Archivübersicht | Impressum



THEMA:   Benachteiligung von Jungen an den Schulen?

 18 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 09.10.02 (08:27) mit folgendem Beitrag:

Wie sich die Zeiten ändern. Inzwischen gilt zumindest an Schulen das sogenannte "starke" Geschlecht als benachteiligt (s. Link). Wie sind Eure Erfahrungen bei Kindern und Enkeln hiermit? Brauchen wir eine Lehrerquote?

Mit freundlichen Grüßen

Karl

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,217209,00.html


WANDA antwortete am 09.10.02 (09:15):

Es hat mich erschreckt, was ich da eben gelesen habe, es darf nicht soweit kommen, dass ein Pädagoge nach Geschlecht urteilt.
Beim eigenen Enkelsohn hat es Benachteiligungen nicht gegeben, in der Grundschule war es ein Lehrer, der ihm das Leben schwer machte.


mechtild antwortete am 09.10.02 (12:17):

Das, was in dem Spiegelartikel steht ist seit Jahren bekannt. Tatsache ist aber auch, dass obwohl Mädchen bessere Schulabschlüsse haben, sie schlechtere Berufsausbildungen erhalten und Frauen in Deutschland immer noch weniger verdienen als Männer. Der Kampf für Gleichberechtigung sieht heute anders aus als in den 70er Jahren.
Es gibt auch Benachteiligung von Jungen, individuell hat es die immer gegeben. Für seine individuelle Gleichberechtigung muss jeder selbst kämpfen. Die strukturelle Gleichberechtigung wurde in vielen Bereichen durchgesetzt.
Frauen lieben Jungs meist in jedem Alter, deshalb werden weibliche Pädagogen die Jungs nie nicht beachten. Das eine Lehrerin ein Kind weniger mag als ein anderes hat selten nur mit dem Geschlecht zu tun.
Lasst kleine Mädchen ruhig ein paar Jahre Prinzessin sein. Sie lernen meist noch früh genug, was es heißt Putzfrau sein zu müssen.


Johannes Michalowsky antwortete am 09.10.02 (14:08):

Also, das kann man ja auf keinen Fall so stehen lassen. Ich habe viele Berufskoleginnen erlebt, die vielleicht - das weiß ich nicht - in der Schule Prinzessin waren, auf jeden Fall aber weder von der subjektiven Leistung noch von der Anerkennung her nicht nur nicht benachteiligt, sondern im Gegenteil privilegiert waren, und zwar nicht als Putzfrau, sondern als Fachfrau (EDV) par excellence.

Diese Frauen haben keinen Frauenmalus, sondern einen Frauenbonus, denn außer gleichwertiger fachlicher Leistung bringen sie Weiblichkeit ein, mit der sie männlichen Kollegen hoch überlegen sind - worauf man als Mann nur neidisch werden könnte.


Barbara antwortete am 09.10.02 (15:24):

Dass Frauen karrieremäßig benachteiligt sind, ist doch Fakt. Wieviel Frauen findet man denn trotz besserer Schulabschlüsse in Führungspositionen? Schließlich ruht die Last der Familienarbeit auch heute noch zum größten Teil auf ihren Schultern. Außerdem überlegen sich Arbeitgeber gründlich, ob sie viel Geld in die berufliche Förderung einer jungen Frau stecken, da diese Investition durch Nachwuchs rasch zur Fehlinvestition werden könnte.

Andererseits habe ich während der schulischen Begleitung meiner drei Kinder erfahren müssen, dass Jungen in der Schule den Mädchen gegenüber stark benachteiligt werden. Nach meiner Beobachtung liegt es jedoch eher an der unterschiedlichen Entwicklung von Jungen und Mädchen. In Schleswig-Holstein wechseln die Schulkinder nach der vierten Klasse zur Realschule oder zum Gymnasium. Gerade mit zehn/zwölf Jahren, also während der Orientierungsstufe, in der stark aussortiert wird, sind Mädchen entwicklungsmäßig den Jungen weit voraus. Jungen sind in dem Alter meist noch sehr verspielt und albern, während Mädchen schon reifer, ernster und ehrgeiziger sind.

In der neunten Klasse Gymnasium gab es in der Klasse meines Sohnes sechzehn Mädchen und drei Jungen. Ich erinnere mich an einen Elternabend, an dem die Lehrerin sich bitter über das schlimme Verhalten der Jungen beschwerte. Sie berichtete, dass "sämtliche" Jungen, also alle drei, ständig den Unterricht stören würden. Als ich sie bat, sich direkt an die Eltern zu wenden, meinte sie recht verunsichert, eigentlich sei es doch nur einer, der sehr massiv stören würde.......
Es wurde sehr deutlich, dass Jungen sie einfach nervten.

Die Idee, Jungenbeauftragte einzusetzen, finde ich gut. Warum soll nicht einmal ernsthaft untersucht werden, ob diese Benachteiligung tatsächlich besteht? Wer als Frau für Gleichberechtigung eintritt, darf auch eine Benachteiligung von Jungen und Männern nicht hinnehmen.


WANDA antwortete am 09.10.02 (19:02):

16 Mädchen und drei Jungen - da hättet Ihr als Eltern gleich protestieren müssen, das ist ein ganz ungutes Verhältnis - oder gab es keine Parallelklassen? Es liegt auf der Hand, dass sich die Jungen da "hervortun" mussten.


mechtild antwortete am 09.10.02 (21:50):

Wenn Jungenbeauftragte eingesetzt werden sollen, sollen sich die Väter darum kümmern. Wir Frauen haben uns auch darum gekümmert, dass Frauenbeauftragte eingesetzt werden. Frauen haben sich um Mädchenförderung in den Schulen gekümmert, aber Frauen sollen sich nicht um die Benachteiligung von Männern kümmern. Gleichberechtigung muss sich jeder selbst erkämpfen. Also Väter kümmert Euch um die Rechte Eurer Söhne.


hl antwortete am 09.10.02 (21:57):

Was ist das denn??

Väter sollen sich für die Söhne, Mütter für die Töchter einsetzen?

Ist das "Gleichberechtigung"? ;-)


Mechtild antwortete am 09.10.02 (22:09):

Nur wenn es um die Gleichberechtigung der Geschlechter geht, halte ich das für wichtig. Kleine Jungs lernen sehr früh lernen, dass Frauen nicht für alles zuständig sind. Es gibt nun mal einen Unterschied zwischen Mann und Frau und das ist auch schön.


hl antwortete am 09.10.02 (22:16):

Gleichzeitig lernen sie - nach deiner Version - das Mütter nur für Töchter und Väter nur für Söhne zuständig sind. Das kann es doch nicht sein. :-)

Irgendwie erinnert mich das an mein erstes Jahr in der Schule. Bis dahin nur mit Jungen aufgewachsen habe ich mich beim "Aufstellen" in die Jungenreihe gestellt, mit dem Erfolg, dass ich einen empörten Chor zu hören bekam: "Mädchen bei Mädchen und Jungen bei Jungen!" :-))


Barbara antwortete am 09.10.02 (22:38):

@ Wanda

In der fünften Klasse gab es noch 16 Mädchen und 12 Jungen. Bis zur neunten Klasse waren neun Jungen gescheitert, d.h. entweder zur Realschule schrägversetzt worden oder sitzengeblieben. In den Parallelklassen war das Verhältnis ähnlich.

@ mechtild

Als Mutter setze ich mich für das Recht meiner Kinder gleichermaßen ein, egal ob es sich um Sohn oder Tochter handelt. Nach Deiner Logik stünden Jungen allein erziehender Mütter praktisch allein da, während die Töchter mit der Hilfe der Mutter rechnen könnten. Das hielte ich für ungerecht.


WANDA antwortete am 10.10.02 (08:13):

Ich war immer alleinerziehend, übrigens ist dieses Wort falsch, weil es das nicht gibt, die Umwelt erzieht immer mit.
Auf jeden Fall sind meine Kinder nicht von einem Vater erzogen worden. Niemals hätte ich die Mädchen den Jungen vorgezogen, selbstverständlich tritt man für alle seine Kinder ein. wobei es so pflegeleichte gibt, die das selbst erledigen.


mechtild antwortete am 10.10.02 (12:30):

Klar setze ich mich als Mutter für die Rechte aller meiner Kinder ein. Jungen- oder Männerbeauftragte sind aber keine Rechte von Kindern. Das andere Geschlecht sollte sich selbst darum kümmern, wenn es meint sie bräuchte Männerbeauftragte. Jungs werden von uns Frauen ausreichend verwöhnt, sie kommen ganz bestimmt nicht zu kurz. Wir Frauen müssen uns nicht auch noch dafür einsetzen, dass Männerrechte umgesetzt werden. So wie ich die Frauen kennen machen sie es dann auf Kosten der Frauenrechte. :-)))
Außerdem wollen die meisten Kinder nicht, dass ihre Eltern sich um alles kümmern. Kinder können ihre Sachen gut selbst regeln.


Barbara antwortete am 10.10.02 (14:27):

Ein interessanter Artikel in Zeit-online zum Thema:

>>....In der Schule schlägt sich diese Abwertung unbewusst unter anderem darin nieder, dass Jungen schlechtere Zensuren bekommen - auch wenn sie die gleiche Leistung erbringen. Das hat der Erziehungswissenschaftler Rainer H. Lehmann bei einer Untersuchung in Hamburg gezeigt: Bei dem für die Schulkarriere entscheidenden Übergang von der Grundschule zum Gymnasium werden deutlich mehr Mädchen vorgeschlagen, was "allenfalls teilweise durch ein höheres Leistungsniveau begründet werden kann".

Über die Ursachen der versteckten Diskriminierung stellt Lehmann nur vorsichtige Vermutungen an. Es sei möglich, dass eine "schulkonformere Einstellung" der Mädchen ihren Schulerfolg begünstigt. Im Klartext: Sie sind im Unterricht pflegeleichter und angenehmer für die Lehrer.<<

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2002/31/Wissen/200231_b-schuljungen.html


WANDA antwortete am 10.10.02 (16:43):

Es ist sicher sehr unwissenschaftlich, was ich jetzt schreibe aber während meiner ganzen Berufszeit (Sonderschüler,Behinderte,Anfallskinder) habe ich Praktikanten immer etwas von der Erwartungshaltung erzählt und dem, was diese vermag.
Wenn ich komme und schon denke, der Fritz Meier der stört wieder den Unterricht, dann wird er ihn stören.
Wenn ich Angst habe vor einem Anfall, wird höchstwahrscheinlich irgend einer einen kriegen.
Der Gedanke, dass etwas passiert, lässt zu, das etwas passiert.
Aber wenn ich von einem Schüler positives erwarte, wird er es eher bringen, als wenn ich nur negativ über ihn denke.


Felix antwortete am 13.10.02 (02:46):

Wer mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, merkt bald, dass es in der Entwicklung auffällige Geschlechtunterschiede gibt.
Schon im Vorschulalter sind starke Unterschiede vorallem bei der Reifung der Sprachkompetenz, bei der Auswahl der Erfahrungsbereiche, Spielzeuge und Spielarten zu beobachten. Auch im Sozialverhalten weisen Knaben andere Muster als Mädchen auf.
Jahrgangsklassen, die bei unserem Schulsystem die Regel darstellen, werden diesen unterschiedlichen Bedürfnissen und Entwicklungstypen in keiner Weise gerecht. Das Leistungsprofil einer Grundschule ist mit dem Entwicklungsvorteil der Mädchen viel leichter zu erreichen. Mädchen mit schlechter Lernmotivation sind in dieser Entwicklungsphase viel seltener als bei Knaben. Bei diesen beobachtet man auch nicht selten hochbegabte aber leistungsschwache Schüler, die in der Regel auch die Grundschule negativ erleben und verhaltensauffällig werden können.
Es gibt aber andere pädagogische Lösungen, um diesen Unterschieden gerecht zu werden. Eine Methode habe ich persönlich kennen gelernt und einige Jahre ausgeübt. Maria Montessori hat anfangs des 20. Jahrh. eine Pädagogik entwickelt, die darauf beruht, dass jedes gesunde Kind genügend lernhungrig ist und die Welt mit seinen Sinnen entdecken will ohne, dass man ihm das speziell beibringen muss. Montessori-Kinderhäuser und -Schulen bieten den Kindern eine Vielzahl reizvoller Lernmaterialen und Experimentiermöglichkeiten an. Aus eigenem Antrieb und jedes Kind zu seiner Zeit holt sich solches Material zum selbständigen Arbeiten. Es ist so beschaffen, dass das Kind selbständig kontrollieren kann, ob die gestellte Aufgabe richtig erfüllt wurde. Die Lehrperson spielt dabei die Rolle des "Geburtshelfers". Er ermuntert zum weiteren Versuch, zeigt weiterführendes Material und notiert sich dabei laufend die erreichten Lernziele jedes einzelnen Kindes.
Dabei liess sich beobachten wie unterschiedlich diese Lerninhalte bei den Geschlechtern bevorzugt wurden. Mädchen konnten im Schnitt 6-12 Mt. vor den Knaben lesen. Dafür lösten Knaben knifflige logische und räumliche Problemstellungen bevor sie sich mit Buchstaben beschäftigen wollten.
Weil jedes Kind in seinem Tempo die Lernschritte erfüllt, können auch heterogene Gruppen im gleichen Raum arbeiten. Die Integration geistig Behinderter war dadurch ermöglicht.


Rosmarie Schmitt antwortete am 13.10.02 (09:18):

Hallo Felix,

deine Erfahrungen, was die Verschiedenartigkeit der Entwicklung bei Jungen und Mädchen und die verschiedenen "Könnens-Schwerpunkte" angeht, habe auch ich gemacht.

Maria Montessori hatte schon bei meinen Eltern (Sonderschulllehrer) einen guten Namen, und ich hätte in der Grundschule auch gern nach ihr gearbeitet... Zum Glück ist ihr Ansatz der Differenzierung und Eigenmotivation heute auch in anderer Weise weit verbreitet.
Allerdings habe ich mit den Eigenkontrollen von Kindern oder dem Gegenseitig-Kontrollieren immer meine Schwierigkeiten gehabt. Da wird doch viel gepfuscht... Aber insgesamt ist durch ein umfassendes Differenzierungsangebot mit gutem Material vieles an Lernunterschiedlichkeiten abzufangen.


Felix antwortete am 13.10.02 (13:31):

Hallo Rosmarie,
es freut mich, dass du mich verstehst. Zur geschlechtsspezifischen Reifung und damit auch Ausdifferenzierung der Denkstrukturen und vorallem des Sprachzentrums liesse sich noch Einiges ergänzen.
Etwas vereinfacht gesagt: Bei Mädchen ist die Sprach- und Denkstruktur schneller ausdifferenziert als bei Knaben. Der Vorteil ist eine frühere Sprachkompetenz. Mädchen reden durchschnittlich viel früher in grammatisch korrekten Sätzen als Knaben. Dies beobachten auch aufmerksame Eltern. Damit sind die Mädchen auch schulkompatibler als gleichaltrige Knaben. Der Schulerfolg ist also ungleich verteilt.Die langsamere Ausdifferenzierung bei Knaben bietet aber auch Vorteile. Viele Zuordnungen bleiben länger offen. Dies ist eine günstige Voraussetzung für innovative, spielerische, experimentelle Strategien. Männliche Wesen sind in im Vergleich eindeutig verspielter und experimentierfreudiger.... somit auch erfinderischer. Dies gilt auch für andere Primaten. Männer sind deshalb beim Erfinden, Entdecken, Kreativsein in der Überzahl .... leider aber auch bei der geistigen Morbidität!
Hoffentlich haben mich alle richtig verstanden ... Ich mache daraus keine Wertung, sondern weise auf angeborene Unterschiede hin.
Biologisch gesehen ist es sicher ein Selektionsvorteil, dass Mütter weniger experimentieren und spielen als Väter. Brutpflege verträgt Experimente äusserst schlecht!


mechtild antwortete am 13.10.02 (16:23):


Felix, das was Du ansprichst sind pädagogische Fragen. Eine Petersen-Grundschule in Köln arbeitet integrativ. In jeder Stammgruppe oder Klasse gibt es Jungen und Mädchen, Behinderte mit verschiedenen Behinderungen und Kinder von 6-10 Jahren. Die Kinder bleiben in der selben Stammgruppe während der gesamten Grundschulzeit. Die Gruppe verändert sich, weil in jedem Schuljahr neue Kinder dazu kommen und Kinder in andere Schulen entlassen werden. Die Kinder sollen so viel wie möglich voneinander lernen.
Man sollte Kinder mehr individuell fördern und weniger als männliche oder weibliche Wesen. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht findet in allen gesellschaftlichen Gruppen statt, in denen Kinder sich bewegen. Schule braucht zwar mehr Personal, aber keine Männerbeauftragten, die von Frauen organisiert werden. Kinder brauchen sowohl männliche als auch weibliche Lehrer, weil es in der Gesellschaft Männer und Frauen gibt. Sobald die Bezahlung der Erzieher und Grundschullehrer besser wird, wird es auch Männer geben, die sich für die Berufe interessieren. Das war in anderen Berufen auch so.