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THEMA: Kulturelles Gekloppe früher und heut
4 Antwort(en).
Emil Wachkopp
begann die Diskussion am 26.12.02 (15:35) mit folgendem Beitrag:
Die meisten von uns in dies Forum haben die Zeit wull nur als Kind erlebt. Aber ich weiss das noch so genau, als wie wenn das erst heute gewesen ist. Das war an 2. Dezember 1883 in Wien. Da wurde an den grauen Wintertag nümlich Johannes Brahms dritte Symphonie Uhr aufgeführt. Und Hans Richter hat sie noch dirigiert. Ich weiss das, weil ich den persönlich noch kannte; bloss er mir nich so. Da sind meine Eltern und ich denn nach Wien hin und das ging zu die Zeit noch zu Pferde. Die Reise hatte meine Mutter sich ausgedacht, „auf das mein Emilchen ein wenig der Wonne sublimen Kulturgutes erführe.“ (Ja, die hatte eine Sprache. Da kann ein bei abschnallen.) Aber wir haben denn doch keine Eintrittskarten mehr gekriggt, weil die alle schon vergriffen waren. Und da hab ich mir das so ausklamüstert, dass ich mir das Konzert von aussen her belausch und denn kost das garnix und das Geld, dass ich so spar, da kauf ich mir denn einen Knödel mit Sauerkohl für. Aber denn is aus alles nix geworden, weil da war doch vor das Konzerthaus so ein Tumult. Den Brahms seine Musik war doch damals ehrer traditionell und konservativ. Aber das gab damals auch schon die sich Neudeutsche nannten, mit den Hugo Wolf als Anführer, die behauptet haben, dass der Brahms das mit Absicht so macht, um den ganzen Kulturfortschritt aufzuhalten. Und die haben da denn vor die Musikhalle ein Theater gemacht, als wenn das ums Leben ging. Und ich hör heute noch wie der Hugo Wolf da rumgebrüllt hat, dass den Brahms seine Musik einfallsarm und altfränkisch war. Ja „altfränkisch“ hat er gesagt; ich weiss bloss nich so, wie das zu verstehen is. Aber da haben denn die Brahmisten Kontra gegeben und haben gesagt, dass wer sich den Wolf sein animalisches Gejaule anhört, der heult auch den Mond an und frisst Kinder. Und denn waren wieder die Wölfe dran und haben gesagt, dass ein Leierkasten spiritueller is als der Brahms. („Spiritueller“ haben sie gesagt, obwohl ich garnich versteh, wie ein Leierkasten mehr saufen kann als wie Brahms.) Und denn war das Gehaue auch schon in Gange.
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Emil Wachkopp
antwortete am 26.12.02 (15:37):
Später kam denn auch noch die Polizei. Aber die wusste auch nich so, worum das da eigentlich ging und wer zu wen gehörte. Um denn nix verkehrt zu machen und ehrer kulturneutral zu sein, haben sie auf alle ziemlich gleichmässig auflos gehaun. Auf mir nich so, ich hatte mir nümlich längst verpis..., wullt seggen: Ich hatte mir büschen beseitigt, so dass ich alles gut mitkriegen aber nix abkriegen konnte. Ich klopp mir doch nich vonwegen eine Symphonie mit die Meute rum! Bin doch nich bekloppt! Wenn mir einer gefragt hat, ob ich Wolfianer oder Brahmist (oder Brucknerist oder Wagnerist) bin, denn hab ich gesagt: „Ik bün Giovanni Pierluigi da Palestrinaist.“ Den kannte westens keiner, weil der schon in das 16. Jahrhundert gelebt hat. Und darum konnte man wegen den auch nich verkloppt werden. Und wenn he mi denn verdattert ankeken hett, heff ik seggt: „Geh er mal zu eine Sixtinische Kapelle hen. Dor ward diese Kunst hüüt noch geflegt.“ Und denn war der ganz von die Socken und hat sich wull gedacht: „Kiek di den an! Der hat Bildung in Bauch. Da kann kein an klingeln“ Dabei hatte ich das garnich. Ich hatte mir bloss den Name und den Satz mal gemerkt, weil man nie weiss, wozu man sowas mal brauchen kann. Das is vielleicht immer mal was wert, wenn man Eindruck schinden will. Das war damals an 2. Dezember 1883 in Wien eine richtige Kulturklopperei. Das weiss bloss ausser mir heut gar keiner mehr. Und ich hab das bis heut nich verpetzt. Und in die 1960-ger Jahre war das wieder dasselbe. Bloss diesmal in Stadtpark in Hamburg. Da wurde auf die Freilichtbühne oft mal Jazzmusik gespielt. Und die solche Musik hören wollten, die nannte man Exis. Und denn mussten da natürlich auch noch die dämlichen Rocker hin und sich mit die Exis wegen die Musik rumkloppen. Ich war damals eigentlich schon veel to oolt für solche Musik. Aber ich musste da manchmal hin wegen mein Opa, was der Robert war, weil der da hinwollte. Ich weiss heut gar nich mehr, ob der damals erst etwas über Hundert oder schon über Hundertzehn war. Ik kann mi ook nich ümmer allens so marken. Aber das schlimmste war, dass der schon so klapperich war, dass der gar nich mehr laufen konnte. Denn musste ich ihn mindestens den halben Weg hintragen. „Hü hott Emil“, hett he denn ropen, „sonst versäum wir wieder die Kloppe.“ Und ich musste ihn denn immer so hinsetzen, dass er von die Blasinstrumente nich umgepustet wurde, so wackelig war der schon. „Emil, sieht man denn von hier aus auch die Kloppe?“ „Opa, wie soll ich denn wissen, wo die Kloppe stattfinden tut?“ „Das ist der Fehler von Euch junge Leute: Ihr kennt Euch in Eure eigne Zeit nich aus. Das war früher anders.“ „Opa, Du hättst auf See bleiben sollen.“ „Das is wahr Emil. Hier an Land hat man kein Grund unter die Füsse. Setzt mir büschen weiter weg von die Bühne, das zieht so von die Trompete her. Aber so, dass ich die Kloppe gut sehen kann.“ „Jaja.“ Alt oder jung; bekloppt sünd se alle. Der eine kloppt sich für Hugo Wolf gegen Johannes Brahms und der andere kloppt sich für Elvis Presley oder Little Richard gegen die Jazzis. Ich frag mir bloss eins: Wird man in Deutschland mal der sein dürfen, der man is und ganz frei was gut finden dürfen, ohne dass gleich jemand ein dafür verkloppen will? Wenn nümlich nich, denn hol ik dat Muul un sag gar nix mehr über meine Präferenzen. So is dat nümlich immer in't Leven: Wi gekloppt wird, wird viel geschiegen, wird viel verheimlicht.
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Marianne
antwortete am 26.12.02 (17:15):
Witzig , Emil, was Du uns da zum Diskutieren anbietest.
Dazu:
Auch vor dem Tempel der Kunst stehen Wächter und Bettler.
( Gabriel Laub "Denken verdirbt den Charakter" Hanser 1984 )
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Medea
antwortete am 26.12.02 (22:06):
Oh Emil, dat geiht to Harten, wat Du dor opschrieven häst - to all Tieden kloppt sich de Lüür, ob wegens de Kunst oder wegens de Politik.
Un 1968 hebbt se mi natspritzt blot wegens mien Protest-Aktdschon op des S-traßenbahn-Schienens - und denn bin ik pudelnat noor Hus to Muddern - un de schimmt mi ok noch ut.
Dat is bannig god, dat du nich swiegen deist, un dien Muul nich holst, mook wieter so. Halleluja.
Grööte von MEDEA
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jutta
antwortete am 27.12.02 (05:41):
kulturelles Gekloppe hat sich scheinbar kaum veraendert :))
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