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THEMA:   Die Entzauberung der Seele?

 24 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 14.01.01 (12:09) mit folgendem Beitrag:

Beim Stöbern im Internet nach den Begriffen "Willensfreiheit, Neurobiologie", "freier Wille, Neurobiologie" bin ich auf interessante Quellen gestossen, z.B. auf das im folgenden anklickbare Sendeprotokoll des Radio Bremen, in dem namhafte Neurowissenschaftler zu Wort kommen.

Wer hat Interesse, das hier zu diskutieren?

(Internet-Tipp: https://www.radiobremen.de/rb2/wissenschaft/1999/w990906.htm)


Heidi antwortete am 14.01.01 (15:20):

Sehr interessantes Thema, Karl!

100 Billionen Synapsen haben zunächst Erschrecken an mein Bewußtsein geschickt :-). War aber zum Ende des Textes wieder beruhigt.
Als Laie habe ich sicher nicht alles verstanden, was in diesem Script steht aber genug um mir mit meinem bereits vorhandenen Wissen eine Meinung bilden zu können.

1. Es ist gut und notwendig, dass die Erforschung des menschlichen Gehirns und dessen Funktionen weiter betrieben wird und zwar interdisziplinär! - Natürlich besteht auch hier - wie bei allen wissenschaftlichen Forschungen - die Gefahr des Missbrauchs. Für mich persönlich stehen die Ergebnisse für die Medizin im Vordergrund und ohne diese Forschung gäbe es so manches wichtige Medikament, manches Diagnostik-Verfahren und manche Therapiemöglichkeiten heute nicht.

2. Für gefährlich halte ich die These, dass unser gesamtes Handeln von einem rein neuro-biologischen Prozess gesteuert wird -- damit werden nicht nur" traditionelle Probleme eliminiert" sondern auch jegliches Moralbewußtsein -- und wenn dieser Prozess als Grundlage für menschliches Handeln angenommen und manipulierbar wird (teilweise ist das ja schon der Fall), dann bedarf es in der Tat einer neuen Ethik! Ob mir diese gefallen wird, bezweifle ich.

3. Ich halte die Willensfreiheit nicht für eine Illusion :-). Sicher werden wir bei unseren Entscheidungen von vielen Dingen beeinflusst, auch gesteuert - bewußt und unbewußt, diese Beeinflussungen führen zur Willensbildung. Spontanhandlungen sind vermutlich nicht von "Freiheit" geprägt. Aber aufgrund von Erfahrungswerten filtern wir im Vorfeld schon unliebsame oder unwichtige Dinge und über Entscheidungen wird ebenfalls aufgrund von Erfahrungswerten vorher nachgedacht.

Zusammenfassend - ich glaube nicht, dass die menschliche "Seele" durch diese Forschungen "entzaubert" wird. Die FUNKTIONEN des Gehirns werden sichtbarer und erkenntlicher aber, wie Roth so schön formuliert hat: .."Dadurch, daß man weiß, wie eine Bach'sche Fuge komponiert ist, ändert sich nicht der Genuß beim Zuhören. Und die Liebe wird schön sein, egal, ob ich als Physiologe weiß, was da in meinem Gehirn und meinem Körper abläuft."...
In diesem Sinne (wie immer völlig unwissenschaftlich),herzlichen Gruß, Heidi


Wolfgang antwortete am 20.01.01 (14:33):

Ein wirklich spannendes Thema. Schade, dass es so wenig Anklang findet. Vielleicht, weil es so "abgehoben" und "wissenschaftlich" daherkommt... Ist es aber ganz und gar nicht und keine(r) sollte sich abschrecken lassen von irgendwelchen Autoritäten. - Das Thema berührt eine entscheidende Frage: Ist die moderne (Natur-)Wissenschaft in der Lage, Phänomene wie das Leben, das Ich, die Schönheit einer Fuge usw. mit ihren Mitteln und in ihrer Sprache zu erklären?

Ich bin da hin und hergerissen. Teilweise schon, meine ich. Ich bin auch der Meinung, dass das ICH womöglich eine reine Gehirnfunktion ist - also eine "Illusion des Ichs". Aber ist dadurch schon die Seele vollständig erklärt, gar entzaubert? - Da machen es sich die Verfechter der Idee vom Gehirn als simpler "mind machine", das man bei Gelegenheit durch einen Intel- oder AMD-Chip ersetzen kann, viel zu leicht. Die Zeiten sind noch fern, wo wir alle rumlaufen werden mit einem Button auf der Stirn, wo drauf steht "It's an INTEL inside". *fg*

Hier noch ein kritischer Beitrag zum Thema (naturwissenschaftliche) Evolutionstheorie versus (göttliche) Schöpfung:

L. Schulte:
Neue Erkentnisse zur Evolution
https://www.stud.uni-hamburg.de/users/KJQ/evolutionneu.html

(Internet-Tipp: https://www.stud.uni-hamburg.de/users/KJQ/evolutionneu.html)


Karl antwortete am 20.01.01 (15:48):

Liebe Heidi,


ich finde es auch sehr tröstlich, dass die Kausalität unserer Gehirnfunktionen nichts daran ändert, dass wir Musik und Schönheit geniesen können. M.E. ist es ein grundsätzlicher Fehler der abendländischen Philosophie gewesen, unser Denken und Handeln außerhalb der Naturgesetzlichkeiten stellen zu wollen und einen Gegensatz aufzubauen zwischen freiem Willen und Kausalität. Kant irrt hier. Ich bin es, der handelt. Darin implizit ist keineswegs die Erklärung enthalten, wie meine Entscheidungen zustandekommen. Ich persönlich bin froh, wenn sie nicht zufällig, sondern aus guten Gründen erfolgen. Ich bin frei in meiner Entscheidung, wenn ich tun darf, was ich für richtig halte. Das hat mit einer Freiheit von Kausalität überhaupt nichts zu tun.


Lieber Wolfgang,


das evolutionsbiologische Thema ist ein eigenes Thema wert. Da Du eine Webseite angegeben hast, die ich als Biologe kurz überflogen habe, kann ich mir einen Kommentar aber nicht verkneifen: Ich hoffe sehr, dass wir hier vor der schwachsinnigen Kreativistendiskussion aus den USA verschont bleiben. Lass Dir versichern, dass keine einzige biologische Fachzeitschrift, die ich kenne, die Evolution als solche heute noch in Frage stellt. Spannend sind nur die Fragen nach dem "Wie".


Bruno antwortete am 21.01.01 (19:57):

Eine sehr spannendes Thema. Das die Evolution unstrittig ist, ist klar. Bei allen neurobiologischen Hoffnungen, Visionen und wissenschaftlichen Höhenflügen, was alles möglich ist. Heilung von Geisteskrankheiten, usw. gehe ich davon aus, daß diese Entwicklung noch lange dauert.
Bis dahin geht es in der Psychotherapie ohne diese Erkenntnisse nur schrittweise voran. Vielleicht wird sie ja ganz überflüssig, die Psychotherapie?? Ich rede nicht von Geisteskrankheiten, sondern vom alltäglichen Leiden derer, die professionelle Hilfe brauchen. Was passiert mit der Psychotherapié unter diesem Gesichtpunkt? Da versagt meine Zukunftsvorstellung und ich bin verwirrt. Erstmal mache ich, so denke ich mir, traditionell weiter mit der Psychotherapie.traditionell-damit meine ich nicht die Psychoanalye, die ist doch wohl "out" nach diesen Erkentnissen, oder? Sondern andere, modernere und vielleicht "bessere" Verfahren.
Gibt es dazu irgendwelche Meinungen?
die Zukunft der Psychotherapie auf dem Hintergrund der neurobiologischen Forschungen?
Bin sehr gespannt
Bruno


Wolfgang antwortete am 22.01.01 (21:57):

Lieber Karl... ich wollte noch zu Deiner letzten Bemerkung etwas sagen: Spannend sind nur die Fragen nach dem "Wie" - sagst Du.

Vielleicht darf ich etwas ausholen. - Über den Glauben kann man bekanntlich nicht vernünftig streiten. Gläubige gab es immer in grosser Zahl... früher vorherrschend die Christen (und andere Gottgläubige), heute vorherrschend (Natur-)Wissenschaftler (und andere Evolutions- und Fortschrittsgläubige). Die heute herrschende Religion ist die naturwissenschaftlich dominierte Wissenschaft. Gläubige haben immer auch einen Hang zum Fanatismus und Dogmatismus. Ganz schnell schlagen sie um sich, wenn sich Menschen nicht komplett ihren Glaubenssätzen beugen.

Spannend sollen nur noch die Fragen nach dem "Wie" sein. Du sagst es selbst - die Frage nach dem "Ob überhaupt" sei "schwachsinnig". Aber immer mehr Menschen nehmen sich das Recht einfach heraus, die moderne (Natur-)Wissenschaft samt all ihren Glaubenssätzen auf den Prüfstand zu stellen. Irgendwelche selbsternannten Autoritäten - seien es Biologen oder andere - werden sie nicht mundtot machen können. - Spannend sind für mich die folgenden Fragen: Wann löst die moderne (Natur-)Wissenschaft endlich ihre Fortschrittsversprechungen ein, die sie immerhin schon seit ein paar Jahrhunderten vor sich her trägt und permanent wiederholt? - Oder auch: Können jene, die die Menschen und die Natur dank ihrer Erkenntnisse in die grösste Krise gebracht haben, auch diejenigen sein, die diese Krise mit den bisherigen Methoden meistern? - Sind das wirklich alles schwachsinnige Fragen?

Ich empfehle Dir und den anderen noch eine besondere Website - die der Gesellschaft für kritische Philosophie in Nürnberg:

https://members.aol.com/GEKAPE/

(Internet-Tipp: https://members.aol.com/GEKAPE/)


Karl antwortete am 22.01.01 (22:30):

Hallo Wolfgang,


nun also doch das Evolutionsthema hier: Die Frage nach dem "ob" muss und darf natürlich immer wieder gestellt werden. Sie wird in der Biologieausbildung intensiv behandelt. Ich habe auch nichts Gegenteiliges gesagt, nur dass diese Frage nicht mehr spannend ist: es wird unter Fachleuten nicht mehr gestritten. "Schwachsinnig" bezog ich auf die Art der Argumentation der Kreationisten, die sich auch auf der von Dir angegebenen Webseite weiter oben findet.
https://www.stud.uni-hamburg.de/users/KJQ/evolutionneu.html
Es ist wirklich hanebüchen, was dort behauptet wird, auf Wunsch zerpflücke ich Dir das Satz für Satz.

Nur eins noch: Du fragst:"Wann löst die moderne (Natur)Wissenschaft endlich ihre Fortschrittsversprechungen ein?"

Ja, was verlangst Du? Sieh Dich doch um. Ich z.B. lebe nur noch deshalb (und das froh und glücklich), weil es die moderne Naturwissenschaft (und Medizin) gibt. Ich wette, das geht vielen so, die dies hier lesen. Auf "der Wissenschaft" wird immer rumgehackt, aber das sie es ist, die 6 Milliarden Menschen auf diesem Planeten das Leben ermöglicht und in Zukunft vielleicht 12 Milliarden, wird seltsamer Weise negiert. Ohne die Wissenschaft gäbe es für so viele Menschen keine Zukunft.

MfG Karl


Peter Sigesmund antwortete am 15.02.01 (14:19):

Lieber Karl

Es stimmt schon dass wir den Wissenschaftlern viel zu verdanken haben aber trotz aller Muehe und Selbstvertrauen "irgendwie" geht oft genug etwas schief
dabei und ein neues Verfahren,neue Droge usw muss gefunden werden. Mit anderen Worten- nicht alle Folgen lassen sich voraussehen.Beispiele dafuer gibt's genug.
Andrerseits hat man zum Beispiel bei den fieberhaften Be=
muehungen die ploetzlichen Todesfaelle junger Navajos auf
zuklaeren festgestellt,dass die alten Medizinmaenner das schon laengst kannten und wussten wie man es vermeidet.
( siehe Entdeckungsgeschichte des Hanta Virus)
Was mir aber wirklich Sorgen macht wenn man glaubt Wissenschaft wuerde es ermoeglichen dass 12 Billionen Menschen gesund,munter ohne Hunger usw in Harmonie mit der
noch uebrig gebliebenen Tier= und Planzenwelt existieren koennen.
Bezueglich Evolution moechte ich auf ein Buch hinweisen
dass vielleicht auch ins Deutsche uebersetzt worden ist.
Evolution -A Theory in Crisis.
New developments in science are challenging orthodox
Darwinism

written by Michael Denton -molecular Biologist.

Er ist kein Kreativist.
Uebrigens es ist eins die wissentschaftliche Erkenntnisse zu haben und etwas anderes den Willen und das Geld zu haben das Wirklichkeit zu machen
MfG Peter



Wolfgang antwortete am 25.02.01 (16:11):

An der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg entwickelt ein Team um den Prof. Bernhard NEBEL Fussball-Roboter. Es ist ein Spiel rund um die (künstliche) Intelligenz... Arg weit ist man noch nicht gekommen. Ballgefühl, Weitsicht, Kampfgeist... alles, was den normalen Fussballer Woche für Woche auszeichnet (oder auszeichnen soll), haben diese blechernen Kicker noch nicht drauf.

Aber sie üben schon mal... Ich bin gespannt, wann einer von ihnen - sagen wir, wie der frühe Mario Basler - aus 20, 30 Meter Entfernung den Ball auf einer bananenartig gekrümmten Flugbahn ins Tor schlenzt... und sich danach auch noch darüber freuen kann. *fg*

SPIEGEL ONLINE:
Odyssee im Welraum
Spielmacher der Zukunft
https://www.spiegel.de/wissenschaft/0,1518,119131,00.html

(Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/wissenschaft/0,1518,119131,00.html)


Peter Luvim antwortete am 28.02.01 (22:18):

Bin begeistert: Eine ernste Diskussion über ein besonders interessantes Thema!
Danke, Karl; du bist der große Anreger von tiefsinnigen Gesprächen.
Wenn die Neurobiologie uns analysiert, müssen wir keine Angst haben, daß wir oder unsere Welt entzaubert werden. Denn jede beantwortete Frage wirft sofort wieder mehrere neue auf.
Werden solche vorwissenschaftlichen Pauschalbegriffe wie "Seele","Gott","Ich" wegerklärt, dann heißt das doch nur: wir suchen für alte Erfahrungen neue und bessere Erklärungen.
Ich bin glücklich, in dieser aufgeklärten, modernen Welt zu leben. Vergleiche ich unsere Lebensbedingungen mit denen unserer Vorfahren, so freue ich mich über unser materielles Wohlergehen, unsere herrliche geistige Freiheit, unsere gößere Lebenserwartung. Und gibt es etwas Spannenderes als die täglich neuen Entdeckungen der Wissenschaft?
Ich grüße euch und hoffe auf weitere Gespräche.
Peter Luvim


Margot Girlich antwortete am 15.03.01 (18:33):

Hallo, lieber Bruno, ich wollte was zur Frage bezüglich der Psychotherapie beitragen. Es wird wohl noch sehr, sehr lange dauern, bis diese Verfahren, auch psychoanalytische Abwandlungen, überflüssig geworden sind. Momentan ist es z.B. so, daß die modernen antidepressiven Medikamente wie die Psychotherapie den Hirnstoffwechsel aktiviert. Aber.. sobald man die Medikamente wegläßt, kommt die Depression wieder, was bei der Psychotherapíe, da man dabei ja sehr viel über sich und seine Mitmenschen lernt, nicht der Fall ist. Im übrigen ein tolles Thema. blaettchen


Bruno Peters antwortete am 15.03.01 (20:15):

Ja., margot, das glaube ich auch, das doe Psychotherapie nicht überflüssig ist oder wird. Gesichert scheint zu sein, dass bei der Behandlung von Depressionen die gleichzeitige Gabe von Antidrepressiva und Psychotherapie den größsten Erfolg versprechen. Und natürlich nach Absetzen der Depressiva eine weitere psychotherapeutische Begleitung.
Ob nun gerade die Psychanalyse das Verfahren der Wahl bei Depressionen ist, ist stark anzuzweifeln.
jedenfalls in den 6 oder sieben psychotherapeutischen Kliniken, die ich kenne, die auf Depressionen spezialisiert sind, wird sie nicht benutzt. Das finde ich auch gut so.
Die Psychotherapie wird noch an Bedeutung gewinnen, trotz der ewigen Diskussion zwischen den Neurobiologen, die das Gehirin als Maschine ansehen, die man reparieren kann, wenn man weiß, wo der Fehler steckt. Und den Psychologen und anderen, die das doch sehr anders sehen. Und auch mit Recht.

Es gibt übrigen hier ein Forum, in dfere eine Diskussion über Psychotherapie möglich ist. Leider war der Start nicht so günstig. Ricardo und ich haben mit Psychologeniwtzen angefangen. Da gab es sehr herbe Rückmeldung von all den Menschen, die den getragenen Ton eher befürworten.
Bruno, der für die Psychotherapie streitet.


blaettchen antwortete am 16.03.01 (17:57):

Ja, lieber Bruno, begleitende medikamentöse Behandlung und Psychotherapie ist bei schweren Depressionen wirkungsvoll, bei weniger schweren aber nicht nötig. Zumindest ist das meine Erfahrung nach 30 Jahren. Dann geschieht die Anregung des Hirnstoffwechsels durch die zunehmende Fähigkeit, anstehende Probleme zu lösen und sich dadurch besser zu fühlen. Ich bin auch nicht für die klassische Psychoanalyse viermal pro Woche. Da hat man keine Zeit mehr, die zu Bewußtsein gebrachten Probleme überhaupt zu verarbeiten. Aber ein Bestandteil der Analyse, nämlich die Bearbeitung der Beziehung zwischen Patient und Therapeut ist sehr fruchtbar und wichtig, und außerdem eine genügend lange Zeit der Behandlung, nämlich mindestens 4 Jahre, aber nur einmal pro Woche. - Übrigens, in welchem Forum wird noch über Psychotherapie diskttiert, ich habe es nicht gefunden.
Schöne Frühlingsgrüße von blaettchen !


seewolf antwortete am 17.03.01 (15:36):

Lieber Karl - was für ein in der Tat gewaltiges Thema... vielen Dank für die Anregung, sich einmal mehr mit dem Phänomen des "Wissen-Schaffens", der Antriebe dazu und den Auswirkungen desselben zu befassen...

Keiner wird ernsthaft bestreiten wollen, daß immer und ständig ausreichend Interesse und/oder Neugier vorhanden sein wird, um bislang "Unsichtbares" sichtbar zu machen, bislang "Unverständliches" zumindest anschaulich zu machen - und folglich wird weiter geforscht und entwickelt, erprobt und versucht werden. Dies muß aufgrund der Zunahmne technischer Potenz, der ständig "feineren" Meßverfahren, der Annäherung kognitiver Möglichkeiten an die "atomare" und möglicherweise "subatomare" Ebene dazu führen, daß man Vorgänge bis hin zum Gedanken in ihre physikalischen und/oder chemischen Prozeßabschnitte zerlegen und identifizieren kann. Die Endlichkeit dieses Detailwissens-Gewinns ist nicht in Sicht.

Natürlicherweise werden dabei zunehmend mythologische Modelle "entlarvt" werden - so ähnlich wie es geschehen ist, als der erste Zweibeiner seine Angst vor den Göttern des Feuers verlor, weil er ein Gewitter "ertrug" , um anschließend festzustellen, daß er Kraft seines "Wissens" um dieses ehemals göttliche Geheimnis plötzlich an Macht und Ansehen unter seinesgleichen gewonnen hatte...

Zieht sich nicht durch die Geschichte der Menschheit ein quasi roter Faden der wachsenden Neugier - verbunden mit wachsenden Kenntnissen von Details - verbunden mit schwindendem Glauben an ehemalige "Götter"?

Und ist nicht deshalb die Frage zu stellen, wieviel Wissen will der Mensch wirklich haben...? Wieviel "Entzauberung" verträgt er eigentlich, bevor sein über Jahrtausende gepflegtes Selbstverständnis (in der Neuzeit möglicherweise vielleicht irreal gesteigertes...) die weitere Wahrnehmung neuerlicher "Entzauberungen" verweigert...

Ich komme auf diese Frage, weil man in relativ einfachen "Prozessen" des Alltages schon kognitive Verweigerung feststellen muss... ("das ist mir zu kompliziert..." - "damit will ich mich gar nicht befassen..." - "ich will das gar nicht alles wissen..." usw).

Es würde mich sehr interessieren, was die Wissenschaft im Zusammenhang mit der Erforschung von Denkprozessen und Emotionen herausfinden kann zum Thema: Wodurch wird der Wille "gebrochen" oder beendet, neue Erkenntnisse zu gewinnen? Beendet ein archaisch angelegtes "Betriebssystem" ggf. wegen Überlastung das Co-Processing feuernder Synapsen?

Herzlichen Gruß - Bernd Renneberg

(Internet-Tipp: https://www.copernic.com)


Bruno Peters antwortete am 17.03.01 (16:47):

Blättchen, 4 Jahre zur Psychoanalyse, jede Woche. Da kann man nur Freud zitieren: Der Patient wird erst geheilt, wenn er sein halbes Vermögen zum Analytiker getragen hat. (sinngemäß).
Ich kann dir in diesem Punkte nicht folgen. Die Psychoanalyse ist bei Depressionen geradezu kontraindiziert. Und als Therapieverfahren - zumindest in der klassischen Form - vorwissenschaftlich.
Und meistens erfolglos. Die Psychotherapie Forschung hat ergeben, das Psychotherapie hilfreich ist. Jedoch weigern sich die Psychanalytischen Verbände bis heute, sich der Erfolgskontrolle bzw. der Psychotherapieforschung zu unterwerfen. Es gibt also keinerlei verläßliche Daten über den Erfolg. bei anderen Therapieverfahren - Verhaltenstherapie, Gestalttherapie, Personzentrierte therapie und systemische Therapie - gibt es inzwischenErkentnisse.
Also, Dein Lob der Analyse in Ehren, niemand hat was dagegen, aber es ist doch wohl eher eine
Art Konfession statt einer wissenschaftlich untermauerten Richtung der Psychotherapie.


Karl antwortete am 17.03.01 (17:58):

Zu Seewolf:


Lieber Seewolf, da hast du der Diskussion eine spannende Wendung gegeben. Wieviel Aufklärung verträgt der Mensch?

Durch die modernen Naturwissenschaften hat der Mensch vordergründig eigentlich nur Kränkungen erfahren, was die teilweise sehr emotionialen Gegenreaktionen erklären mag.

Spontan fallen mir folgende Kränkungen ein:

1. Kopernikus: Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Universums

2. Charles Darwin: Der Mensch ist ein Tier. Meine Vorliebe bei der Formulierung: "Die gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Fliege waren Würmer"

3. Sigmund Freud: Der Mensch ist nicht einmal der Herr seiner selbst, sondern ein Getriebener des Unterbewußtseins.

4. Vielleicht am deutlichsten formuliert von Richard Dawkins: Wir tanzen nach der Pfeife unserer Gene. Alles was wir tun, selbst altruistisches Verhalten dient dem Zweck der Vermehrung unserer Gene in der nächsten Generation.

5. Deep Blue: Zum ersten Mal besiegt ein Schachcomputer einen Schachweltmeister. Ist das der Anfang vom Ende? Selbst unser Kopf ist nicht mehr überlegen!

6. Die Entzauberung der Seele durch die Neurobiologie.

Lieber Seewolf, deine Frage, wieviel Aufklärung verträgt der Mensch, ist angesichts der Wucht der Erkenntnisse sehr berechtigt. Anzeichen von "Verweigerung" gibt es ja vielfältige.

Meine persönliche Meinung ist, dass ich auf ein Selbstwertgefühl, dass sich auf falsche, vorwissenschaftliche Glaubenssätze gründet, sehr gut verzichten kann. Ich bin interessiert an der wissenschaftlichen Einordnung des Menschen in diese Welt. Nur dann kann ich meine eigene Rolle erfassen und ich sehe keineswegs, dass diese dann notgedrungen sinnlos sein müßte.

Es ist wichtig, dass wir die Welt begreifen wie sie ist und nicht so, wie sie(nach dem Wunschdenken mancher) sein sollte.

Betrachten wir z.B. die Stellung des Menschen zum Tier. Die moderne Biologie (Kränkung 2) hat deutlich gemacht, wie verwandt wir mit den Tieren sind und langfristig (Biologen denken ja in Jahrtausenden ;-)) wird hieraus auch in der Breite eine Veränderung unseres Verhältnisses zu den Tieren resultieren. Wir werden sie zunehmend anstatt als Nutzobjekte als Partner und Verwandte akzeptieren (davon bin ich überzeugt, auch wenn das im Zeitalter der Massenschlachtungen etwas absurd klingen mag). Langfristig wird es auf der Ernährungsseite Alternativen geben und die Schwelle Tiere als Versuchsobjekte zu verwenden wird weiter angehoben.

Ohne die vielleicht von manchen als Kränkung empfundenen Erkenntnisse der Biologie würde das Tier reines Nutzobjekt bleiben.

(Internet-Tipp: https://www.research.ibm.com/deepblue/home/html/b.html)


Rosmarie Schmitt antwortete am 17.03.01 (19:56):

Zur Frage: "Wieviel Aufklärung verträgt der Mensch?"

Lieber Karl, lieber Seewolf,

sicher, die Menschen haben die Erkenntnisse der Naturwissenschaften als unerträgliche Kränkungen erfahren. Wie kann die Erde um die Sonne kreisen, da doch der Mensch gottgewollt der Mittelpunkt der Welt ist? Wie kann der Mensch mit dem Affen verwandt sein (inzwischen scheint es ja sogar so zu sein, dass die Menge unserer Gene gar nicht so sehr viel größer ist als die einer Fliege. Wieder eine Enttäuschung für uns Herrenwesen! :-)))... und... und... Karl hat ja schon die wichtigsten Beispiele gebracht.

Für mich stellt sich die Frage, warum waren solche neuen Erkenntnisse für die Menschen solch schreckliche Kränkungen, und warum sind sie es für den einen oder anderen immer noch?
Liegt dies nicht daran, dass tief in uns noch immer unser kulturell bedingter Herrschaftsanspruch verwurzelt ist, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, das allem überlegene Übertier, das sich alles andere untertan machen soll?
In dem Moment, in dem wir nicht mehr diesen Anspruch vertreten, in dem wir selbst uns bescheidener sehen, in dem wir statt der Eroberung der Welt uns um ein Einfügen-und-Kooperieren-mit-allem-Existierenden bemühen, in diesem Moment können wir doch auch anders zu den Entdeckungen und Entzauberungen stehen. Genauso, wie wir frustriert sein können, dass dies oder jenes anders und wengiger menschbestimmt abläuft, als vorher angenommen, können wir staunend stehen und uns über dieses wunderbare Zusammenspiel und die Intelligenz, die überall in der Natur sichtbar wird, freuen.

In Zeiten, wo wir erkennen können, dass der Mensch seine Welt nicht gerade bestens zu regeln und zu gestalten vermag, finde ich es eher tröstlich, jeden Tag ein winziges bisschen Neues von den "Wundern" zu erfahren, die offensichtlich in jedem kleinsten Ding zu entdecken, zu entdecken, zu entdecken - vielleicht ohne Ende? - sind.
Meine Welt wird durch die neuen Erkenntnisse nicht entzaubert, sondern sie gewinnt an Zauber.


Karl antwortete am 17.03.01 (20:29):

Liebe Rosmarie,


du sagst "Meine Welt wird durch die neuen Erkenntnisse nicht entzaubert, sondern sie gewinnt an Zauber."

Das ist sehr schön und ich empfinde das selbst ähnlich.

MfG Karl


Mechtild Threin antwortete am 18.03.01 (12:22):


Meine Welt wird durch die neuen Erkenntnisse auch nicht entzaubert, denn Wissen ist Macht
und es stellt sich immer die Frage, was wird mit dem Wissen gemacht. Meist kann neue
Erkenntnisse sowohl positiv, als auch negativ nutzen. Wenn ich nicht genau weiß, was wer
mit wissenschaftlichen Erkenntnissen macht, stehe ich dem kritisch gegenüber. Wissen
schaftliche Erkenntnisse sind erst einmal wertfrei zu sehen. Es sind immer Menschen, die die
Wissenschaft anwenden und sie auch bewerten. Die Wissenschaft hat die Welt bisher nicht
entzaubert und wird es auch in Zukunft nicht tuen. Wichtig ist, dass die Menschen (wir)
kontrollieren, was wer im Auftrag der Wissenschaft machtl. Es ist nicht erlaubt, alles was
möglich ist auch zu tuen. Für die Kontrolle haben alle die Verantwortung und es ist keine
Entschuldigung im nachhinein zu sagen „Ich habe das nicht gewusst, oder ich habe nur auf
Anweisung gehandelt." Jeder hat eine Verantwortung für das, was zu seinen Lebzeiten
passiert, nicht zuletzt den kommenden Generationen gegeenüber.


Manfred Franz antwortete am 19.03.01 (09:47):

Als Nicht-Mediziner und Nicht-Psychologe muss ich sagen, dass mir insbesondere die Psychologie immer suspekt war und auch noch ist. Mag vielleicht primitiv klingen, aber m.E. ist der Mensch keine biologische Maschine, die man nur genügend lange und intensiv zu erforschen braucht, um schließlich ihre Funktionen ganz genau zu kennen und vorhersagen zu können. Der hässlichste Beweis dafür sind die immer wieder aus dem Freigang psychologischer Anstalten entwichenen Häftlinge. Diese Fehleinschätzung der Ärzte hat schon manchem Unbeteiligten das Leben gekostet. (Fall: Zurwehne)
Mehr Kenntnisse bereichern das Leben. Entzaubern aber seine Schönheit nicht.


Ricardo antwortete am 20.03.01 (22:34):

und was sagt die Seele dazu?
Ich bin nicht entzaubert!

hier spricht ein ehemaliger Seelenarzt :-)))


seewolf antwortete am 10.04.01 (13:39):

thema schon durch??? - wir sind nicht entzaubert... und das war's??? kann nicht angehen !!!

die politische dimension des themas ist m.e. noch zu kurz gekommen: kann es sein, daß naturwissenschaftliche erkenntnisse 1 person, 1 firma, 1 nation quasi gehören? gar patent-fähig sind? ... forschung kostet geld und viel forschung eben viel geld. wer sind die geldgeber? warum ist der forschungs-etat eines staates oder besser noch einer staaten-organisation nicht höher als meinetwegen der etat für staatliches personal? interessanterweise werden erhebliche mittel für wissenschaft und forschung seit jeher im verteidigungs- bzw. kriegs-haushalt bereitgestellt. paranoia??? geheimhaltungsbedürftiges wissen, damit der "gegner" ins hintertreffen gelangt...beispielhaft dafür: das alamo-projekt.

naturwissenschaftliche erkenntnisse müssen allgemeingut sein, um die abhängigkeit von geldgebern und deren interessen zu vermeiden. damit dürfte auch die gefahr des mißbrauchs zumindet reduziert werden können.

der moderne "aufgeklärte" mensch hingegen möchte eher, daß die mehrwertsteuer gesenkt wird und man kostenlos im internet surfen kann, anstatt seine politiker aufzufordern, ein drittel der konsumsteuern für unabhängige wissenschaft und forschung bereitzustellen... dafür nimmt er in kauf, daß z.b. pharma-konzerne horrende mittel bereitstellen, aber eben auch die ergebnisse der so finanzierten forschung für sich behalten und kommerziell verwerten wollen (und - betriebswirtschaftlich gesehen: auch müssen).

gerade wir internet-nutzer sollten nicht vergessen, daß es naturwissenschaftliche erkenntnisse waren, die die fertigung schneller prozessoren und kleinster hochleistungsdatenträger ermöglicht haben - und auch die entdeckung und handhabung sogenannter rezeptoren in unserem körper...

ein paar forderungen meinerseits:

- internationalisierung von wissenschaft und forschung auf uno-ebene mit mindestens 100 mrd. $ jahresbudget.

- ausschluß der exklusiven verwertung von forschungsergebnissen per uno-regelung mit umsetzungspflicht in das nationale recht von mitgliedsstaaten.

- mindestbeitrag der mitgliedsstaaten 10 % des nationalen gesamthaushalts.

- freie berichterstattung in allen mitgliedsländern.

(katalog noch unvollständig...)

wenn dies dazu beiträgt, daß z.b. "entgleiste" leukozyten in buxtehude (bei hamburg... *g*) ebensoschnell wieder "repariert" werden können wie meinetwegen in washington d.c. - dann sollte man das schon anstreben...

eine BEZAUBERNDE idee - finden sie nicht?


blaettchen antwortete am 10.04.01 (16:39):

Ja, lieber seewolf, ich stimme Dir völlig zu, daß die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse natürlich nicht einzelnen, schon gar nicht Firmen gehören. Darüber war ich schon immer erstaunt bis entsetzt. Nur, wie das durchzusetzen ist, daß die Forschung selbstverständlich wesentlich höhere Budgets erhält, ist mir ganz unklar. Trotzdem eine bezaubernde Idee!

(Internet-Tipp: www.politiksimulation.de)


Karl antwortete am 10.04.01 (23:22):

Lieber Seewolf und liebes "blaettchen",

toll, wenn Eure Budget-Forderungen durchkämen!! Aber ich möchte zum Stichwort Patente doch was sagen. Seewolf schreibt: "gerade wir internet-nutzer sollten nicht vergessen, daß es naturwissenschaftliche erkenntnisse waren, die die fertigung schneller prozessoren und kleinster hochleistungsdatenträger ermöglicht haben - und auch die entdeckung und handhabung sogenannter rezeptoren in unserem körper..."

Hierzu waren Patente nötig. Nur das gesicherte Recht auf spätere Vermarktung ermöglicht die Investition in die Entwicklung teurer Technologie. Dieses Argument wird auch bei der Biotechnologie vorgebracht. Patente sind auch dort Triebfedern des Tuns, ohne Patente, d.h. Aussicht (nicht Gewissheit) auf spätere Gewinne gibt es keine Neuen Firmen.

"Patente auf Leben" ist ein "gutes" Schlagwort, da es Ängste weckt, aber die Patente beziehen sich auf Verfahren zur Herstellung von z.B. "Genfood" oder "Arzneimitteln". Niemand wird uns unser Bein amputieren wollen, weil es ihm gehört ;-))

Spass beiseite. Ich glaube, es ist ganz wichtig hinzuschauen, was wirklich patentiert wird - und was für Rechte daran geknüpft sind.


Wolfgang antwortete am 11.04.01 (10:22):

Da muss man wirklich ganz genau hinschauen, Karl... Wäre es doch so, dass ausschliesslich Verfahren und Produkte patentiert werden könnten. Aber vor allem Firmen im BioTech-Bereich versuchen immer wieder Organismen selbst - also Leben - zu privatisieren.

Ein Beispiel: Es wurde viel diskutiert um das Patent der Firma BIOCYTE, das sich auf alle menschlichen Blutzellen in der Nabelschnur von Neugeborenen bezieht. Diese Zellen werden verwendet bei therapeutischen Transplantationen von Knochenmark. Ihre Verwendung war früher frei, weil das Leben eben niemandem gehörte. Jetzt "gehören" diese Zellen BIOCYTE, und jede Klinik in den USA und in Europa muss der Firma Lizenzgebühren zahlen einfach nur, weil (nach einem gängigen Verfahren, das nach wie vor niemandem gehört) Zellen aus der Nabelschnur von Neugeborenen verwendet werden. Die eigentliche Entzauberung hat begonnen: Das Leben wird handelbare Ware und ein profitables Geschäft...