Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"

THEMA:   Alle reden vom Sparen... Vielleicht sollte MEHR Geld ausgegeben werden?

 7 Antwort(en).

Wolfgang begann die Diskussion am 18.11.02 (10:53) mit folgendem Beitrag:

Die Wirtschaft lahmt... Die Preise drohen zu fallen... Die Wachstumsraten gehen gegen Null... Die Verschuldung steigt wieder... In dieser Situation versucht die Rot-Grüne-Regierung an allen Ecken und Enden zu sparen.

OSKAR LAFONTAINE (SPD) - kurzzeitig Finanzminister und seit langem Frührentner - kritisiert heute in BILD die Regierung und empfiehlt einen anderen Weg: Mehr Geld ausgeben!

Der Sparkurs sei ein Katastrophenkurs. Seinen Parteifreund und GERHART SCHRÖDER vergleicht er mit HEINRICH BRÜNING (Zentrum) - der glücklose Kanzler der Weimarer Republik, der 1930-1931 mit harten Sparmassnahmen regierte. Folge: Deflation, Zusammenbruch der Wirtschaft, das Rentensystem kollabierte, der Mittelstand wurde aufgerieben, extrem viele Arbeitslose... Ein Jahr später gab es die Weimarer Republik nicht mehr.


Barbara antwortete am 18.11.02 (12:29):

Die Schwierigkeit liegt darin, dass der Staat nicht einfach sparen kann und damit automatisch mehr Geld zur Verfügung hat.

Immer wieder ist zu hören, es gäbe zu viele Angestellte im öffentlichen Dienst, man könne dort "abspecken". Entlässt ein Unternehmen Mitarbeiter, spart es Personalkosten ein. Entlässt der Staat Mitarbeiter, erhöhen sich die Sozialausgaben aufgrund der Arbeitslosigkeit dieser Personen. Da Not krank macht, erhöhen sich u.U. dadurch auch noch die Gesundheitskosten.

Sollten Lehrerstellen eingespart werden, obwohl der Unterrichtsausfall an den Schulen schon heute skandalös ist? Welche Folgen hätte das für die junge Generation? Die Qualifikation unserer SchülerInnen liegt lt. PISA weit unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Ihre beruflichen Chancen im Wettbewerb mit anderen Nationen werden sich weiter verschlechtern.

Sollten öffentliche Gebäude nicht renoviert werden? Immer mehr Bauunternehmen gehen in Konkurs, weil die öffentlichen Aufträge ausbleiben. Wieviel kosten diese Einsparungen den Steuerzahler am Ende? Außerdem können kleine Reparaturen oft weitaus höhere Sanierungskosten vermeiden, die dann später dringend notwendig werden.

Sollten Beamte und öffentlich Angestellte von Lohnerhöhungen ausgeschlossen werden? Dann wird sich ihr Konsumverzicht negativ auf die Wirtschaft auswirken.

Sollte man die Kommunen noch weiter belasten, so dass bald kaum noch ein Kindergarten finanziert werden kann? Als Folgekosten kämen evtl. Sozialhilfekosten auf die Gemeinde zu, da den Müttern aufgrund mangelnder Hortplätze eine Berufstätigkeit nicht möglich ist. Könnten sie hingegen arbeiten, würden sie die Steuereinnahmen des Staates erhöhen.

Diese Beispiele ließen sich noch lange fortsetzen.
Verschuldet sich der Staat trotz des blauen Briefes aus Brüssel noch höher, um die Wirtschaft anzukurbeln, werden wir die Verantwortlichen zum Teufel jagen, falls sich die Wirtschaft aufgrund weltpolitischer Ereignisse nicht erwartungsgemäß erholen sollte und die ersehnten Steuereinnahmen weiter ausblieben.

Bin ich froh, dass ich diese Entscheidungen nicht zu treffen habe........


schorsch antwortete am 18.11.02 (13:16):

Der Staat kann nur sparen, wenn die grosse Masse seiner ihn Machenden NICHT spart. Ein krasses Beispiel: Stellt euch vor, kein Mensch würde noch auch nur einen Cent ausgeben, sondern alles "sparen". Die Wirtschaft würde innert kürzerster Zeit zugrunde gehen. Und zuletzt könnte kein Unternehmer mehr Löhne an seine Angestellten bezahlen - weil die Produkte, die diese Angestellten herstellen, ja nicht gekauft würden. Und somit wäre auch das Ende des "Sparens" in Sicht. Denn sparen kann man nur an etwas, das man hat!
Also: Es muss ein vernünftiger Kompromiss zwischen Sparen und Ausgeben gefunden werden, auf dass jeder, der im Kreislauf steht, Geld einnehmen UND ausgeben kann.
Rollt das Geld zu schnell, führt das zu Inflation; rollt es zu langsam, führt es zu Deflation.


Barbara antwortete am 18.11.02 (18:53):

Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, muss der Staat investieren, wenn es der Wirtschaft schlecht geht, da er durch Sparen die Misere noch verschlimmert. Allerdings müssen die dadurch entstehenden Schulden zurückgeführt werden, wenn es der Wirtschaft wieder gut geht. Da letzteres aus wahltaktischen Gründen so gut wie nie passiert, verschulden wir uns immer mehr. Das ist den nachfolgenden Generationen gegenüber nicht zu verantworten.

Früher konnte die Deutsche Bundesbank in wirtschaftlich schwierigen Zeiten durch eine Senkung des Diskontsatzes die Wirtschaft ankurbeln. Die EZB ist sehr viel schwerfälliger, da sie eine Verantwortung allen EU-Mitgliedstaaten gegenüber hat.

Würde man die Wirtschaft durch weitere Verschuldung ankurbeln, was in den USA seit Jahren erfolgreich praktiziert wird, riskierte man Strafzahlungen aufgrund der Kriterien von Maastrich.

Trotzdem meine ich, dass Oskar Lafontaine recht hat. Allerdings müsste man die jeweilige Regierung verpflichten, die Schulden bei boomender Wirtschaft drastisch zurückzuführen.


Wolfgang antwortete am 20.11.02 (00:21):

Ja, das sehe ich auch so, Barbara: Der Staat muss sich 'antizyklisch' verhalten... Wenn die Wachstumsraten zurückgehen und die Arbeitslosigkeit zunimmt und die Staatseinnahmen sinken, während die Staatsausgaben für die sozalen Leistungen steigen, dann wäre es kontraproduktiv, würde der Staat sich jetzt alleine aufs Sparen festlegen.

Sicher muss gespart werden... Bei der Rüstung zum Beispiel oder bei der Geldvernichtungsmaschine Nr. 1 (auch großspurig 'Gesundheitssystem' genannt) oder bei Subventionen, die das marode Rentensystem oder noch marodere alte Industrien (z. B. Kohle- und Atomindustrie) künstlich am Leben halten.

Gleichzeitig muss der Staat in schwierigen Zeiten aber investieren, am besten in die Bildung und in die Forschung... In die Schul- und Berufsausbildung der Jungen... In erneuerbare Energien... In den öffentlichen Nahverkehr...

Dazu braucht der Staat viel Geld. Deshalb müssen Steuern auf grosse Vermögen und hohe Einkommen und Gewinne erhoben bzw. erhöht werden. Geld ist reichlich vorhanden. Es muss nur für die richtigen Zwecke ausgegeben werden. Dazu braucht es einen starken Staat und - die Bemerkung muss ich los werden - viele mutige und anpackende BürgerInnen, keine greinenden Jammerlappen (die jetzt gerade den Zwergenaufstand proben). :-)


mechtild antwortete am 20.11.02 (20:18):

Es war sicher nicht sehr nett von Lafontaine den Kanzler mit Brüning zu vergleichen. Doch nett war Lafontaine nie. Deshalb mögen ihn auch viele nicht.
Ich sehe es aber auch so, das der Staat sich 'antizyklisch' verhalten muss. Wenn weiter Menschen entlassen werden und keine öffentlichen Aufträge mehr vergeben werden kommt unsere Wirtschaft nicht in Schwung und die Löcher im Staatshaushalt werden immer größer.
Eichel kann sicher gut sparen aber von der Wirtschaft versteht Lafontaine mehr. Ein wenig habe ich das Gefühl dem Schröder fehlen starke Leute unkonventionellen Ideen in seinem Kabinett mit.


Wolfgang antwortete am 20.11.02 (21:25):

Das kannst Du laut sagen, Mechtild... Den Herrn Eichel halte ich für solch einen eher schwachen Politiker, für einen, der in einer ganz bestimmten ökonomischen Schönwetter-Situation, aber eben nur in dieser, als 'Sparkommissar' seine Rolle ganz gut spielte.

Der Wind hat sich gedreht und droht zum Orkan zu werden. Die ökonomische Lage ist nicht mehr so gut, wie noch vor einem Jahr. Die Wachstumsrate der Wirtschaft geht gegen Null, was den Staat sowohl von der Einnahmen- als auch von der Ausgabenseite her in die Zange nimmt.

'Mehr Wachstum durch weniger Staat' - dieser Slogan der neoliberalen Marktfetischisten hat sich schnell als das erwiesen, was er von Anfang an war: Pure Ideologie.

Jetzt muss der Staat für ein moderates Wachstum sorgen. Antizyklische Politik ist angesagt.


mechtild antwortete am 21.11.02 (11:05):

Oskar Lafontaine war gestern bei Beckmann in der Talkshow. Er hat die Antizyklische Politik da sehr anschaulich erklärt.
„Ein Restaurantbesitzer, dessen Geschäft schlecht geht wird noch mehr Kunden verlieren, wenn er um zu sparen die Heizung abdreht und den Blumenschmuck weglässt. Stellt er jedoch einen guten Koch ein und bietet preiswerte Gerichte besteht eher die Chance dass sein Restaurant wieder gut besucht wird.“
Ich fand diesen Vergleich recht einleuchtend und hoffe auf den neuen Koch, der dafür sorgt, dass unsere Wirtschaft wieder in die Gänge kommt.