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THEMA:   "sterbehilfe"... "würdevoller tod"..."erleichternder tod"...denkbar?

 10 Antwort(en).

pilli begann die Diskussion am 18.05.03 (08:50) mit folgendem Beitrag:



Krankheit

Willkommen Nacht! Willkommen Stern!
Mich dürstet nach Schlaf, ich kann nimmer wachen,
Ich kann nimmer denken, nimmer weinen und lachen,
Nur schlafen möcht ich gern,
Schlafen hundert, tausend Jahr,
Und über mir gehen die Sterne hin;
Meine Mutter weiss, wie ich müde bin,
Beugt sich lächelnd herab, hat Sterne im Haar.

Mutter, lass nimmer tagen,
Lass keinen Tag mehr zu mir herein!
So böse, so feind ist sein weisser Schein,
Ich kann es nicht sagen.
So viel lange heisse Strassen bin ich gegangen,
Mein Herz ist ganz verbrannt -
Öffne mir, Nacht, führ mich in Todes Land,
Ich habe kein andres Verlangen,
Ich kann keinen Schritt mehr gehen,
Mutter Tod, gib mir die Hand,
Lass mich in deine unendlichen Augen sehen!

Hermann Hesse
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mein leben habe ich, so weit ich es vermochte, selbstbestimmt gestaltet - wer bestimmt die art und weise meines abschiedes von diesem leben?

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Im April 1997 legte die Bundesärztekammer ihren (ersten) Entwurf einer "Richtlinie zur ärztlichen Sterbebegleitung und den Grenzen zumutbarer Behandlung" vor und löste damit eine heftige und sehr kontrovers geführte Diskussion zur "Sterbebegleitung und Sterbehilfe" aus. Neuen Zündstoff bekam die Diskussion im Juli 1998, als das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Beschlussverfahren die Auffassung vertrat, bei einer 85-jährigen Koma-Patientin sei eine Einstellung der künstlichen Ernährung über eine Magensonde nach § 1904 Bürgerliches Gesetzbuch genehmigungsfähig. Am 11.09.1998 hat dann schliesslich die Bundesärztekammer ihre neuen "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" verabschiedet und damit für die Ärzteschaft aktuelle Handlungsempfehlungen herausgegeben.

Trotz der inzwischen zahlreich vorliegenden Publikationen zum Thema und der verabschiedeten "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" herrscht offensichtlich weiterhin grosse Verunsicherung darüber, wie man rechtlich und ethisch korrekt mit den Menschen umgeht, die sich (tatsächlich oder mutmasslich) am Ende ihres Lebens befinden und eines Beistandes und der Hilfe bedürfen. Welche Rechte hat der Patient, der Sterbende? Was dürfen bzw sollen Ärzte und Pflegekräfte tun? Welche Massnahmen sind zulässig, welche eher nicht? Wie sollen sich die Angehörigen eines Patienten/Sterbenden verhalten? Was dürfen die Angehörigen von den Gesundheitsberufen erwarten? Diese und zahlreiche weitere Fragen türmen sich auf und verlangen nach Antworten! Es war daher für den Autor eine Herausforderung, die für die Sterbebegleitung und Sterbehilfe einschlägigen Gesetze, Rechtsprechung (zum Beispiel Kemptener Urteil, Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15.07.1998, Beschluss des Landgerichts München I vom 18.02.1999, Beschluss des Landgerichts Duisburg vom 09.11.1999), Deklarationen (Erklärungen), Richtlinien und Stellungnahmen (Statements) für eine breite Öffentlichkeit, insbesondere aber für die Gesundheitsberufe, in einem Buch zusammenzustellen. Ergänzt werden diese Texte ua durch folgende Buchabschnitte: Vorsorgliche Erklärungen (Ein kleiner Wegweiser mit Hinweisen zur Erstellung einer Patientenverfügung), Christliche Patientenverfügung, Hirntoddiagnostik, Bioethik-Konvention, Glossar, Anschriften und Literatur. Gegenüber der 1. Buchauflage von September 1998 konnten rund 75 Seiten mit zusätzlichen Informationen in das Buch eingefügt werden.
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Ich fand den hinweis zu entsprechender literatur im netz und dort die seite von www.wernerschell.de.

so viele fragen...gibt es antworten?


Wolfgang antwortete am 18.05.03 (10:08):

Ich möchte zum Thema "Sterbehilfe" etwas zur rechtlichen Lage in Deutschland sagen:

- Wenn ein Arzt Schmerzmittel verabreicht unter Inkaufnahme einer lebensverkürzenden Wirkung, dann ist das erlaubt, wenn das therapeutische Ziel (die Schmerzlinderung) im Vordergrund steht und die unerwünschte Nebenwirkung (die mögliche Lebensverkürzung) nur eine geringe Bedeutung hat.

- Die sogenannte "aktive Sterbehilfe" - also die gezielte und direkte Beendigung des Lebens eines Patienten in der Absicht, ihm weitere Leiden zu ersparen, ist grundsätzlich nicht erlaubt und strafbar (je nachdem, als Tötung auf Verlangen, als Totschlag oder gar als Mord).

- Bei der sogenannten "passiven Sterbehilfe" wird's ganz schwierig. Hier gibt es zwei denkbare Situationen:

-- Ist der Patient entscheidungsfähig, muss auf seinen Wunsch hin und nach Aufklärung über die Folgen die Behandlung abgebrochen werden, auch wenn dann der Tod droht (was u. U. ja auch vom Patienten gewollt wird). Grundsatz: Es gibt keinen Behandlungszwang in Deutschland.

-- Anders, wenn der Patient zum Zeitpunkt der Behandlung nicht entscheidungsfähig ist (z. B. im Koma ist). Dann kann (!) der Arzt den mutmasslichen Willen des Sterbenden nachvollziehen - per möglicherweise vorhandenem Patiententestament oder per Befragung von Angehörigen - und die Behandlung einstellen, wenn die Prognose so lautet, dass der Sterbeprozeß unwiderruflich eingesetzt hat. Massgebend ist aber immer die Entscheidung des Arztes; ein Patiententestament ist also keine Garantie, sondern nur ein Hinweis auf den mutmasslichen Willen des Patienten (an den sich der Arzt nicht halten muss).


Felix antwortete am 18.05.03 (19:30):

Sicher gibt es zu diesem wichtigen Thema verschiedene Aspekte.
Der rechtliche, der in der Schweiz etwas unterschiedlich ist zu Deutschland, ist der eine.
Unterschiedlich ist es auch, ob man einen so schwierigen Entscheid für sich persönlich, für eine anvertraute Person z.B. Patient/in oder für das Liebste, das man auf Erden hat ... treffen muss.
Aus meiner aktuellen Situation mit meiner Frau, die unter den Schmerzen und Auswirkungen eines schweren Krebsleidens mit diversen Metastasen und zermürbenden Therapien leidet, sehe ich das Problem nicht mehr theoretisch wie früher.
Ich erlebe, wie ihre Erscheinungsform und Persönlichkeit sich allmählich verändert .... wie sie nächtelang mit einer verkrümmten Körperhaltung ... dem Schmerz auszuweichen versucht, gegen die Nebenwirkungen der Schmerz- und andern Mittel ankämpft, wie ihre Lieblingsgerichte einen Brechreiz auslösen können ...
Trotzdem kämpfen wir beide entschlossen fürs Überleben ... unternehmen alles, was noch möglich ist, um das Leben lebenswert zu machen ... Wie lange noch?


Frog antwortete am 19.05.03 (07:56):

Zu dem letzten Punkt von Wolfgang in der 2. Antwort sind sie in unserem Krankenhaus sehr streng. Da haben schon einmal Angehörige ihre Oma in ein anderes Krankenhaus verlegt, wo die nicht so streng waren.


WANDA antwortete am 19.05.03 (08:22):

Lieber Felix, ich denke täglich an Euch und ich bitte, dass Euch die Kraft gegeben wird, das alles in Würde durchzustehen. Eure Wanda


schorsch antwortete am 19.05.03 (10:41):

Jedes Lebewesen hat, wenn es den Tod nahen sieht, die Möglichkeit, sich hinzulegen und auf die Erlösung zu warten. Dem Menschen aber wurde diese Möglichkeit abgesprochen....


Wolfgang antwortete am 19.05.03 (13:15):

@Schorsch... In Deutschland ist es möglich, "[...] sich hinzulegen, und auf die Erlösung zu warten." Denn hier gibt es keinen Behandlungszwang. Voraussetzung ist aber, dass der Patient entscheidungsfähig ist, und er über die Folgen seines Tuns aufgeklärt wurde.


mechtild antwortete am 19.05.03 (13:29):

Das Thema Sterbehilfe ist und bleibt problematisch, denn es ist eine Tatsache, dass nicht alle Menschen liebe Angehörige haben, die das Beste für Ihren Angehörigen wollen. Viele wollen nur das Erbe oder ihre Ruhe. Wenn es rechtlich erlaubt würde, dass Angehörige und Ärzte entscheiden, wann Geräte abgeschaltet werden, würde auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Ärzte haben die Aufgabe Leben zu erhalten und nicht eine Entscheidung zu treffen, ob ein Leben lebenswert ist. Diese Entscheidung kann nur jeder für sich selbst treffen. Auch nicht ein liebender Angehöriger für seinen Lieben.
@Felix, ich wünsche Euch viel Kraft und denkt an die schönen Dinge in Euerem Leben.
@schorsch, man kann sich hinlegen und sterben, es gehört nur sehr viel Mut dazu und es passiert nicht sofort, es braucht Zeit. Wenn ich krank bin und eine Behandlung abbreche, dass Essen einstelle, die künstliche Ernährung ablehne werde ich sterben, aber keiner weiss wann.
Sterben ist nicht schön, dass hat einem keiner versprochen.
Aber Leben ist auch nicht immer schön :-))


Lisa1 antwortete am 19.05.03 (15:33):

Auch ich empfinde dieses Thema als sehr schwierig.
Es geht in dieser Diskussion um ein Leben, dass kurz vor dem Ende steht, um es auf Wunsch des Betroffenen zu beenden. Es kann passiv geschehen (also dadurch, dass keine lebenserhaltenden Maßnahmen wie die Beatmungsmaschine oder der Tropf eingesetzt werden)oder aktiv (z.B. durch tödlich wirkende Medikamente)
Das Argument, der Wille des Menschen, dann sterben zu können bzw. zu dürfen, wenn er es will, ist, so einfach es klingt, äußerst problematisch. Wer weiß, ob ein gesunder 50- oder 60jähriger Mensch, der testamentarisch verfügt hat, unter bestimmten Umständen nicht mehr leben zu wollen, der dann, z.B. mit 70 Jahren, nicht mehr äußerungsfähig ist, dies dann auch tatsächlich noch will.
In einem Buch (Titel im Moment nicht auffindbar) hat eine Tochter, die ihre an Krebs erkrankte Mutter jahrelang begleitet hat,
ihre Qualen geschildert, sie musste mit anschauen, wie die Mutter von den Ärzten nur vertröstet und auch die stark schmerzstillenden Mittel ( Morphium) verweigert wurden. Die Mutter bat ihre Tochter, bei der Selbsttötung zu helfen, also die Medikamente zu beschaffen.
Ich denke, heute gibt es schon viele Medikamente, die das Leid der Schwererkrankten mildern, sie können fast ohne Schmerzen die restliche Zeit im Kreise ihrer Lieben erleben.


Ana antwortete am 19.05.03 (17:26):

Felix, Dein Bericht über Deine Frau und Dich hat mich traurig gemacht und tief berührt. Als ich ihn las, wusste ich gar nicht, was ich Dir schreiben konnte. Ich möchte mich jetzt den Worten von Wanda anschliessen. Wenn es für Dich gut ist, schreib, wann immer Du willst.


pilli antwortete am 20.05.03 (00:54):


die besorgnis vieler menschen, nur noch aufgrund von lebenerhaltenden maschinen und weiteren sinnlosen maßnahmen , zu einem zeitpunkt weiterleben zu müssen, an dem zweifelsfrei keine aussicht mehr auf leben besteht , teile ich seit vielen jahren. ich denke, daß eine Patientenverfügung sicherlich ein wichtiges mittel ist; wenn auch nur zur eigenen beruhigung, vieles getan zu haben. ob aber alle beteiligten sich explizit daran halten bzw.das miteinbeziehen ;... daß vermag ich nicht zu glauben.
wie Wolfgang sehr klar darlegt, gilt es ein weites feld medizinischer, ethischer und rechtlicher gründe zu beachten.

wie weit darf ich überhaupt erwarten, daß ich durch eine von mir gewünschte und geforderte entscheidung, anderen menschen gewissenskonflik auslösende entscheidungen aufzwingen kann?

welche entscheidung trifft welcher mensch in dieser situation und wie ist dieser mensch auch von den gerade herrschenden politischen einflüssen abhängig?

welche auffassungen und zu welchen ergebnissen kommen die verschiedenen ethik-kommissionen? und wie weit sind auch diese wiederum unbeeinflußt?

welche forschungsvorhaben stehen z.bsp. am tage X zur diskussion? wie interessant bin ich vielleicht als "nichteinwilligungsfähiger patient"

https://www.ma.uni-heidelberg.de/dekanat/ethikkommission/antrag-version6.doc

ich möchte betonen, daß ich der "rechtsunsicheren" seite bei meinen überlegungen wesentlich mehr raum gebe; die dann für mich logische
einsicht ist tatsächlich die, daß eine patientenverfügung für mich nicht die lösung meiner fragen bietet.

" Die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e.V. hat sich diesem Spannungsfeld zwischen Medizin, Ethik und Recht im Rahmen eines Workshops in Heidelberg angenommen und griffige Empfehlungen für alle Beteiligten abgegeben."

lese ich und schon denke ich wieder darüber nach, was und für wen bitte, bedeutet es, etwas ist "griffig" ?