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THEMA: Ein neuer Golem
9 Antwort(en).
Wolfgang
begann die Diskussion am 22.11.02 (13:51) mit folgendem Beitrag:
Die sagenhafte Gestalt des Golem geht zurück auf Legenden aus dem Prager Ghetto, die die Geschichte des Rabbi Löw erzählen, der im 16. Jh. angeblich eine aus Lehm geformte Figur zum Leben erweckte.
Jetzt versuchen sich moderne Naturwissenschaftler an einem neuen Golem: Der Gentechniker CRAIG VENTER will zusammen mit einem Kollegen - dem Nobelpreisträger HAMILTON SMITH - einen künstlichen Organismus konstruieren... Ein Einzeller, der leben kann, also über einen eigenen Stoffwechsel verfügt und sich selbständig zu einer ganzen Population reproduzieren kann.
Die "Washington Post" berichtete gestern über das Vorhaben:
Scientists Planning to Make New Form of Life By JUSTIN GILLIS Thursday, November 21, 2002; Page A01 https://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A17496-2002Nov20.html
Ein neues, erstmals von Menschenhand geschaffene Lebewesen auf dem Planeten... Ich würde gerne über die gesellschaftlichen Folgen diskutieren.
Internet-Tipp: https://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A17496-2002Nov20.html
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bello
antwortete am 22.11.02 (14:44):
Bißchen un-ernst geantwortet: es wird wohl ewig dauern, bis man in diesem Zusammenhang von Gesellschaft" reden kann. :-)
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Barbara
antwortete am 23.11.02 (01:55):
Meiner Meinung nach spielt man mit dem Geist in der Flasche. Natürlich geben die Forscher vor, alles im Griff zu haben:
>>Befürchtungen, bei den Experimenten könnten gefährliche und unkontrollierbare Bakterien entstehen, wischen die Forscher mit dem Hinweis auf strenge Sicherheitsvorkehrungen beiseite. So sollen die Laborversuche in einer abgeschirmten Umgebung erfolgen. Venter und Smith wollen die Mikroben zudem so konstruieren, dass sie Menschen nicht befallen können und eingehen, sobald sie ins Freie gelangen.<<
Strenge Sicherheitsvorkehrungen...... Wie bei genmanipulierten Nahrungsmitteln wird man auch diese eigens zum Leben erweckten Bakterien nicht auf ewig unter Kontrolle haben. Haben nicht die Antrax-Anschläge gezeigt, dass es überall Irre gibt, die davon träumen, einmal Gott spielen zu können?
Wenn bereits an die Möglichkeit weiterer neuer Waffen gedacht wird, schaudert es mich:
>>So könnte der Organismus....... als Grundlage für neue biologische Waffen dienen. Auf der anderen Seite könnte ihre Arbeit aber auch helfen, existierende Biowaffen zu entdecken und zu bekämpfen, argumentieren Venter und Smith. Das Projekt wird der "Washington Post" zufolge vom US-Energieministerium mit drei Millionen Dollar finanziert.<<
Warum können derart intelligente Menschen ihr Wissen nicht zum Wohle der Menschheit benutzen, anstatt die Welt mit immer neuem Horror zu "beglücken"?
Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,223794,00.html
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Karl
antwortete am 23.11.02 (11:17):
Wissenschaftlich steht hinter dem geplanten Experiment von Venter die experimentelle Verifizierung von Hypothesen über die minimale Anzahl benötigter Gene für eine sich selbstreproduzierende und am Leben erhaltende Einheit. Dahinter kann ich zunächst nichts Verwerfliches erkennen, sondern dies ist einfach die Konsequenz aus dem bisherigen Fortschritt der Biowissenschaften. Leben hat seine Mystik verloren, ist erklärbar und deshalb im Prinzip nachbaubar.
Dass dieses Grundlagenwissen wieder einmal für Gutes und Böses Verwendung finden kann, rechtfertigt allerdings eine misstrauische Beobachtung und Kontrolle solcher Versuche.
Ich persönlich sehe die Gefahr einer unbeabsichtigten Verseuchung als Null an, aber den gewollten Missbrauch jeder neuen Technik durch die Militärs als eine ernst zu nehmende Bedrohung.
Mit freundlichen Grüßen
Karl
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Wolfgang
antwortete am 25.11.02 (15:07):
Etwas läuft gewaltig schief in unseren Forschungsprogrammen und in der Ausbildung von ForscherInnen... Wir wissen, Karl, und Du siehst das ja auch so, dass bestimmte Technologien und Techniken besonders anfällig sind für militärische Anwendungen (oder gar extra dafür gesponsert werden). So auch in diesem Fall. Dass offiziell das Energieministerium diese Forschungsgelder spendiert, ist eine der üblichen Publikumstäuschungen; im Hintergrund lauert das Pentagon auf brauchbare Ergebnisse.
NaturwissenschaftlerInnen sind besonders verführbar für militärisch genutzte Forschungsergebnisse. Oft haben sie nichts gelernt, als nur ihr 'Fach'. Ihr naturwissenschaftliches Weltbild ist in aller Regel dermassen eng, dass philosophische oder ethische Fragen, wenn überhaupt, nur am Rande gestellt werden. In Forschungsteam, die sich mit Gentechniken beschäftigen, sind selten GeisteswissenschaftlerInnen vertreten. ForscherInnen, die beides haben, eine natur- und geisteswissenschaftliche Ausbildung, sind so knapp, wie das Wasser in der Wüste.
Ich empfehle einen Beitrag in der heutigen NZZ... Der an der Universität Tübingen lehrende Philosoph OTFRIED HÖFFE beklagt die Dominanz der Naturwissenschaften und bricht eine Lanze für die so nötigen Geisteswissenschaften, "[...] weil sie sich gegen die Verkürzung des Menschen auf Marktfähigkeit sperren." Er fährt fort:
"Damit tragen sie einmal mehr zur Humanisierung bei. Schon in ihrem Dienst an der natürlichen Wissbegier erheben sie Einspruch gegen ein im wörtlichen Sinn dehumanisiertes Leben, nämlich gegen eines, das sich in der Jagd nach Macht, Ehre und Reichtum verrennt. Und vor allem öffnen sie den Menschen für Dinge, um derentwillen es erst lohnt, geboren zu sein, für so wesentliche Dinge wie Philosophie und Literatur, wie Musik, bildende Kunst und Architektur."
Herkunftsbewusstsein, Verblüffungsresistenz und Aufklärung Über den Nutzen der Geisteswissenschaften Von OTFRIED HÖFFE https://www.nzz.ch/2002/11/25/fe/page-article8IGZO.html
Internet-Tipp: https://www.nzz.ch/2002/11/25/fe/page-article8IGZO.html
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Felix
antwortete am 28.11.02 (16:03):
Einige grundsätzliche Überlegung zum Problem:
- Zwischen der Geschichte mit dem Golem und den erwähnten Experimenten auf dem Gebiet der künstlichen Erzeugung von Reproduktionsprozessen besteht ein prinzipieller Unterschied: Bei der Geschichte mit dem Golem und andern zum Leben erweckten Objekten handelt es sich um Sagen und Märchen, die keinen Realitätsbezug brauchen. Sie setzen ein magisch - animistisches Weltbild voraus. Beim angesprochenen Experiment handelt es sich um das konsequente Anwenden bio-chemischer Vorgänge ohne magischen Bezug! - Eine andere Frage ist die ethisch-moralische Verantwortung der Naturwissenschaftler. Es ist fragwürdig alles Machbare realisieren zu müssen ... nur weil die Voraussetzungen dazu gegeben sind! Wie Wolfgang mit Recht warnt .... Wer könnte an einem solchen Resultat Interesse haben? Wenn auch nur der Verdacht besteht, ein Missbrauch einer Erfindung oder einer Entdeckung führe zu menschenfeindlichen Anwendungen, ist höchste Vorsicht geboten. - Grundsätzlich lassen sich neue Erkenntnisse nicht unterdrücken ... weder von der Kirche noch vom Staat. Der Mensch ist nun einmal mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihn dazu brachten eine hohe Zivilisationsstufe zu erlangen. Der Preis ist die Schattenseite dazu ... die Schädigung der Biosphäre und das technische Vernichtungspotenzial, das wie ein Damoklesschwert über unserem Wohlstand und Luxus hängt!
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E-l-e-n-a
antwortete am 28.11.02 (16:58):
In diese Richtung geht für mich auch die Aussage des ital. Reproduktionsmediziners Severino Antinori. Wie er gestern der Weltöffentlichkeit mitteilte, wird im Januar das erste Klon-Baby geboren.
Andere Fachleute halten das für unmöglich, - jedenfalls noch. Lassen wir uns mal überraschen. Hoffentlich wird hier nicht ebenfalls "der Geist aus der Flasche" gelassen.
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Günter Paul
antwortete am 02.12.02 (11:45):
Es geht weniger darum, Machbares zu machen, als darum das angeblich „Machbares“ schnell zu vermarkten und so Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Ob das Versprochene wirklich erreicht wird und welche möglichen schädlichen Auswirkungen es hat, ist ist für das Geschäft gleichgültig.
So ließ sich der Amerikaner Craig Venter von den Medien als "Meisterentzifferer des Genoms" feiern, obgleich sich die angebliche „Entschlüsselung“ des menschlichen Genoms als bloße Aufklärung der chemischen (Primär-) Struktur der menschlichen Desoxyribonucleinsäure erwies – zweifellos eine sehr verdienstvolle Leistung unter Beteiligung sehr vieler weiterer Wissenschaftler, aber eben keine „Entschlüsselung“. Was die erkannten DNA-Sequenzen bedeuten, ist nach wie vor weitestgehend unbekannt. ...
Professor Friedrich Cramer, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin, kritisierte in einem Interview mit „Psychologie heute“ das geschäftliche Interesse des Unternehmers Craig Venter als wirklichen Hintergrund der Werbekampagne um das menschliche Genom und erläuterte: „Wir stehen erst am Anfang der Genforschung. Aber Forscher, Medien wie Laien werden geradezu in einen Wahn getrieben, dass fast alles mit den Gentechniken heilbar werden wird. Das ist so übertrieben und weckt so hohe Erwartungen, dass es fast schon sträflich ist. Die Sequenz des menschlichen Genoms zu kennen bedeutet fast noch nichts. Wenn überhaupt von dieser Seite Heilungsmöglichkeiten kommen werden, wird es noch jahrzehntelanger Forschung bedürfen.“
Jetzt verspricht derselbe Graig Venter zusammen mit Hamilton Smith „einen künstlichen Organismus“ zu „erschaffen“. Karl hat schon erklärt, worum es wirklich geht. Die Anmaßung, einen neuen Organismus zu schaffen erforderte die Simulierung der komplexen raum-zeitlichen Ordnung von Tausenden organischer und anorganischer Stoffe. Letztendlich – und das lassen viele Genetiker geflissentlich unerwähnt – bestehen Lebewesen nicht nur aus Nukleinsäuren und Eiweißen und werden im Zellkern nur Vorstufen der letztendlich eiweißcodierenden Ribonukleinsäuren gebildet. Letztere entstehen aus diesen erst in einem komplizierten biochemischen Prozeß außerhalb des Zellkerns. Sowohl der Stoffwechsel als auch die Vererbung sind eben nicht nur Leistungen der DNA im Zellkern, sondern des gesamten lebenden Organismus.
Ebensowenig wie bei den Klon-Experimenten des Italieners Antinori und neuerdings auch der US-Amerikanerin Boisselier ist bei den Venterschen Versuchen der angekündigte Erfolg zu erwarten. Zu befürchten ist aber, daß die Versuche zu Belastungen und Gefahren für die Organismenwelt und die Menschheit führen. Unser Wissen über den wirklichen (komplexen) Ablauf der Lebensprozesse reicht einfach noch nicht aus, um solche auszuschließen.
Grüße von Günter Paul
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Felix
antwortete am 02.12.02 (12:49):
Hallo Günter Paul ... ich habe deinen Beitrag mit Interesse durchgelesen ... allerdings nur einmal &:>))) ... Es ist so, wie du sagst ... jeder kleine Schritt in Richtung Aufdeckung des Geheimnisses "Leben" wird als grosse Sensation in den Medien herausposaunt. Welche Puzzlesteine schlussendlich zum grossen Aha-Erlebnis führen werden, weiss man in der Regel nur im Nachhinein.Die Reproduktionsmechanismen auch im molekularen Bereich sind natürlich eine wichtige Teilvoraussetzung, um Systeme zu generieren, die .... wenigstens bescheiden gesagt ... irgend etwas mit dem Lebensprozess zu tun haben.
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Marianne
antwortete am 18.12.02 (18:29):
Golem war eine Figur aus Lehm, die ihrem Schöpfer gehorchte.
Werden die neuen Wesen sich selbst bestimmen können? Oder wem werden sie gehorchen?
Wann wird das soweit sein?
Wird es dann noch unsere Menschheit geben?
Diese Fragen befallen mich ( bin geisteswissenschaftlich orientiert) , wenn ich Deine Fragen, Wolfgang, lese.
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