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THEMA:   John le Carré: Die USA sind wahnsinnig geworden

 3 Antwort(en).

Webmaster im Auftrag von DorisR begann die Diskussion am 20.02.03 (16:55) mit folgendem Beitrag:

Der folgende Text aus der Times (London) wurde von der ST-Teilnehmerin Doris Routliffe aus Kanada ins Deutsche übersetzt. Jo hat mir diesen Text zugeschickt, obwohl er inhaltlich nicht zustimmt. Das finde ich gute praktizierte Meinungsfreiheit!

Da der Text sehr lang ist und die normale Grenze eines Beitrags sprengt, stelle ich ihn nachfolgend manuell ein.

USA sind wahnsinnig geworden

von John le Carre (einer der führenden heutigen Kriminalroman - Autoren) in The Times, Opinion (UK)

Amerika ist in eine Periode seines geschichtlichen Wahnsinns eingetreten, aber diese ist die schlimmste, an die ich mich erinnern kann. . .

Die Reaktion auf den 11. September ist weitaus größer als was Osama bin Laden sich hätte erträumen können . . .

Der bevorstehende Krieg war vor Jahren schon geplant, ehe bin Laden zuschlug, aber er war es, der ihn nun möglich macht. Ohne bin Laden würde die Bush Junta noch immer versuchen, solch raffinierte Dinge zu erklären, wie es überhaupt dazu kam, daß sie gewählt wurde; Enron; ihre schamlose Bevorzugung der schon viel zu Reichen; ihr rücksichtsloses Übersehen der Armen dieser Welt, der Ökologie und einen Stapel von durch die Bank abgeschafften internationalen Abkommen. Sie müssen uns wohl auch sagen, warum sie Israel, das weiterhin die UN Resolutionen ignoriert, unterstützen.

Aber bin Laden hat all das praktischerweise unter den Teppich gekehrt. Die Bush-Krieger sind auf dem hohen Ross. Jetzt wollen 88 Prozent der Amerikaner den Krieg, sagt man uns. Das US Verteidigungsbudget ist um $60 Milliarden auf rund $360 Milliarden erhöht worden. Eine fabelhafte neue Generation von nuklearen Waffen sind in Vorbereitung, somit können wir ja beruhigt sein....

Was wird das die amerikanischen Steuerzahler alles kosten? Wie viele amerikanische Tote und wie viele irakische Tote wird es kosten? Was wird es kosten - - denn die meisten dieser 88 Prozent sind durch und durch anständige und humane Menschen?

Wie Bush und seine Junta es bewerkstelligt haben, Amerikas Wut von bin Laden auf Saddam Hussein zu lenken, ist einer der größten Zaubertricks der Geschichte. . Jeder zweite Amerikaner glaubt jetzt, daß Saddam für den Angriff auf das World Trade Centre verantwortlich war. Das amerikanische Volk wird nicht nur irregeführt, sondern unter Druck und in einem anhaltenden Zustand von Unwissenheit und Angst gesetzt. Diese absichtlich hervorgerufene Neurose sollte Bush und seine Mitverschwörer leicht in die nächste Wahl tragen.

Gott ist Bushs Verbündeter, und Gott hat sehr seltsame politische Ansichten. Gott hat Amerika dazu ernannt, die ganze Welt zu retten und zwar auf jegliche Weise, die Amerika paßt. Gott hat Israel dazu ernannt, der Nexus für Amerikas Politik im Mittleren Osten zu sein, und jemand, der mit dieser Idee nicht einverstanden ist, ist (a) anti-semitisch, (b) anti-amerikanisch, (c) feindlich, und (d) ein Terrorist.

In Amerika, wo alle Menschen in Gottes Augen, wenn auch nicht untereinander, gleichgestellt sind, zählen zur Bush Familie ein Präsident, ein ehemaliger Präsident, ein ehemaliger Direktor der CIA, der Gouverneur von Florida, und der ehemalige Gouverneur von Texas. An ein paar Hinweisen interessiert?

George W. Bush, 1978-84, Geschäftsführer, Arbusto Energy/Bush Exploration, eine Ölfirma; 1986-90, Geschäftsführer, Harken Öl Gesellschaft. Dick Cheney, 1995-2000, Geschäftsführer der Halliburton Öl Gesellschaft. Concoleezza Rice, 1991-2000, Geschäftsführerin der Chevron Öl Gesellschaft, usw.. Aber keine dieser unwichtigen Beziehungen beeinflußt Gottes Rechtschaffenheit.

Während der ehemalige Präsident Bush 1993 einen Besuch in dem ewig demokratischen Kuwait machte, versuchte jemand, ihn zu töten. Die CIA glaubt, dieser "jemand" war Saddam. Daher schreit Bush Junior jetzt: "Der Mann hat versucht, meinen Vati zu töten". Aber dieser Krieg hat nichts Persönliches, er ist noch immer notwendig und Gottes Werk. Es handelt sich noch immer darum, den unterdrückten Irakern Freiheit und Demokratie zu bringen.

Was Bush uns nicht sagt, ist die Wahrheit darüber, warum wir Krieg machen werden. Es handelt sich nicht um die Achse von Gut und Böse, sondern um Öl, Geld und das Leben von Menschen. Saddam hat das unglückliche Schicksal, daß er auf dem zweitgrößten Ölfeld der Welt sitzt. Bush will es haben, und wer ihm dabei hilft, wird ein Stück davon bekommen, wer's nicht tut, bekommt nichts.

Wenn Saddam das Öl nicht hätte, dann könnte er seine Einwohner ungehindert quälen. Andere Staatsoberhäupter tun es täglich - man denke an Saudi Arabien, Pakistan, Türkei, Syrien, ägypten.

Bagdad stellt keine "klare und gegenwärtige" Bedrohung seiner Nachbarn dar, auch nicht für die USA oder England. Saddams Massenvernichtungswaffen, falls er sie noch hat, sind unerheblich im Vergleich zu dem Zeug, das Israel oder Amerika mit nur fünf Minuten Warnung auf ihn schleudern könnte. Worum es sich hier dreht, ist nicht eine unmittelbare militärische oder terroristische Bedrohung, sondern das wirtschaftliche Wachstum der USA. Worum es sich hier dreht, ist die Notwendigkeit, uns allen Amerikas militärische Macht zu demonstrieren - - Europa und Rußland und China und dem armen kleinen Nordkorea sowohl als auch dem Mittleren Osten; zu zeigen, wer Amerika zuhause regiert, und wer von Amerika im Ausland regiert werden soll.

Die freundlichste Auslegung in Bezug auf Tony Blairs Mitwirkung ist, daß er geglaubt hat, er könne den Tiger reiten und ihn somit steuern. Kann er nicht. Stattdessen hat er ihm eine falsche Legitimierung und eine glatte Stimme gegeben. Jetzt befürchte ich, daß derselbe Tiger ihn in einer Ecke eingeschlossen hat und er nicht entrinnen kann.

. . .Blairs beste Chance, selbst zu überleben ist, daß zur elften Stunde weltweiter Protest und eine kaum wahrscheinliche ermutigte UNO Bush dazu zwingen wird, seine Pistole unbenutzt einzustecken. Aber was passiert, wenn der größte Cowboy der Welt in die Stadt zurück reitet ohne den [sic] Hut des Tyrannen, mit dem er den Leuten zuwinken kann?

Blairs schlimmstes Risiko ist, daß er uns, mit oder ohne UNO, in einen Krieg zerren wird, der hätte vermieden werden können, falls der Wille zu Verhandlungen dagewesen wäre; ein Krieg, der in England sowenig demokratisch debattiert worden ist wie in USA oder bei der UNO. Damit wird Blair die Beziehungen zwischen Europa und dem Mittleren Osten für Jahrzehnte geschädigt haben. Er wird dazu beigetragen haben, unvorhersehbare Vergeltung hervorzurufen, Unruhen im eigenen Land und Chaos in Gegenden des Mittleren Osten. Willkommen bei der Partei der ethischen Auslandspolitik.

Es gibt einen Mittelweg, aber der ist schwer: Bush geht los ohne die Billigung der UNO und Blair bleibt auf der Bank sitzen. Damit endet dann das besondere Verhältnis.

". . . Wir werden an diesem Krieg teilnehmen, falls er kommt, damit wir uns . . . unseren Anteil an dem Öltopf sichern, und deswegen, weil Blair nach all dem öffentlichen Händchenhalten in Washington und Camp David am Altar erscheinen muß."

"Aber werden wir gewinnen, Vati?" "Selbstverständlich, mein Kind. Es wird alles vorbei sein während du noch im Bett bist." "Warum?" “Weil sonst Mr. Bushs Wähler ganz schrecklich ungeduldig werden und ihn nicht wiederwählen werden." "Aber, Vati, werden Menschen getötet werden?" "Niemand, den du kennst. Nur Ausländer." "Kann ich's im Fernsehen sehen?" "Nur, wenn Mr. Bush es erlaubt." "Und hinterher, wird alles wieder normal sein? Niemand wird was Schreckliches mehr machen?" "Stille, mein Kind, schlaf jetzt."

Vergangenen Freitag fuhr ein Freund von mir in Kalifornien zum Supermarkt mit einem Aufkleber an seinem Wagen: "Frieden ist auch patriotisch". Dieser war verschwunden, als er seinen Einkauf erledigt hatte.

Du hast ein Anrecht auf Information, daraufhin zu handeln ist deine Pflicht.


Marianne antwortete am 20.02.03 (18:15):

Mir kommt vor, dass wir hier in "alter" Runde schon sehr vieles von dem, was wir jetzt lesen, gesagt haben - mitunter, was die Verhältnisse in den USA betrifft eher nur vermutet-.
Ich bin immer froh, ganz amerikanisch "Authentisches" zu lesen.
Und besonders bin ich froh, dass auf Deutsch tun zu dürfen.


Nuxel antwortete am 20.02.03 (19:19):

@ Marianne

ich kann nicht *froh* sein,
derartig inhumanes Geschreibsel zu lesen,oder lesen zu können!

mich schauderts!


Antonius antwortete am 21.02.03 (11:43):

@ Nuxel:
Wirklich, ohne Ironie und Hintertöne - was ist an den Aussagen von le Carré "inhuman"?
*
Meine Fragen an Dich: Hast Du das Interview von Drewermann gelesen?
Ich glaube auch, dass bin Laden sich in seinem mörderischen Menschenhass "freuen" könnte: Wenn der Irak die Waffen besitzt, weswegen der US-Bush das Land bestrafen will - dann wird der Diktator Saddam sie auch einsetzen - als Massenuntergangsszenario - wie Hitler das auch 1945 wollte...
Die wahrscheinlichen Folgen: ein (oder mehrere) ABC-Kriege...
Wenn Saddam diese Waffen n i c h t besitzt, dann ist das ganze Mords- und Kriegsgetue Unsinn; aber so is kaum eine friedliche Lösung mehr möglich, die vom Papst und sonst wen gewünscht wird. (Es ist auch eine prima Ablenkung in einem Land ("God bless us!"), wo - z.B. - Schüler andere Schüler und Lehrer in Schulen umbringen...; das Feindbild Saddam gibt bei Militaristen einen Superkitt ab.) Und ein verfolgtes, armseliges Volk wird mit Krieg überzogen.
Aber wenn irgendein irakischer General den Saddam umbringt... - und sich zum Befehlshaber macht, könnte er sich natürlich unterwerfen und viel Elend abwenden... Das ist noch die einzig positive Illusion, die ich mir zur Zeit mache. Ist aber unrealistisch.