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THEMA:   Ambulante Pflege, das bessere Konzept?

 4 Antwort(en).

Ricardo begann die Diskussion am 29.10.00 (11:11) mit folgendem Beitrag:

Wissenschaftler wollen in einer vierjährigen Studie in London, Hamburg und im schweizerischen Solothurn Methoden entwickeln, damit alte Menschen möglichst lange selbstständig zu Hause leben können. Sollte dies gelingen, könnten nach Auffassung der Initiatoren des Projekts künftig weniger Altersheime gebaut werden.
Wie Gemeindevertreter am Donnerstag in Solothurn bekannt gaben, werden Krankenschwestern in der Schweizer Kleinstadt in den kommenden vier Jahren regelmäßig bis zu 3 000 Senioren zu Hause besuchen. Dabei geben sie Tipps für ausgewogene Ernährung und gesunden Schlaf ohne Schlaftabletten, bringen die Hausapotheke auf Vordermann und ermuntern die Alten zum regelmäßigen Arztbesuch.
Die Europäische Union wolle das Projekt mit insgesamt 1,1 Millionen Euro unterstützen, hieß es. Sollte die Studie den Erfolg der Hausbesuche belegen, könnte das Modell in ganz Europa Schule machen und zu einer erheblichen Kostenersparnis beitragen. Allein in der 16 000-Einwohner-Stadt Solothurn müssten ohne ein Programm für mehr Selbstständigkeit im Alter innerhalb der kommenden zehn Jahren 500 neue Pflegeheimplätze eingerichtet werden.
Die Solothurner können für ihre Studie auf eine ähnliche Untersuchung in der Schweizer Hauptstadt Bern aufbauen. In Bern waren nach drei Jahren nur drei Prozent der von Krankenschwestern beratenen Senioren zu Pflegefällen geworden, während von einer Vergleichsgruppe, die nicht beraten wurde, zwölf Prozent ins Heim mussten.

(aus Bild der Wissenschaft)

Ich will möglichst lange zu Hause bleiben!


Heidi Lachnitt antwortete am 29.10.00 (16:13):

Es wäre schön, Ricardo, wenn es das auch bei uns gäbe. Realität ist, dass bei uns in der häuslichen (Alten)Pflege nur die allernotwendigste Grundpflege von den Kassen bezahlt wird und bei allem, was darüber hinaus geht, gefeilscht wird, notfalls bis zum Sozialgericht. Die Abrechnung erfolgt nach vorgegebenen Minuten pro Pflegeeinheit und jede Tätigkeit die darüber hinaus geht, wird nicht bezahlt. Einstufung als "pflegebedürftig" ist natürlich Voraussetzung.
Du siehst, Prävention vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit ist bei uns nicht möglich. Dabei wäre dies das Wichtigste!

Wie immer das leidige Thema "Geld".


Wilhelma antwortete am 30.10.00 (16:32):

Natürlich ist es wünschenswert, zu Hause alt zu werden. Man müßte aber unbedingt viele Aspekte in einer Studie untersuchen. Auszubildendes Pflegepersonal bringt Arbeitsplätze.. Weniger Altersheime zu bauen? - Wieviel weniger, welche Ersparnis insgesamt - wenn überhaupt - ist die Pflege zu Hause optimal. Bei uns in Österreich gibt es Pflegegeld in Stufen eingeteilt, je nach Stundenaufwand. Trotzdem ist es schwierig. Gerade die älteren Menschedn brauchen ihre Verwandten (Kinder Enkel) zur seelischen Betreuung. An dem kommt keiner vorbei - das sind die wahren anzustrebenden Werte. Viele JÜNGERE sind aber noch im Arbeitsprozess. Wie soll das alles funktionieren? Die "alten" Menschen werden immer älter, bleiben immer länger fit - meine Mutter ist 89 seit 8 Jahren in einem schönen Wohnheim. Jetzt aber - wo sie körperlich keine Kraft mehr hat, lebt sie bei mir und FAMILIE tut gut und begleitet langsam in das Unvermeidliche........
Liebe Grüße an alle - Wilhelma aus Neusiedl a.S., Österreich


Gerlinde antwortete am 02.11.00 (20:01):

Liebe Wilhelmina, es ist wirklich nicht das Geld allein, das man dazu braucht. Natürlich hilft es, so manches leichter zu ertragen. Aber am meisten braucht man Liebe zu dem alten pflegebedürftigen Menschen, und viel viel Geduld. Ich habe meine Mutter bis zuletzt betreut, sie wurde 88 Jahre. Die letzten 3 Wochen musste sie im Krankenhaus verbringen, da sie starke Schmerzen hatte und ich sie nicht alleine heben konnte. Allerdings war ich auch im Krankenhaus fast immer bei ihr und hatte die Gnade, sie halten zu dürfen als sie verstarb. Das alles fordert sehr viel Kraft und Selbstdisziplin. Natürlich auch von dem Lebenspartner wenn man in einer Gemeinschaft wohnt. Ich bin glücklich, dass ich meiner Mutter ein Pflegeheim ersparen konnte und sie so lange in ihren geliebten vier Wänden bleiben durfte. Ich wünsche Dir viel Kraft und Liebe
Gerlinde (Wien)


Maria antwortete am 04.11.00 (19:17):

Liebe Gerlinde und Wilhelma,

auch wir haben unseren Opa bei uns daheim gelassen. Er war 85 Jahre, als er (nach einem Jahr der "Verwirrung") ruhig einschlief.

Ja, es war ein hartes Jahr, das letzte Jahr!! Aber wir haben es alle mit Humor getragen, wenn er z.B. wieder in seinem alten Büro saß und zu meinem Vater sagte: "Was machen diese 3 Neger da bei der Heizung?? Sag ihnen, sie sollen gehen, sonst schmeiß ich sie eigenhändig raus!"
Mein Vater brüllte dann die (natürlich nicht-vorhandenen) Neger an: "Raus mit Euch aus unserem Haus und kommt mir ja nicht wieder!!" Danach war er wieder beruhigt und hat weiter seine Zeitung gelesen, die er (haben wir erst zum Schluß erfahren) schon seit Jahren nicht mehr sehen konnte (weil er als alter Kriegsveteran natürlich nieeee einen Arzt brauchte!!!) ;-)))

Manchmal hatte er auch wieder einige klare Minuten, in denen er sich dann an den Kopf haute und grinste: "Hätt nie gedacht, daß ich mal so blöd werden würde."

Und die letzten 10 Wochen war er bettlägrig und wir haben ihn alle abwechselnd gepflegt, ihn gefüttert, Geschichten erzählt, vorgelesen. Die Körperpflege übernahm das ambulante Krankenpflege-Team, die das sehr geschickt und vor alle human gemacht haben. Keine respektlosen "Na komm, Opa"- Anreden und was man da halt immer alles so hört. Im Gegenteil: die waren sooo nett.

Und als er dann einschlief, war gerade seine 11-jährige Ur-Enkelin bei ihm und hat ihm die Hand gehalten und ihm ein Lied vorgesungen. Als er starb, lächelte er.....

Ich kann nur sagen, daß es ein wirklich sehr gutes Gefühl gibt - hinterher, für einen selber, mein ich... Man hat das gute und sichere Gefühl, alles für ihn getan zu haben, so wie er sein Leben lang alles für uns getan hat.

Gruß, Maria