüft und ergänzt werden, Bewohner x hat lt. Einfuhrplan zu wenig Flüssigkeit bekommen,..."

Gleichzeitig wird an der Qualitätssicherung gearbeitet, Arbeitsplatzbeschreibungen und neue Formulare werden ausgearbeitet, das Hausprospekt wird neu erstellt.

Und da liegt unsere Chance, wenn wir alle zusammenhalten. In den Handbüchern zur Qualitätskontrolle wird exakt vorgegeben, wie wir arbeiten sollen. Im Hausprospekt wird sehr genau geschildert, was der Heimbewohner erwarten darf.

Halten wir uns doch buchstabengetreu an diese Vorgaben. Das geht nicht? Das ist nicht zu schaffen? Nein, natürlich nicht. Aber niemand kann mir einen Vorwurf machen, wenn ich mich an die vorgegebenen Richtlinien halte und wenn alle so arbeiten, d.h. Dienst nach Vorschrift im positiven Sinne wird sehr schnell erkennbar, daß die Personaldecke dafür nicht ausreicht und der Druck wird in gleicher Reihenfolge zurückgegeben und gelangt vielleicht sogar an diejenigen ganz oben (nämlich unsere Damen und Herren Politiker), die in der Lage sind, etwas zu ändern.

Utopisch, ich weiß. Aber man wird doch mal träumen dürfen..

Und dann ist da noch der andere "Druck":

Wer ist die/der Beliebteste auf der Station? Die Kollegin, die nicht in der vorgegebenen Zeit fertig wird, weil sie ihre Arbeit so erledigt, wie sie es gelernt hat und wie es in den Heimrichtlinien vorgegeben wird? Oder die Kollegin, die flott ihre Arbeit erledigt und dann noch Zeit hat, einer anderen Kollegin zu helfen?

"Was, du hast erst drei Leute gewaschen? Ich bin schon fertig mit meinen fünf!" Sagt eine Kollegin um 7:30h zur anderen. Beide haben ihre Arbeit um 6:30 h begonnen. Eine Stunde also bei der einen um drei bettlägerige Bewohner zu waschen und zu pflegen, die andere hat in der gleichen Zeit fünf, ebenfalls bettlägerige "Leute fertig gemacht".

Wer ist beliebt?

..bei wem?


Medea. antwortete am 08.08.03 (08:07):

Liebe hl -
es ist gut, daß Du einmal so ausführlich beschrieben hast, wie die Dinge liegen - es muß viel bekannter gemacht werden, was Pflegepersonal alles leisten muß, neben dem Wunsch, daß menschliche Zuwendung nicht auf der Strecke bleiben darf.
Ich kenne auch diverse Pflegeheime durch die dortigen Aufenthalte meiner Schwiegermutter, meines Vaters und meines Tantchens, auch immer versucht, beide Seiten zu sehen, habe durch meine - anfangs täglichen - Besuche dort, viel Einblick gewinnen können und niemals mit den Schwestern tauschen wollen.....
Das größte Problem liegt m.E. im Personalschlüssel, der ist einfach zu niedrig angesetzt. Und nach meiner Kenntnisnahme besonders an den Wochenenden mit dem Aushilfspersonal für alle unbefriedigend. Da unterlaufen dann, bei allem angenommenen guten Willen, die Pannen, auf die ich häufig stoße. Insgesamt aber bewundere ich das Pflegepersonal für seinen großen Einsatz in diesem aufreibenden Beruf.


Mart antwortete am 08.08.03 (08:18):

Die Beschreibung Deines Alltags in einem (staatlichen) Pflegeheim kann ich in allen Punkten bestätigen und zeigt doch auf, daß es trotz Bemühen und Engagement vieler PflegerInnen gr. strukturelle Probleme gibt. Daß der Frust bei den engangierten Pflegerinnen groß ist, ist aus Deiner Schilderung (und den versch. Internetseiten über Altenpflege) des Alltags in einem Pflegeheim vollkommen verständlich. Die hohe Fluktuation bei Pflegern und die Schwierigkeit dipl. Krankenschwestern für die Pflege (Hauptgrund: Bezahlung) zu finden, ist bekannt.

Leider sind die Altenpfleger als letztes Glied in der Kette die, die in der Öffentlichkeit angeprangert werden.

Deshalb wäre es schon wichtig darüber zu sprechen, wo grundlegende Probleme in diesem Bereich sind.

Danke, hl, für Deine ausführliche und miterlebbare Schilderung.


schorsch antwortete am 08.08.03 (09:07):

Hut ab vor all jenen Gutherzigen Menschen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, uns in unseren letzten Jahren, Monaten, Wochen, Tagen oder Stunden zur Seite zu stehen. Ich könnte es nicht.....


hl antwortete am 08.08.03 (09:12):

6. Nicht einmal satt und sauber..?

aber still sind sie meistens, unsere alten pflegebedürftigen Menschen.

Manchmal jammern sie auch leise vor sich hin oder schreien sehr laut, meistens Worte wie "Hallo" und "Mama, Mutter" oder "Nein, nein, nein". Selten sind es Schmerzen, die sie schreien lassen, jedenfalls keine physischen Schmerzen. Eher.. Seelenschmerzen.

"Ich will sterben, lasst mich doch sterben" sagt Frau M. regelmässig, wenn wir kommen um ihr das Essen und Getränke einzugeben. Trotzdem hat sie Angst vor dem Sterben und sie äussert auch das zwischendurch "Ich hab' Angst, muss ich jetzt sterben?" Wir reden leise auf sie ein, versuchen sie zu beruhigen, versuchen, sie zum Essen zu überreden. Manchmal gelingt es uns, sie lächelt dann, isst ein paar Löffel von dem angebotenen Speisen und trinkt in kleinen Schlückchen 20 bis 50 ml Saft oder Tee. Aber meistens presst sie die Lippen fest zu oder lässt die Flüssigkeit einfach wieder herauslaufen.

Es gibt ein Trinkprotokoll auf ihrem Nachttisch in dem die Trinkmengen eingetragen werden:
Gewicht: 45 kg - empfohlene Trinkmenge: mind.1500 ml/Tag
6:30h - 20ml Tee, 7:30 - 50ml Kaffee, 9:30 - 100 ml Saft, 12:00 - verweigert, 13:00 - 50ml Tee, 14:30 - 50ml Saft, 16:30 - 20ml Saft, 17:00 - 100ml Saft, 19:00 - 50 ml Tee, 21:00 - 20ml Tee, 23:00 - 20ml Tee // Summe: 480 ml reine Flüssigkeit!

Da Frau M. gerne Joghurt und Süssspeisen mag, mischen wir Joghurt, Buttermilch und Pudding mit reichlich püriertem Obst und versuchen so die Flüssigkeitsmenge zu erhöhen. Der Zeitaufwand für die o.a. Flüssigkeitseingaben beträgt übrigens ca. 10-15 Minuten je Eintrag! Für das Eingeben von fester Nahrung sind mindestens 30 Minuten erforderlich.

Bis heute ist es uns, gemeinsam mit der Betreuerin und dem Hausarzt, gelungen, die Anlage einer PEG (Magensonde) zu verhindern, weil aus früheren Zeiten bekannt ist, dass Frau M. dieses ablehnt.

Tapfer war sie, diese kleine alte Dame mit hellwachen Augen. Bis vor 12 Monaten ist sie noch mit einem Gehwagen durch die Station gelaufen, trotz deformierter Gelenke (Arthrose), dann ging es nicht mehr und sie wurde dauerhaft bettlägerig weil ihre Gelenke auch das Sitzen im Pflegestuhl nicht mehr zuliessen. Jetzt hat sie aufgegeben.

Wie würden Sie, liebe Leserin oder Leser handeln? Den Löffel oder Schnabelbecher gewaltsam zwischen ihre Lippen pressen? Anschliessend den Mund zuhalten, damit Flüssigkeit oder Essen nicht wieder ausgespuckt werden? Eine Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch "eingeatmete" Flüssigkeit) riskieren? Eine PEG anlegen lassen um so die notwendige Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zu garantieren?

"Nicht einmal satt.." und "alte Menschen verhungern und verdursten in den Heimen" so steht es in der Presse.


Medea. antwortete am 08.08.03 (12:35):

In meiner Patientenverfügung habe ich "verfügt", daß ich weder an lebenserhaltene Maschinen angeschlossen, noch zwangsernährt werden will, wohl aber schmerzfrei gehalten und nicht verdursten möchte. Nach dem oben Geschilderten stellt sich mir die Frage, wie soll das Pflegepersonal vorgehen, um mir die benötigte Flüssigkeit (kein Essen) zukommenzulassen (ohne Zwangsanwendung), wenn ich aus Verwirrtheitsgründen nicht mehr trinken will?
Kann dieses dann durch einen Tropf erfolgen - und wäre das dann auch schon "Gerätemedizin" ??


Barbara antwortete am 08.08.03 (12:49):

Heidi,

derartige Schilderungen erhielt auch ich damals von dem Personal. Man bat mich händeringend, etwas gegen die Zustände zu unternehmen. Bis ich jedoch einen Einblick hatte, war meiner Mutter sowieso nicht mehr zu helfen... sie wollte nur möglichst schnell sterben... und ich war selbst am Ende meiner Kräfte. Aber vielleicht könnte man gemeinsam... PflegerInnen und Angehörige... etwas unternehmen? Wäre das ein Weg?

Das städtische Pflegeheim, in dem meine Mutter untergebracht war, wurde inzwischen privatisiert. Es wurde für einige Millionen umgebaut und nennt sich heute "Senioren-Residenz im Park". Aufgrund der neuen Preise hätte meine Mutter dort heute keine Möglichkeit mehr, leben bzw. sterben zu können.


Wolfgang antwortete am 08.08.03 (17:17):

Seit 1995 ist die Zahl Pflegebeduerftiger um 300.000 auf jetzt 1,9 Millionen gestiegen. Tendenz: Weiter stark steigend. Insbesondere demente alte Menschen brauchen viel Pflege. Die Kassen haben reagiert und in diesem Jahr die Leistungen fuer diese Menschen ausgeweitet (was rund 300 Millionen Euro zusaetzlich gekostet hat).

Wir muessen uns dem Problem stellen und es uns nicht, wie bisher, zu leicht machen. Den PolitikerInnen ist zu misstrauen, die durch die Lande ziehen und verkuenden, man koenne die Kosten fuer Krankheit und Pflege senken. In einer alternden Gesellschaft ist das nicht moeglich (oder nur um den Preis, dass die bisher fuer selbstverstaendlich gehaltenen Leistungen eingeschraenkt werden).


dirgni antwortete am 08.08.03 (17:29):

Hallo Wolfgang,

Themen in denen die Kostenproblematik beleuchtet wird, gibt es schon eine ganze Menge.

Ich denke, in diesem hier soll die Leistung der PflegerInnen dargestellt und auch gewürdigt werden. Dieser Beruf ist zweifellos einer der schwierigsten, immer eine Gratwanderung zwischen Pflicht und Menschlichkeit.


Wolfgang antwortete am 08.08.03 (18:41):

@dirgni... Die Qualitaet der Leistungen der Pflegekraefte ist unter anderem davon abhaengig, unter welchen Bedingungen sie arbeiten muessen.

Wird weiterhin an der 'Kosten-' bzw. 'Leistungsschraube' zu Ungunsten der zu Pflegenden und der Pflegenden gedreht, kommen diese in eine prekaere Lage.


Mart antwortete am 09.08.03 (09:08):

Ich glaube die Überschrift "Abgebrüht oder ausgebrannt - gibt es etwas dazwischen?" gibt in ihrer Kürze die tatsächliche Situation in Pflegeberufen wieder.

Sowohl für die einen als auch für die anderen gibt es viele Beispiele.

Ein Beispiel für einen abgebrühten jungen Mann:

Er brauche nur das tun, was aufgeschrieben ist. Alles andere sei eine freiwillige Leistung, wofür er aber nicht genug bezahlt bekomme. Er hätte ja einen o r d e n t l i c h e n Beruf gelernt, er sei Bäckergeselle, und da kann er jederzeit wieder arbeiten.

Beispiel für eine abgebrühte junge Frau (ohne Ausbildung für Altenpflege, Kindergartenschule):

Bettlägrige (über 9o jährige Frau), diese bekommen alle drei Tage einen Einlauf, "jetzt hat sie schon wieder alles vollgeschießen, und ich muß mich auch umziehen ......." rüdestes Baden mit entsprechenden verbalen Kommentaren.
Im Bett zurück konnte die alte Frau nur wiederholt sagen "das sag ich meiner Mutti". Antwort: "Die ist doch schon längst gestorben, die kann dir nicht helfen."
In diesem Heim sind nur bestimmte Besuchszeiten für Angehörige vorgesehen. Diese können daher unmöglich diese Behandlung bemerken, alte Menschen in diesem Stadium können einfach nichts mehr erzählen.-- Wen wundert dann die Verweigerung von Essen?


Ein wichtiger Aspekt ist das Ansehen, daß der Pflegebetrieb in der Öffentlichkeit hat. Dieses hängt, leider, besonders mit der Bezahlung zusammen, und die ist angesichts der physischen und psychischen Belastung gering genug.
Natürlich werden in Sonntagsreden die PflegerInnen in Altersheimen gelobt, aber sonst wird verdrängt (könnte ja jeden an seinen möglichen Lebensabend im Heim erinnern) --und Stellen werden gestrichen. Durch die zusätzlichen häuslichen Pflegedienste, Essen auf Rädern .... sind prozentuell immer mehr echt Pflegebedürftige und Demente in den Heimen, sodaß der Pflegeschlüssel nicht erniedrigt, sondern erhöht gehört.

Es ist schon aufschlußreich für eine Gesellschaft, wie sie mit ihren Alten umgeht.


Medea. antwortete am 09.08.03 (10:18):

Hallo Mart,

dieses erschütternde Erlebnis mit der alten bettlägrigen über 90 Jahre alten Dame gehört an die Öffentlichkeit - ich bin dankbar, daß Du es hier geschildert hast. Da Du es weißt, hoffe ich, daß es auch im betreffenden Pflegeheim die Runde gemacht hat und die Pflegerin entsprechend verwarnt wurde. Da ausgebildetes Pflegepersonal Mangelware ist, werden viel zu viele unqualifizierte Frauen und Männer für diese sensible Tätigkeit eingestellt.


Mart antwortete am 09.08.03 (11:04):

Liebe Medea, ich habe viele Beispiele sowohl für herzliche Behandlung als auch für das Gegenteil.

Ich habe aber auch Beispiele für eindeutig strafrelevante Tatbestände.

Bei meinem oben angeführten Beispiel habe ich nichts mehr gesagt. Ich habe in diesem staatl. Heim ein (freiwilliges und unbezahltes) Praktikum gemacht; an diesem Tag war der Leiter dieser Station (sehr bemüht und engagiert) nicht anwesend. Es sind an diesem Vormittag noch mehr Dinge passiert, bei denen die PflegerInnen bemerkt haben, daß ich nicht einverstanden bin. Daraufhin wurde ich nach Hause geschickt, da ich nicht mehr gebraucht würde. Ich bin anschließend nie mehr hingegangen.

Feigheit? oder habe ich eingesehen, daß ich kein Michael Kolhaas bin?

Ich muß dazusagen, daß ich vorher in einer dieser sehr renommierten und angesehenen Seniorenresidenz e i n d e u t i g strafrechtlich relevante Dinge erlebt habe (ich war eben über 3 Jahre fast täglich stundenlang dort, anfangs ließ ich mich vom angenehmen Ambiente und der Freundlichkeit blenden -- solange, bis meine Mutter, die vorher rüstig war, erkrankte)--- viele Gespräche mit oberster Pflegedienstleitung und Verwaltung --- absolut sinnlos, kein Interesse, kl. Fehler werden zugegeben, die großen, die für das Haus gefährlich werden könnten, werden e i n f a c h abgestritten. Nach Aussage meines Sohnes, der mit dem Jusstudium fast fertig ist, eine juristisch "empfohlene" und "sinnvolle" Reaktion. Es gab nicht das geringste Bemühen wenigstens verbal etwas zu verbessern oder sich zu entschuldigen, sondern n u r das Bemühen, eine Schadenersatzklage schon im Vorfeld abzuweisen. So sollte ich schriftlich bestätigen, daß sich der Zustand meiner Mutter durch die Erkrankung nicht verschlechtert hätte. Dabei wollte ich eigentlich nur eine Entschuldigung und die Gewissheit, daß meine Mutter in Zukunft besser betreut wird. Über die Kosten habe ich schon öfters geschrieben. Auch darüber, daß bis auf das Pflegegeld der Staat überhaupt nichts zum Betrieb der Seniorenresidenz beiträgt.

Ich sah eigentlich nur mehr eine einzige Möglichkeit, einen Gang in die Öffentlichkeit -- ich fürchtete oder fürchte nur, das stehe ich nicht durch.


Medea. antwortete am 09.08.03 (11:20):

Liebe Mart,
ich verstehe Dich sehr gut ...
auch ich bin kein Michael Kohlhas oder Robin Hood und gehöre eher zu den zurückhaltenden Menschen..., manchmal aber explodiere ich und mache dann in Form von kritischen Leserbriefen auf dieses oder jenes aufmerksam - und dann und wann bin ich damit sogar ein wenig erfolgreich. ;-)
Natürlich alles Tropfen auf den heißen Stein, aber dann hat es wenigstens einmal "gezischt" :-)
Kann genau wie Du Erfreuliches und weniger Gutes aus der
Pflegeheimkarriere meiner alten Angehörigen berichten, sehe aber auch immer die Situation der Pflegenden.
Es ist gut, daß dieses Thema hier so ausführlich von allen Seiten beleuchtet wird.
Grüße von mir.


schorsch antwortete am 09.08.03 (11:32):

Ich bekam einmal, als ich meine Mutter im Altersheim besuchte, fast einen Schock als ich einen meiner ehemaligen Mitarbeiter als Pfleger traf. Dieser war in unserem Betrieb als Rechtsradikaler und mit Parolen aufgefallen, die aus dem Fundus der Braunen Gesellen stammten - wie z.B. die These vom "Unwerten Leben".

Glücklicherweise war dieser Mann nur kurz dort angestellt.....

Ich bewundere alle mutigen Menschen. So auch jene, die einen unakzeptablen Zustand in einem Altersheim nicht nur feststellen, sondern den zuständigen Behörden melden.


Barbara antwortete am 09.08.03 (11:34):

Leider ist Marts Beispiel kein Einzelfall. Ich habe gleiches erlebt... Dabei sagte mir meine Freundin, eine Altenpflegerin, dass man mit Einläufen jeden Körper kaputt bekäme...

Besonders Deinen letzten Satz möchte ich unterstreichen, Mart, denn das sind auch meine Gedanken:

"Es ist schon aufschlußreich für eine Gesellschaft, wie sie mit ihren Alten umgeht."

Das gut ausgebildete Pflegepersonal informierte mich genau auch über die von Dir geschriebenen Tatsache:

Früher gingen alte Leute in ein Heim, wenn sie ihren Haushalt nicht mehr allein schafften. Für sie war es angenehmer, in einem Heim versorgt zu werden. Sie waren jedoch in der Regel noch "gut drauf", gingen spazieren, konnten sich allein waschen, essen, etc.... beteiligten sich an Unterhaltungen und Gesellschaftsspielen mit anderen Mitbewohnern.

Heute kann sich kaum jemand leisten, in dem geschilderten Zustand in ein Heim zu gehen, denn ohne Pflegestufe reichen die normalen Renten zur Zahlung nicht aus. In ein Heim geht man erst, wenn es gar nicht mehr anders geht, und die Einstufung einer Pflegestufe bereits erfolgt ist. Diese Menschen benötigen natürlich eine sehr viel umfangreichere Betreuung und können wenig zu einem sozialen Miteinander mit anderen Heimbewohnern beitragen. Es ist skandalös, dass bei derartigen Verhältnissen das Pflegepersonal reduziert wird.

Wenn ich bedenke, dass meine Schwiegermutter, die im Alter erblindete und daher mit 92Jahren ein privat geführtes Blindenheim aufsuchte, ca. 3600 Euro monatlich zahlte, frage ich mich, wie viele PflegerInnen eigentlich notwendig sind, um eine bestimmte Gruppe alter Menschen menschlich anständig zu versorgen? Ich erspare mir, was meine Schwiegermutter für diese meiner Meinung doch stolze finanzielle Leistung ertragen musste. Sie war außer ihrer Erblindung noch recht fit... hatte ebenfalls nur den einen Wunsch, endlich sterben zu dürfen, der ihr mit 97Jahren endlich erfüllt wurde.

Ist es tatsächlich kostengünstiger, einem nicht inkontinenten alten Menschen eine 4-Liter-Windel zu verpassen als ihn bei Bedarf zur Toilette zu führen... ihm die Flüssigkeit über einen Tropf zuzuführen, anstatt ihn ab und zu zum Trinken zu ermutigen... etc.?

Ich weiß es wirklich nicht.
Vielleicht könnte Heidi uns fachlich aufklären.


Mart antwortete am 09.08.03 (12:42):

Es ist kostengünstiger einen Menschen mit Magensonde zu ernähren: der Wechsel der Flasche dauert, auch wenn man es sehr genau und sauber macht, 5 Minuten. Die genaue Mundpflege, die dann nötig ist, dauert pro Tag ebenfalls etwa 5 Minuten.

Der Tropf ist eindeutig sicherer und zeitgünstiger als jemand zum Trinken zu animieren -- leider verlernen die alten Menschen damit vollkommen, daß sie trinken müssen.

Bei meiner Mutter zuhause ist das alles kein Problem. Sie ißt sich langsam 2 Stunden durchs Frühstück (sie darf bei mir so lange schlafen, wie sie will) und Mittagessen.
Sie trinkt jedesmal, wenn ich ihr die (richtige Schale und das richtig geformte Glas) in die Hand drücke, 100 bis 200 ml. Sie ist geistig sehr weit weggetreten, aber sie versteht, wenn ich ihr sage, daß Trinken sehr, sehr wichtig für sie ist. Ich wähle natürlich auch das aus, was sie gerne mag.


Windelwechsel ist zeitlich kürzer als einen alten Menschen, der oft unter versch. Formen der Inkontinenz leidet, alle 2 Stunden aufs Klo zu helfen -- und trotzdem müßte manchmal die Wäsche gewechselt werden. Meiner Mutter wollte man vor 4 Jahren schon Windeln geben. Bis heute, und trotz eines wegen ihrer Erkrankung im Spital gelegten Katheders, den ich nach kurzer Zeit entfernen durfte, kann sie dieses Geschäft (Tag und Nacht) bis auf gelegentliche Mißgeschicke noch selbständig erledigen. Obwohl geistig nicht mehr sehr dar, ist diese Selbständigkeit für sie unerhört wichtig und sie versteht auch, worum es geht.

Schorsch, Du hast hier recht:

<<Ich bewundere alle mutigen Menschen. So auch jene, die einen unakzeptablen Zustand in einem Altersheim nicht nur feststellen, sondern den zuständigen Behörden melden<<

Für private Heime gibt es keine zuständige Behörde, also bleibt nur Staatsanwalt oder Öffentlichkeit.
In meinem Fall bekam ich schon ein mulmiges Gefühl, als ein Detektiv auf mich angesetzt wurde, meinen Arbeitgeber herausfand und befragte.

Nun, ich kann mir schon vorstellen, wie das bei einer Strafverhandlung aussieht.

Zeuge Mart:
Eine Pflegerin XY öffnete am ..... um 10 Uhr nachts bei 4 Grad Außentemperatur die Balkontüre, stellte einen Sessel dazwischen und verspreizte die Türe mit dem Gestänge der Jalousie. Es war im Haus das einzige Appartement, in dem diese Art Stoßlüften durchgeführt wurde. Meine Mutter war erst kürzlich von einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung genesen zurückgekehrt und war bes. in der Nacht beim Aufstehen extrem sturzgefährdet. Die Pflegerin kam über eine Stunde nicht zurück um die Türe zu schließen.

Richter: Wie können sie das beweisen?

Zeuge Mart: Ich habe es gesehen, weil ich mich im Appartement versteckt habe.

Gegenpartei: Zeuge Mart behauptet auch, Fr.XY sei verhungert und verdurstet. Wir haben alles für Fr.XY getan. Sie wollte ja nicht essen.
Antrag auf Untersuchung des geistigen Zustands von Mart.

Kannst Du Dir den Ausgang der Verhandlung vorstellen?


UrsulaB antwortete am 09.08.03 (13:59):

@Mart "...Nun, ich kann mir schon vorstellen, wie das bei einer Strafverhandlung aussieht ..."

Ich glaube nicht, dass es überhaupt zu einer Verhandlung kommen würde ;-(:

Die Staatsanwaltschaft wird ein bisschen rum-ermitteln gerade soviel, dass der Form (Aktenkosmetik!)genüge getan ist... Dann wird das Verfahren eingestellt mit der "Begründung", dass "kein Anfangsverdacht" oder "kein öffentliches Interesse" besteht ...

Zum Schluß hast Du nicht nur nichts erreicht, sondern hast für die Zukunft den Ruf einer Querulantin und "Nestbeschmutzerin", den Du nie wieder loswirst, - ... ;-(

Gruß, Ursula


schorsch antwortete am 09.08.03 (19:16):

Als die Inkontinenz meiner Mutter begann, wurde sie sogleich in Windeln verpackt. Als sie dann eine Pflegerin bat, sie zum Klo zu bgleiten, denn sie wolle die Windel nicht beschmutzen, sagte diese, das dürfe sie nicht - Mutter solle ruhig ab jetzt in die Windeln machen.

Von da an war unsere Mutter am Boden zerstört......


Tessy antwortete am 09.08.03 (21:30):

Das Thema hat mich in den letzten sieben Monaten sehr beschäftigt.
Eine Verwandte, 83 Jahre alt, wurde von einem Tag zum anderen ein Pflegefall. Sturz, Oberschenkelhalsbruch, neue Hüfte eingesetzt. OP geglückt, aber die Demenz die sich vorher ein wenig eingestellt hatte, blühte nun.
Geriartrie-Reha - nach drei Tagen konnte sie dort nicht mehr bleiben denn für eine solche Behandlung muß man fit sein und das war sie nicht.
Dann Kurzzeitpflege, beliebt war sie da auch nicht weil sie nachts "wanderte", in fremde Zimmer ging.
Es war klar daß nur noch ein Heimplatz in Frage kam.
Ich habe Erkundigungen angestellt und es klappte auch daß meine Verwandte in das Heim kam, daß mir als das Richtige erschien.
Die von amtswegen eingesetzte Betreuerin benahm sich vorbildlich, für sie stand das Wohl der Patientin an erster Stelle. (Muß man doch auch mal erwähnen daß es das gibt!)
Meine Überlegungen gingen von Anfang an in die Richtung: wird man für sie Verständnis haben? ab und zu ein gutes Wort? welche Einstellung vertritt das Heim zum Thema "sterben"?
Übrigens, es gab Menschen die der Patientin vom Verwandtschaftsgrad viel näher standen als ich. Aber das Geld war doch schon an sie gegangen, was sollten sie noch Besuche machen? 40 km fahren? viel zu weit. Aber anstandshalber hofften sie für die Patientin daß das Essen gut ist.
Sie hat viele Jahre für eine Verwandte den Haushalt geführt- aber das war lange her, ein Besuch im Heim erfolgte nicht.
Vom Personal des Heims erfuhr ich Verständnis sowohl für die Pat. als auch für mich, denn mein Sorgenkind war genauso entsetzt wie ich über den schnellen geistigen Verfall.
Ist es nicht sehr viel verlangt vom Pflegepersonal sich auf einen Menschen einzustellen von dessen Äußerungen sie nicht wissen können ob überhaupt etwas davon mit der Realität zu tun hat?
Die Demenz meiner Verwandten zeigte sich in ununterbrochenem Weinen, die ersten 3 Monate konnte sie auch noch einen Teil ihres Kummers aussprechen, später gab es nur noch schluchzende und klagende Laute.
Ich habe in dieser Zeit gelernt neue Prioritäten zu setzen: sie ist nicht wundgelegen? danke. Sie weint wieder mal besonders laut und heftig - sie bekommt trotzdem immer wieder tröstende Worte, danke. Ihre Hörgeräte waren sehr schwierig einzusetzen - sie hat sie dennoch bekommen wenn sie sie wollte - und ihre Tür wurde offen gelassen, so sah doch öfter jemand nach ihr auf dem Weg zu einer anderen Tätigkeit.
Abgebrüht erschien mir niemand - an der Grenze zum Ausgebranntsein - das trifft es schon eher.
Wie schade daß diese Menschen nicht mehr Zeit haben sich um ihre Pfleglinge so zu kümmern wie sie es gerne tun möchten.
Und was können Angehörige leisten um dem Pflegepersonal die Arbeit zu erleichtern? ---------
Zum Schluß - als die Todesnachricht kam war ich unendlich erleichtert, ich freute mich aufrichtig daß diese Frau nicht mehr weinen mußte. Traurigkeit über den Verlust den ihr Tod für mich bedeutete kam erst später......