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THEMA:   Heldentod?

 17 Antwort(en).

Johannes Michalowsky begann die Diskussion am 08.01.03 (10:02) mit folgendem Beitrag:

Im Zweiten Weltkrieg sind – ich greife heraus – 44.000 alliierte Flugzeugbesatzungen alleine bei der Brandschatzung deutscher Städte ums Leben gekommen. Etwa ebenso viele deutsche U-Bootfahrer sind in ihren Stahlsärgen elend erstickt oder ertrunken. Eine nicht ganz sichere Zahl von 270.000 deutschen Soldaten sind in und nach Stalingrad gefallen, erfroren, verhungert, an Krankheiten zugrunde gegangen. Alliierte Invasionstruppen sind am Strand der Normandie von der Verteidigung dahingemetzelt worden.

Südtiroler Verteidiger sind von italienischen Kommandos in die Luft gesprengt worden. Der Stellungskrieg im I. Weltkrieg hat Millionen Menschen in den Schützengräben und unter gnadenlosem Artilleriebombardement das Leben gekostet, man besuche die Gedenkstätten in Verdun oder im Elsaß.

Die Vorstellung von einem gegnerischen Bajonett im Bauch oder das Betrachten des Gruselkabinettes medizinischer Folterinstrumente aus der Schlacht von Waterloo ist beinahe unerträglich.

Man kann es auch umgekehrt sehen: Ein Bomber war für den Jäger das „Ziel“, ebenso bedrohliche U-Boote für ihre Jäger , oder die einen Kampfschiffe für die anderen. Menschen kommen da ebenso wenig vor wie bei der Aussage des US Piloten jetzt, die Karl an anderer Stelle zitiert hat.

Ich habe hier bewußt einmal Zivilisten einerseits und Holocaust und Genozid andererseits außen vor gelassen.

Denn ich denke – und diesen Gedanken befällt mich immer wieder, wenn ich an Ereignisse der geschilderten Art erinnert werde -, daß auch junge Männer, um die es sich hier durchweg handelt, schrecklich gelitten haben und unvorstellbar viele einen fürchterlichen Tod erleiden mußten. Da tröstet nur in geringem Ausmaß die Vorstellung, daß am Beginn Freiwilligkeit, ja Begeisterung für eine kriegerische Aufgabe stand, man denke nur an die Schilderung über das Auslaufen der Bismarck zu ihrer Todesfahrt. Viele, wahrscheinlich alle diese Opfer hatten sich das Ende wohl nicht so vorgestellt.

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/feldpost/begleitung/heldentod.html


Karl antwortete am 08.01.03 (10:55):

da stimme ich Dir voll zu, Jo.


schorsch antwortete am 08.01.03 (12:03):

So lange Menschen wie die Ratten von Hameln einem (Ver-)Führer nachlaufen, so lange wird es diese Helden geben!


bello antwortete am 08.01.03 (13:00):

Wer sich zum "Führer" machen will, braucht nur die Fähigkeit zu haben, eine Massenhysterie auszulösen.


Fred Reinhardt antwortete am 08.01.03 (13:51):

Solange Menschen zum töten ausgebildet werden, solange Menschen von Ausbildern das ICH genommen wird und zu Kampfmaschinen umfunktiniert werden, wird sich nichts ändern. Solange es Menschen in Uniform, wie Christbäume geschmückt, über Leben und Tod das Sagen haben wird sich nichts ändern. Solange es Staatsoberhäupter gibt die Menschen nur als Masse und die Einmaligkeit des Einzelnen übersehen, wird sich nichts ändern.

Wie scheinheilig sind doch die Ehrungen vor den Kriegerdenkmälern wenn man die Helden ehrt die man selbst zum Tode durch den Krieg verurteilt hat.


Eine Anmerkung noch : Ich lese alles ob mir der oder die Schreiber/in sympatisch ist oder nicht, sonst könnte ich ja auch nicht antworten.


mulde antwortete am 08.01.03 (14:07):

Fred Reinhardt
Dem kann ich nur zustimmen wer gibt den Ordensgeschmücketen
Weihnachtsbäumen nun das Recht ihre Untergebene zum "Heldentod" zu verurteilen?
So traurig wie es ist - es sind wir selbst mit unserer Wählerstimme.
wir haben sie gewählt - in gutenn Glauben - die Politiker
die aber machen nun die Gesetze womit der "Heldentod"
legal wird und Befehlsgeber damit entlastet werden"
Nun sind die Oberen plötzlich ganz legal "unschuldig"
Das ist doch eigentlich das perfide in der Gesetzgebung.
Nur es bleibt die Frage : Wie kann man das änderen?


Johannes Michalowsky antwortete am 08.01.03 (18:01):

@Schorsch

"So lange Menschen wie die Ratten von Hameln einem (Ver-)Führer nachlaufen, so lange wird es diese Helden geben!"


Das ist zu einfach. Wenn ich z.B. an die Weltkrieg II - Gegner von Nazideutschland denke, dann haben deren Soldaten bestimmt einen Auftrag erfüllt und das mit Überzeugung tun dürfen.

Und deutsche Soldaten hätten Fahnenflucht im Kriege begehen müssen, wenn sie nicht der Führung hätten nachlaufen wollen. Das Mitmachen bot für sie eine größere Überlebenschance als die Verweigerung.


otto garret antwortete am 08.01.03 (18:51):

dazu habe ich zwei fragen:

1. wer/was ist ein held ?

2. was ist heldentot ?


Medea antwortete am 08.01.03 (19:05):

Wahrscheinlich bin ich der größere Held, wenn ich meine Beine in die Hände nehme und renne und renne, um das fürcherliche Kriegsgeschehen hinter mir zu lassen, auch wenn das, was ich tue, in der Kriegersprache "desertieren" und "Feigheit vor dem Feind" heißt. Um sein Leben rennen, ist für mich eine Heldentat, nicht, sich abschlachten lassen.

Wer will denn schon einen toten Helden?

Medea.


Marianne antwortete am 08.01.03 (22:13):

In der Nationalhymne der DDR - musste jedes Schulkind lernen - stand ein sehr bemerkenswerter Satz.
"Dass nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint."

Wer also Heldenmacher ist, lässt Mütter weinen.
1. wer/was ist ein held ?
Wer ein Held ist? Wer sich dazu machen lässt.
2. was ist heldentot ? Wenn einer stirbt und nicht weiß, warum.- Und vor allem viel zu früh! und vor allen durch Gewalt!


Karl antwortete am 09.01.03 (11:31):

Nicht im Nachhinein über den Heldentod jammern, sondern im Vorfeld etwas dagegen tun, das ist das Richtige.

Die Öffentlichkeit macht den Regierenden inzwischen auch in der Türkei und in Grossbritannien Beine. Einige Kabinettsmitglieder in London sehen zur Zeit keine Rechtsgrundlage für einen Krieg im Irak mehr. Die Türkei distanziert sich von früheren Zusagen an die USA.

Seien wir auch nicht feige, stecken wir unseren Kopf raus, jetzt, da noch etwas zu bewegen ist. Verfahren wir nicht nach dem Jahrhunderte alten Schema, im Nachhinein die Toten zu beklagen.

Wollten wir nicht einmal alles besser machen? Tragt Euch in die Liste zum offen Brief an die Verantwortlichen ein.

Mit hoffnungsvollen Grüßen

Karl

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/php-scripts/offener_brief/offener_brief.php?start=75


Wolfgang antwortete am 09.01.03 (12:00):

BERTOLT BRECHT (1898-1956)

Legende vom toten Soldaten (1918)

Und als der Krieg im vierten Lenz
Keinen Ausblick auf Frieden bot
Da zog der Soldat seine Konsequenz
Und starb den Heldentod.

Der Krieg aber war nocht nicht gar
Drum tat es dem Kaiser leid
Daß sein Soldat gestorben war:
Es schien ihm noch vor der Zeit.

Der Sommer zog über die Gräber her
Und der Soldat schlief schon
Da kam eines Nachts eine militär-
ische ärztliche Kommission.

Es zog die ärztliche Kommission
Zum Gottesacker hinaus
Und grub mit geweihten Spaten den
Gefallnen Soldaten aus.

Der Doktor besah den Soldaten genau
Oder was von ihm noch da war
Und der Doktor fand, der Soldat war k.v.
Und er drückte sich vor der Gefahr.

Und sie nahmen sogleich den Soldaten mit
Die Nacht war blau und schön.
Man konnte, wenn man keinen Helm aufhatte
Die Sterne der Heimat sehn.

Sie schütteten ihm einen feurigen Schnaps
In den verwesten Leib
Und hängten zwei Schwestern in seinen Arm
Und ein halb entblößtes Weib.

Und weil der Soldat nach Verwesung stinkt
Drum hinkt ein Pfaffe voran
Der über ihn ein Weihrauchfaß schwingt
Daß er nicht stinken kann.

Voran die Musik mit Tschindrara
Spielt einen flotten Marsch.
Und der Soldat, so wie er's gelernt
Schmeißt seine Beine vom Arsch.

Und brüderlich den Arm um ihn
Zwei Sanitäter gehn
Sonst flög er noch in den Dreck ihnen hin
Und das darf nicht geschehn.

Sie malten auf sein Leichenhemd
Die Farben Schwarz-Weiß-Rot
Und trugen's vor ihm her; man sah
Vor Farben nicht mehr den Kot.

Ein Herr im Frack schritt auch voran
Mit einer gestärkten Brust
Der war sich als ein deutscher Mann
Seiner Pflicht genau bewußt.

So zogen sie mit Tschindrara
Hinab in die dunkle Chaussee
Und der Soldat zog taumelnd mit
Wie im Sturm die Flocke Schnee.

Die Katzen und die Hunde schrein
Die Ratzen im Feld pfeifen wüst:
Sie wollen nicht französisch sein
Weil das eine Schande ist.

Und wenn sie durch die Dörfer ziehn
Waren alle Weiber da.
Die Bäume verneigten sich, Vollmond schien
Und alles schrie hurra.

Mi Tschindrara und Wiedersehn!
Und Weib und Hund und Pfaff!
Und mitten drin der tote Soldat
Wie ein besoffner Aff.

Und wenn sie durch die Dörfer ziehn
Kommt's, daß ihn keiner sah
So viele waren herum um ihn
Mit Tschindra und Hurra.

So viele tanzten und johlten um ihn
Daß ihn keiner sah.
Man konnte ihn einzig von oben noch sehn
Und da sind nur Sterne da.

Die Sterne sind nicht immer da
Es kommt ein Morgenrot.
Doch der Soldat, so wie er's gelernt
Zieht in den Heldentod.


schorsch antwortete am 09.01.03 (12:21):

@ Jo: "...Und deutsche Soldaten hätten Fahnenflucht im Kriege begehen müssen, wenn sie nicht der Führung hätten nachlaufen wollen. Das Mitmachen bot für sie eine größere Überlebenschance als die Verweigerung..."

Gewiss Jo. Darum ist Jedermann und -frau aufgerufen: Wehret den Anfängen. Denn jeder Krieg hat mit einer Kleinigkeit angefangen!


Titus(WolfgangM.) antwortete am 09.01.03 (16:14):

Heldentod?

Was ist ein "Held"?

Nach meiner Meinung gebührt diese Bezeichnung z.B. dem polnischen, katholischen Pfarrer, der im deutschen KZ freiwillig in den Tod ging im Tausch gegen das Leben eines mehrfachen Familienvaters.

Diese Pfarrer starb in der Tat den "Heldentod".

Dieses Beispiel steht nur für viele Ereignisse - meist unbekannt -, wo Menschen ihr Leben freiwillg hergaben, um andere, viele andere Menschen zu retten.

Und derartige Ereignisse fanden in allen Kriegen statt, wo sich einzelne Soldaten in fast ausweglosen Situation für ihre Kameraden opferten. (Was nicht notwendig gewesen wäre, wenn diese verdammten Kriege vermieden worden wären).

Dies alles sind unbekannt Helden, sie starben den "Heldentod".

Das meint Titus(WolfgangM)


Medea antwortete am 09.01.03 (18:22):

@ Titus

Auch ein interessanter Aspekt, den Du da aufzeigst. Mir fällt dazu schlagartig "John Maynard", Ballade von Theodor Fontane, ein. Durch seinen "Heldentod" rettete er den vielen ihm anvertrauten Passagieren das Leben.

Wie sieht es mit Julius Cäsar aus? War er zum Helden geworden durch seine vielen Eroberungen und Siege? Ist seine Ermordung der Tod eines Helden oder der eines Tyrannen?

Medea


Titus(WolfgangM.) antwortete am 09.01.03 (19:12):

@ Medea,

ich meine, ein Heerführer oder auch Kaiser, der durch seine Kriege und Eroberungen -zig Tausende Menschenleben auf dem Gewissen hat, kann niemals ein Held sein. Als Caesar durch den Dolch des Brutus starb, war dies sicherlich kein Heldentod des Caesar.

Titus(WolfgangM)


seewolf antwortete am 09.01.03 (20:42):

Helden ernennen sich nicht selbst. Sie werden - oft posthum - erst zu solchen gemacht/ernannt/befördert. Und zwar von den sie glorifizierenden "Massen"...


Angelika antwortete am 10.01.03 (15:48):

...das mit dem "Helden" liegt wohl auch immer im Auge des Betrachters. man stelle sich vor, die Amerikaner finden und töten Binh Laden: Dann wird der nicht nur ein Held sondern ein Märtyrer in der arabischen Welt sein und das wird furchtbare Kräfte freisetzen. (Das selbe mit Saddam)
Man kann nur hoffen, dass solche "Helden" sich selbst demontieren und vom Sockel holen, damit ihre Bewunderer ihr wahres Wesen erkennen ...

Oder anders herum: Wäre Kennedy nicht als "Held" gestorben und in die Geschichte eingegangen, sein Mythos hätte sich entzaubert, denn was er für Mist am Stecken hatte, weiss man auch heute nur inn Bruchteilen.