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THEMA:   Medizin und Gewissen

 19 Antwort(en).

MThrein begann die Diskussion am 26.05.01 (17:11) mit folgendem Beitrag:

Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnosti PID werden sehr kontrovers diskutiert. Den vielen kranken Menschen wird Hoffnung gemacht, die Gentechnologie könnte ihnen mit Hilfe der Stammzellenforschung Heilung bzw neue Medikamenten bringen. Die Wirtschaft sagt: "Deutschland muss Spitze bleiben in der Bio- und Gentechnologie, sonst nehmen uns andere Staaten die Geschäfte weg.
Beide Argumente kann man nachvollziehen. Aber was bedeuten Stammzellenforschung und PID für den Menschen, die Menschenwürde, für Behinderte und Mütter und Väter, die ein behindertes Kind haben? Welche Gefahren beinhaltet die Gentechnologie? Genmanipulierte Lebensmittel sind im Handel. Langzeitschäden können noch nicht bekannt sein. Ich glaube, dass sind ausreichend offene Fragen für eine Diskussion.


Heidi antwortete am 26.05.01 (18:52):

Die Gefahr liegt nicht in der Wissenschaft und Forschung.

Die Gefahr liegt in den Menschen, die dieses Wissen für ihren Profit, ihre Machtgier mißbrauchen.


Karl antwortete am 26.05.01 (22:13):

Es ist auch wichtig den Unterschied zwischen PID (Präimplantationsdiagnostik) und Stammzellforschung zu betonen.

PID bedeutet, dass eine in vitro befruchtete Eizellen und eventuell ein erster hieraus hervorgehender Zellhaufen vor der Implantation in die Frau einer genetischen Diagnose unterzogen wird. Hiermit kann z.B. verhindert werden, dass ein Embryo mit sichtbaren Chromosomenmutationen (besonders schweren Erbschäden) implantiert wird. Würde er implantiert, käme es in späteren Entwicklungsstadien zum Spontanabort (bei Chromosomenzahlanamolien der meisten Chromosomen mit Ausnahme der Chromosomen X und 21). In der BRD werden in der Pränatalen Diagnostik (die während der Schwangerschaft stattfindet) genetisch erkennbar geschädigte Embryonen, die nicht spontan verloren gehen, zu einem hohen Prozentsatz aufgrund der Entscheidung der Frau (oder Eltern) relativ spät abgetrieben.

Die Befürworter der PID sagen, dass durch die PID die Zahl der Abtreibungen drastisch reduziert und somit auch die Chance einer Frau auf ein gesundes Kind erhöht werden könnte.

Die Gegner der PID befürchten, dass diese Methode bald nicht nur auf schwere bekannte Erbkrankheiten angewendet, sondern auch zur Selektion der richtigen Augenfarbe eingesetzt würde.

Zur Stammzellforschung: Unter Stammzellen versteht man Zellen des Embryos - sie kommen aber auch bei ausgewachsenen Tieren und Menschen vor, die entwicklungsbiologisch noch vieles werden können, im Extremfall ein ganzer Mensch. Die Stammzellforschung ist also wichtig, wenn über das Klonen von Tieren und Menschen gesprochen werden soll. Während meist ein breiter Konsens besteht, dass das Klonen (Vervielfältigen) ganzer Menschen tabu sein soll, wird über das therapeutische Klonen von "Ersatzteilen" heftig gestritten. Ist es unethisch zu verbieten, für schlechte (Krankheits-)Tage Vorsorge zu treffen und in einem frühen Entwicklungsstadium von einem Organismus abgezweigte Stammzellen zur Aufzucht benötigter Organe zu verwenden oder ist es gerade unethisch dies zu tun? Zur Zeit geht es um die Frage, ob überhaupt die Erforschung der Möglichkeiten erlaubt werden soll.

Die Gegner speziell der embryonalen Stammzellforschung sagen, dass Stammzellen aus Erwachsenenstadien das gleiche Potential haben und die Forschung an embryonalen Stammzellen deshalb unnötig sei. Die Befürworter der embryonalen Stammzellforschung sagen, dass dies noch gar nicht erforscht sei und sie vermuten, dass Stammzellen aus Erwachsenenstadien eben doch eingeschränktes Potential besitzen.

Die Diskussionen kreisen also einmal noch um das tatsächliche Ausmaß der biologisch-medizinischen Möglichkeiten, andererseits wird es aber einer zunehmenden Zahl von Menschen bewußt, dass dem Menschen mit diesen Techniken eine völlig neue, bisher unvermutete Verantwortung zugewachsen ist, über die öffentlich ernsthaft diskutiert werden muss. Ernsthaft bedeutet für mich, dass man die Argumente beider Seiten sorgfältig abwägen muss.

Es kann unverantwortlich sein etwas zu tun, es kann aber auch unverantwortlich sein, etwas zu unterlassen.


Jan antwortete am 27.05.01 (23:31):

zum glück bin ich gesund
und kann noch die lage beurteilen.
das können menschen nicht mehr,
die im rollstuhl sitzen, die wollen
wieder laufen, koste es was es wolle.

interessante seite zum thema:

https://www.xoda.de/set2.htm

(Internet-Tipp: https://www.xoda.de/set2.htm)


Karl antwortete am 28.05.01 (08:30):

naja,

das wird wohl jeder merken. Obige Seite ist nicht ganz ernst gemeint, es ist eine gut gemachte Persiflage. Seriöse Information findet sich u.a. auf folgender Seite:
https://www.lifescience.de/

MfG Karl

(Internet-Tipp: https://www.lifescience.de/)


MThrein antwortete am 28.05.01 (14:55):

Nicht nur körperlich gesunde Menschen können klar denken. Auch kranke Menschen können eine Lage noch objektiv beurteilen und wissen sehr gut was möglich ist und was nicht. Die äußerung, dass Menschen, die im Rollstuhl sitzen wieder laufen wollen, koste es was es wolle, ist Behinderten diskriminierend.
Das Argument, dass die Gentechnik die Möglichkeit bietet Heilung für unheilbare Krankheiten zu bringen ist ein Totschlag -Argument. Dieses Argument zielt auf die emotionale Betroffenheit Einzelner und führt dazu, dass es schwierig wird, eine sachliche Diskussionen zu führen. Es ist nicht fair und dient nicht der Sache. Die Diskussion, welche Möglichkeiten die Gentechnik bietet zum Wohle der Menschen und deshalb ermöglicht werden sollten und wie man verhindert, dass Verfahren erlaubt werden, die wenig Nutzen bringen aber zur Selektion missbraucht werden können sollten alle Menschen diskutieren, auch Behinderte.


Hanna Born antwortete am 30.05.01 (18:44):

Es ist sehr schwierig sich eine ausreichende Information für eine eigene Meinung zu verschaffen. Die Ausführungen, die man bekommt, sind immer nach den jeweiligen Einstellungen und deren Nützlichkeit gefärbt. Ich nehme fast an, daß die Diskussion ein Feigenblatt ist und die Entscheidungen an anderen, nicht einsehbaren Orten fallen, bezw, zum größten Teil schon gefallen sind. Denn es geht um dehr viel Geld.Natürlich gibt es dabei ja auch vertretbaren Fortschritt für die Allgemeinheit. Aber wer überschaut und soll das kontrollieren? Fragen über
fragen. Antworten? Gruß an alle Mitddenkenden HANNA


Ricardo antwortete am 31.05.01 (22:01):

Heute war eine lebhafte Debatte im Bundestag über die anstehenden Fragen der Gentechnologie und ihre Anwendung im medizinischen Bereich.
Als pensionierter Arzt bin ich auf der Seite der Befürworter der Stammzellenforschung.
Kanzler Schröder hat es richtig formuliert: Es muß auch an die Ethik der Hilfeleistung für schwer kranke Menschen gedacht werden.
In der Medizin wandeln sich nicht nur die Diagnostik und die Therapiemethoden, auch die Krankheitsbilder verändern sich, so werden neue Methoden der Behandlung gefunden werden müssen, die auch auf längere Sicht eine Entlastung für die Finanzlage im Gesundheitswesen bringen könnten.(Beispiel: billige Herstellung von Insulin durch genveränderte Bakterien).
Ich bin dafür, daß die embryonalen Stammzellen erforscht werden sollten, auch wenn Bedenken bestehen wegen einer Überschreitung von Grenzen der Moral. Diese Grenzen sind ja längst überschritten, wie auch im Bundestag gesagt wurde.
Was die Gen-Diagnostik bei Implantation einer befruchteten Eizelle betrifft, so ist auch hier meine Ansicht : Man sollte das genehmigen. Wenn sich in bisher doch sehr seltenen Fällen eine Mutter bereit findet eine solche Operation zu wagen, dann sollte sie auch ein Recht haben auf ein gesundes Baby.
Dies betrifft vielleicht eine Geburt auf Tausend, so ist meine Schätzung.
Die Behinderten sollten das doch nicht als eine Entwertung oder Bedrohung ihrer Existenz ansehen.
Im übrigen gibt es viele Behinderte, die nicht durch ein Erbleiden, sondern durch schwere Geburt, Unfälle oder schwere Krankheiten betroffen waren.


Wolfgang antwortete am 02.06.01 (14:02):

Meistens, wenn von Ethik, Moral und Gewissen gesprochen wird, ist es nicht weit her damit. Besser wäre es, über Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze, Umsätze, Profite... zu reden, denn genau darum geht es. Die moralische Keule in der Hand und das Leiden kranker Menschen als Feigenblatt umgebunden, ziehen die BefürworterInnen der Gentechniken durchs Land. Grössenwahnsinnige und damit gefährliche WissenschaftlerInnen wurden von der Leine gelassen. Gewonnen haben sie längst...

Das Geschäft mit Embryonen - das sind Menschen in einem frühen Stadium ihres Lebens - brummt. Die (embryonale) Stammzellenmedizin braucht diese ausbeutbaren "Zellhaufen", wie einige ihrer VertreterInnen menschliches Leben verächtlich nennen. - Der Philosoph Hans Magnus Enzensberger schreibt:

" [...] Letzten Endes wird die Utopie der totalen Beherrschung der Natur und des Menschen, wie alle bisherigen Utopien, nicht an ihren Gegnern scheitern, sondern an ihren eigenen Widersprüchen und an ihrem Größenwahn. Noch nie hat sich die Menschheit freiwillig von ihren Allmachtsphantasien verabschiedet. Erst wenn die Hybris ihren Lauf genommen hat, wird die Einsicht in die eigenen Grenzen, vermutlich zu einem katastrophalen Preis, notgedrungen die Oberhand gewinnen. Dann wird auch eine Wissenschaft, die wir achten und mit der wir leben können, wieder eine Chance haben."

Hans Magnus Enzensberger:
Putschisten im Labor
Über die neueste Revolution in den Wissenschaften
https://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,137510,00.html

(Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,137510,00.html)


Karl antwortete am 02.06.01 (20:24):

Lieber Wolfgang,

vielen Dank für den Link. Die "Polemik" von Hans Magnus Enzensberger ist lesenswert.

Zu Deinen Bemerkungen möchte ich sagen, dass es unfair ist, wenn Du pauschal behauptest "Die moralische Keule in der Hand und das Leiden kranker Menschen als Feigenblatt umgebunden, ziehen die BefürworterInnen der Gentechniken durchs Land." Damit unterstellst Du, dass Befürworter der Gentechnik ohne Ausnahme Heuchler seien. Meine Erfahrung ist, dass Gentechniker ganz normale Menschen sind, von denen viele (ob nun nach Deiner Meinung zu unrecht, nach meiner manchmal zu recht) überzeugt sind, Sinnvolles zu tun.

Aber ich stimme Enzensberger zu, wenn er sagt: "Tatsache ist, dass ein ethischer Konsens in den grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz schlechterdings nicht mehr vorhanden ist." Die traditionellen Überzeugungsstrukturen sind ins Wanken geraten und neue noch nicht geschaffen. Wir leben in einer gefährlichen Umbruchsituation, in der niemand voraussehen kann, wohin es die gesellschaft führt.

Es ist aber völlig verkürzt, wenn der Wissenschaft diese Situation sozusagen als moralischer Vorwurf entgegengeschleudert wird. Selbst nach Enzensberger ist im Bedarfsfall niemand mehr bereit, "auf Rettungshubschrauber, Kernspintomografen und Antibiotika zu verzichten". Schon heute kann diese Liste um Stammzelltransplantationen bei manchen Krebsarten, Herz- und Nierentransplantationen erweitert werden. In Kürze wird hier addiert werden müssen, Krebstherapien, PID und Pflegeroboter.

Es ist zu einfach, eine Gruppe, hier die Wissenschaftler und die Industrie, als die Bösen hinzustellen. Beide suchen Lösungen für real existierende Probleme, die durch Krankheiten und vor allem durch die Bevölkerungsentwicklungen (vielerorts zu viel, bei uns zu wenig) entstehen. Dass die Industrie "Geld vedienen" will, qualifiziert sie bei weitem noch nicht automatisch als das "Böse" schlechthin. Geld kann man nämlich am besten damit verdienen, dass man einen Weg findet, real existierende Bedürfnisse zu befriedigen, für die Leute auch bereit sind, Geld zu zahlen.

Unsere im wesentlichen auf den christlichen Überlieferungen basierende Moral wird mit dem Zuwachs der technischen Möglichkeiten allerdings nicht fertig. Wir brauchen ein neues Fundament und dieses ist nicht vorhanden.

Deshalb nochmal zu Enzensberger: Ich teile seine Ansichten in weiten Teilen nicht, aber seine Sorge, dass die Entwicklungen zu großen Verwerfungen in der menschlichen Gesellschaft führen können, ist berechtigt.


Wolfgang antwortete am 03.06.01 (12:43):

Ich bin selbstverständlich mit Dir der Meinung, Karl, dass die Menschen (also auch die GentechnikerInnen) von sich immer die beste Meinung haben und (wiederum von sich aus gesehen) in aller Regel das Beste wollen. Meine Kritik richtet sich gegen das, was GentechnikerInnen wirklich tun, und nicht so sehr gegen die Motive ihres Tuns. Ihr Tun hat in der Tat etwas Monströses, ja Totalitäres an sich. Ihr Sendungsbewusstsein ist stark ausgeprägt und ihr Glaube an den Fortschritt scheint unerschütterlich. Bei solcher Konstellation bleibt die Vernunft auf der Strecke...

Ich möchte einen Befürworter der biotechnischen Revolution beispielhaft vorstellen: Professor Gregory STOCK, Direktor des Programms für Medizin, Technologie und Gesellschaft an der School of Medicine der University of California, Los Angeles. Seine Botschaft: Der Mensch wird Herrscher über die eigene Evolution. Sein Ausblick (Zitat):

"Und vielleicht werden sie [die künftigen Generationen, W. M.] unsere Gegenwart als jene merkwürdige primitive Epoche sehen, in der Menschen nur [sic!, W. M.] 70 oder 80 Jahre lebten, an grauenvollen Krankheiten zu Grunde gingen und ihre Kinder außerhalb der Labors zeugten - durch das zufällige und ungeplante Aufeinandertreffen von Spermium und Ei."

Die Verheissung des planbaren, gestylten, gesunden, schmerz- und leidfreien, ewigen Lebens ist deren Botschaft. Zur Zeit fallen alle noch in Resten vorhandene Tötungshemmnisse... Eine Zivilisation des Todes entsteht, marketingmässig aufgemacht als Kultur des Lebens. Der Weg zum - vermeintlich hohen und hehren und technisch realisierbaren - Ziel wird eine Spur des Grauens hinterlassen.

Gregory STOCK:
Der Geist ist aus der Flasche
https://www.spiegel.de/spiegel/21jh/0,1518,72242,00.html

(Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/spiegel/21jh/0,1518,72242,00.html)


MThrein antwortete am 03.06.01 (14:12):

Eine Übereinstimmung sehe ich in allen Beiträgen, dass neben der wissenschaftlichen Diskussion eine ethische Diskussion notwendig ist. Hier liegt auch die Schwierigkeit, denn eine ethische Diskussion ist eine Diskussion darüber was wollen wir und dann was können wir. Die Diskussion ist auch nicht neu. Jede Zeit musste diese Diskussion in Verantwortung für die Menschen und die kommenden Generationen führen.
Sicher wollen wir alle, dass Krankheiten geheilt werden. Diskutiert werden muss jedoch zu welchem Preis es möglich sein soll. Es darf nicht zu jedem Preis möglich sein und es darf nicht dazu führen, dass kranke und behinderte Menschen diskriminiert werden, nach dem Motto, solche Menschen müssen heute nicht mehr gebornen werden, sie haben kein Recht zu leben. Auch muss die Wissenschaft ehrlich bleiben und darf nicht den Anschein erwecken, sie könnte, wenn es nur erlaubt wäre alle Krankheiten heilen und den Menschen dazu verhelfen unsterblich zu werden.
Unsere auf christliche Überlieferung basierende Moral und auch die Werte anderen großen Weltideologien können als Fundament für eine solche Wertediskussion schon herhalten. Das Menschenbild in den großen Weltideologien ist gut und richtig. Was die Menschen teilweise in die Ideologien reininterpretiert haben hat zu manchem Krieg und zu Vernichtung von vielen Menschen im Namen großer Ideologien geführt. Dadurch, dass eine Ideologie von Menschen missbraucht wird, wird die Ideologie nicht falsch. Wir brauchen keine neue Ideologie, auf der Basis der heutigen technischen Möglichkeiten, wir müssen nur auch eine ideologisch geprägte Diskussion führen auf der Basis alter Werte und diese Diskussion muss in allen Gruppen der Gesellschaft geführt werden. Wir sollten sie nicht Ethikkommissionen oder anderen Gruppen der Gesellschaft
überlassen und glauben, dass sie uns kleinen Menschen nichts angeht aber schimpfen, wenn etwas erlaubt wird, was wir nicht wollen oder umgekehrt.


Karl antwortete am 03.06.01 (14:15):

Lieber Wolfgang,

Du bringst immer sehr gute Quellen. Ich danke Dir dafür. Ich glaube auch, dass wir beide die Brisanz der gegenwärtigen Entwicklung gleichermaßen erkannt haben. Ich respektiere auch Deine Meinung und weiß, dass Du ein ernsthafter Diskutant bist. Gleiches hoffe ich, gesteht Du auch mir zu.

Lass uns die Gründe für die unterschiedlichen Bewertungen, die wir haben, herausarbeiten. Ich glaube es geht im Prinzip um die Bewertung einer Aussage, die auch Gregory Stock gemacht hat. Ich zitiere: "Denen, die sagen, wir dürfen nicht Gott spielen, halte ich entgegen: Wir tun es schon längst - jedes Mal, wenn wir ein Verhütungsmittel benutzen oder eine Niere verpflanzen."

Du bist entsetzt darüber, dass Menschen "ihre eigene Evolution selbst in die Hand nehmen" und erwartest nichts als Monströsitäten. Ich meinerseits sehe in der Gentechnik ein hochentwickeltes Werkzeug, mit dem man Gutes und Böses tun kann, so wie das bei Werkzeugen allgemein der Fall ist. Ich bin kein unkritischer Befürworter jeglicher gentechnischer Projekte, sondern plädiere für eine gründliche Prüfung in jedem Einzelfall.

Bist Du prinzipiell der Meinung, dass der Mensch Hybris begehe, wenn er (gottgewollte?) Erbschäden beseitigt? Ich bin der Meinung, dass wir verpflichtet sind, das gewonnen Wissen auch einzusetzen, sonst ist es unterlassene Hilfeleistung.

Leben wir in einer gefährlichen Umbruchphase, weil der Mensch die Grundlagen seiner realen Existenz zu verstehen begonnen hat - oder weil die "Geisteswissenschaften und Theologien" bei der Interpretation der realen Welt versagen? Diese haben m.E. zulange ohne Realitätsbezug nur ideologische und rhetorische Luftblasen erzeugt und sind deshalb jetzt nicht mehr in der Lage, sinnvolle Verhaltensregeln für die Zukunft zu formulieren.

Sind die Wissenschaftler dafür zu schelten, dass sie herausgefunden haben, wie die Organismen funktionieren? Es gibt eben keine Entelechien oder übernatürliche Kräfte, sondern Organismen funktionieren entsprechend den Naturgesetzen. Es ist an der Zeit, dass auch der ideologische Überbau diese Fakten akzeptiert und nicht so tut, als gäbe es diese Erkenntnisse nicht.

Die kommende Krise in unserer Gesellschaft wird durch den Zusammenbruch der herrschenden Ideologie zustandekommen. Naturgegeben ist eben nicht gottgegeben.


Karl antwortete am 03.06.01 (14:50):

Liebe Mechthild,

unsere Beiträge haben sich wohl überschnitten. Ich möchte auch Dir antworten. Obwohl ich der Meinung bin, dass die herrschende christliche Ideologie grosse Probleme hat zu verstehen, was vor sich geht, teile ich deine Auffassung, dass die christlichen Werte (ich denke hier z.B. an Nächstenliebe, Respekt vor dem Leben u.a.) wichtige und erhaltenswerte Pfeiler sind, auf denen eine Gesellschaft auch in Zukunft aufbauen muss.

Ich mache mir Sorgen, weil ich befürchte, dass das ideologische Vakuum, dass wir zur Zeit haben, bald von "falschen Propheten" nur so wimmeln wird. Es wird neue Religionen geben, die auf der Machbarkeit des Menschen aufbauen. Hoffen wir, dass die Gentechnik in Zukunft nicht von einer Priesterkaste angeeignet wird. Der beste Schutz dagegen ist es, die neuen Techniken nicht zu verbieten (und damit extrem teuer und zu einem Privileg der Reichen zu machen), sondern kontrolliert im öffentlichen Raum zu ermöglichen.


Wolfgang antwortete am 06.06.01 (13:44):

Unsere Gesellschaft gründet sich auf ethischen Normen - insbesondere auf christlichen Glaubensgrundsätzen - die allesamt eines fordern: Den Schutz des menschlichen Lebens in ALLEN seinen Formen und zu JEDEM Zeitpunkt. Der grundlegendsten ethischen Norm haben sich alle zu fügen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Forscher, die menschliche Embryonen, also menschliches Leben, töten ("verbrauchen", wie sie das nennen), verstossen in eklatanter Weise gegen diese Norm.

Weil Wissenschaft und Wirtschaft sich allzu begehrlich zeigten am menschlichen Leben, wurde vor knapp über 10 Jahren das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz, ESchG) erlassen.

Das Gesetz in dieser Ausgestaltung schützt das menschliche Leben - in diesem Fall den Embryo. Es ist eines der strengsten Gesetze dieser Art in der Welt. Deshalb wird jetzt von interessierten Kreisen nach Gesetzeslücken gesucht. Solch eine haben sie angeblich gefunden: Import von menschlichen Embryonen aus dem Ausland.

Solche Importe widersprechen aber dem Geist des Gesetzes. Das Gesetz darf auf keinen Fall verwässert werden. Im Gegenteil: Es muss klarer formuliert werden. Der Import, überhaupt der gewerbsmässige Handel mit menschlichen Embryonen, muss verboten bleiben. Ausnahmeregelungen für die Wissenschaft darf es nicht geben.

Gesetzestexte. ESchG und Richtlinien der Bundesärztekammer
https://www.wunschkinder.de/gesetze/ESchG.html

(Internet-Tipp: https://www.wunschkinder.de/gesetze/ESchG.html)


Karl antwortete am 06.06.01 (19:33):

Lieber Wolfgang,

dein Text liest sich jetzt sehr fundamentalistisch. Dogmatismus kann sehr grausam sein. Aber hierüber könnte man wahrscheinlich besser sich gegenübersitzend diskutieren als hier. Ich will es trotzdem versuchen.

Der Grundsatz, dass das Leben zu schützen ist, ist auch meiner. Wie aber kann Leben am besten geschützt werden? Du machst es Dir zu einfach, wenn Du glaubst dies optimal dadurch zu erreichen, dass Du dem Menschen verbietest, in die Natur einzugreifen. Auch die Natur kann - wie wir alle wissen - sehr grausam sein, z.B. wenn eine Schwangerschaft spontan (ohne Eingriff von außen!) wegen einer Entwicklungsstörung abgebrochen wird. Manche Menschen, das wissen wir auch alle, sind genetisch vorbelastet. Sie tragen ein hohes Risiko, erbgeschädigte Kinder, bzw. gar keine zu bekommen. Die Natur läßt hier den Zufall walten. Ein bestimmter Prozentsatz der Embryonen ist gesund, der Rest bleibt auf der Strecke. Mit PID könnte einer Frau die Entscheidung für das Kind erleichtert werden, denn der Zufall wird weitgehend ausgeschaltet, die Wahrscheinlichkeit für ein gesundes Kind drastisch erhöht. Die Natur spielt russisches Roulette. Ich würde es für eine zutiefst unethische Entscheidung halten, wenn hier der menschliche Eingriff verboten werden sollte.

Ob z.B. PID menschenfeindlich ist, kann der Leser beurteilen. Ich halte die PID für menschen- und mutterfreundlich.

Eine Bemerkung zur Biologie der Eizellen sei mir noch erlaubt. Jede Frau trägt schon bei Ihrer eigenen Geburt alle ihre Eizellen in einem Vorstadium in sich. Auch aus anderen Gründen kann eine Frau nur eine begrenzte Anzahl von Kindern zur Welt bringen, d.h. nur eine Teilmenge ihrer Eizellen hat je die Chance zu einem Embryo heranzuwachsen. Soll ich von den Spermien reden? Die müssen schon im Lotto gewinnen. Wieso soll es unethisch sein, dabei zu helfen, dass diejenigen ohne Chromosomenschäden zum Zuge kommen?

Es ist nicht prinzipiell ethisch, die Natur walten zu lassen. Wir greifen überall als Menschen in die Natur ein. Wieviele von uns könnten hier noch schreiben oder lesen, wenn wir immer nur der Natur den freien Lauf gelassen hätten. Mich z.B. gäbe es nicht mehr.


Beste Grüße, Karl


Wolfgang antwortete am 07.06.01 (13:27):

Es ist geradezu gespenstisch, Karl... Alleine die Tatsache, dass ich die bestehende (!) Rechtslage erwähne, liest sich für Dich schon fundamentalistisch. Das Embryonenschutzgesetz schützt menschliche Embryonen vor allzu forschen ForscherInnen. Deshalb ist es ein Dorn im Auge derer, die sich freie Bahn wünschen in ihrem Verwertungsdrang.

Aber noch gibt es einen - wenn Du so willst, fundamentalen - Grundsatz in unserer Gesellschaftsordnung: Menschliches Leben in JEDER Form und zu JEDEM Zeitpunkt muss geschützt werden. Das bestehende Embryonenschutzgesetz ist ein gutes Gesetz. Es sollte nur noch eine klare Formulierung rein: Allen ist es untersagt, durch Importe von menschlichen Embryonen dieses Gesetz zu unterlaufen.


Marianne Davis antwortete am 07.06.01 (15:59):

Meine subjektive Meinung zu diesem Thema ist:Wärend wir hier diskutieren, Links und andere Quellen zitieren, ein Für und Wider abwägen, sind im Stillen schon längst alle Würfel gefallen. Das heisst: Was in der Forschung möglich ist, wird auch praktiziert.Ob die Politik jetzt öffentlich ihre Zustimmung gibt, dagegen spricht, ist doch nur eine äusserlichkeitWie gesagt, das ist meine eigene, subjektive Meinung.


Karl antwortete am 08.06.01 (07:01):

Lieber Wolfgang,

es ist eine fundamentale, nur weltanschaulich zu begründende Haltung, den Wert einer menschlichen Stammzelle mit dem Wert eines Menschen gleichzusetzen. Dies entspricht nicht der Biologie. Ein Embryo mit Nervensystem, der abgetrieben wird, stellt für mich einen wesentlich höheren Wert dar, als eine einzelne Zelle oder ein Zellhaufen ohne Nervensystem. Der Mensch ist nicht, er wird. Wenn man dieser Tatsache nicht ins Auge sehen will, sondern unbarmherzige Definitionen walten läßt, können die resultierenden Entscheidungen auch nur unbarmherzig sein, z.B. gegen die PID und für die Abtreibung oder gegen die Mutter.

MfG Karl


Wolfgang antwortete am 08.06.01 (13:22):

Hallo, Karl... Natürlich sind menschliche Werte, Ziele, Rechtsnormen... nicht aus der Natur abzuleiten. Allerdings ist die Natur als Ganzes als eine dem Menschen übergeordnete "Instanz" von sich aus ein eigener und ganz besonderer Wert. - Menschen schaffen sich in diesem Rahmen Regeln. Regeln sind Übereinkommen darüber, was als "Gut" und was als "Schlecht" zu gelten hat. Um das gewünschte Verhalten sicherzustellen, werden dann entsprechende Gebote oder Verbote erlassen.

Deine persönliche Unterscheidung sei Dir unbenommen. Sie deckt sich aber nicht mit der Rechtslage. Das Embryonenschutzgesetz schützt den Embryo von Beginn seines Lebens an, also ab dem ersten Tag. So ist die Lage... Und ich bin froh, dass Biologen (oder andere NaturwissenschaftlerInnen) nicht darüber befinden dürfen, was ihnen erlaubt ist und was nicht. Die meisten von ihnen würden wohl genau so argumentieren, wie Du es tust: Eine Ethik ist aus der Natur nicht herauszulesen, also kann ich mit ihr und besonders mit dem menschlichen Leben umgehen, wie ich es will und machen, was ich will. - Um solch einen Horror abzuwenden, steht in unserer Gesellschaftsordnung der Schutz des menschlichen Lebens in ALLEN seinen Formen und zu JEDEM Zeitpunkt an erster Stelle.

Dieser Schutz droht jetzt unterzugehen, selbst bei (möglicherweise hier und dort vorhandenen) hohen und hehren Motiven der ForscherInnen. Der Schutz droht unterzugehen, weil die Biotechniken die Basis lukrativer Geschäftsfelder sind. ForscherInnen haben eine moralische Verpflichtung: Sie dürfen nicht nur ihr Fachgebiet sehen und ihre wissenschaftlichen Forschungen... Sie haben die verheerenden Folgen der Techniken zur Selektion menschlichen Lebens zu bedenken: Wenn der noch gültige Schutz wegfällt, dann wird das, was BiotechnikerInnen zur Zeit planen oder schon tun, in unserer kapitalistisch verfassten, auf Dynamik ausgerichteten Volkswirtschaft zu einer Zivilisation des Todes führen. Das Leben wird dann auf der Strecke bleiben...