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THEMA:   Das Missionsspiel - Erziehung zur Toleranz

 4 Antwort(en).

Felix begann die Diskussion am 18.11.02 (16:55) mit folgendem Beitrag:

Das Missions-Spiel:

Ein eindrückliches pädagogisches Rollenspiel, das zum gegenseitigen Religionsverständnis und damit zu einer toleranteren Haltung Andersgläubigen gegenüber führen sollte:

Ich spiele einen Eingeborenen, der aus einer Kultur stammt, in welcher eine Form von Kannibalismus praktiziert wird.
Die Gruppenteilnehmer sind in der Rolle von Missionaren/innen ihrer Glaubenzugehörigkeit. Sie sollen mich von ihrem Glauben überzeugen ... und mich vom Kannibalismus abbringen .

Ein erlebter Dialog:

Kannibale:
- Weshalb glaubt ihr an die alleinige Wahrheit eurer Religion? Warum wollt ihr mich von meiner abbringen?
Teinehmer:
- Es gibt ja nur einen wahren Gott.
- Es glauben so viele Menschen daran, das muss das Wahre sein. Kannibalismus kann nicht das Richtige sein.
- Uns hat Christus von allen Sünden erlöst. Nach dem Tod gibt es das jüngste Gericht ... dann wirst du schon sehen.
- Unser Gott hat alles erschaffen ... auch dich!
u.s.w.
Kannibale:
- Ich glaube an "........" (Fantasiename), denn er ist allmächtig und allgegenwärtig ... ich habe das im Leben mehrmals selber erfahren. Das Wissen um sein Geheimnis haben wir von unsern Ahnen übernommen. In meinem Dorf lebt ein Mann, der mit ihm sogar sprechen kann.
Teilnehmer:
- Gibt es bei uns auch, Propheten, Heilige, Priester...
- Ich bin katholisch, weil meine Eltern es auch sind.
- Ich kenne vorallem Menschen die an Alla und seinen Propheten glauben.
- Ich habe noch wenig von andern Religionen gehört.
- Wir haben schliesslich die Bibel ... da kannst du ja nachlesen ... was man glauben soll und was wahr ist.
- Ja ... und wir haben den Koran .. da steht auch alles drin!
u.s.w.
Kannibale:
- Was ist in eurem Glauben eigentlich besser für die Menschen ... als in meinem?
Teilnehmer:
- Gott ist die Liebe, deshalb nennen wir ihn den"lieben Gott"!
- Christus ist für Vergebung und Demut.
- Wir schlagen nicht zurück ... wir halten die andere Wange hin.
- Kannibalismus ist schlecht, töten ist schlecht.
Kannibale:
- Ich habe aber in euren Geschichtsbüchern gelesen. Ihr führt sogar Kriege mit Millionen von Toten ... das Tausendfache unseres ganzen Volkes. Ihr könnt schlecht vergeben ... Ihr rächt euch an euren Feinden .. natürlich schlagt ihr eher zurück als euch aufzuopfern.
Teilnehmer:
- Und was macht ihr mit euren Feinden? Ihr esst sie auf ...pfui!
Kannibale:
- Unsere Vorfahren haben noch Menschenfleisch in einer kutischen Zeremonie zu sich genommen. Das Fleisch stammte von Individuen, die damals nicht als Menschen wie wir gegolten haben. Es geht um die Erneuerung der Lebenskräfte, die man mit dem Fleisch in seinen Körper aufnahm. Wir essen mit den Händen ... aber für dieses Ritual benützten wir spezielles Holzbesteck, um das Fleisch nicht zu entweihen.
- Heute ist Kannibalismus verboten. Wir nehmen als Ersatz Fleisch von Opfertieren .. glauben aber immer noch an seine magische Wirkung.
Teilnehmer:
- So ein Schwachsinn ... Fleisch eines Menschen zum Auftanken der Lebenskräfte!
Kannibale:
- In eurer Bibel und im Koran also in allen euren heiligen Schriften stehen Geschichten von Menschenopfern.
- Auch ihr Christen kennt eine Kulthandlung, bei der Brot als Fleisch und Wein als Blut eures Religionsschöpfers eingenommen wird. Bei der ursprünglicheren Form findet vor der Einnahme eine mystische Verwandlung zu Fleisch und Blut statt. Das Fleisch durfte früher ... wie bei uns ... auch nicht berührt werden. Das Blut durfte in der Regel nur der Geweihte aus einem speziellen Gefäss trinken.
- Später möchte ich mit euch über weitere Forderungen wie z.B. Nächstenliebe, Demut, Tötungsverbot, Vergebung etc. reden.


WANDA antwortete am 19.11.02 (07:58):

Lieber Felix, vielleicht habe ich nicht verstanden über was Du diskutieren möchtest. Ich habe mich im Laufe meines Lebens mit vielen Religionen beschäftigt, die ja immer auch Geisteshaltungen sind. Der Kannibalsmus ist aber für mich keine Geisteshaltung und insofern auch keine Religion.


Karl antwortete am 19.11.02 (08:19):

Hallo Felix,


ich vermutet mal sehr stark, dass es nicht Deine Absicht ist, den Kannibalismus zu verteidigen, sondern darauf hinzuweisen, dass Spuren hiervon selbst Eingang in die modernen Religionen gefunden haben. Ich darf darauf verweisen, dass im Protestantismus die Formel im Abendmahl anders als im Katholizismus interpretiert wird, rein symbolisch.

Die virtuelle Ritualisierung macht zudem einen wesentlichen Unterschied! Deshalb sollten wir von der Nulltoleranz gegen Kannibalismus selbstverständlich nicht abweichen. Wohl auch Deine Meinung.


Felix antwortete am 20.11.02 (01:43):

Dass der Kannibalismus bei Naturstämmen eine ernsthafte Weltanschauung darstellt müsst ihr in ethnologischen Publikationen nachlesen. Das würde an dieser Stelle zu weit führen und ist für unser Rollenspiel ohne Belang.
Dass ich die Position eines so ausgefallenen Glaubens eingenommen habe, ist relativ willkürlich. Es ist auch kaum anzunehmen, dass in der Gruppe Vertreter dieser Richtung sind. So bin ich nicht Partei eines Teilnehmers und kann so keinem zu nahe treten.
Am Beispiel des Kannibalen kann man die eigenen unreflektierten Kulthandlungen bewusst machen.
Bei den sozialen Forderungen der Religionen wird deutlich, was nur schöne Worte sind und was wirklich dahintersteckt.

Kannibale:
- Was lehrt euch euer Glauben in Bezug auf eure Mitmenschen?

Teilnehmer:
- Liebe deinen Nächsten wie dich selber.
- Wenn jemand Hunger hat, soll man ihm zu Essen geben.
- Wer Durst hat bekommt zu trinken.
- Wer anklopft dem wird aufgemacht ... steht auch in der Bibel.
etc.

Kannibale:
- Das ist in unserem Dorf auch so. Wer nichts erlegen konnte bekommt von seinen Nachbarn ein Stück der Beute. Wenn die Mutter stirbt übernehmen andere Frauen die Kinder. Bei uns ist gegenseitige Hilfe eine Selbstverständlichkeit. Das braucht nicht vom Medizinmann befohlen zu werden.
- Bei euch mit euren grossen Häusern, in welchen viele Familien leben, muss die gegenseitige Hilfe noch viel einfacher sein ... oder etwa nicht?

Teilnehmer:
- Wir helfen uns schon, wenn wir befreundet sind ... wir wollen ja nicht ausgenützt werden. In den grossen Mietshäusern kennen wir uns kaum.

Kannibale:
- Auch Fremde werden als Gäste eingeladen und bekommen zu Essen und zu Trinken. Gastrecht ist bei uns ein wichtiges Gebot.
- Nur Feinde, die uns angreifen, geniessen kein Gastrecht.

u.s.w.

Bald erkennen die Teilnehmer, dass es in unserer Gesellschaft nicht weit her ist mit den religiösen Forderungen.
Gemeinsam suchen wir Lösungen im Erlebnisbereich der Teilnehmer, die auch praktikabel sind. In der Pädagogik nennt man das dann Sozialisation.


schorsch antwortete am 20.11.02 (12:58):

Kannibale 1: Der Missionar hat gesagt, wir sollten unsere Feinde lieben. Liebst du deine Feinde?
Kannibale 2: Natürlich - am liebsten gesotten und gebraten!