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THEMA:   Warum geben die Russen keine Information zur Natur des Gases?

 45 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 27.10.02 (08:00) mit folgendem Beitrag:

Die Anzahl der toten Geiseln steigt noch immer, weil viele an den Folgen der Gasvergiftung sterben. Die Ärzte erhalten keinerlei Informationen über die Natur des Gases und sind nur auf Vermutungen angewiesen.

Das lässt doch die Vermutung zu, dass es sich um eine Neuentwicklung handelt. Wo in aller Welt werden Giftgase sonst noch entwickelt? Gilt dafür nicht ein weltweites Verbot?


Ruth Lichtwitz antwortete am 27.10.02 (09:25):

Karl, hält man sich überall an das Verbot Menschen zu klonen? - Kommt nicht jeweils der zynische Satz zur Anwendung "Verbote sind dazu da um übertreten zu werden." ?


Utelo antwortete am 27.10.02 (09:44):

Guten Sonntag-Morgen zusammen,
Karl, du fragst wo in aller Welt denn trotz Verbot noch Giftgase entwickelt werden. War das eine wirkliche Frage oder nur rhethorisch? Es wird überall in der Welt mit Giftgasen hantiert, Verbote ha, wer will das denn kontrollieren? Etwa die Amis oder wir oder die Russen? Jeder Staat hat seine Leiche im Keller und lässt sich auch nicht ausspionieren. Ehrlich gesagt möchte ich mittlerweile gar nicht mehr so genau wissen, wer was wo hat und macht. Die Russen waren Jahrzehnte lang die schwarzen bösen Männer, vor denen man Angst haben muss. Jetzt sind sie nach aussen hin etwas ruhiger geworden, außer eben in den Ländern, die sie besetzt haben und sicher irgendwann auch mal wieder besetzen werden. Sobald die wieder stark geworden sind -jetzt schwächeln sie ja doch etwas- werden auch sie weder zuschlagen ohne Rücksicht. Und die Art des Gases müssen sie ja nicht preisgeben, da Ärzte usw. in weiteren Einsätzen dann helfen könnten, was nicht immer gewünscht wird.


schorsch antwortete am 27.10.02 (09:59):

Offenbar handelt es sich um eine Weiterentwicklung von Lachgas. Lachgas ist unter Kontrolle nicht weiter schädlich. Fehlt aber diese Kontrolle - die Geiseln waren ja lange dem Gas ausgesetzt bevor Ärzte dazu kamen - kann ein Mensch erbrechen und daran ersticken.


Barbara antwortete am 27.10.02 (11:46):

Aber, Schorsch,

dann könnte man doch einfach bekannt geben, dass es sich um eine Art von Lachgas handelt. Da nicht einmal Ärzte die für eine Therapie dringenden Informationen erhalten, muss es sich doch um eine andere Art von Gas handeln.


Ursula antwortete am 27.10.02 (13:21):

Es ist zu befürchten, dass eines der längst verbotenen - hochgiftigen - (Nerven-)Gase zur "Rettung" der Geiseln eingesetzt worden ist ...

Wie makaber und verlogen, wenn Putin die Aktion als "erfolgreich" bezeichnet, während immer noch "Gerettete" an den Folgen der Gasvergiftung sterben. Anfangs wurde von 67 toten Geiseln gesprochen, inzwischen sind es weit über 100 ...


Karl antwortete am 27.10.02 (13:31):

Es stellt sich inzwischen heraus, dass die russische Regierung zumindest eine Fehlentscheidung getroffen hat. Ein so giftiges Gas einzusetzen, dass über 10% der Geiseln schon tot sind und die anderen größtenteils noch auf der Intensivstation liegen, ist eine Katastrophe.


Hans-Jürgen antwortete am 27.10.02 (14:26):

An dem menschenverachtenden Vorgehen der Russen in Tschetschenien und jetzt im Inland mit dem Giftgas sowie der irritierenden "Informationspolitik" wie zu Sowjetzeiten zeigen sich die *Unterschiede* zwischen Rußland und USA. Derartiges wäre dort nach meiner Kenntnis unmöglich.

So traurig und deprimierend es ist, was sich gegenwärtig in Moskau und weiterhin in Tschetschenien abspielt: es öffnet vermutlich wenigstens *einigen* die Augen, die bisher ausschließlich die Amerikaner und ihre Führung kritisierten und zum Teil unsachlich-bösartig beschimpften. Vielleicht kommt dadurch eine ausgewogenere Betrachtungsweise zustande als die, die wir bisher über uns ergehen lassen mußten.

Hans-Jürgen


Ursula antwortete am 27.10.02 (15:17):

Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die ganze Aktion ernsthaft nur die Ausschaltung der Rebellen zum Ziel hatte, nicht aber die Rettung der Geiseln!

Die hohe Giftigkeit des Gases war natürlich bekannt, damit auch die Gefährdung der Geiseln.
Somit war kalkulierbar, dass außer den Geiselnehmern auch sehr viele, vielleicht sogar alle Geiseln sterben würden...

Unabhängig davon, dass dieses Gas gar nicht hätte eingesetzt werden dürfen, hätten zumindest die aufnehmenden Krankenhäuser vor dem Einsatz informiert werden müssen. Stattdessen werden die Ärzte über Art und Wirkung des Giftgases und über mögliche Gegenmittel weiterhin im Unklaren gelassen, die Angehörigen ebenfalls...

Hier wurde zur Bekämpfung des einen Verbrechen bewußt ein anderes begangen ... grauenhaft!


Nienenueteli antwortete am 27.10.02 (15:29):

Die Geiselnehmer sind nicht am Giftgas gestorben. Zufällig alle 50 tot? Sie sind hinterhältig im Schlaf erschossen worden.

Im Krieg herrschen eben andere Gesetze als "Menschenrechte oder Völkerrechte". Leere Wörter noch, sonst nichts.

Es sind inzwischen mehr als 500 der Geiseln in den Spitälern! Also?


Nienenueteli antwortete am 27.10.02 (15:46):

Hier ein Bericht im www.spiegel.de von einem russischen "Befreier":

Durch die Lüftungsschächte wurde Schlafgas geleitet, mehrere Granaten wurden in den Saal geworfen. Das Wichtigste: Wir haben die selbstmörderischen Terroristinnen (mit Sprengstoffgürteln) liquidiert. Unsere Spezialisten drangen durch Schlupflöcher in den Saal ein und töteten die Terroristen mit Schüssen ins Genick. Oder in die Schläfe. Ich weiß, dass das grausam ist. Aber was soll man tun, wenn ein Mensch zwei Kilo Sprengstoff umgebunden hat. Anders konnten wir sie nicht unschädlich machen.

*******
Gewiss, es gab keine andere Lösung...

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,220146,00.html


Karl antwortete am 27.10.02 (16:12):

Hallo Nienenueteli,

Du schreibst "Gewiss, es gab keine andere Lösung...", Immerhin gibst Du damit zu erkennen, wie unwohl Du Dich in der Haut von Putin gefühlt hättest. Der hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera.

"Hinterhältig" erschossen ist in diesem Zusammenhang eine unakzeptable Formulierung, es sei denn es wird zugestanden, dass sich die Terroristen diesen Hinterhalt selbst gelegt haben. Von keinem in der Eingreiftruppe kann erwartet werden, dass er sich selber umbringt, indem er die Terrositen erst weckt - und es kam wohl auf Schnelligkeit an, so dass fesselung nicht möglich war (nicht alle waren bewusstlos).


Felix antwortete am 27.10.02 (16:33):

Als ehemaliger Dienstchef im AC-Schutzdienst in der Schweizerarmee habe ich zu diem C-Einsatz auch meine Fragen:

- Wie kann man in einem so grossen zusammengesetzten Raumkomplex in genügend kurzer Zeit eine wirksame Konzentration erreichen, die aber nicht tödlich ist?
- Wie lässt sich vermeiden, dass der Gaseinsatz rechtzeitig wahrgenommen wird (Geräusch, Geruch, Wirkung auf andere Personen) um Gegenmassnahmen zu ergreifen (Schutzmaske, Atem anhalten, Flucht oder Zündung der Sprengladungen)?
- Welche Schutzmassnahmen haben die russischen Spezialeinheiten für ihre eigenen Leute getroffen? Ich hörte bis jetzt von keinen.
Welche Stoffe wurden verwendet? Die geschilderte Wirkungsweise stimmt mit keinem bekannten C-Kampfstoff überein. Auch der Chef des Schweizer AC-Labors in Spiez hatte heute keine Vorstellungen.
Die Wirksamkeit eines kampfunfähigmachenden Stoffes, der durch die Atemwege aufgenommen wird, gibt man mit dem Ict50 an. I = incapacitating/kampf- oder handlungsunfähigmachend, ct für das Produkt Konzentration in mg/Kubikmeter Atemluft mal t=Zeit in min, 50 bedeutet, dass nach dieser Zeit bei ruhiger Atmung 50% der Betroffenen ausgefallen sind.
Die Tödlichkeit, Letalität wird mit der Einheit Lct50 angegeben der sog. Semiletaldosis. ct als Konzentration mal Minuten. 50% Tote nach dieser Einwirkung.
Beispiele:
Senfgas, Yperit (Dampf) Ict50 = ca.500 (Augen), Lct50 = 1500
Blausäure(HCN) Ict50 variert Lct50 = 2000-5000
Chlorgas ......Ict50 = 1800, Lct50 = ca.19'000
Phosgen ...... Ict50 = 1600, Lct50 = 3200
Sarin Nerveng. Ict50 = 15-70,Lct50 = 100
Tabun Nerveng. Ict50 =60-280,Lct50 = 400
VX Nervengift. Ict50 = 7-30, Lct50 = 40
Tränengas CS.. Ict50 = 10-20,Lct50 = ca.25'000
Tränengas CN.. Ict50 = 80, Lct50 = 11'000

Man kann an diesen Angaben erkennen, dass bei den Nasen-Rachenreizstoffen die Wirkung bei niederen Konzentrationen erzielt werden lange bevor tödliche Vergiftungen zu erwarten sind.

Wir warten gespannt auf genauere Angaben der Russen!


Felix antwortete am 27.10.02 (17:23):

Es gäbe ideale Narkosegase, die rasch wirksam sind und kaum schädigende Folgen haben.
z.B. das Edelgas Xenon. Vermutlich war es aber nicht in diesen Mengen vorhanden oder man kennt noch keine geeignete Einsatzdoktrin.
Vielleicht war es den Russen auch zu teuer ca. 10 Euro pro Liter?
Was mich auch stört, sind die fortgesetzten Fehlinformationen, die man von den offiziellen russischen Informationsstellen so vorgesetzt bekommt! Wer ständig lügt, dem glaubt man nicht ... auch wenn er sogar einmal die Wahrheit spricht!
Die Korrektur der Gefallenenzahlen zuungunsten einer geschönten Erfolgsmeldung dürfte in dieser auffälligen Weise nicht vorkommen. Noch jetzt versuchen offizielle Stellen zu verschweigen, dass die getöteten und verletzten Geiseln Opfer des brutalen Gasangriffs mit ungeeigneten Mitteln geworden sind. Nur ein kleiner Bruchteil zeigt andere Verletzungen auf.

Internet-Tipp: https://www.draeger.com/at/MT/bibliothek/op/faq_xenon.jsp#frage_1


Felix antwortete am 27.10.02 (19:02):

Nachdem ich stundenlang mit Hochspannung alle Informationen über den russischen C-Einsatz auf dem Internet abgerufen habe, verdichtet sich der Verdacht, dass das Vorgehen gegen die tschetschenischen Geiselnehmer kein Erfolg sondern eine menschliche Katastrophe darstellt.
Obwohl bis jetzt keine klaren Vorstellungen über das verwendete Gas vorliegen scheinen die Verantwortlichen ein derart schlechtes Gewissen zu haben, dass sie nicht einmal den eigenen medizinischen Hilfskräften, Ärzten, Toxikologen etc. reinen Wein einschenken. für mich hat diese Aktion nichts mit einer Geiselbefreiung zu tun ... wenn man die Geiseln töten muss ... um sie zu befreien!
Bei jeder Geiselbefreiung ist die Schonung der unschuldigen Opfer oberstes Gebot ... auch wenn man als Macht etwas vom hohen Ross heruntersteigen muss.
Ich hege auch den Verdacht, dass das eingesetzte Mittel verschwiegen wird, weil es illegal produziert wurde und gegen die internationale Konvention verstösst.
Wer nun glaubt, dass die USA in dieser Beziehung eine reine Weste habe, irrt. Auch die USA hat nicht aufgehört B- und C-Waffen weiterzuentwickeln. Auch die Bereitschaft solche Mittel wenn nötig einzusetzen traue ich der heutigen Administration jederzeit zu. Auch im Vietnamkrieg wurden unterirdische Grabensysteme der Vietkong mit tödlichen Konzentrationen von Reizstoffen belegt. Das in gewaltigen Massen eingesetzte Entlaubungsmittel "Agent Orange" enthielte das hochgiftige Dioxin (Semiletaldosis LD50 = 0.5 mg/Mensch, durch den Mund oder durch die Haut). Amerika hat die Folgeschäden bei ihren eigenen Landsleuten und bei der vietnamesischen Bevölkerung bestritten und Entschädigungen abgelehnt.
Kaum besser als die Russen also!


Hans-Jürgen antwortete am 27.10.02 (19:23):

Das mußte ja kommen - sogar hier -: Amerika "kaum besser als die Russen". Nun wissen wir's 'mal wieder! Es lebe die Voreingenommenheit!


Hauserfratz antwortete am 27.10.02 (19:26):

@ Hans-Jürgen

Das, was Felix schreibt, ist keine Voreingenommenheit, sondern leider die traurige Realität.


Karl antwortete am 27.10.02 (19:52):

Lieber Hans-Jürgen,

reflexhafte Verteidigung der Amerikaner bringt auch nichts. Felix hat seine Aussagen mit Beispielen belegt. Wir alle wissen, Du auch, dass das so richtig ist.

Ich habe gerade in einem anderen Thema beklagt, dass häufig keine Argumente ausgetauscht werden, sondern nur Akklamationen von Treuebekenntnissen zu politischen Richtungen oder Parteien. Du gehörst meistens zu den gut argumentierenden Diskutanten, trotzdem ist Dein obiger Beitrag ein Schulbeispiel dafür, wie eine Diskussion rasch abgewürgt werden kann.

Warum nur reagieren Du und andere auf Kritik an Amerika als wäre dies eine Gotteslästerung? Amerika hat Kritik nötig, das wissen sehr viele Amerikaner!

Ich bin ein Freund vieler Amerikaner, leider kein Freund der derzeitigen amerikanischen Politik. Soll ich diese Kritik an der Regierungspolitik der Amerikaner sein lassen, weil Russland keineswegs besser ist?

Ich wollte nicht in Russland leben, ich empfand die Atmosphäre bei einem Moskaubesuch dort nicht gerade einladend. Ein Leben in den USA könnte ich mir sehr gut vorstellen. Ich halte Putin für einen kaltschnäuzigen Machtmenschen, der über Leichen geht.

Aber ich halte es für unlauter, mit dem Verweis auf die gräslichen Zustände in Russland und den verwerflichen Krieg in Tschetschenien jegliche Kritik an der amerikanischen Politik abwürgen zu wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Felix antwortete am 27.10.02 (20:29):

Ich glaube vielmehr, dass die Schwarz-Weiss-Maler zu den Voreingenommenen zu zählen sind.
Meinst du etwa Hans-Jürgen ich würde nicht auch die Schweiz kritisieren, wenn ich es gerechtfertig finde. In früheren Beiträgen geisselte ich z.B. das Bankgeheimnis, das kriminellen Kreisen und volksverachtenden Potentaten Unterschlupf gewährt. Auch das Verhalten der offiziellen Schweiz in der Flüchtlingspolitik während der Nazizeit habe ich als zu deutschlandabhängig verurteilt. Im Moment beschäftigt mich die Beziehung des Schweizer Nachrichtendienstes mit dem Apartheid-Regime in Südafrika. Ich verurteile und bekämpfe alle Ungerechtigkeiten unabhängig von der Nationalität, Hautfarbe oder Religion. Das nennt man eben Unvoreingenommenheit ... oder hast du da eine andere Vorstellung?


henner antwortete am 27.10.02 (21:48):

Hallo Felix
Du hegts den Verdacht, dass das eingesetzte Mittel verschwiegen wird, weil,,,es vielleicht illegal produziert wurde,,," kann so sein,aber wenn ich der russische Verantwortliche für die Beendigung dieser Geiselaktion wäre und über ein entsprechend-brauchbares Hilfsmittel(in diesem Falle leider nicht optimal wirkendes Gas)verfügte,würde ich seine Wirkkomponenten keinesfalls über Presse ,Funk und Fernsehen in alle Welt hinausposaunen.Das macht man aus strategischen und taktischen Erwägungen heraus natürlich nicht,,,ansonnsten hätte es auf potentiell nacheifernde Geiselnehmer keine Wirkung mehr,da sie sich entsprechend vorbereiten könnten.Natürlich erwartet man ,daß die Entwickler eines solchen Kampfmittels die günstigtse Dosierung kennen,brauchbare "Gegengifte bzw Behandlungsmaßnahmen" entwickeln und diese den behandelnden Ärzten zur Verfügung stellen.


kleinella antwortete am 27.10.02 (22:50):

Bereits als das Geiseldrama noch lief, habe ich nicht erwartet, daß die russische Regierung Rücksicht auf die Geiseln nimmt. Ihnen ging es nur darum, die Geiselnehmer zu fassen - ohne Rücksicht auf Verluste. Und man sieht, ich hatte mit meinen Gedanken Recht. Bei den Russen zählt ein Mensch wenig, das hat sich doch schon in der Vergangenheit gezeigt. Und Putin, der ist eiskalt und geht über Leichen. Denkt doch mal an die Sache mit dem U-Boot.


WANDA antwortete am 27.10.02 (23:08):

Obwohl Putin eiskalt ist, und wer Russland regieren soll, muss das sein, wirkte er gestern Abend bei seiner Entschuldigung sehr angeschlagen.
Ich befürchte, dass man noch nicht weiss, was als Gegenmittel helfen könnte, sonst hätte man zumindest die Ärzte informiert.
Alles spricht dafür, dass es sich um ein unbekanntes Gas handelt, was möglicherweise auch zu hoch dosiert wurde.
Ich hatte gehofft, dass durch die deutschen Geiseln, die sich ja hier befinden irgendetwas Näheres zu erfahren wäre, nicht dass diese reden, aber dass man vielleicht durch irgendeine Untersuchung der Lungen, der Schleimhäute usw. Anhaltspunkte hätte finden können.


Karl antwortete am 27.10.02 (23:49):

Liebe Wanda,

erstaunlich für mich war es aber zu sehen, dass die Einsatzkräfte keine Gasmasken trugen. Eben habe ich im Fernsehen erstmals die Vermutung gehört, dass die Einsatzkräfte ein Gegenmittel gespritzt bekommen haben. Falls das so gewesen sein sollte, wäre zu fragen, warum dieses Mitttel den Geiseln nach ihrer Befreiung nicht gegeben wurde. Aber da wir nichts wirklich wissen, schiessen die Hypothesen ins Kraut.


Felix antwortete am 28.10.02 (00:14):

Die Einsatzdoktrin, dass die eigene Truppe bei C-Waffen Gegenmittel anwendet oder bei B-Waffen vorher geimpft wird, ist mir von Nato wie von damaligen Wapa Armeen bekannt.
Ob dies hier der Fall war, kann ich noch nicht beurteilen.
Bekannte C-Kampfstoffe können es kaum gewesen sein.


seewolf antwortete am 28.10.02 (02:13):

Auch hier werden wieder einmal nur "Vermutungen" zitiert oder angestellt, und sogleich Urteile gefällt.

Dann darf ich hier vermuten, daß der weit überwiegende Teil der Geiseln noch am Leben ist, weil

1. die Geiselnahme durch die duchgeführte Aktion beendet wurde;

2. unterschiedlich gesunde oder belastbare Menschen unterschiedlich auf diesen Stress und die eingesetzten Mittel reagiert haben;

3. niemand ein ernsthaftes Interesse daran haben dürfte, per Medien etwaige Nachahmungstäter schon heute darauf hinzuweisen, womit man sie handlungsunfähig machen werde.

Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein.


Wolfgang antwortete am 28.10.02 (07:18):

In der amerikanischen Presse wird seit gestern wild vermutet und spekuliert, ob es sich bei dem eingesetzten 'Gas' nicht vielleicht um einen chemischen Kampfstoff gehandelt habe... Im Gespräch sind Organophosphate... Bekannte 'Vertreter' dieser Nervengifte sind zum Beispiel VX, Sarin und Soman.

Bestätigen sich die Vermutungen, dann würde das Schweigen der russischen Behörden verständlich werden: Solche Kampfstoffe sind international geächtet und im Krieg ist ihr Einsatz sogar gegen Soldaten verboten. Erst recht gilt das Verbot im Frieden. Der Einsatz unter Inkaufnahme des Todes von Zivilisten wäre dann ein Verbrechen und der, der das angeordnet hat, letztlich Putin, wäre ein Verbrecher.


Wolfgang antwortete am 28.10.02 (07:25):

Amnesty International fordert eine Untersuchung, so die Sprecherin Judith Arena zu BBC. Man wolle feststellen, ob der Einsatz des Gases "die angemessene Reaktion war und im Rahmen des Gesetzes" stattfand, um die Geiseln zu befreien.

Rights group demands siege gas inquiry
https://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/2365525.stm

Internet-Tipp: https://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/2365525.stm


Nienenueteli antwortete am 28.10.02 (07:29):

Von den über 100 spurlos verschwundenen Geiseln spricht im Moment niemand? Was ist mit denen passiert?


bello antwortete am 28.10.02 (09:47):

Vielleicht war der Einsatz des Gases ein Versehen oder sie haben das falsche Gas gewählt oder zu viel von einem Gas. Wer würde das schon gerne zugeben?


Karl antwortete am 28.10.02 (10:59):

Zitat aus dem Spiegel:

"Der russische Chemiewaffen-Experte Lew Fjodorow beklagte, dass die "Alfa"-Leute bei dem Einsatz offenkundig gegen den Kampfstoff geimpft waren, den Geiseln aber das Gegenmittel vorenthalten wird und wurde. Er sagte, hätte die Behörden die behandelnden Ärzte über das Gas informiert, hätte es weit weniger Opfer unter den Geiseln gegeben.

Experten streiten noch immer, um was für ein Gas es sich überhaupt gehandelt haben könnte. Die Seriösen unter ihnen geben jedoch zu bedenken, dass sie nur spekulieren können, da die russischen Behörden keine Details verraten. Der deutsche Terrorismus-Experte David Schiller schätzt, dass es sich um eine Substanz handeln könnte, die aus dem Kampfstoff Quinuclidinyl-Benzilat, kurz 3 BZ genannt, weiterentwickelt wurde. Der Kampfstoff wurde in den 60er Jahren von den USA hergestellt, ist jedoch mittlerweile verboten."

Ein versehen war das nicht, eher ein "Experiment".

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,220170,00.html


Hans-Jürgen antwortete am 28.10.02 (11:31):

Ein Experiment wie der Sozialismus, der mehr als siebzig Jahre lang erfolglos an Menschen ausprobiert wurde.

Hans-Jürgen


Nienenueteli antwortete am 28.10.02 (13:27):

Da mit einer Ausnahme alle Geiseln an den Folgen des Gases gestorben und nicht erschossen worden sind, so stelle ich auch die Version des 1 Stündigen Kampfes in Frage. Wie hätten die Geiselnehmer das im vergasten Saal tun sollen?


Wolfgang antwortete am 28.10.02 (13:51):

Experimente am Menschen mit Nervengas, Hans-Jürgen, gab es nicht nur im Sozialismus... Auch im Mutterland des Kapitalismus - in den USA - wurden Menschen missbraucht, um die Wirkung chemischer Kampfstoffe zu testen.

Vor kurzem berichtete die "New York Times" ("Sailors Sprayed With Nerve Gas in Cold War Test, Pentagon Says" (by THOM SHANKER with WILLIAM J. BROAD), NYT - October 24, 2002) über die Operation "SHAD". Das Kürzel steht für "Shipboard Hazard and Defense". "SHAD" dauerte 4 Jahre lang, von 1964 bis 1968... Dabei wurden giftige Chemikalien wie Nervengas über verschiedene Schiffe samt Besatzung gesprüht. Bei den Tests wurden verschiedene Gifte ausprobiert. Mindestens dreimal wurden die Nervengifte Sarin oder VX gesprüht, mindestens einmal das biologische Gift Staphylococcal Enterotoxin B (SEB). Die Besatzungen der Schiffe wurden nicht über die Gifte und die Gefahren informiert, weder vor den Tests noch nachher.


Wolfgang antwortete am 28.10.02 (13:55):

Entschuldigung... Das Datum stimmt nicht... Der obengenannte Artikel der NYT erschien am 24. Mai 2002.


Felix antwortete am 28.10.02 (15:11):

@Hans-Jürgen
manchmat tönst du wie ein destruktiver Zyniker ... Ist das von dir beabsichtigt? Wenn JA ... was soll's?

@Seewolf
klar sind das zu diesem Zeitpunkt Vermutungen... deine Punkte 2. und 3. etwa nicht?

@Karl
in meinen Unterlagen figuriert BZ3 als Psychokampfstoff, der in grossen Mengen Ende der 50er Jahre von den USA im Edgewood Arsenal (Maryland) hergestellt und auch im Vietnam-Krieg gegen die Vietkong eingesetzt wurde. Statt 3-Quinuclidinyl-Benzilat findet man ihn in der Literatur auch unter 3-Chinuklidyl-benzilat. Die Strukturformel ist mir bekannt.
Es kämen auch Varianten eines Piperdylbenzilats in Frage. Die handlungsunfähigmachende Dosis wird für BZ3 mit 10 mg/Mensch mit einem durchschnittlichen Körpergewicht angegeben. Was zu denken gibt ist aber die lange Latenzzeit von 30-60 min , die bei diesem Einsatz nicht drinlag!
Andere C-Fachleute sehen auch die Möglichkeiten eines sehr aggressiven Nasen-Rachen-Reizgases. Wie z.B. Clark I , II oder das in grossen Mengen vorhandene Adamsit (Diphenyl-amino-arsin-chlorid) mit einem handlungsunfähigmachenden Produkt von Konzentration und Zeit von 3 (Ict50 = 3) und einem Semiletalfaktor von ca. 15'000 (Lct50 = 15'000). Dagegen spricht die Anzahl der Getöteten.Auch bei diesen Arsenverbindungen wäre eine Latenzzeit von 5-10 min viel zu lange.
für mich ist eines klar: ... diese Aktion war ein Fehlschlag, sei es vom Zeitpunkt, von der Planung her oder durch die Wahl und die Einsatzart des Gases.
Sollte der Verdacht bestätigt werden, dass die Alpha-Truppe durch ein Gegenmittel geschützt werden konnte, das man aber konsequent den Geiseln vorenthalten hat .. würde ich diesen Einsatz als teuflischen unmenschlichen Plan verurteilen.


Karl antwortete am 28.10.02 (18:51):

Spiegel: Der Hamburger Bio- und Chemiewaffenexperte Jan van Aken vermutet, dass die Moskauer Geiseln durch ein illegal entwickeltes, neues Giftgas ums Leben gekommen sind.
"... soweit ich weiß, ist der Einsatz in Moskau einzigartig, auch deshalb, weil es sich anscheinend um eine illegale Chemiewaffe handelt, die eigentlich gar nicht hätte entwickelt werden dürfen. Die Chemiewaffen-Konventionen verbieten es Staaten, solche Gase für das Militär zu entwickeln. Nur für den Einsatz nach innen, für den Polizeigebrauch, zum Beispiel gegen Demonstranten, ist es erlaubt. Dann hätte Russland die Forschung anmelden müssen. Aber hier bewegen wir uns in einem Graubereich. Wenn eine derartige Forschung auffliegt, behaupten die Staaten in der Regel, dass es sich um ein Geheimprogramm für den Polizeigebrauch handelt. In den USA werden ähnliche Betäubungsmittel entwickelt, zum Beispiel Gasgranaten mit einer Reichweite von zwei bis drei Kilometern. Das gehört aber in den militärischen Bereich und ist klar verboten."

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,220239,00.html


seewolf antwortete am 29.10.02 (01:25):

Felix -

nächstes Mal bitte Augen aufmachen :

ich habe meine Vermutungen mit dem Begriff "Vermutungen" eingeleitet ...


bello antwortete am 29.10.02 (07:56):

Die "Vermutungen" werden heute durch eine neue Nachricht "erlöst": es soll ein Opiat gewesen sein.


schorsch antwortete am 29.10.02 (08:59):

Bei allen Diskussionen dürfen wir bitte nicht vergessen, dass da eine Regierung unter einem unsäglichen Druck stand. Jeden Augenblick musste man damit rechnen, dass die Terroristen sämtliche Geiseln töten würden. Es konnte vom Einsatzstab her also nur die Varianten geben: Entweder alle kommen um - oder wir kommen den Geiselnehmern zuvor und riskieren dabei ein paar hundert Tote. So oder so aber war Kritik am Handeln (oder Nichthandeln!) voraussehbar. Ich jedenfalls hätte nicht in der Haut der Entscheidungsträger stecken wollen!


Wolfgang antwortete am 29.10.02 (10:29):

Es bleibt bei Vermutungen... Um ein Opiat soll es sich gehandelt haben, der Name 'Fentanyl' wurde genannt... Als 'Quellen' wurden von der NYT (JUDITH MILLER and WILLIAM J. BROAD: U.S. Suspects Opiate in Gas Used in Theater, NYT, October 29, 2002) amerikanische Diplomaten ihrer Botschaft in Moskau zitiert, die sich wiederum auf russische Offizielle berufen.

Die 'Quellen' sagten auch, dass diese Nachricht vorsichtig zu geniessen sei ("The senior administration officials said their suspicions were tentative [...].").

Opiate in aerosoler Form könnten eingesetzt worden sein. Die verheerende Wirkung und die vielen Toten stützen aber den Verdacht, dass chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Eine Untersuchung, so wie sie Amnesty International fordert, würde Licht ins Dunkel bringen. Eine Untersuchung lehnen die russischen Verantwortlichen aber ab.


bello antwortete am 29.10.02 (13:06):

... na klar, weil sie in aller Ruhe ihre Opium-Pfeifen weiter rauchen wollen ...


Felix antwortete am 29.10.02 (15:34):

Das vermutete Opiat Fentanyl ist ein vollsynthetisch hergestelltes Derivat mit den typischen Eigenschaften dieser Stoffgruppe. Zu dieser gehört auch Methadon, das an Stelle von Heroin abgegeben wird. Es wird in der Medizin als Narkosemittel verwendet. In der Literatur werden viele Nebenwirkungen aufgezählt, die zum von den Geiseln beschriebenen Vergiftungssyndrom einigermassen passen könnte. Wichtig ist auch das Vorhandensein von Gegenmitteln, die diese Wirkung aufheben können!
Es sind aber durchaus auch Neuentwicklungen oder Kombinationen von Stoffen denkbar.
Die Russen müssen einen triftigen Grund haben ... über den wahren Sachverhalt zu schweigen.
Diese Fragen sind noch unbeantwortet:
- Wer trägt die Verantwortung für den Entscheid über Art und Zeitpunkt des Einsatzes?
- War die Toxizität und das hohe Risiko bekannt?
- Wie wurde die Einsatztruppe vor Narkotisierung und Vergiftung geschützt? Erhielten sie ein Gegenmittel?
- Wurde die Einsatzgruppe vorher über die Art des Gasangriffs wahrheitsgetreu informiert?
- Gab es unter diesen auch Gasverletzte? Haben sie mit Spätfolgen zu rechnen?
- Weshalb diese Desinformationen über Opferzahlen, Verletzungsarten, Auslöser des Angriffs etc.?
- Weshalb wurde nichts unternommen, um die unschuldigen Geiseln zu schonen oder medizinisch zu betreuen? (Gegenmittel dezentralisieren, therapeutische Massnahmen an Rettungsmannschaft und ärztl. Personal weiterleiten etc.)

Und natürlich: Angaben über den eingesetzten Stoff, erzielte Konzentration im Einsatzraum oder eingesetzte Menge, Einsatzform Aerosol, Dampf, Gas ... etc.
Im Irak würde man auch nach der Herstellung und den vorhandenen Lagermengen fragen.

Ich habe keine Illusionen ... viele dieser Fragen werden vermutlich offen bleiben ... oder von Lügen überspielt werden.


Karl antwortete am 30.10.02 (16:25):

Es war kein Opiat, sondern ein Narkosegas:
https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,220496,00.html
Diese Info hätten die Russen doch sofort bekanntgeben können, wenn klar ist, dass das doch rauskommen muss, wenn man Patienten ins Ausland entläßt. Kopfschüttel.

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,220496,00.html


Ursula antwortete am 30.10.02 (17:48):

Hallo Karl,

diese Erkenntnis wird bereits angezweifelt:

Prof. Hugo van Aken von der Universitätsklinik Münster widersprach, dass bei der Befreiungsaktion das Narkosegas Halothan eingesetzt wurde, weil für diese verheerende Wirkung 3000 - 5000 Liter innerhalb weniger Sekunden hätten verdampfen müssen, was er wohl für kaum möglich hält.

Er meint, dass das in München (Klinik rechts der Isar) bei einer der geretteten deutschen Geisel im Blut und im Urin nachgewiesene Halothan auch aus dem Moskauer Beatmungsgerät (wird auch für Narkosen verwendet) stammen könnte, mit dem die Frau noch während des Fluges beatmet wurde.

Wenn Halothan tatsächlich das gesuchte Gas wäre, hätte es ja auch bei dem anderen, in München behandelten deutschen Opfer (ein Mann, der nicht beatmet werden mußte) gefunden werden müssen. Dies war aber wohl nicht der Fall.


Gruß
Ursula


Ursula antwortete am 30.10.02 (19:12):

Gerade war in den Nachrichten zu hören, die russischen Behörden hätten ihr Schweigen gebrochen:
Bei dem Gas habe es sich um "einen Abkömmling des Opiates Fentanyl" gehandelt.

Nach Ansicht von Experten sei diese Auskunft nicht glaubhaft ...


Wolfgang antwortete am 31.10.02 (01:53):

Es ist möglich, dass 'Fentanyl' - also ein Opiat - eingesetzt wurde. Auffällig ist, dass diese Version schon vorgestern gestreut wurde und zwar von amerikanischer Seite (s. meinen Beitrag dazu vom 29.10.02 (10:29)). Ein Opiat gilt nicht von vornherein als chemischer Kampfstoff entsprechend der Verbotsdefinitionen. Man könnte sich also an die Verbote gehalten haben, man könnte aber auch die Opiat-Version propagandistisch nutzen, obwohl in Wahrheit vielleicht doch C-Kampfstoffe verwendet wurden.

Wie auch immer... Dass eine internationale und unabhängige Untersuchung nicht zugelassen wird spricht dafür, dass die russischen Verantwortlichen etwas verbergen. Die Wahrheit soll nicht ans Licht kommen. Auf jeden Fall trifft zu, was der britische Waffenexperte MALCOLM DANDO von der University of Bradford in einem Interview gegenüber einem SPIEGEL-Redakteur sagte:

"[...] Was wir in Moskau erlebt haben, war nur der Vorgeschmack auf etwas, was wir in der Zukunft häufiger sehen werden."

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,220576,00.html