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THEMA:   Darwinismus, Sozialdarwinismus, Rassenlehre

 40 Antwort(en).

Ulrike begann die Diskussion am 09.12.01 (22:57) mit folgendem Beitrag:

Hallo,
da hier einige Biologen bzw. biologisch Interessierte vertreten sind, frage ich, wo liegt Eurer Meinung nach der Denkfehler, wenn die Darwinsche Evolutionstheorie auf soziale, wirtschaftliche und politische Systeme der Menschheit übertragen wird?
Wo liegen zudem die Schwachstellen der Darwinschen Theorie?
Gruß
Ulrike

Ulrike


Felix Schweizer antwortete am 10.12.01 (01:22):

Hallo Ulrike,
du fängst ein sehr komplexes Thema an, das ein Teilgebiet der Evolution darstellt. Ich bin überzeugt, das sich das soziale Verhalten während der Evolution mitentwickelt hat. Die Vorteile für den Teil einer Population, der soziale Formen entwickelt hat, die gegenüber der andern zu besseren Überlebens- oder Fortpflanzungschancen geführt hat, sind nicht so einfach aufzuzeigen, wie bei körperlichen Vorteile. Relativ einleuchtend ist der Sachverhalt bei Symbiosen, bei der Balz, bei den Paarungritualen und besonders bei der Brutpflege und Aufzucht der Jungen. Auch aufopferndes Verhalten eines Muttertieres bietet, wenn das Verhalten genetisch fixiert ist, einen statistischen Vorteil für das Überleben der Erbträger.

Lies dich vielleicht in die Thematik ein, indem du das Stichwort <Sozialdarwinismus> z.B. bei Google eingibst.
Der Begriff Sozialdarwinismus wurde lange Zeit von den sozialistischen Diktaturen missbraucht! Deshalb Vorsicht bei der Auslese der Beiträge.

(Internet-Tipp: https://www.thur.de/philo/as238.htm)


Manfred Franz antwortete am 10.12.01 (07:11):

Hallo, Felix. Gerade Deinen letzten Satz kann ich nur unterstreichen. Gab doch den "Gesellschaftswissenschaftlern" des Kommunismus gerade die Entwicklungstheorie einiges Schussmaterial in die Hand, das bei den eher mathematisch fixierten Gebieten kaum zu erlangen war. Wie schwer das war und ist, kann man bei ENGELS in seiner "Dialektik der Natur" oder auch bei MAO in seinem "Über den Widerspruch" nachlesen. Im Übrigem halte ich die Darwinsche Entwicklungslehre für durchaus auch auf die menschliche Gesellschaft anwendbar- ob das uns nun passt oder nicht. Scheint das Naturgesetz des Lebens überhaupt zu sein. Da hilft nur: Sich dem Kampf zu stellen- und, wenn möglich, zu siegen. Das schließt ja nicht aus, dass eine mitfühlende Menschheit "Spielregeln" festlegt und den Verlierern eine Chance einräumt.


Ulrike antwortete am 10.12.01 (07:48):

Hallo Felix, hallo Manfred,
ich habe mal gegoogelt (hätte ich auch vorher drauf kommen können)und folgenden guten Überblick über die Anwendung darwinistischer Theorien im sozialen Feld gefunden:

www.fu-berlin.de/hyperthek/arbeiten/i_p/meu_ras1.htm

Dort wird auch die mangelnde Wissenschaftlichkeit des sog. Sozialbiologismus beleuchtet. Insofern ist meine erste Frage dort beantwortet.

Die zweite noch nicht. Sie zielt auf die Beweisbarkeit der darwinschen Theorien; es geht mir nicht so sehr um "Meinung", sondern darum, gibt es wissenschaftliche Verfahren, um die Richtigkeit der darwinschen Theorie nachzuweisen.

Grüße
Ulrike

(Internet-Tipp: https://www.fu-berlin.de/hyperthek/arbeiten/i_p/meu_ras1.htm)


Wolfgang antwortete am 10.12.01 (13:11):

Die Mechanismen der Evolution sind auch beim Menschen - in seiner Natur UND seiner Kultur - zu beobachten. Nur - und das ist der Fehler, den viele, oft auch gebildete Menschen machen: Sie wissen nicht, was Evolution ist. Von Charles Darwin kennen sie den Namen und ein paar Schlagworte aus seinen Werken. Die Kampfbegriffe "Kampf ums Dasein" ("struggle for life") und "Überleben des Stärksten" ("survival of the fittest") sind ihnen geläufig, aber sonst wissen sie wenig.

Dabei ist Leben beileibe nicht nur ein ständiger Kampf aller gegen alle, bei dem nur der Stärkste siegt. Der allergrößte Teil des Lebens zum Beispiel spielt sich in Gruppen von Artgenossen ab. Dort, aber auch zwischen den Arten, hat sich eine rege Kooperation gebildet. Kooperation, also gegenseitige Hilfe und sogar aufopferungsvolles Verhalten, ist im Tierreich und bei den Menschen weit verbreitet.

Unter Kooperation versteht man in der Verhaltensbiologie alle Formen der Zusammenarbeit, die den Beteiligten nützt, ohne dass damit zusätzliche Kosten verbunden wären. Das macht die Evolution durch Kooperation so "beliebt".

Soziales und asoziales Verhalten, kollektives und individuelles Streben... Alles ist nach Art und Zeit in unterschiedlichen und ständig wechselnden Ausprägungen festzustellen. Die Evolutionstheorie eignet sich einfach nicht als Argumentationsbasis für Rassisten.


Manfred Franz antwortete am 10.12.01 (16:02):

Ja, Wolfgang, da gehe ich mit. Das ist auch eine Form des Überlebenskampfes. Und eben die Seite, die von Diktatoren jedweder Art nicht so gern gesehen wird.
Ist doch aus diesem Ansatz die ganze menschliche Kultur entstanden.
Zu unterscheiden ist m.E. natürlich auch zwischen Rassisten und solchen Wissenschaftlern, die das Bestehen verschiedener menschlicher Rassen zwar anerkennen, daraus abgeleitete Wertbestimmungen aller Art jedoch vermeiden. Zu welchem pseudowissenschaftlichem Unsinn hatte sich die nazistische Rassentheorie entwickelt! Selbst für halbwegs gebildete Nicht-Biologen als das erkennbar, was sie war: Eine Rechtfertigungstheorie für die Verbrechen der Nationalsozialisten.


Karl antwortete am 10.12.01 (18:13):

Ich möchte Wolfgang zustimmen. In dem negativ besetzten Begriff "Sozialdarwinismus" wird der Name von Darwin missbraucht. Die Übersetzung von "Survival of the fittest" mit "Überleben des Stärkeren" ist auch eklatant falsch. Der deutsche Nobelpreisträger Manfred Eigen hat gezeigt, dass das Darwinsche Selektionsprinzip letztlich aus Reaktionskinetikgleichungen heraus ableitbar ist (s. Buchlink). Es besagt, dass nur das auf Dauer wachsen und sich vermehren kann, was nicht schneller zerfällt als es sich vermehrt (klingt wie eine Tautologie, ist aber mehr als das). "Survival of the Fittest" läßt Raum für die Evolution von Altruismus und sozialem Verhalten.
Die Interpretation der Nazis von "Survival of the Fittest" als das "Überleben der Stärkeren" war dumm, grobschlächtig und einfach falsch. Diese Interpretation ist in den Begriff Sozialdarwinismus hineingeflossen.
Die reaktionskinetischen Überlegungen von Manfred Eigen sind aber nicht auf Lebewesen beschränkt, man kann sie auch auf kulturelle Einheiten anwenden. Es gibt eine kulturelle Evolution und da deren Geschwindigkeit derjenigen der biologischen Evolution um Größenordnungen überlegen ist, glaube ich persönlich, dass die biologische Evolution nach klassischem Muster am Ende ist.
Der Mensch wird sich selbst umbauen, weniger mit der Gentechnik, sondern m.E. hat die allmähliche (im Zeitrahmen der biologischen Evolution explosionsartig ablaufende) Substitution des Menschen durch Technik bereits begonnen.

(Internet-Tipp: https://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3492204104/derseniorentimin/)


Ulrike antwortete am 10.12.01 (18:36):

Danke für die Beiträge. Es war wohl im wesentlichen das ideologische und politische Gesamtklima, das zur groben und gefährlichen Verballhornung von Darwins Lehren beitrug.
Karl, der letzte Satz erscheint mir sehr interessant. Ich sehe das nämlich auch so, denn der Mensch ist unter den Arten das einzige Wesen, das Werkzeuge herstellen kann und über eine komplexe Sprache kommunizieren kann, ist somit in der Lage gewesen, sich von Umweltbedingungen immer unabhängiger zu machen. Ich denke allerdings auch, dass man die sog. Zivilisationskrankheiten dann auch zur Evolution zählen müsste.

Gruß
Ulrike


Barbara antwortete am 10.12.01 (21:17):

Hallo Ulrike,

Du schreibst

"denn der Mensch ist unter den Arten das einzige Wesen, das Werkzeuge herstellen kann"

Da bin ich aber anders informiert. Affen können auch Werkzeuge herstellen, ja sogar UNSERE Sprache lernen, was Wissenschaftler in Amerika erwiesen haben. Und ob die von Tieren benutzte Sprache komplex ist, wissen wir doch gar nicht, weil wir ihre Sprache nicht verstehen. Wale unterhalten sich über hunderte von Kilometern, wissen wir, wie komplex? Delphine therapieren behinderte Kinder, weil sie diese Kinder besser verstehen, als die eigenen Eltern. Sie holen z.B. autistische Kinder aus ihrer Einsamkeit heraus, mit welcher Sprache?

Es gibt auch Vögel, die Dornen als Werkzeuge benutzen, sie allerdings nicht herstellen.


Felix Schweizer antwortete am 11.12.01 (01:15):

Hallo Barbara,
du hast vollkommen Recht. Der Mensch ist nicht der Erfinder des Werkzeuggebrauches ... aber er hat die Weiterentwicklung der Herstellung und der Anwendung von Werkzeugen enorm vorangetrieben.
Ansätze zum Werkzeuggebrauch kann man schon bei gewissen Ameisen beobachten, die zum Überwinden von Hindernissen (z.B.Wasserrinnen) mit Tannnadeln, Halmen, Holzsplittern, Rindenstückchen und dergleichen regelrechte Brücken bauen können.
Tintenfische können durch Ergreifen von Steinbrocken sich gegen Feinde schützen. Der Spechtfink bricht Stacheln ab und verwendet sie um Insekten unter der Borke zu jagen. Der Hyazinth-Ara benütz Holspähne, um Palmnüsse beim Aufknacken zu fixieren.. Der Seeotter legt sich einen Stein auf die Brust und schlägt darauf Schalentiere auf.
Der Schmutzgeier bombardiert Strausseneier mit Steinen, um sie zu knacken. Der Siebentöter spiesst Insekten an Dornen auf (...Werkzeuggebrauch?). Von Schimpansen kennt man verschiedene Formen von Werkzeugherstellung und -gebrauch: Termiten oder Ameisen mit Halmen oder Stöckchen "angeln", Nüsse mit Steinen und Holzstücken aufschlagen, Knüppel und Steine als Waffen, zerkaute Blätter als Schwamm um Wasser aus Ritzen aufzunehmen etc. Eindrücklich finde ich die frühen Intelligenzversuche von Wolfgang Köhler (geb.1887). Probleme werden von Schimpansen mit Hilfe von Hilfsmitteln gelöst. z.B. müssen Teile einer Stange zusammengesetzt werden, um Futter zu erreichen.
Der Werkzeuggebrauch bei vielen Primaten ist nicht angeboren, sondern wird durch Nachahmung angeeignet. So entstehen auch lokal abgrenzbare Techniken, die man durchaus als Kulturen bezeichnen könnte.

(Internet-Tipp: https://www.markuskappeler.ch/tex/texs/menschenaffen9.html)


Ulrike antwortete am 11.12.01 (08:18):

Hallo Barabara,hallo Felix

Klar können Tiere so einiges, aber kein Tier ist in der Lage solche technologischen Leistungen hervorzubringen wie der Mensch, die Umwelt so nachhaltig zu gestalten. Ich sehe den Menschen auch nicht im Gegensatz zum Tier, er ist schließlich auch eins, aber er ist eben doch ein Wesen, das aufgrund seiner spezifischen, körperlichen Ausprägungen mehr kulturelles Entwicklungspotential hatte als andere Säugetiere.

Gruß
Ulrike


Wolfgang antwortete am 11.12.01 (10:00):

Ganz ohne Zweifel hat der Mensch ein gewaltiges kulturelles Entwicklungspotential. Ihm stehen nicht nur natürliche oder weitgehend naturbelassene Werkzeuge (wie sie auch andere Tierarten verwenden) zur Verfügung. So weit wir das wissen, ist er auch das einzige Tier, das ein Bewusstsein seiner selbst hat und über eine Eigenschaft verfügt, die wir "Vernunft" genannt haben. Das macht den Menschen so gefährlich für andere Arten und so gefährdet für seine eigene Art.

Es kann sein, dass er in seinem kollektiven modernen Wahn Maschinen herstellt, die die meisten seiner Funktionen perfekter und kostengünstiger ausführen können und ihn dadurch ersetzbar machen. Nicht, dass der Mensch so eine neue Art schaffen könnte, denn er ist nicht die Evolution, sondern unterliegt ihren Regeln. Solche Maschinen wären weiterhin nur Maschinen, Teile vom Menschen... relativ simple technische Arbeitsgeräte mit einer gewissen Intelligenz. Aber sie könnten sich gegen ihren Wirt richten oder ihn überflüssig machen und zusammen mit ihm dann untergehen. Der Mensch wäre dann die erste Art, die nicht aus natürlichen Anlässen oder Gegebenheiten verschwinden würde, sondern mit Hilfe der eigenen hochentwickelten und hocheffizienten Werkzeuge.

Im Moment glaubt der moderne Mensch ja noch, er habe seine Erzeugnisse im Griff und diese brächten ihm immer mehr Nutzen. Die Gläubigen selbst schmücken sich mit den Begriffen "Fortschritt" und "Optimismus". Wie in einem ständigen Gebet nennen sie sich beschwörend "Optimisten". Die "Fortschrittler" bilden die letzte grosse fundamentalistische Glaubensgemeinschaft der westlichen Welt.


Schorsch antwortete am 11.12.01 (10:02):

Das letzte Lebewesen, das die Erde annähernd so nachhaltig verändert hat wie der Mensch, war der Dinosaurus.

Schorsch


Felix Schweizer antwortete am 11.12.01 (15:06):

Werte Runde ...

zur Auflockerung bring ich d e n nocheinmal:

Zwei Planeten treffen sich ... und es kommt zu diesem Dialog:

Planet A: Na, wie geht es dir?
Planet B: ... nicht besonders gut.
Planet A: Ach ... was hast du denn?
Planet B: du ... ich glaube ich habe Menschen!
Planet A: .. um Himmelswillen ... schon lange?
Planet B: .. Ich weiss nicht recht .. am Anfang spürt man kaum etwas... schlimm nicht wahr?
Planet A ...Halb so schlimm ... das geht vorüber!

Auch Galgenhumor kann psychohygienisch wertvoll sein!

Felix lässt grüssen ....


Schorsch antwortete am 11.12.01 (17:17):

Ist euch auch schon aufgefallen, dass die heutigen Jugendlichen diese Schlabberhosen tragen und die Hosenboden fast am Knie? Ich habe mir lange überlegt, für was das wohl gut sein solle. Dank dieser Diskussion bin ich nun draufgekommen: Der Mensch re-moutiert zum Affen. Die Schlabberhosen verstecken das verlängerte Steissbein, das vermutlich nach ein paar Generationen ein veritabler Affenschwanz sein wird!

So rückentwickelt sich der Mensch zum Affen,
hüpft kreischend und vergnügt von Baum zu Baum.
Ich glaub, wenn Gott die Erde neu würd` schaffen,
er schüfe diesen Menschen kaum!

Schorsch


Ulrike antwortete am 11.12.01 (18:40):

"Die Schlabberhosen verstecken das verlängerte Steissbein..."
Ist es tatsächlich schon so weit, Schorsch, da müssen wir uns ja jetzt alle siliconmäßig liften lassen, um mit der Jugend mitzuhalten.


Jutta M. antwortete am 28.12.01 (09:50):

lach
Schorsch.... von wegen die Schlabberhosen....

Es ist jetz 3 Uhr nachts in Dallas und ich bin wirklich muede, also werde ich gar nicht dran denken was ernsthaftes antworten zu wollen zu dem obigen thema.
Aber was die schlabberhosen und die Evolution betrifft
habe ich einen Beitrag den ihr alle auslegen koennt wie
ihr moechtet:
Also, diese unmoeglichen, 15 nummern zu grossen, grade mal unter dem Hintern haengenden Schlabberhosen, die haben nichts
mit Darwin oder der Evolution zu tun!
Die kommen ganz einfach daher dass armen Einwanderer,
hauptsaechlich von Mexiko, ihren Kindern die Hosen vermachten, denn sonst gab es keine.
Die Amerika geborenen Kinder der Mexikanischen Einwanderer
nennen sich Chicanos - und aus Not wurde Mode.
Was gestern Not war ist heute Mode und sooooo "cool".

Naja, wenn's man's recht besieht wohl doch eine Art
Socio-Darwinism :)))

Jutta


Rudi Zimmerman antwortete am 11.01.02 (17:34):

Hallo Ulrike, liebe Diskussionsgemeinde,
Ulrike, die cih aus einer philosophischen Diskussionsgruppe imNetz kenne, hat mir den Tipp gegeben, mal im Seniorentreff hereinzuschauen und Eurer Sachkompetenz zu nutzen. Hier meine Stellungnahme zu Ulrikes Thema.
Du hast gefragt, wo der Denkfehler liegt, wenn Darwinsche Evolutionstheorie auf soziale, wirtschaftliche und politische Systeme übertragen werden. Aus Deiner Überschrift entnehme ich, dass Dir die Vorgehensweise der Nazis, ihre Rassenlehre mit Darwins Evolutionstheorie zu begründen, auf den Keks geht. Auf diesen Punkt möchte ich hier eingehen.
Zunächst: die Nazis sind ja kein Einzelfall. Es ging ihnen um die Reinhaltung der Rasse, sie wollten eine höherwertige germanische Rasse züchten. Derartige Strömungen gibt es in allen Kulturen auch heute noch. Der Wunsch nach Reinhaltung der Rasse findet man in allen Kulturen, meist jedoch mit religiöser Begründung und unter Vermeidung des Begriffs "Rasse". Die Moslems verbieten Mischehen und verurteilen Christen und deren islamische Partner auch heute noch zum Tode. Bei den Juden ist die Strömung, ihre religiös definierte Rasse rein zu halten, heute wieder besonders stark. Besonders die Völker, die nicht in einem eigenen Staat organisiert sind, wie Kurden, Iren, Basken (und viele andere), benutzen ihre ethnische (gegebenenfalls religiöse) Identität zur Begründung von Morden.
Im Vergleich zum 1000jährigen Reich hat sich die Terminologie etwas geändert, was früher Rasse hieß, heißt nun Ethnik und es wird von ethnischen Konflikten gesprochen, das klingt feiner.
Um als erstes Deine Frage zu beantworten, die ja eine These (dass nämlich ein Denkfehler gemacht werde) impliziert: Ich stimme Dir völlig zu, dass Denkfehler gemacht werden und meine, es sind sogar zwei Denkfehler zu beklagen.
Der erste besteht darin: Die Evolution hat ja gar nicht das Ziel, reine Rassen auf natürlichem Wege zu züchten. Sie vervollkommnet genetisch gespeicherte Daten, bzw. genau gesagt: die Vervollkommnung genetisch gespeicherter Daten ist das Ergebnis der Evolution, wobei ich Evolution als einen Prozess der Auseinandersetzung zwischen dem Überlebenswillen der Daten (phänotypisch gesehen der Individuen) und den Widerwärtigkeiten der Umwelt (Natur) definieren würde (das kann natürlich von anderen anders gesehen werden). Diese Weiterentwicklung der genetisch gespeicherten Daten wird nun aber natürlicherweise nicht durch Reinhaltung von Rassen erreicht, sondern durch Vermischung von Rassen bzw. Eltern. Je verschiedener die Eltern sind, desto größer ist die Variationsbreite von Genen bzw. von äußerlichen Merkmalen und Fähigkeiten in der Tochtergeneration. Und je mehr sich die Individuen der Tochtergeneration unterscheiden, desto größer sind die Überlebensmöglichkeiten.
Beispiel: nehmen wir einen zweigeschlechtlichen Genpool (eine Rasse, ein Volk, einen Staat, eine Gemeinschaft von Individuen, ein Schweizer Bergdorf oder was auch immer). Wenn dieser sich abschottet und nur untereinander kopuliert, kommt es Lauf der Zeit zu geistiger Verkrüppelung (Kretinismus) und anderen Krankheiten (z.B. lebensgefährlicher Bluterkrankheit der europäischen Königshäuser). Im Kleinen nennt sich so etwas Inzucht und ist wegen dieser schädlichen Folgen für die Evolution ja sogar gesetzlich verboten (die Moral ist übrigens immer nur "vorgeschoben"). Inzucht oder Reinhaltung der Rasse führt erfahrungsgemäß also nicht zu einer Höherentwicklung ("Evolution"), sondern zu einer Rückentwicklung, zu einer Verminderung der Überlebensfähigkeit. Wie das biologisch zu erklären ist, überlasse ich den Fachleuten.
Evolution ist – so meine Kurzdefinition - die natürliche Entwicklung in Richtung Verbesserung der Überlebensfähigkeit.
Deshalb sind alle Reinhaltungsideologien widernatürlich. Sie sind dem Bestreben der Natur entgegengerichtet.
Die Konsequenzen meiner Evolutionstheorie sind allerdings für viele Menschen dennoch zunächst erschreckend.
Eine weitere Konsequenz ist nämlich, dass konventionelle Kriege zwischen Staaten ein natürlicher Mechanismus der Natur sind, der der Evolution dient.
Konventioneller Krieg ist (so definiere ich ihn in diesem Zusammenhang) Kampf der Männchen verschiedener Genpoole um den Besitz von Erde und Weibchen. Die Männchen fallen übereinander her und ermorden möglichst viele Gegner. Die Siegermännchen nehmen das eroberte Land in Besitz und befruchten die Weibchen des unterlegenen Genpools (Stamm, Volk, Land usw.).
Dies war selbst noch im 2. Weltkrieg das Schema, allerdings nur noch zum Teil (auch die Methoden waren unterschiedlich, die Russen wählten eher die Vergewaltigung, die Amis die Verführung mittels Geld, jeder benutzt eben das, was er hat oder kann).
Auf der Ebene der Gene (und deren Evolution) bedeutet dieses Verhalten, dass erstens die schwächeren Männchen ausgesondert werden und die stärkeren überleben (Selektion). Aber: das genetische "Material" (die genetisch gespeicherten Daten) der Verlierer wird nicht vollständig gelöscht. Im Gegenteil: durch die Kopulation der Siegermännchen mit den Verliererweibchen findet eine Durchmischung der Genpoole statt, die der Evolution nützt. In dieser meiner Auffassung von Evolution ist der konventionelle Krieg also eine Methode der Evolution. Deshalb löst die Verkündigung einer Kriegserklärung auch euphorische Gefühle aus und vernebelt die Gehirne besonders der Männchen. Der Krieg ist eine natürliche Verhaltensweise von Staaten, die der Evolution nützt.
Dies ist für viele emotional schwer nachvollziehbar, aber für mich eine biologische Tatsache. Ich halte aber nun mal nichts von Theorien, die meine Wünsche erfüllen. Die Natur hat ihre Gesetze, ob wir das gut finden oder nicht.
Nun noch die Konsequenzen der Evolution für das Sozialverhalten. Dies möchte ich auch aus der Sicht meiner Evolutionstheorie schildern, die Evolutionstheorie Darwins kenne ich diesbezüglich nicht so gut.
Der Mensch ist ein gruppenlebendes Säugetier und stammt vom Affenhorden ab. Sein genetisch gesteuertes aggressives Verhalten darf natürlich nur in Kriegszeiten aktiviert werden und muss gegen die artfremden männlichen Individuen gerichtet werden. In Friedenszeiten müssen die Individuen der Gruppe, der Horde, des Stammes, des Volkes oder des Staates möglichst friedlich zusammenleben. Dies setzt ein soziales Verhalten voraus, das sich u.a. darin äußert, dass sich die Gruppenmitglieder gegenseitig helfen. Nur ein Genpool, der friedlich zusammenlebt, kann seine Gene vermischen, Kinder aufziehen, die genetischen Daten vermischen und vermehren (die Bevölkerungszahl vergrößern) und wachsen. Dies allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt, dann müsste wieder ein konventioneller Krieg geführt werden.
Der Wechsel von friedlicher Genvermischung in einem Genpool, Wachstum, Krieg mit dem Nachbargenpool und dann wieder Vermischung des größeren Genpools, ist der natürliche Ablauf der Evolution (bis zur Einführung des Vernichtungskrieges mit Massenvernichtungswaffen). Die Frage, wo das Sozialverhalten (in Friedenszeiten) herkomme, ist also falsch gestellt. Die Frage sollte eigentlich lauten: wie bringen die Gene der Verhaltenswechsel (der Männchen) zustande, wie sind die genetischen Steuerungsmechanismen, die die Männchen in Friedenszeiten zu friedlichen und tüchtigen Vätern (und vielleicht weniger friedlichen Jugendlichen, die um die Weibchen konkurrieren) machen und gelegentlich zur Aktivierung aggressiven Verhaltens führen. (Übrigens ändert sich ja auch das Verhalten des Weibchens, wenn es Mutter wird.)
Meine Frage an die Biologie wäre also:
gibt es Erkenntnisse darüber, ob es Gene gibt, die für Umschaltungen, für Verhaltensänderungen zuständig sind? Wie werden Verhaltensänderungen genetisch gesteuert.
Ich selbst beschäftige mich mehr mit der sozialen Steuerung menschlichen Verhaltens. Das Verhalten des Individuums hängt stark davon ab, welche Verhaltensweisen belohnt und welche bestraft werden. Das Individuum ist sozusagen "süchtig" nach narzisstischer Befriedigung und tut alles dafür, möglichst viel gelobt usw. zu werden und vermeidet (narzisstische) Kränkung, und natürlich auch Schmerzerlebnisse körperlicher Art (Schmerz und Angst schützen vor Gefahren). Glücksgefühle werden durch Endorphine (und wahrscheinlich noch andere Substanzen) vermittelt. Damit wird sozial erwünschtes Verhalten verstärkt usw. Die Psychoanalyse hat sich ja lange nur mit sexuellen Wünschen, die hormonell vermittelt werden, beschäftigt, und erst in den letzten Jahren die narzisstischen Befriedigungsmöglichkeiten in den Blickpunkt gestellt. Die genetische Steuerung des Sexualverhaltens durch Hormonausschüttungen ist ja offensichtlich. Gibt es eigentlich dafür schon Erkenntnisse auf genetischer Basis? Aber das wäre ein anderes Thema. Hier geht es ja um die Erforschung des aggressiven Verhaltens und dessen genetische Grundlagen. Theoretisch ist doch der Zusammenhang zunächst simpel, hat doch das Männchen ein anderes besonderes Chromosom als das harmonische Weibchen. Da gäbe es doch einen Ansatz für genetische Erforschung der Aggressivität.
Das alles bezieht sich auf die genetische Evolution. Diese ist allerdings auch nach dem Ergebnis meiner Philosophie am Ende und wird durch das, was Karl als kulturelle Evolution bezeichnet – ich bezeichne es als Evolution des Geistes – überflüssig gemacht. Deshalb sind z.B. auch Kriege inzwischen nicht mehr nötig.
Insofern fragt es sich, ob sich die Beschäftigung mit genetisch gesteuerten Mechanismen überhaupt lohnt.
(entschuldigt die Länge, in Zukunft werde ich mich kurz fassen)
Grüße von Rudi

(Internet-Tipp: https://www.rudi-zimmerman.de)


Günter Paul antwortete am 14.01.02 (16:13):

Liebe Freunde,
es bereitet mir Unbehagen, diesen Beitrag zu schreiben und zögere deshalb, ihn zu veröffentlichen. Ich sehe im Internet vor allem eine Möglichkeit, Meinungen auszutauschen, abzustimmen und gemeinsame Auffassungen zu finden – also der Verständigung ...., nicht der Konfrontation. Aber Toleranz findet ihre Grenze, wenn Meinungen vertreten werden, die in der Vergangenheit zu verhängnisvollem, zerstörerischem Handeln geführt haben. Leider enthält Rudi Zimmermanns Beitrag solche Meinungen.

Für mich ist es eine unerträgliche Verhöhnung der Opfer von Krieg und Gewalt, wenn ihr leidvolles Schicksal, die ihnen angetanen Demütigungen und Mißhandlungen mit einer Handbewegung als „biologisch begründet“ abgetan werden. Das darf einfach icht unwidersprochen bleiben – ich würde sonst meine Selbstachtung verlieren. Krieg und Gewalt sind gesellschaftliche und nicht biologische Sachverhalte und deshalb gesellschaftlich zu be- und verurteilen (selbst wenn ich einräume, daß in einer Welt in der Krieg und Gewalt leider noch immer normal sind, Gegengewalt unvermeidlich sein kann).

Die „Theorien“, die Rudi Zimmermann vertritt, sind durchaus nicht neu. Sie sind von jeher fester Bestandteil des Sozialdarwinismus und mit ihm schon im 19. jahrhundert entstanden. Ich entsinne mich noch recht gut an meine Schulzeit in den dreißiger und in der ersten Hälfte der vierziger Jahre. Damals wurde uns mit derselben biologistischen Beweisführung beigebracht, daß der Krieg biologisch notwendig und deshalb gut sei. Daß der Autor die Rassenlehre umkehrt und behauptet, es ginge gerade um die Vermischung des Erbgutes, sowie, daß er an die Stelle des „Kampfes um Lebensraum“ (was biologisch noch besser zu begründen wäre) den „Kampf um die Weibchen“ setzt, ist im Ergebnis unerheblich. Der schwache Versuch, seine Aussagen durch die den Alltagstatsachen widersprechende Behauptung abzuschwächen, infolge einer Wende zur „Evolution des Geistes“ werde der Krieg ohnehin überflüssig und – ich unterstelle – verschwinden, ändert an der biologistischen Rechtfertigung von Krieg und Gewalt gar nichts.

Nun zu den biologistischen „Begründungen“. Im Grunde behauptet der Autor, daß überall in der lebenden Natur zur Vermischung der „Genpools“ die „Männchen“ um die „Weibchen“ kämpften. Jeder Biologe und darüber hinaus jeder aufmerksame Beobachter, daß das durchaus nicht überall zutrifft, sondern nur bei eine begrenzten Zahl höherer Wirbeltierarten. In diesen Fällen kommt es auch nur sehr selten zu einem Kampf auf Leben und Tod („Krieg“), sondern zum Verjagen des Rivalen. - Die meisten Kämpfe im Tierreich werden nicht um Weibchen geführt, sondern um Nahrungs- und Brutreviere und auch hier begnügen sich die rivalisierenden Gruppen (oft übrigens gerade weibliche Rudel !) in der Regel darauf, die Grenzen ihres Reviers zu sichern, ohne dem Rivalen darüber hinaus zu schaden. Also weit und breit nichts, was auch nur im entferntesten an Krieg erinnert.

Untersuchen wir die Verhältnisse bei den Pongiden (Menschenaffen) – also unseren nächsten „Verwandten“. Orang Utans sind Einzelgänger oder leben höchstens in kleinen Familien. Kämpfe um Weibchen sind, soweit meine Kenntnisse reichen, nirgends beschrieben worden. Dasselbe gilt für den in kleinen Gruppen lebenden Gorilla. - Nun zu den Schimpansen (Pan satyrus) und Bonobos (Pan paniscus). Hier leben in freier Natur nach zahlreichen Berichten von Beobachtern mehrere Männchen mit mehreren Weibchen zusammen. Die Männchen sichern die Grenzen ihres Streifreviers gemeisam gegen andere Horden und gehen bei den Schimpansen gemeinsam auf Affenjagd (Stummelaffen). Die Beute wird gemeinsam verzehrt, wobei die an der Jagd unbeteiligten Weibchen ihren Anteil bekommen. Die Entscheidung über die Paarung obliegt weitestgehend den Weibchen und wird bei den Bonobos von diesen sogar als friedensstiftende Methode genutzt. Also nicht einmal hier irgendetwas, was die Auffassungen des Autors stützen könnte.

Im kritisierten Beitrag klingt mehrfach an, daß das Verhalten bei Tier und Mensch genetisch bedingt sei. Eine größere Anzahl genetischer Untersuchungen – sie sind mir vor allem aus den USA bekannt – versucht diese Annahme zu rechtfertigen .... bisher erfolglos. „Gene“ sind, wie bekannt, Poly-Desoxy-Ribonukleinsäuremoleküle, die nichts anderes bewirken, als die Codierung von Eiweißmolekülen. Auf Einzelheiten muß ich verzichten, um meinen Beitrag nicht unnötig zu verlängern. Sie wirken also bei der Bereitstellung der qualitativ und quantitativ richtigen Eiweißstoffe für den Organismus mit. Daß es zu Störungen kommt, wenn diese „Gene“ Defekte aufweisen, ist klar. (Vergleichsweise: Fehlt Material, so stagniert der Hausbau oder scheitert ganz). Wie die richtige Verteilung und die Anordnung dieser Eiweißmoleküle zum Organismus erfolgt, kann bisher nur in begrenztem Maße beschrieben und überhaupt nicht erklärt werden. Es ist also ein überzogener Anspruch, menschliches Verhalten aus den Genen erklären zu wollen.

Für heute reicht´s
Gruß von Günter Paul


Rosmarie Schmitt antwortete am 14.01.02 (16:55):

Lieber Günter Paul,

dein Beitrag hat mich tief beeindruckt (und erfreut, weil ich gefühlsmäßig in ähnliche Richtung tendiert habe, aber nicht deine Argumente zur Verfügung hatte). Ich werde ihn mir speichern, und ich danke dir sehr für die viele Mühe, die du dir gemacht hast!

Herzlichen Gruß
Rosmarie


schorsch antwortete am 14.01.02 (17:05):

In der Tierwelt passiert die Auslese nach einem ganz einfachen Prinzip: Was nicht lebensfähig ist (den Umweltbedingungen nicht gewachsen) stirbt. So sorgt die Natur mit eisernem Besen, dass nur die Stärksten überleben und ihre Gene an zukünftige Generationen weitergeben.
Irgendeinmal in grauer Vorzeit hat ein Individuum mit dieser von der Natur vorgegebenen Regel gebrochen - der Mensch. ER hatte die Fähigkeit, nicht nur dank seinen Muskeln zu überleben, sondern auch dank seinem Hirn, das ihn befähigte, einen Muskelprotz auszutricksen. Auch ich profitiere von dieser Evolution - ich würde ja sonst nicht hier vor einem PC sitzen und kluge Worte schreiben.......

Schorsch


Ulrike antwortete am 14.01.02 (17:07):

Liebe Rosmarie,
lieber Paul,

ich habe Rudi auch schon meine Meinung gemailt.

Er wirft viele Begriffe durcheinander. Ich hatte die Hoffnung, dass einige der hier vertretenen Naturwissenschaftler da einiges zurechtrücken könnten.

Viele Grüße
Ulrike


Ulrike antwortete am 14.01.02 (17:35):

Sorry Guenter, der Eifer des Gefechts:-)))

Es muss "Lieber Guenter" heißen.

Bitte entschuldige.

Herzliche Grüße
Ulrike


Felix Schweizer antwortete am 14.01.02 (18:08):

Liebe Teinehmer dieses Forums,

meiner Meinung mit Recht nimmt u.a. Günter den eigenartigen Beitrag von <Rudi Zimmerman> näher unter die Lupe. Auf einige Ungereimtheiten wurde bereits hingewiesen.
Ich empfehle euch vorerst einmal sehr, seine angeführte homepage und die darin enthaltenen Links über die<Philosophie 3000> oder <Die Philosophie lebender Systeme> etc. anzusehen, um seine Denkweise besser kennenzulernen. z.B. nach <https://www.philosophie3000.de> zum Kapitel "AUTO" .. sehr aufschlussreich.

(Internet-Tipp: https://www.philosophie3000.de)


Ulrike antwortete am 14.01.02 (18:56):

Lieber Felix,

dieser Beitrag war mir entgangen.:-) Ich denke nicht, dass Rudi Nazi-Positionen vertritt, sondern die Idee der "Selektion", wenn sie denn überhaupt haltbar ist, eben auf alles und jedes anwendet. Er meint, alles auch unser Denken, sei genetisch festgelegt. Die Determinimusthese ist aber höchst umstritten. Leider operiert Rudi häufig mit Behauptungen, die in keiner Weise bewiesen, sind. Er ist in vieler Hinsicht axiomatisch und setzt etwas als a priori gegeben voraus.


Manfred Franz antwortete am 14.01.02 (19:56):

Danke, Günter Paul!
Auch mich hatte der Zimmermannsche Beitrag einigermaßen schockiert. So gut begründet und ausführlich konnte ich natürlich nicht antworten, weil ich 1. kein Biologe bin und 2. mein "Dampf-Compu" nicht so lange Beiträge zulässt. Aber es freut mich, dass es (bisher wenigstens) noch keine Zustimmung zu Rudi Z´s. Beitrag gab. Sicher ist die Kultur und die sie erfordernde Friedfertigkeit und Toleranz eine herausragende Eigenschaft der Menschen, wenngleich auch schon in früheren Entwicklungsstufen angelegt und damit auch ererbt. Auf primitive, dazu völlig unbegründete, nur auf angeblichen wissenschaftlichen Beweisführungen basierenden Hassorgien, sollten sich Menschen niemals einlassen, die diesen Namen verdienen.


Rudi Zimmerman antwortete am 14.01.02 (22:05):

Liebe Diskussionsgemeinde,
zunächst möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich mich auf diese Art geäußert habe ohne daran zu denken, welche Gefühle ich damit auf dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen auslösen könnte, (bisher war ich in Diskussionsgruppen junger Leute). Den Reaktionen entnehme ich aber auch ein Missverständnis.
Was den Krieg anbetrifft, besteht mein Bedürfnis darin, die Frage zu beantworten, wie es kommt, dass sich vernunftbegabte Individuen gegenseitig massenhaft umbringen. Meine Erklärung ist, dass es Situationen gibt, in denen Menschen, die in "Staaten" (in einem Systemen höherer Ordnung) zusammenleben, Entscheidungen treffen, die nicht auf rationalen Entscheidungen beruhen sondern auf genetisch gespeicherten Handlungsschemata, die in diesem Fall spezifisch menschlich sind. Diese Idee kommt daher, dass "Evolution" nicht die Entwicklung von Individuen ist, sondern von Arten, und dass Individuen lediglich ein Mittel der Evolution sind. Für die Gräueltaten des 2. Weltkriegs mache ich also nicht die Individuen verantwortlich, die Derartiges (Judenvernichtung, Bombardierung Dresdens oder Hiroshimas) befohlen, ausgeführt und geduldet haben, sondern ich halte derartige Taten für Handlungen einer "höheren" Einheit (eines Staates), die im Endeffekt für der Evolution nützen. Es ist doch so, dass die Evolution auf Individuen gar keine Rücksicht nimmt. Ob von der Tochtergeneration eines Frosches 1000 Kaulquappen sterben (und nur 3 überleben), ist der Evolution egal (und auch uns, obwohl das ebenfalls Tode von Individuen sind), wie es ihr auch gleichgültig ist, ob bei einem Stellungskrieg 1000 Soldaten sterben und nur 3 überleben. Die Produktion von Individuenüberschuss und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod der Individuen, der von der Evolution vorprogrammiert ist, hat mich auf den Gedanken gebracht, dass auch der Krieg ein Geschehen ist, dass eine Funktion im Rahmen der Evolution hat, also ein Naturgeschehen ist.
Das gesellschaftlich-soziale Erklärungsmodell halte ich für eine Rationalisierung des typisch menschlichen Destruktionstriebes, den man sonst nicht im Tierreich findet. Die führende und am weitesten entwickelte Nation unserer Zeit zeigt ihre Vormachtstellung doch durch die brutalsten Massentötungen der letzten Zeit (Atombombenabwürfe 1945, Vietnamkrieg usw.)
Wenn man Massentötungsaktionen als gesellschaftliche Vorgänge von biologisch begründeten abgrenzen will, ergibt das für mich leider keine Erklärung dafür, dass geistbegabte und kulturell auf oberstem Niveau befindliche Wesen, kinderliebe Familienväter und völlig "normale" Menschen, die friedlich zusammenleben, ihr Hirn dazu benutzen, Waffen zu produzieren und Handlungen zeigen, die einen solchen aggressiv-zerstörerischen Charakter haben wie die Judenvergasung, die Hexenverbrennungen, die Ausrottung der Indianer Nord- und Südamerikas usw. usw. usw..
Meine Überzeugung, dass dies biologisch gesteuerte Verhaltensweisen sind, sind natürlich schwer zu belegen, weil ich nicht sagen kann, wie es die Gene tatsächlich zustande bringen, das Verhalten des Individuums so zu steuern, dass es dem System höherer Ordnung nützt, in dem sie leben. Ich weiß nur, dass derartige Verhaltensweisen nicht rein nerval (von Hirn und Nerven) gesteuert sind, sondern über "Hormone" vermittelt werden (Sexualtrieb). Ich vermute, dass auch das Sozialverhalten in Friedenszeiten, die Nächstenliebe, biologisch gesteuert ist, da es/sie ja ein nützliches Verhalten für das Überleben und die Vergrößerung des Gesamtsystems ist. Hierfür mache ich beim Menschen narzisstische Belohnungssysteme verantwortlich, die über Ausschüttung von Endorphinen wirken. Sozial erwünschtes Verhalten wird belobigt, bringt narzisstischen Gewinn und wird auf diese Weise verstärkt. Auch hier wäre der letzte Schritt im Individuum ein chemischer.
Daher meine Frage an die Biologen und Genetiker: wie wird denn das "Sozialverhalten" der Bienen oder Ameisen gesteuert? Hier verhalten sich die Individuen doch auch ohne die Möglichkeit eines denkenden Hirns sozial (natürlich nicht nur), ordnen sich der Gemeinschaft unter.
Mit bedauernden Grüßen
rudi


Barbara antwortete am 15.01.02 (00:35):

Ich bin schockiert:

Eigenverantwortung können wir vergessen; schuld sind die Gene . . . .

Danke Günter
Barbara


Wolfgang antwortete am 15.01.02 (02:28):

Wir sind keine Bienen und auch keine Ameisen... Es ist mehr als peinlich, solche Ausführungen zu lesen. Menschen sind Menschen deswegen, weil sie Verantwortung für sich und für andere tragen und ihnen dieses bewusst ist. Morde - egal, welcher Art - sind individuell und, unter bestimmten Umständen, auch kollektiv zu verantworten.

All den ganzen Unsinn, Rudi Zimmermann, den Sie verzapfen, werden Sie nicht naturwissenschaftlich begründen können. Selbst Faschisten haben Ihre Theorien schon besser gerechtfertigt. Aber die hatten auch nicht recht, und man hat sie Gott sei Dank in ihre Schranken verwiesen.

(Internet-Tipp: https://www.shoah.de/shoah/index1.html)


Karl antwortete am 15.01.02 (09:36):

Ich habe im Moment wenig Zeit, möchte aber kurz auf einiges antworten.

Zu Schorsch: Du hast das Darwinsche Prinzip "survival of the fittest" mit "Überleben des Stärkeren" gleichgesetzt. Das ist falsch und zwar nicht erst seit dem Menschen (s. meinen Beitrag weiter oben).

Zu Rudi: ich habe sehr wohl auch Deinen letzten Abschnitt im ersten Beitrag gelesen, in dem Du sagst, dass in der kulturellen evolution Kriege nicht mehr notwendig sind. Ich würde sagen, Kriege sind zu überwinden und andere Problemlösungen müssen den absoluten Vorrang erhalten.

Allgemeine Bemerkung: Als Genetiker weiß ich, dass wir ohne unsere Gene nichts wären, aber auch, dass unsere Gene uns nicht vorschreiben, wie wir uns heute in konkreten Situationen entscheiden werden. Selbst unter Kollegen stelle ich oft gravierende Missverständnisse fest. Ich werde meine Sicht der Dinge hier gern etwas ausführlicher erläutern - zu einem späteren Zeitpunkt.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Günter Paul antwortete am 18.01.02 (11:11):

Liebe Freunde,

Rudi Zimmermann will die Frage beantworten, „wie es kommt, dass sich vernunftbegabte Individuen gegenseitig massenhaft umbringen“. - Die Fragestellung ist berechtigt, zumal etwas dementsprechend Sinnloses in der Organismenwelt sonst nicht vorkommt. Wenn Kaulquappen „massenhaft“ Episiten (Räubern) zum Opfer fallen, so doch, weil sie ihnen als Nahrung dienen, und nur, solange die Räuber Hunger haben. Ist dieser gestillt, so hört das Fressen auf. Den Sinn dieses Verhaltens brauche ich nicht ausführlich zu begründen. Er ergibt sich aus dem einfachen Sachverhalt, daß die lebende Natur so organisiert ist, daß nur ein begrenzter Kreis autotropher Lebewesen anorganische Stoffe in organische umzusetzen vermag, die dann von der ganzen Vielfalt lebender Wesen genutzt werden. Das geht nun einmal nicht ohne „maßvolles“ Fressen. (Vgl. meinen Beitrag unter „Evolution II“). Entsprechende Verhaltensweisen („maßvolle“) finden wir auch bei Völkerschaften, die dem menschlichen Urzustand nahe sind.

Desto erstaunlicher die widersinnige Verwüstung der Natur durch „moderne“ Menschen, um Güter zu erzeugen, die dann auf den Märkten nicht absetzbar sind und wieder vernichtet werden, um für den Rest die Preise hoch zu halten – Grund für die ökologische Krise, in die die Menschheit hineinschlittert. Und ebenso unverständlich die anhaltenden Bombardements afghanischer Dörfer, nachdem die Taliban besiegt und Osama Bin Laden unauffindbar ist. Tote über Tote ohne Sinn und Verstand. Sind die Menschen heute wirklich „vernunftbegabter“ als früher und wenn nicht – warum nicht? .... Auf eine zwischenzeitliche Veränderung der genetischen Ausstattung gibt es keinerlei Hinweise.

Rudi Zimmermann führt solche widersinnigen Verhaltensweisen darauf zurück, daß sie „nicht auf rationalen Entscheidungen beruhen, sondern auf genetisch gespeicherten Handlungsschemata, die in diesem Fall spezifisch menschlich sind“. Er bleibt allerdings die Auskunft schuldig, wie diese „Handlungsschemata“ „genetisch gespeichert“ werden. In meinem Beitrag vom 14.01.2002 habe ich darauf hingwiesen, daß die „genetische Speicherung“ in Desoxyribonukleinsäure-Molekülen erfolgt. Das sind Makromoleküle bestehend aus 4 aromatischen Basen (Adenin, Guanin, Thymin, Cytosin), die untereinander durch den Zucker Desoxyribose und durch Phosphorsäure verbunden sind. Die Speicherung erfolgt durch wechselnde Anordnung der vier oben genannten Basen und codiert (verschlüsselt) ausschließlich die Primärstruktur von Eiweißmolekülen (Proteinen), die für den Aufbau der Zellen des Organismus notwendig sind. Bei den Genen handelt es sich also um eine Art Schablonen (Matrizen) für die Anordnung der Aminosäuren in den Protein-Molekülen. Mehr leisten sie nicht (von ihrer eigenen Reproduktion und der Codierung ihrer eigenen Ribonukleinsäure-Kopien abgesehen). Wie es dann zu einer Speicherung von Handlungsschemata kommen soll, ist unklar. Versuche, eine Vererbung menschlicher Verhaltensweisen auf genetischem Wege nachzuweisen, waren bisher erfolglos, so daß Verhaltensforscher dazu neigen, Umweltbedingungen, insbesondere der Erziehung, die entscheidende Bedeutung zuzuweisen.

Daß spezifisch menschliche Verhaltensweisen genetisch verankert sind, ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil der Unterschied zwischen dem menschlichen und Säugetier-Genomen minimal ist. Die Genome von Menschen und Schimpansen unterscheiden sich nur um etwa 1 %.

Und dann kommt es noch einmal ganz schlimm. „Diese Idee kommt daher, dass "Evolution" nicht die Entwicklung von Individuen ist, sondern von Arten, und dass Individuen lediglich ein Mittel der Evolution sind. ... Für die Gräueltaten des 2. Weltkriegs mache ich also nicht die Individuen verantwortlich, die Derartiges (Judenvernichtung, Bombardierung Dresdens oder Hiroshimas) befohlen, ausgeführt und geduldet haben, sondern ich halte derartige Taten für Handlungen einer "höheren" Einheit (eines Staates), die im Endeffekt für der Evolution nützen.“ ........ Damit spricht der Autor den menschlichen Individuen die Verantwortung für ihr Handeln ab. Sie sind für ihn offenbar nur eine Art „Roboter“, denen ihr Verhalten einprogrammiert worden ist. Man darf sie dann auch nicht für ihre Taten und Untaten zur Verantwortung ziehen. Ich weiß nicht, ob der Autor sich der Tragweite seiner Aussagen überhaupt bewußt ist. Auf jeden Fall ist er das Musterbeispiel eines Sozialdarwinisten.

Ich maße mir nicht an, das menschliche Wesen „auf die Schnelle“ erklären zu wollen. Aus meiner Sicht nur soviel: Ich halte uns Menschen für „exzentrische Wesen“ im Sinne des Göttinger Philosophen und Soziologen Helmuth Plessner (1892 – 1985). Wir sind in der Lage uns in vielfältige (vielleicht sogar beliebige) Ökosysteme (Geo-Biozönosen) zu integrieren. Dafür sind wir von vornherein in überhaupt kein bestimmtes Ökosystem (als unserer „Mitte“) integriert. Wir müssen „unsere Mitte“ – unseren Lebensmittelpunkt - erst nach unserer Geburt suchen und finden. In Verbindung damit prägt sich auch unser Verhalten. - Den Sinn dieser menschlichen Besonderheit sehe ich darin, daß wir Menschen innerhalb unserer Welt eine ordnende Funktion besitzen (, die wir allerdings gegenwärtig selbst infrage stellen – s.o.). Wir tragen Verantwortung für die Welt, in der wir leben – und zwar unbegrenzt – und wir erkennen diese Verantwortung („Gewissen“). Dem stehen die begrenzten Kräfte und Möglichkeit des menschlichen Individuums gegenüber. Den Widerspruch zwischen beidem können wir nur in unserer menschlichen Gemeinschaft („gesellschaftlich“) lösen. - Um diese Lösung geht es mir und dafür trete ich ein.

Herzliche Grüße von
Günter


Ulrike antwortete am 18.01.02 (13:33):

Lieber Günter,
es ist doch ganz klar, Rudis Theorien sind völlig amoralisch und platt positivistisch.
Er untersucht komplexe historische Vorgänge nicht im einzelnen, weil er die ganze Geschichte der Menschheit in krass vereinfachender Weise biologistisch (pseudobiologisch) als Evolutionsprozeß sieht. Die Idee der "Evolution" scheint hier schon theologische Züge anzunehmen, da gleichgültig, was dabei herauskommt, es bedeutet Fortschritt.
Eine Antwort darauf, wieso die Greueltaten der Nazis und die sinnlosen Bombardierungen deutscher Großstädte der Evolution nützten, bleibt Rudi schuldig. Der Abwurf der Atombombe über Hiroshima hat allenfalls den Amerikanern genützt, da sie den Krieg mit Japan schneller beendete.

Die Tatsache, dass der Mensch als einziges Wesen Willensfreiheit und Entscheidungsfreiheit besitzt und moralische Entscheidungen fällen kann, scheint Rudi nicht bewusst. Er spricht zwar von "Vernunftbegabung", hat aber keine Vorstellung davon, was das bedeutet.
Wie hanebüchen seine Theorien sind, zeigt sich auch an seiner Behauptung, nur Staaten brächen Kriege vom Zaun. Bin Ladens Terrorkrieg, Guerillakriege und Bürgerkriege kommen bei ihm nicht vor.
Ich schätze mal, er hat sich mit seinem Projekt, eine Philosophie für das 3. Jahrtausend zu kreiren, etwas übernommen.

Herzliche Grüße
Ulrike


rudi zimmerman antwortete am 18.01.02 (17:30):

Liebe Diskussionsgemeinde,
Ulrike fragt: "wo liegt Eurer Meinung nach der Denkfehler, wenn die Darwinsche Evolutionstheorie auf soziale, wirtschaftliche und politische Systeme der Menschheit übertragen wird?"
Damit unterstellt sie einen Denkfehler, der in meinen Augen tatsächlich nicht existiert. Sie (und einige von Euch) macht m.E. einen Denkfehler, wie ich Euren Antworten entnehme.
Die Evolution entwickelt nicht Individuen, sondern Arten. Dies ist Darwins Erkenntnis, die ich akzeptiere und die Ulrike anscheinend anzweifelt. Wir als Individuen sind der Evolution gleichgültig, die Arten sind ihr wichtig. Die Individuen werden dem Wachstum, dem Bestand und der Entwicklung der Art geopfert, das ist ihre Funktion in der Evolution.
Das wäre alles bedeutungslos und nicht erwähnenswert, wenn nur der nächste Schritt nicht auf uns zukommen würde:
Arten werden nicht nur entwickelt, sondern auch vernichtet. Die Menschheit hat sich als Fehlentwicklung der Natur erwiesen (wenn sie so weitermacht wie bisher) und die Evolution ist dabei, sie zu eliminieren.
Unseren Verstand benutzen wir derzeit dazu, die Produktion überflüssiger Konsumgüter zu vermehren (wie auch Günter Paul zugibt) und vermehren uns zusätzlich (global). Leider denken wir nur an unsere menschlichen sozialen Systeme (Ulrike, s.o.), und nicht an die der Pflanzen und Tiere. Damit entziehen wir uns (der Art Mensch) unsere Lebensgrundlage auf der Erde. Wenn wir diesen Ablauf der Evolution stoppen und überleben wollen, müssen wir unseren Konsum einschränken und Menschenzahl auf der Erde selbst beschränken.
Dazu müssten wir jedoch zunächst begreifen, dass die Evolution nicht das Verhalten der Individuen steuert (uns lässt sie Freiheiten), sondern das Verhalten der Sozialsysteme. Sie entwickelt Arten (also lebende Systeme höherer Ordnung, wie ich es in meiner Philosophie nenne) .
Wie die Evolution das macht, müssen Fachleute und Wissenschaftler aufklären. Ich kann Euch nicht sagen, wie die Gene die Information "große Nase" in die Gesichtsmitte transportieren, um es mal salopp auszudrücken, genauso wenig weiß ich, wie sie den Verstand des Menschen abschalten, wenn es darum geht, dass er etwas für die Art tun muss (Vermehrung, Opferung im Krieg). Allerdings helfen dabei die Rechtssysteme der Menschen kräftig mit (Disziplinierung sozial störenden Verhaltens mit Geld- und Freiheitsstrafen, extrem: Todesstrafe bei Fahnenflucht).
Und anscheinend versperrt der Einfluss der Gene den Blick des Menschen auf die langfristigen Folgen und steuern unser Denken über Gefühle: wir sehen nur die Genüsse und Freuden, die wir jetzt haben und verleugnen die langfristigen Folgen für die Menschheit. Diese Bindung unserer Wahrnehmung an die Kurzfristigkeit unseres Lebens müssen wir ändern. Die Gene haben unser Denken und Handeln nur für kurzfristige und egoistische Zwecke programmiert und auch unsere Freiheiten kurzfristig angelegt. Dies ist der Grund dafür, dass die Menschheit schon heute pro Tag eine Tier- oder Pflanzenart ausrottet und es aus Sicht des Systems Erde Zeit wird, dass sie selbst zugrunde geht. Von unseren genetisch beschränktem egoistischem (Individual- und Art-) Denken (und Wünschen) sollten wir uns befreien und das System Erde im Auge haben.
Ich kann als Philosoph nur Ideen liefern. Begründungen und Beweise muss die Wissenschaft finden. Da hatte ich mir aufgrund Eurer Kompetenz und Erfahrung mehr erhofft, aber auch Eure emotionalen Reaktionen haben mich weitergebracht, deshalb vielen Dank. Mal sehen, es ist ja noch nicht aller Tage Abend und solche kurzen Mitteilungen sind immer unvollständig (Ich bin dabei, dieses Thema ausführlich zu bearbeiten, das braucht dann aber einen anderen Rahmen). Dass ich mich mit meinem Anspruch übernommen habe, da mag Ulrike recht haben. Aber oft kommt Hilfe, wenn man gar nicht mehr mit ihr rechnet.
Grüße von
rudi


Karl antwortete am 18.01.02 (19:32):

Lieber Rudi,

wenn Du sagst "Die Evolution entwickelt nicht Individuen, sondern Arten." liegst Du falsch. Die "Art" ist ein Konstrukt unseres Denkens. In der Natur gibt es keine gut definierten Artgrenzen, es gibt Populationen und Genpools. Die Einheit der Evolution ist das Gen, nicht das Individuum und erst recht nicht die "Art".
Gut beschrieben bei Dawkins "Das egoistische Gen" (s. Link). Lesenswert ist auch "Warum es sich lohnt, gut zu sein"
https://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3548358322/derseniorentimin
Ich habe meine Studentenzeit in einer Zeit verbracht (späte 60er, frühe 70er Jahre), in der es bei einer Party "tödlich" sein konnte, den Standpunkt zu vertreten, die Biologie habe einen Einfluss auf unser Verhalten. Ich habe damals wie heute immer den Standpunkt vertreten, dass wir von unseren biologischen Bindungen nur dann, wenn überhaupt, eine Chance haben freizukommen, wenn wir diese Bindungen kennen.
Heute leben wir in einer Zeit, in der es eher dem Zeitgeist entspricht, unsere Abhängigkeit von den Genen zu betonen. Ich plädiere nicht für ein wissenschaftlich unhaltbares entweder - oder, sondern plädiere für ein unverkrampftes "sowohl als auch". Wir sind das Produkt von Erbe und Umwelt (nicht die Summe!), wir wären nichts ohne das eine oder das andere.
Der Volksmund sieht das schon richtig "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm", aber auch, "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" (betont also auch die Bedeutung der Umwelt, besonders der kindlichen Erfahrungen für die Ausbildung des Charakters).
Wir sind nicht die Sklaven unserer Gene (sie zwicken und zwacken uns schon einmal ganz arg), aber letztlich entscheidet unser Gehirn und nicht die Gene darüber, was wir tun. Die Entwicklung unseres Gehirns benötigt natürlich die Gene, auch seine Funktion, aber das genetische Entwicklungsprogramm übergibt den Staffelstab zum weiteren Bau am Gehirn dann dem Gehirn selbst, welches ausgestattet mit der angeborenen Fähigkeit zu lernen, sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt ständig weiterumbildet. Das ist keine Phantasterei, sondern Fakt. Lernen bedeutet auf dem Niveau der Nervenzellen Wachstum, manchmal allerdings auch Zelltod oder zumindest den Rückzug einzelner Verzweigungen.
Wir sind für uns selbst verantwortlich und in der Lage überkommene Verhaltensmuster zu hinterfragen und zu korrigieren. Wir sind (wie auch andere Primaten in beschränkterem Umfang) in der Lage, aus Einsicht zu lernen, d.h. wir müssen nicht mehr in den Brunnen fallen, um zu lernen, dass das weh tut, sondern wir können diese Gefahr "im Kopf" voraussehen.
Wir sind in der Lage uns zu fragen, wozu es führt, wenn wir Resourcen ausbeuten, wir die Waffentechnologie auf die Spitze treiben etc.

Wir kommen zu unterschiedlichen Schlüssen, manchmal, weil wir unterschiedliche Ausgangsinformationen haben, aber auch, weil sich unsere Gehirne unterscheiden, wir nicht alle "gleich ticken" (keine Wertung!) (aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und unterschiedlicher "Veranlagung"). Für Diskussionsstoff ist also auch weiterhin gesorgt.

Beste Grüße in die Runde,

Karl

(Internet-Tipp: https://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499196093/derseniorentimin/)


rudi zimmerman antwortete am 19.01.02 (09:40):

Lieber Karl,
herzlichen Dank für Deine sachlichen Einwendungen.
Ich gehe mit Dir konform, dass dir "Art" eine Konstruktion ist. Ich selbst verwende ja auch in meiner Philosophie einen anderen Begriff, nämlich lebendes System höherer Ordnung, und meine damit bezogen auf den Menschen Horden, Vereine, Betriebe, Völker, Staaten usw. (das ist natürlich auch eine Konstruktion). Bisher habe ich mich nur mit dem System Staat beschäftigt (und natürlich mit dem System Mensch), weil mir das am dringlichsten schien. Der Mensch hat die Fähigkeit Grenzen zu ziehen, ohne diese Grenzziehung wäre ja keine Wissenschaft möglich. Er zieht sie für sich, auch auf höherer Ebene (Staaten) und auch, wenn er sich wissenschaftlich betätigt. Naturwissenschaft geht aber auch dann Irrwege, wenn sie von moralischen Vorurteilen ausgeht. Deshalb bemühe ich mich, die Handlungen des Systems Mensch und des Systems Staat wertfrei, neutral, ohne moralische Wertung zu betrachten, was mir dann den Vorwurf einbringt, ich würde Kriegsverbrechen entschuldigen.
Die wesentlichen Gründe, die in den Untergang der Menschheit führen, sind jedoch nicht die Verhaltensweisen im Kriegszustand (wenn es nicht die Atombombe gäbe), sondern sein Verhalten im Frieden. Da können wir die Menschen auf der Erde in zwei Lager teilen. Die reichen und die armen Länder. Bei beiden sehe ich Verhaltensweisen, die meines Erachtens genetisch gesteuert sind und die aber abgestellt werden müssen. Wenn ich nicht der Überzeugung wäre, der Mensch, und zwar das System Mensch, das nicht nur aus seinen genetischen, sondern auch aus seinen geistigen und noch anderen Komponenten besteht, könne dies, würde ich schweigen.
Die Fehlverhaltensweise der Individuen der reichen Länder besteht darin, das sie ihre Konsumwünsche (noch) nicht selbst steuern können. Diese sind anscheinend unersättlich. Ist ein Wunsch befriedigt, kommt der nächste. Dieses Bedürfnis, immer mehr haben zu wollen, ist m.E. genetisch bedingt. Es treibt die Wirtschaft zu immer weiterem Wachstum an, die diese Bedürfnisse aus Profitinteresse noch fördert. Es (dieses Bedürfnis) ist zu einer Wachstumsideologie verfestigt worden, die den Charakter einer Religion hat. Kritik an der Wachstumsideologie ist ein Sakrileg. Bei den armen Ländern ist es der Sexualtrieb, dessen Befriedigung ja nichts kostet, der aber zu immer weiterer Bevölkerungszunahme auf der Erde führt, dessen genetische Steuerung wohl klar ist (wo aber auch nicht klar ist, warum dort trotz "Pille" keine Einschränkung erfolgt). Beides zusammen genommen führt zu einem Kollaps des Systems Erde und dem Untergang der Menschheit, der uns nicht egal sei kann.
Eine Umkehr kann nur erreicht werden, wenn wir auf Konsum verzichten und die armen Länder auf Vermehrung. Ich mache aber auch hier Niemandem einen Vorwurf. Ich verurteile nicht unsere Konsumgesellschaft und auch nicht das Sexualverhalten in den armen Ländern, weil es ja verständlich, nachvollziehbare Verhaltensweisen sind. Dies sind Folgerungen aus meiner Philosophie, die keinen Anspruch auf Originalität haben. Eigentlich weiß das jeder (vermute ich). Nur, es tut keiner etwas dagegen. Warum? Weil das Denken des Menschen dazu da ist, sein Überleben zu "Lebzeiten" zu optimieren. Das Individuum kann sein Verhalten nicht (oder nur sehr schwer) steuern im Hinblick auf Ereignisse, die nach seinem Tod eintreten könnten. Die aufgezählten Schwierigkeiten des Steuerungsvermögens (Konsumwunschbegrenzung, Kinderzahlbegrenzung, kurzfristiges Denken) sind Resultate des Einflusses der Gene auf unser Fühlen, Denken und Handeln. "Ich habe damals wie heute immer den Standpunkt vertreten, dass wir von unseren biologischen Bindungen nur dann, wenn überhaupt, eine Chance haben freizukommen, wenn wir diese Bindungen kennen." Diesen Satz kann ich nur unterstreichen. Für mich war es übrigens ein langer Weg, zu dieser Einsicht zu kommen.
Ich finde, wir sollte uns bei der Frage treffen, was wir gegen diese genetischen Einflüsse auf unsere Handlungsfreiheit tun können, oder sollen wir resignieren?
Viele Grüße in die Runde
rudi


schorsch antwortete am 20.01.02 (11:42):

Nein, wir brauchen nicht zu resignieren. Denn die Wissenschafter sind mit Hochdruck daran, den Menschen vollkommen zu machen - jedenfalls das, was SIE darunter verstehen. So werden denn wohl unsere Kindeskinder dereinst mit denjenigen Genen versehen werden, die den betreffenden Menschen (?) zu dem machen, was gerade benötigt wird: Zu Führern und Planern mit einem überdimensionierten Denkapparat, zu Handwerkern mit überdimensionierten Händen und zu Sklaven, die alle Anderen bedienen müssen ohne zu murren. Diese Kategorien lassen sich dann nicht mehr untereinander kreuzen, so dass es auch keine Rassen- (Kasten-)Vermischungen mehr geben wird.

Schorsch


Felix Schweizer antwortete am 21.01.02 (00:12):

Lieber Karl,

ich bin den Ideen von Richard Dawkins etwas nachgestiegen. Einer seiner Aussagen: Der Körper eines Idividuums sei ... etwas überspitzt gesagt ... lediglich da, um die Geninformationen zu erhalten und weiterzuverbreiten, kam mir sehr bekannt vor. Zu einem ähnlichen Schluss kamen wir in den 60er-Jahren anlässlich eines Kolloquiums am Zoologischen Institut in Basel. Allerdings war die Formulierung eher so:
Die Beobachtung der Biosphäre lässt die Vermutung zu, dass die aufwenige Ausformung des Körpers und das unheimlich komplexe Verhaltensrepertoire keinen andern Zweck haben, als die Keimbahn weiterzuführen. Falls dies wirklich der einzige Sinn des Lebenden sein sollte, könnte man auch keinen übergeordneten Sinn im Ganzen sehen.

Noch eine Bemerkung zu Egoismus & Altruismus:

Ein häufiges Missverständnis: Unsere Veranlagung lässt kein selbstloses Handeln zu. Auch ein Verhalten, das aufopfernd ist z.B. erfolglose Rettung aus einem brennenden Haus, hat eine egoistische Komponente. Wenn ich jemandem etwas schenke, befriedige ich mich selber damit. Sogar ein Märtyrer, der sich im heiligen Krieg in die Luft sprengt oder ein Welterlöser, der sich kreuzigen lässt ... erfüllt egoistische Ziele.
Klarer wäre es, asozialen von sozialem Egoismus zu unterscheiden. Auch bei der Frage nach genetischbedingten Verhaltensmustern, die im Laufe der Evolution selektioniert wurden ist es widerspruchsfreier, wenn wir den selbstlosen Altruismus ausklammern können.
Das wird vermutlich vielen Mitmenschen nicht gefallen, dass das vermeintlich Gute im Menschen bei genauerer Betrachtung eine soziale Form der Selbstbefriedigung ist. Von der gesellschaftlichen Wirksamkeit aus ist dieser Art von Befriedigung der Vorzug zu geben.


Ulrike antwortete am 21.01.02 (12:00):

Hallo Felix,

zu Egoismus und Altruismus:

Ich habe kürzlich im Netz die Ethikvorlesung eines amreikanischen Philosophieprofessors verfolgt, der genau dieses Thema behandelte. Er führte Mutter Theresa als Beispiel an und stellte die Frage, ob sie und auch andere Christen, die altruistisch handelten, nicht letztlich "egoistisch" handeln, da sie sich für ihr Handeln einen Platz im Himmel ergattern wollen. Prof Hinman trennte dann aber zwischen "Handlung" und "Resultat", d.h., ein Altruist kann sich nicht von vorneherein sicher sein, dass sein Handeln gute Resultate erzielt und er dann in die Schlagzeilen kommt z.B., also gibt es rein altruistisches Handeln, das für den Betreffenden schädlich sein kann. Zudem führte Hinman die Feuerwehrleute, die beim Brand des WTC ihr Leben aufs Spiel setzten, an. Sie waren sicher nicht alle Christen und haben bei ihrem Einsatz daran gedacht, im Todesfall durch ihren Einsatz das ewige Leben zu erringen. Hinman zitiert weiter den Fall des Soldaten, der im Krieg eine Granate zündet, sich selbst dadurch in die Luft sprengt und damit eine Gruppe Kameraden rettet. Also denke ich, es gibt genuines altruistisches Verhalten frei von egoistischen Regungen.

Gruß
Ulrike


schorsch antwortete am 21.01.02 (13:13):

Meiner Meinung nach handeln zumindest jene Missionare verwerflich, die meinen, je mehr "verlorene Seelen" sie unserem Herrgott bekehren können, desto mehr Pluspunkte bekommen sie in ihrem Christenbüchlein, das Petrus oder ein anderer Heilger im Himmel über sie führe. Ich rede hier nicht von jenen christlichen Helfern, die als ihr Lebenswerk das Helfen betrachten und das Bekehren nur als angenehme Begleiterscheinung.

Schorsch


Felix Schweizer antwortete am 21.01.02 (23:04):

Hallo Ulrike,

Ich präzisiere:
Der Begriff "Egoismus" ist negativ belegt. In der Regel wird er für die unerwünschte Eigenschaft gewisser Mitmenschen verwendet, die nur an sich denken.
Wir müssten für den Antrieb oder Motivation, die uns zum Handeln bewegt einen besseren Ausdruck verwenden.
Wie wäre es mit diesem Versuch:
Der Antrieb zu einem Verhalten entspricht einem Bedürfnis. Die Intension, die zur Erfüllung dieses Bedürfnisses führt, ist eine Befriedigung (z.B. Spannungsabbau, heben des Selbstwertgefühls etc.)
Wenn z.B. eine Mutter (oder auch ein Muttertier) das eigene Leben in Gefahr bringt, um ihr Kind (ihre Brut) zu retten oder zu verteidigen ist das eine sozialrelevante Verhaltensweise. Von der Motivation her bleibt es aber ein Verhalten, das dem stärkeren Verlangen entspricht.

Ich verweise darauf, dass dieses Thema im Forum nun einen eigenen Platz erhalten hat. Ich werde diesen Beitrag auch dort unterbringen.


schorsch antwortete am 24.01.02 (12:18):

Meldung diese Woche in der grössten Tageszeitung der Schweiz (kein Witz von mir!): Das Y-Chromosom, das den Mann zum Manne mache, sei seit einigen Generationen am Schrumpfen. Wenn das weiter so zu- resp abnehme, dann gebe es in absehbarer Zeit keine Männer mehr.
Gut, gibts diese Gefrierschränke, wo man einiges, das zum Weiterbestehen der Menschheit nötig ist, einfrieren und auf Lager legen kann!

Schorsch

Quelle: BLICK-Zeitung. Schreiber besagter Meldung: Helmut Ograjenschek.