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THEMA:   Integration von Ausländern - ausnahmslos Aufgabe der Ausländer?

 16 Antwort(en).

Ilse Fahl begann die Diskussion am 30.10.00 (20:53) mit folgendem Beitrag:

Wir haben ja nun festgestellt, daß politische Diskussionen nicht nur kritische Journalisten dahinführen zu erkennen:"Da kann man sich dann so herrlich streiten!"Überzeugt davon, daß es keine absoluten Ergebnisse gibt, es aber unendlich viel Wert ist, durch das Wahrnehmen unterschiedlicher Meinungen doch neue Denkanstöße für jeden zu finden, die letztlich der Sache dienen. Darum bringe ich gern wiederum ein politisches Thema ein! Oder wollen wir nur die warme und heile Welt hier finden? Was meint Ihr dazu?


Ilse Fahl antwortete am 01.11.00 (10:15):

Zunächst sollten wir vielleicht einfach mal darüber nachdenken:
Gehören zur "Integration" nicht grundsätzlich zwei Gruppen - Menschen? Allein ist eine Integration doch gar nicht denkbar?
Und wenn dem denn so ist,kann es denn zu einer richtigen und tragenden Integration überhaupt kommen, wenn nur der eine sich darum bemüht, der andere abwartend den Bemühten nur beobachtet?
Muß nicht der eine seine Hand anbieten, bevor der andere sie ergreifen kann? Muß nicht der eine seine Meinung deutlich sagen, bevor der andere sich darauf einstellen kann.
Fragen zum Verständnis allein verlangen schon einen geduldigen Zuhörer und Erklärenden. Kann aber das alles auch einseitig passieren? Ist zur Integration ausnahmslos wichtig, daß eine Sprache fehlerfrei gesprochen werden kann und die Landesgesetze auswendig daher gesprochen werden können? Ich(!!!) denke, solange wir auf einem derartig hohen Roß sitzen, ist unser Gegenüber nicht in der Lage sich bei uns einzufühlen,wohlzufühlen, uns zu verstehen, was ja eine dringende Voraussetzung zur überzeugten Integration sein muß und sollte!?


Manfred Franz antwortete am 01.11.00 (21:13):

Es muss m.E. immer unterschieden werden, ob jemand befristet zu GAST ist, oder ob er sein Leben auf DAUER in unserem Land einrichten will. In zweitem Falle sollten beide, Neubürger UND Alteingesessene, aktiv aufeinander zugehen. Denn nicht nur der Fremde sucht sein Heil hier bei uns- wir sollten uns endlich klar werden: wir BRAUCHEN ihn! Oder glaubt etwa noch jemand, der Geburtenrückgang ließe sich ihn absehbarere Zeit umkehren? Ein erstes Anzeichen des Mangels ist schon die Green-Card-Campagne, weitere werden folgen. Oder: in welche Höhen sollen denn die Renten-Versicherungs-Beiträge noch steigen, wenn die Lebenserwartung Neugeborener fast 100 Jahre beträgt, aber einfach nicht genug Leute mehr da sind, die die Riesenmenge der Rentner versorgen? Und außerdem: Eine kulturelle Bereicherung ist der Umgang mit anderen Menschen und deren Kulturen allemal. An ZUVIEL Bildung ist noch niemand gestorben, aber Unbildung, gar Dummheit, hat schon so viel Unheil angerichtet!


Ilse Fahl antwortete am 01.11.00 (22:08):

Hallo,lieber Manfred, Du sprichst mir aus der Seele! Ja, wir benötigen wieder einmal die Ausländer und wollen und können - wie es allgemein im Umgang mit Menschen ist - auch vieles von ihnen lernen, und sei es unsere inzwischen so selbstverständlich gewordene Lebenshaltung einmal neu zu durchdenken! Aber es wäre auch m.E. einfach menschlich, wenn wir den nun "heimatlos" gewordenen zur Seite stehen, wissend: sie helfen uns , auch wir sollten ihnen helfen!
Es trifft mich, als wenn ein total Dummer nur heute sagen kann:" wir brauchen keine multikulturelle Gesellschaft!????
sollte man fortfahren:" wir möchten unsere Grenzen keinesfalls erweitern, etwas geistige Enge zeichnet uns hier aus, die möchten wir erhalten!"???????
Oh, Schreck, - wenn es auch meine Meinung ist, sie klingt arg aggressiv, nicht? Vielleicht könnt Ihr mir ein paar Anregungen bieten, daß ich meine Meinung revidieren könnte!?


Maria antwortete am 04.11.00 (19:03):

Hallo, alle miteinander,

ich muß mich da jetzt ein wenig einklinken. Erklärend sollte ich erwähnen, daß ich mit einem Albaner seit 6 Jahren (sehr glücklich) verheiratet bin. Dadurch habe ich natürlich auch diverse Erfahrungen gemacht in puncto Integration: Anfangs hab ich meinen Mann natürlich auf seine ganzen "ämtergänge" begleitet und hab dort die miese Behandlung der Beamten gegenüber den Ausländern erfahren müssen.... wirklich schlimm teilweise. So z.B. das tiefste "Bayrisch-sprechen" im Amt - und das gegenüber einem Ausländer!!!! Gut, mein Mann spricht jetzt sehr gut Deutsch, vor 7 Jahren war das allerdings noch etwas holpriger und er hatte wirklich Schwierigkeiten, dem Bayrisch der Beamten zu folgen - na, ja, war nicht so wild, schließlich hatte er ja mich im Schlepptau. Aber es waren ja auch Ausländer in der Warteschlange, die alleine da waren.....

Das war nur mal ein kleines Posting bzgl.der Behandlung von Ausländern hier bei uns.....

Gruß, Maria


Ilse W. antwortete am 05.11.00 (17:01):

Ich meine, man sollte Ausländern jede Gelegenheit geben, sich zu integrieren, aber nicht verlangen, daß sie sich der "deutschen Leitkultur" (was ist das überhaupt?) unterordnen. Wir haben jahrelang auf einem Flur Tür an Tür mit Türken gewohnt und hatten mit ihnen ein gut nachbarliches Verhältnis, obwohl wir wie auch sie Schwierigkeiten hatten, die unterschiedlichen Lebensauffassungen zu verstehen. So hat der Mann sich immer wieder angeboten, mir die Einkaufstaschen die Treppe hochzutragen, während seine 65-jährige Frau täglich die Kohleeimer heraufschleppen mußte und er unbeteiligt zusah. Er wiederum mißbilligte sicher, daß unsere Töchter mit Miniröcken herumliefen und noch manches andere. Trotzdem hat man sich gegenseitig toleriert und einander geholfen, da spielten fremde Kultur und Religion keine Rolle. Wichtig ist doch, daß sich jeder an die geltenden Gesetzt hält.


Margot Berger antwortete am 07.11.00 (09:59):

Meine Tochter lebt seit vielen Jahren in Italien, mein Sohn mit Familie in Frankreich, meine Freundin in Amerika.Alle sagen das gleiche: Sie haben keine Probleme als Ausländer, solange sie sich a n p a s s e n ! Dort wird nicht über Leitkultur geredet, was ich für typisch deutsch halte, sondern sie wird gelebt und die als Ausländer dazukommen, akzeptieren sie. Finanzielle Hilfen zur Pflege der heimatlichen Identität - in diesem Falle der deutschen - wird dort nicht angeboten.


Wolfgang antwortete am 07.11.00 (12:32):

Die Situation in Frankreich kenne ich aus eigener Anschauung. Frankreich ist ein Land der Integration. Es hat sicher das weltweit liberalste Staatsbürgerschaftsrecht. In gewisser Beziehung müssen sich dort Ausländer anpassen, aber lange nicht so, wie es von ihnen in Deutschland erwartet wird. Respektieren müssen sie - und sie tun es auch völlig ohne Zwang - die substance französischer Identität: die Prinzipien der Republik, die Laizität (also die Freiheit des öffentlichen Lebens von jeglicher religiöser Bindung) und die vollkommen egalitäre Konzeption der Stellung von Mann und Frau.

Das ist aber auch alles. Ansonsten kann in Frankreich jeder kulturell tun und lassen, was er will. Es gibt dort seit Jahrzehnten eine starke arabische oder so beeinflusste Kulturszene mit erstaunlichen Erzeugnissen - einmalig in Europa. - Welch ein Unterschied zu Deutschland: Hier faselt man von "Leitkultur" und lässt schamlos durchblicken, dass alles Fremde darin keinen Platz haben wird. Anstatt die Religionen als private Angelegenheit jedem zu ermöglichen, beharrt man auf der einen christlichen Religion und missbraucht sie als Staatsersatz.

Es ist bedrückend zu erleben, wie sich große Teile der deutschen Elite langsam aber sicher ausklinken aus dem spannenden und fruchtbringenden Experiment der modernen Einwanderungsgesellschaften.


Margot Berger antwortete am 10.11.00 (19:17):

Lieber Wolfgang, da haben Sie die frankophile Brille aufgesetzt, denn auch Frankreich hat seine Ausländerfeindlichkeit und seine rechtsradikale Szene s. Toulon.
Es ist doch eben so, daß von unserer biologischen Substanz her alles Fremde und dazu gehört nun einmal andersgeartete Kultur Angst einflößt und Abwehr erzeugt.
Wir müssen mit viel Geduld und Ausdauer mit den Menschen, bei denen wir diese Angst oder Abwehr-Agression entdecken sprechen, denn nur über gute Argumente werden wir Aversion abbauen können, durch Hysterie und arrogante Besserwisserei bdestimmt nicht.
Margot


Manfred Franz antwortete am 10.11.00 (19:47):

Ja, Margot, unsere biologische Grundeinstellung ist skeptisch bis feindlich allem Neuem, Fremden, gegenüber. Aber haben wir uns nicht aus dem instinktgelenktem Tierreich erhoben? Sind wir nicht fähig, gewaltlos -materiell und geistig- unsere Ansichten zum Ausdruck zu bringen und zu verteidigen? Ist nicht die Toleranz gegen Andersartige oder auch nur Andersdenkende ein echtes Zeichen von wirklicher Kultur? Schließlich kann doch jeder "auf seine Fasson selig werden" und muss nicht unbedingt alle Anderen mit in sein Glaubensboot ziehen! Diese Regel sollte allerdings nicht nur für uns Deutsche, sondern für Alle gelten.


Ilse Fahl antwortete am 12.11.00 (21:07):

Ich habe leider selber keine Ahnung, aber hier klingt es oftmals so, als sei in Amerika eine andere Aufgeschlossenheit Ausländern gegenüber als in Deutschland, z.B mit ihrer "albernen Leitkultur". Sehen diese Leute denn gar nicht, daß Kulturen anderer auch Alternativen und Anregungen zur Lebensbewältigung für die Menschen bedeuten, die wirklich Bereitschaft zeigen, den Ausländern gerecht zu werden? Und zwar ist doch das sowohl in wissenschaftlicher Zusammenarbeit als auch in kultureller Zusammenarbeit, wenn wir es denn vielleicht einmal schaffen würden, den Ausländern gerecht zu werden, von uns aus die Integration anzubieten und sie dann auch wirklich zu erleben!
Ich empfinde es immer als beschämend, daß wir wohl Ausländer haben möchten, damit sie uns dann helfen sollen, technisch international voranzukommen, gleichzeitig aber energisch und arrogant erwarten, daß die Ausländer uns zwar helfen sollen, aber bitte sich nicht zu uns gehörig empfinden sollen sondern nach getaner Arbeit wieder gehen!
Ist das eine akzeptable Integration?


Margot Berger antwortete am 15.11.00 (18:59):

Lieber Manfred, schön wäre es ja, wenn wir (Menschen) uns schon soweit "erhoben" hätten, daß wir gewalt- und aggressionsfrei Meinung vertreten könnten. Das Gegenteil ist auf der ganzen Welt der Fall. So war ich der festen Überzeugung, daß ich nach dem 4oer Krieg nie wieder einen erleben müßte, zumindest keinen, in den Deutschland verwickelt ist und nun hat Deutschland inzwischen doch wieder Krieg geführt!!
Toleranz gegenüber Andersdenkender oder Andersartiger siehst Du als Zeichen wirklicher Kultur - ich auch! aber wie sieht es derzeit im Nahen Osten aus? Null Toleranz steht auf den Tranparenten.
Manchmal möchte man wirklich die Hoffnung aufgeben.
Margot


Manfred Franz antwortete am 17.11.00 (07:35):

Toleranz gegenüber Andersdenkenden ist doch nicht mit Wegsehen gleichzusetzen, wenn Menschen wegen ihrer Andersartigkeit gedemütigt, gequält, ja sogar getötet werden. Deshalb stehen doch auch deutsche Soldaten im
Kosovo und anderen Krisengebieten der Welt, um die intoleranten Hitzköpfe (meist beider Seiten !) zu
halbwegs zivilisiertem Miteinander zu zwingen. Und ich
finde es schon als einen Vertrauensbeweis der Welt für
unser Land, dass da auch unsere Beteiligung nicht nur geduldet, sondern auch gefordert wird.
Das passt auch zum Forum >was heißt hier deutsch?<
Es sollte nicht unsere Aufgabe sein, unser Land und seine Menschen in den Dreck zu treten, sondern uns des Vertrauens würdig zu erweisen, das uns die Welt heute wieder entgegenbringt. Die glatzköpfigen Dummköpfe sind gerade dabei, eben dieses Vertrauen erneut zu beschädigen!


Ilse Fahl antwortete am 22.11.00 (21:50):

ICH DANKE Euch für Eure - mich beglückenden - Antworten! Als einst Lehrerin empfindet man oft eine Hilflosigkeit, daß wir Deutschen so gern einfach :"Forderungen" an die Ausländer stellen wollen: Leitkultur etc.etc. Und vollkommen übersehen daß auch wir doch Anregungen durch andere Arten das Leben anzugehen erleben, die uns eine neue Möglichkeit bieten, mit den täglichen Problemen des Lebens fertig zu werden! Neue Anregungen erweitern doch die Möglichkeiten das Leben lebenswert zu gestalten! Nicht wahr: auch wir können, wenn wir nur aufgeschlossen genug sind , doch allerlei von anderen Kulturen lernen! Diese Arroganz:"Wir Deutschen sind so unerreichbar großartig" ist doch arg beschränkt!?


Ilse Fahl antwortete am 03.01.01 (09:52):

Habe vorgestern im Fernsehen etwas gesehen, was mir geradezu fantastisch erscheint!Es ist mir nicht klar, ob dieses nur ein einmaliges und wohl außergewöhliches Geschehen ist! Aber es wäre für uns Deutschen wohl leider unverständlich:
In der Schweiz waren einige tibetanische Flüchtlinge erschienen, die hofften, jetzt eine Möglichkeit friedlichen Lebens zu finden!Die Menschen im Ort waren sehr freundlich mit ihnen, die Kinder spielten mit den Fremden etc.etc. Aber irgendwann bekamen die Tibetaner Heimweh, konnten das aber nicht deutlich machen! Daraufhin wandte sich der Bürgermeister - nachdem er das bemerkt hatte, das hier Hilfe von nöten war - an ein Kloster in Tibet und fragte, ob es auch möglich wäre, dort, in der Schweiz für die Emigranten ein Kloster herzustellen. Das wurde sofort weiterverfolgt und letztendlich auch durchgeführt. Diese dort lebenden Asylanten empfinden tiefen Dank und es gibt dort keine "Integrationsprobleme"! Sicherlich sind hier in Deutschland sehr viel mehr Asylanten und es wäre derartig wohl auch kaum darum möglich, hier die Probleme so zu lösen! Aber das vorhandenen Bedürfnis, den Heimatlosen hilfreich mit Einfühlungsvermögen entgegenkommen zu wollen, davon sollten wir Deutschen uns wohl dennoch einmal beeinflussen lassen!? Es hat mich sehr beeindruckt, daß so etwas auch denkbar wäre!


Ilse Fahl antwortete am 12.01.01 (23:25):

Es tut mir so leid, daß offensichtlich keiner von Euch von meinen Erlebnissen im Fernsehen hier gelesen hat! Es wäre so herrlich, wenn wir Deutschen doch auch mal kennen lernten, was in anderen Ländern diesbezüglich geschieht! Auch wenn es so total sicherlich für uns Deutschen wohl nicht übertragbar ist, aber drüber nachzudenken, wie weit wir Deutschen vielleicht doch etwas mehr Menschlichkeit einzubringen in er Lage wären!?
Wie wurde es in dem anderen Kreis so schön gesagt:?

Es ist nicht wichtig, deutsch zu sein
Es ist wichtig Mensch zu sein!

Nicht wahr, das ist uns doch auch wichtig?

Auch der andere Beitrag:


Menschsein
Das heißt
Verantwortung fühlen,
Sich schämen angesichts einer Not
Auch wenn man offenbar keine Mitschuld an ihr hat,
Stolz sein auf den Erfolg der Anderen
Fühlen, daß man mit seinem Stein
Mitwirkt am Bau der Welt.

von Saint Exupery!

Ob wir das auch uns zum Vorbild nehmen können? Wäre toll!


Ilse Fahl antwortete am 17.01.01 (20:57):

Schade, ich fände es sooo gut, würden diese nachdenkenswerten Beiträge anderer Gesprächspartner auch hier im Forum mal von mehreren nicht nur gelesen sondern sogar durchdacht! Ich finde sie derartig wichtig für das allgemeine Zusammenleben mit Menschen aber selbstverständlich auch mit unseren Ausländern!
Kann ich so etwas hier nie erwarten? Das fände ich sehr, sehr schade!!!!!
Auch mein Bericht über den Fernsehbericht aus der Schweiz vom 3.01. - hier 3 Beiträge vor diesem - das alles wäre doch auch von uns Deutschen wichtig, mal zu durchdenken????