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THEMA:   Anschlag auf Bali, Insel der Götter

 21 Antwort(en).

Felix begann die Diskussion am 13.10.02 (20:40) mit folgendem Beitrag:

Den ganzen Tag verfolgte ich Berichte vom grässlichen Anschlag in Kutta, dem Touristischen Zentrum von Bali.
Ich muss vorausschicken, dass ich Bali seit 1970 mehrmals bereist habe. Basel hat eine enge kulturelle Beziehung zu dieser aussergewöhnlichen Kultur. Der ehemalige Direktor unseres Völkerkunde-Museums hat viel dazu beigetragen, dass diese einmalige Kultur nicht vor die Hunde geht ... lies dem Tourismus geopfert wird! Traditionelle Tanzschulen und andere kulturelle Institutionen wurden tatkräftig unterstützt, um sie am Leben zu erhalten. Mit den geistigen Führern wurden Lösungen gesucht, den boomenden Tourismus von ursprünglichen Gebieten und religiösen Anlässen fernzuhalten. Die festlichen Kremationen, Maskentänze, Wajangspiele, Opferfester etc. wurden schamlos von der Tourismusbranche ausgeschlachtet und z.T. pervertiert. Ich habe auf meinen Reisen mit einer gemieteten Honda ehrfurchtvoll solchen Ereignissen beiwohnen dürfen.
Mein Freund, der Museumsdirektor ist ein halber Balinese geworden. Er hat auch ein eigenes Haus in einem unberührten Dorf im Innern der Insel bauen lassen. Er spricht Balinesisch und kleidet sich auch, wenn er als Gast eingeladen ist, auf traditionelle Art mit einem Sarong.
Als Gast erlebte ich mit ihm die intime Seite dieses Volkes und dieser einmaligen besonderen Ausformung der hinduistischen Kultur. Ich erlebte echte Trancerituale bei denen mir ein heiliger Schauer über den Rücken lief. Als nicht religiöser Mensch musste ich einsehen, dass für die Balinesen der Glaube an die Präsenz des Göttlichen in allen Lebensbereichen noch intakt war.
Der Staat Indonesien ist mehrheitlich moslemisch .. damals noch in einer relativ toleranten Ausprägung.
Mir kommt Wut und Trauer hoch, wenn ich annehmen muss, dass wiedereinmal fundamentalistische Kräfte, mit ihren dummgehaltenen fanatisierten Schergen den Frieden verunmöglichen. Indirekt fällt eine gewisse Mitschuld auf die aggressive, unversöhnliche, selbstherrliche Haltung der Bush-Regierung. Je mehr der Druck auf moslemische Staaten und Regierungen wächst ... um so mehr werden solche Attentate die Welt an Stellen verpesten, wo man es bis jetzt nicht erwartet hat.


wese antwortete am 13.10.02 (21:26):

Die jüngsten Wahlen in Pakistan haben deutlich aufgezeigt, wohin die amerikanische Kriegspolitik führt. Fundamentalisten sind gehörig im Aufwind und haben enormen Zulauf. Das ist in meinen Augen eine ganz natürliche Reaktion auf die amerikanische Bedrohung. In arabischen Ländern ist dies noch viel ausgeprägter.

Und seien wir ganz ehrlich, wer kann es diesen Menschen verdenken? Sie werden verteufelt, betrogen, ausgebeutet und mit Krieg bedroht. Ist deren Hass wirklich so unverständlich?

Es ist ein teuflisches Spiel. Auf der einen Seite die von Amerika verhasste "Achse des Bösen" und auf der anderen Seite die weltweite Solidarität der Fundamentalisten. Ich verurteile Gewalt und Terror. Den kausalen Zusammenhang darf man aber nicht ausblenden.


seewolf antwortete am 13.10.02 (23:47):

hmmm ...

habt ihr vergessen, daß es auch mal ne ganze Menge deutscher "Fundamentalisten" gab???

...oder französische F...
...oder italienische F...
...oder holländische F...
...oder - oder - oder...


Felix antwortete am 14.10.02 (00:13):

Seewolf .... wir vergessen nicht so leicht!
Fundis gibt es nur bei Gläubigen.... das sollst du nie vergessen. Kürzlich wurde sogar ein katholischer Fundi heilig gesprochen ... d a s gibt zu denken!


schorsch antwortete am 14.10.02 (19:04):

Das Prozedere ist immer gleich: Zuerst das Volk verarmen lassen bis es jedem Propheten nachläuft und glaubt, dass nur er es erretten könne. Dann einen Buhmann suchen, dem man die Schuld in die Schuhe schieben kann. Und wenn dann das Volk nichts mehr zu verlieren hat als sein bisschen nacktes Leben, organisiert man einen Aufstand (an dem auf wundersame Weise plötzlich teure Waffen beschafft werden können), bei dem die "Ausbeuter" eliminiert werden. Nun kann man getrost das Ruder übernehmen - und das Volk selber unterdrücken und ausbeuten.
Im Falle von Bali (und anderen "Entwicklungsländern") kommt noch dazu: Die reichen Völker überschwemmen als Touristen das Land und gebärden sich als Übermenschen den "Untermenschen" gegenüber. Fundamentalisten haben dann ein Leichtes, das Volk aufzuwiegeln und ihm das Heil in Form von "Gottesfürchtigkeit" vorzuspiegeln.
Glaubt vielleicht jemand hier, dass das, was in "Ballermann" und anderen Vergnügungsländern von besoffenen, primitiven Randalierern verursacht wird, zum Wohle der einheimischen sei?


Felix antwortete am 15.10.02 (15:50):

Ach Schorsch ... wie recht du hast!
Schon bei meinem ersten Bali-Besuch in den 70er-Jahren fielen mir die australischen Ballermänner sehr unangenehm auf. Sie soffen Dosenbier, spielten Karten, grölten in der Gegend herum und störten mit ihrem flegelhaften Benehmen tiefreligiöse Kulthandlungen der Balinesen.
Der kulturelle Gegensatz hätte nicht grösser sein können. Jedesmal ... wenn ich wieder nach Europa zurückkehrte ... erlitt ich einen Kulturschock, der bei mir eine depressive Verstimmung auslöste. Schon diese synthetischen Stoffe und Farben gegenüber einem naturgefärbten Ikatgewebe. Lebensmittel in Plastikverpackung ... dort liebevoll aus Bananblätter geflochtene Körbchen, kompostierbar noch obendrein. Eine Sprache, die mehrere Ausformungen kennt ... jenachdem man mit einer in der Achtung höhergestellten, gleichgestellten oder untergebenen Person spricht. Ein gewaltiger Formenreichtum an Verzierungen, Göttergestalten, Masken, Gewänder, Tänzen, Gesängen etc. tradiert und doch mit einer individuellen Note.
Falls man dort griesgrämige verknorzte Menschen sieht ... sind es in der Regel Touristen. Alte Menschen werden dort nicht plump und unförmig wie bei uns. Sie sind höchstens etwas drahtig mit einer tiefbraunen rumpfligen Haut ... nein hässlich wie bei uns wird man dort nicht.
Wer ist nun das kuliviertere Volk?
Leider ... so habe ich mir berichten lassen ... haben in der Zwischenzeit die Touristenströme vorallem aus dem nahen Australien ihre Wirkung gezeitigt. Alkohol, Drogen, Prostitution und Kriminalität sind verbreitet. Die früher so gastfreundlichen Balinesen haben das schnelle Geld gewittert und nützen die naiven Touristen schamlos aus. Schade!
Wir erleben hier die zweite Phase des Kollonialismus. Möglicherweise meinen gewisse Fundis ... mit Terror dagegensteuern zu können.


seewolf antwortete am 15.10.02 (16:49):

Felix (und schorsch) -

da haben wir doch ein Thema, welches sich wirklich trefflich eignet zu umfassender Erörterung: Tourismus. WAS bringt er WEM?

Sonnen-Hunger und Vergnügungssucht - edle Reisemotive?
Massentourismus und die Folgen - nur das Problem der Zielgebiete?

Kann der Tourist die Umstände/Kultur/Gebräuche des Zielgebietes respektieren - oder verlangt er den heimischen "Standard"?

usw...

- umsteigen in einen neuen Thread unter "Reisen" oder hier weiter erörtern?


schorsch antwortete am 15.10.02 (16:58):

Nach meinen Erfahrungen wird jeder Tourist in fernen Ländern als Gast begrüsst - wenn der Gast sich nach den Traditionen des Gastlandes richtet und nicht erwartet, dass man ihn als König betrachtet, der sich erlauben kann, in Traditionen Gewachsenes ausser Kraft zu setzen.


Felix antwortete am 15.10.02 (18:18):

Wir können sehr wohl in diesem Zusammenhang über die verschiedenen Aspekte des Tourismus reden. Schorsch hat mit Recht darauf hingewiesen, dass man in einem fremden Land in der Regel wohlwollend aufgenommen wird, wenn man der Bevölkerung und ihrer Kultur und ihren Sitten gegenüber den nötigen Respekt entgegenbringt. Einige Male hatte ich Mühe, angebotene Getränke und Speisen entgegenzunehmen, weil sie mir widerstanden ... mit grösster Überwindung und einer freundlichen Miene versuchte ich jewels die Situation zu retten.
Allerdings dort, wo der Tourismus die Bevölkerung schon verdorben hat, braucht es Zeit und Geduld, bis man die misstrauischen Menschen überzeugt hat, dass wir sie anderst einschätzen als die andern Fremden. Oft musste ich zuerst einige Freundlichkeiten in ihrer Sprache lernen, um den Bann zu brechen.
Feindselige Begegnungen waren seltene Ereignisse. Es waren Menschen, die schon schlechte Erfahrungen mit unserer Rasse gemacht hatten oder entsprechende Vorurteile von andern übernommen hatten.


Beate antwortete am 17.10.02 (22:59):

Leider gehen meine Texte stets verloren ! Warum? Ich weiß es nicht.
Also, noch einmal: Der Bombenanschlag auf Bali ist meines Erachtens die groeßte Wahnsinnstat, die es nach dem 11. September 2001 gibt !!! Ich habe gerade im Auslandsjournal gehoert, daß es vielen Balinesen nach diesem Terrorverbrechen sehr schlecht geht. Haben das die islamistischen Attentaeter (Fundamentalisten) bezweckt ? Ich habe auch gelesen, daß viele Einheimische nach der Greueltat, von Fanatikern ausgeuebt, zu den Ruinen kamen, um fuer die Opfer zu beten. Beobachter und Kenner sind der Auffassung, daß bis jetzt der groeßte Teil der Bevoelkerung eine aeußerst gemaeßigte Form des Islam praktiziert, weit entfernt von den radikalen Auswuechsen der Taliban.
Ein europaeischer Indonesien-Kenner erklaerte: "Den Bauern auf der indonesischen Insel Sulawesi etwa interessiert, ob die Reisernte gut wird, und nicht der Kampf gegen die angebliche westliche Dekadenz."
Als meine Tochter sich im Fruehjahr 2002 auf Bali in der "gaia-oasis", weit weg von Kuta, aufhielt, habe ich nur
Gutes von Bali zu hoeren bekommen. Sie brachte wunderschoene Fotos mit nach Hause. Der Avatar-Kurs und die
Ruhe in der Natur Balis im Norden der Insel hatte sie zu sich selbst gefuert. Ballermanns gab es da nicht!
Es waren geistvolle Menschen, die sie dort erlebte. Und das wird sie, vielleicht zusammen mit mir, wiederholen, trotz der gemeinen, und seit dem 11.September 2001 hinterhaeltigsten Anschlaege in Amerika.
Ich kann nur alle sogenannten "normal" denkenden Menschen zur Wachsamkeit Aufrufen, besonders im Hinblick auf die "Schlaefer", die es ja auch bei uns in Deutschland in nicht geringer Zahl geben soll.
Gottseidank gibts es ja einen sehr vernuenftigen und energischen Innenminister, Herrn Schilly, und den Verfassungsschutz. Moege es beiden gelingen, Deutschland vor Schlimmerem dieser Art zu bewahren!
Ich empfehle allen, sich mit der Literatur des sehr klugen Moslems Bassam Tibi zu befassen: z.B. Krieg der Zivilationen, Fundalismus im Islam ( Eine Gefahr fuer den Weltfrieden), Islamische Zuwanderung, etc.
Er ist Professor fuer Internationale Politik in Goettingen und einem großen Publikum durch viele Medien bekannt geworden.


Wolfgang antwortete am 18.10.02 (00:03):

Westliche Touristen laufen in aller Regel mit geistigen Scheuklappen durch arme Urlaubsländer. Vom ursprünglichen Land und den Problemen der meisten seiner Menschen kriegen sie wenig bis gar nichts mit. Deren Sprache sprechen sie nicht. Deshalb sind Touristen auch immer so erstaunt, wenn "ihr" Urlausdomizil, aus (wie sie irrtümlich meinen) heiterem Himmel angegriffen wird.

Gewalt hat Ursachen. Das Produkt "Tourismus" und die dahinter stehende westliche Tourismusindustrie in den armen Urlaubsländern tragen deutliche koloniale Züge. Bekannt ist, dass sich Herren und Knechte nicht gut auf Dauer vertragen. Gelegentlich rebellieren die Knechte.

Touristen werden längst nicht mehr von den von ihnen so genannten "Einheimischen" als sakrosankt angesehen. Touristen werden damit leben müssen, dass einige von ihnen angegriffen und getötet oder verletzt werden. Sie werden auch damit leben müssen, dass sich die Angriffe häufen und verstärken werden. Sie werden weiter davon ausgehen müssen, dass der schöne Schein von immer mehr "Urlaubsparadiesen" verblassen wird. Sie werden begreifen müssen, dass Urlauberidylle und Armut zwei Seiten derselben Medaille sind und eine Gewaltbeziehung kennzeichnen.

Wer das erhöhte Risiko von Angriffen nicht eingehen will, kann "seinen" Strand und "seine" Palmen zu Hause suchen... Vielleicht unter den Glaskuppeln der Center Parcs in Deutschland, Frankreich und Holland.


Wolfgang antwortete am 18.10.02 (00:15):

Auswärtiges Amt - Länderinfos - Indonesien:

"Aufgrund des ethnisch-religiösen, politischen und sozialen Spannungspotenzials sowie krimineller Aktivitäten kann es - wie geschehen - in verschiedenen Landesteilen Indonesiens zu lokalen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Sprengstoffanschlägen kommen."

Internet-Tipp: https://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/


Felix antwortete am 18.10.02 (00:57):

<https://www.baz.ch/reusable/druckversion.cfm?objectID=831B6AF2-620D-4D27-98B773B6AD3F7579>
@ Wolfgang leider muss ich dir beipflichten und macht mich zutiefst betroffen.
Mit diesem Link sollte man in der Basler Zeitung <www.baz.ch> vom 17.10. auf einen interessanten Beitrag über die Hintergründe des Anschlages in Bali stossen.
Der Verfasser ist Urs Ramseyer, der von mir weiter oben erwähnte ehemalige Museumsdirektor und Ethnologe von Basel der sehr viel für die Erhaltung der balinesischen Kultur unternommen hat. Auch versuchte er immer wieder zusammen mit Regionalfürsten, die schlechten Einflüsse des Massentourismus abzuwenden.


Beate antwortete am 18.10.02 (02:32):

@Felix,danke fuer den Hinweis auf den Artikel in der baz von Urs Ramseyer. Mal sehen, ob ich diesen mir
heute noch downladen kann oder morgen. Jetzt ist es fuer mich zu spaet. Aber ist nicht einer der tieferen Gruende
insbesondere dieses Attentats der, daß hier zwei voellig unterschiedliche religioese Kulturkreise aufeinandergestoßen sind: naemlch der Islam contra Hinduismus? Die Balinesen sind doch die hinduistischen
Fluechtlinge vor den Islamisten seit der Islamisierung im 16. Jahrhundert. Was sagt denn hierzu der Ethnologe
Ramseyer?
@Wolfgang,zu Ihren Ausfuehrungen gaebe es ja einiges mehr zu sagen, wenn ich jetzt nicht zu muede waere.
Sie verwickeln sich in Widersprueche. Einerseits beschimpfen Sie den "Tourismus" und behaengen ihn generell
mit "geistigen Scheuklappen" und andererseits verspotten Sie diejenigen, die zu feige sind und "auf das erhoehte
Risiko von Angriffen nicht eingehen" wollen, die moegen sich doch unter den "Glaskugeln der Center Parks"
tummeln oder gar verkriechen. Na,na.
Daß das Auswaertige Amt jetzt alle Touristen warnt, das weiß jeder, der lesen kann. Dennoch werden wir, meine Tochter und ich, die Lage sehr genau beobachten und ueberlegen, ob wir die gaia-oasis und die Insel Bali ansich
( "ohne Scheuklappen" ) spaeter besuchen koennen oder nicht. Jedenfalls studieren wir weiterhin schoen unsere
Reisebuecher und hoeren dazu "die" balinesische Musik." Koloniale Zuege" ? Sehr eigenartige Ansichten.
Wenn ich bei einer reizenden Familie aus Ostdeutschland auf dem Darß wohne, dann bin ich wohl auch die "Herrin" und meine Gastgeber sind die "Knechte" , sozusagen "Ossiknechte"???
Welcher Jahrgang moegen Sie wohl sein ?


Barbara antwortete am 18.10.02 (10:22):

Mein Bruder lebt seit mehr als dreißig Jahren auf Jamaica. Während eines Besuches aßen wir in einem traumhaften Restaurant, das auf einem Berg gelegen einen wunderschönen Blick über eine Meeresbucht bot. Wir waren die einzigen Gäste, was mich sehr wunderte, da Jamaica zu den meistgebuchten Urlaubszielen zählte. Mein Bruder berichtete mir, dass dieses Restaurant wohl wie so viele in Kürze schließen müsse.

Plötzlich kam ein prall gefüllter Touristen-Bus die Straße zum Restaurant heraufgekrochen. Ich freute mich und sagte: "Siehst Du, da kommt der Beweis, dass es an fehlende Gästen nicht liegen kann!" Mein Bruder meinte nur: "Warte mal ab!"

Der Bus hielt, alle stürmten heraus. Der erste Weg führte zum Klo. Auf dem Rückweg wurden unter lautem Gejuchze einige der wunderschönen Blumen als Souvenir abgebrochen. Dann trampelte der Schwarm durch die gepflegten Anlagen, um möglichst viele Fotos zu schießen. Danach hüpften sie in den Bus und brausten davon. Nicht einen Cent hatten sie im Restaurant gelassen, denn die WC-Benutzung ist dort kostenlos......

Kann man verstehen, wenn die Einheimischen Hass auf diese Art von Tourismus bekommen? Meiner Meinung nach besteht der große Unterschied darin, ob ich ein Land besuche, um die Menschen, die fremde Kultur, die herrliche Landschaft etc. kennenzulernen, dort möglichst nah mit den Einheimischen zusammenlebe, oder ob ich einen "all-inclusive-Urlaub" buche, in bewachten und abgeschirmten Hotelburgen ausländischer Eigner lebe und die Einheimischen lediglich angaffe und ausnutze.


Wolfgang antwortete am 18.10.02 (10:53):

@Beate... Ich "beschimpfe" niemanden und verspotte auch niemanden als "feige". Die Beziehung zwischen Touristen und Einheimischen in den armen Ländern ist eine Gewaltbeziehung und - ich wiederhole mich - trägt deutliche koloniale Züge. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen.

Ich bin der Meinung, dass das Bedürfnis vieler Menschen nach Sonne, Meer, Strand und Palmen unter Glaskuppeln in heimischen Gefilden befriedigt werden kann. für die Natur und für die Mehrzahl der Menschen in den armen Ländern wäre es ein Segen, wenn sie frei wären von den "Segnungen" des Tourismus.

PS.: Meine Einschätzung der Lage und der Begriff "kolonial" beziehen sich auf den Tourismus in den ARMEN Ländern. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass die Länder in Mitteldeutschland nicht zu dieser Kategorie gehören.


Wolfgang antwortete am 18.10.02 (11:03):

@Felix... Leider ist der von Dir angegebene Link nur den Abonnent/-innen der Zeitung und des Online-Dienstes der Basler Zeitung vorbehalten. Ich vermute, es handelt sich um den Artikel "Der Mythos vom Paradies oder Warum ausgerechnet Bali?". - Vielleicht könntest Du ein paar Kernaussagen als Zitat hier im Forum veröffentlichen? Ich bedanke mich jetzt schon bei Dir.


Felix antwortete am 18.10.02 (14:59):

Entschuldigung Wolfgang ... obwohl ich einen Probestart ausführte, dachte ich nicht daran, dass ich mich vor einigen Stunden eingelogt hatte ... heute musste ich dies wiederholen. Ich werde versuchen, einige Passagen des Artikels ins Forum zu bringen ... vermutlich in mehreren Portionen.
Der Titel:
"Der Mythos vom Paradies oder Warum ausgerechnet Bali?"
vom Basler Ethnologen Urs Ramseyer

.... Warum ausgerechnet Bali, das kleine Eiland im indonesischen Archipel, kaum grösser als unser
Kanton Wallis, von seinen Bewohnern liebe- und respektvoll «Nusa Dewata», «Insel der Götter»,
genannt? Warum dieser vermeintliche Hort des Friedens, inmitten einer von Gewalt beherrschten
Welt gelegen? Doch – Moment mal! – galt denn der entsetzliche Anschlag vom 12. Oktober
überhaupt den Balinesen, ihrer Kultur und ihrer hindu-balinesischen Religion? Ich glaube es nicht,
obwohl natürlich eine der Folgen eine nachhaltige Schädigung des balinesischen Tourismus sein
wird, der immerhin etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung direkt oder indirekt ernährt. Ich bin
vielmehr überzeugt davon, dass die Täter, woher sie auch immer kamen, ganz genau diese
Vergnügungsmeile von Kuta Beach im Visier hatten, weil sie hier den Satan in Gestalt der westlichen
Spassgesellschaften, den verabscheuten Konsumismus amerikanischer Prägung, Alkohol, Drogen
und Prostitution auf so symbolträchtige und effektive Art treffen konnten wie sonst nirgendwo.
Ein Schlag in Kuta Beach bedeutete gleichzeitig einen Schlag gegen die westliche Event-Kultur und
ihren bedrohlichen moralischen Verfall, gegen die neokolonialistischen Herrschaftsansprüche des
Westens und die von den USA betriebene neoliberale Globalisierung von Wirtschaft und Kultur. Und
er versprach darüber hinaus eine Schwächung und Destabilisierung der gegenwärtigen
indonesischen Regierung unter Megawati Sukarnoputri, die sich, trotz ihrer Zurückhaltung
gegenüber den radikalen islamistischen Bewegungen in ihrem Lande, auf die Terrorbekämpfung der
USA einliess und damit die fanatische missionarische Arbeit der Al Qaida und Jemaah Islamiyah in
Indonesien behinderte.


Felix antwortete am 18.10.02 (15:02):

Artikel von Urs Ramseyer 2. Teil:

Das künstliche Paradies

Bali ist bis zur Stunde null vom 12. Oktober von der internationalen Tourismusindustrie und den indonesischen
Kulturvermarktern als «Paradies» verkauft worden, mit Bildern, die sich über Jahrzehnte hinweg glichen und so zum Image einer
zauberhaften Südseeinsel beitrugen, deren glücklich lächelnde, anmutige und gastfreundschaftliche Menschen nur darauf
warteten, dem Fremden exotische Erlebnisse zu vermitteln. Balinesische Kultur, das waren weder die harte Arbeit im Reisfeld
noch die Rolle der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft. Das waren vielmehr die Events: die schwingenden Hüften der
Legong-Tänzerinnen, die magische Atmosphäre der Tempelfeste, die keifenden Hexen und Dämonen und der aufwändige
Totenkult mit seinen spektakulären Leichenverbrennungen.
So wurde Bali zum Paradies auf Erden, nicht nur für die unzähligen Reisenden aus dem Westen, die auf der Suche nach einer
schöneren Welt waren, sondern auch für viele Balinesen selbst, die ihre Kultur zum verkäuflichen Besitz deklarierten und fleissig
am Tourismus mitverdienten. Zur Wirtschaftlichkeit ihres Produkts gehörte natürlich, in einem wiederholt von politischen
Unruhen geprägten Umfeld, die Software «Bali ist sicher», mit ihrem beschwörenden Mantra «Bali Aman», das heisst: Hier kann
euch nichts passieren!
Der Tourismus hatte im Bali der dreissiger Jahre erstmals nachhaltige Spuren hinterlassen. Der internationale Jetset hatte die
Götterinsel entdeckt, und prominente amerikanische Kulturanthropologen und -anthropologinnen begannen sie zu sezieren, zu
interpretieren und zu propagieren. Ihre Publikationen überdauerten den Weltkrieg, den indonesischen Unabhängigkeitskampf
und den Auf- und Abstieg des Staatsgründers und ersten indonesischen Präsidenten Sukarno. Anfang siebziger Jahre wurden
ihre Bücher mit einem Schlag erneut populär, als die internationale Schar der Hippies auf der Suche nach künstlichen
Paradiesen über Goa in das kleine Fischer- und Bauerndorf Kuta an Balis Südküste fand, wo damals noch die Kühe weideten.
Bali, ein Land ohne Industrie, wollte an seine touristische Vergangenheit anknüpfen und versuchte deshalb, nach dem Konzept
des damaligen balinesischen Gouverneurs Ida Bagus Mantra, einen sanften Kulturtourismus aufzubauen, der nicht mehr als 500
000 Fremde auf die Insel bringen und die einheimische Kultur anregen und bereichern sollte. Doch die Machthaber um Präsident
Suharto wollten die Wirtschaft Indonesiens fördern und hatten den Tourismus als wichtigen Devisenbringer und Quelle zur
eigenen Bereicherung erkannt. Und so entwickelte sich der kleine Traumort der Hippies im Laufe der letzten 20 bis 25 Jahre
zum trunkenen Eldorado der jugendlichen Eventgesellschaften des Westens, der Surfer, Rugbyvereine und Beer-Crawl-Säufer
aus Australien – und damit auch zum Arbeitsplatz indonesischer Drogendealer und Prostituierter männlichen und weiblichen
Geschlechts.
Der Islam in Indonesien, dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt, hatte sein Sünden-Babel gefunden. Die
toleranten, auch religiös toleranten Balinesen liessen der Entwicklung ihren Lauf, obwohl sie die Zeichen der Zeit und die
Bedrohungen erkannt hatten, die ihre agrarische Umwelt und ihre Kultur mit ihren Grundwerten gefährdeten. Zu viele von ihnen
waren inzwischen direkt oder indirekt so sehr vom Tourismus abhängig geworden, dass sie sich nicht länger gegen diese
Entwicklung wehren wollten oder konnten.


Felix antwortete am 18.10.02 (15:06):

Artikel von Urs Ramseyer 3. und letzter Teil:

Ethnische Spannungen

Suharto und seine Familie hatten in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, zum Teil gegen den
erbitterten Widerstand der Balinesen, touristische Megaprojekte durchsetzen lassen, zu deren Ausführung Tausende von
Arbeitskräften islamischen Glaubens von den benachbarten Inseln Java und Lombok nach Bali gekommen waren. Die relativ
beschauliche Hauptstadt Denpasar hatte sich im Zuge der touristischen Entwicklung in kurzer Zeit zu einer Metropole
entwickelt, deren muslimische Bevölkerung immer umfangreicher und auch lautstärker in Erscheinung zu treten begann. Mit
tatkräftiger Hilfe aus Jakarta begannen überall, wo sich Muslime niedergelassen hatten, Moscheen aus dem Boden zu schiessen.
In Denpasar und in den wichtigen Touristenorten, wo immer mehr junge Menschen aus Java und Lombok als fliegende Händler
arbeiteten, kam es zu Spannungen zwischen Zuwanderern und Balinesen, die eifersüchtig über ihre göttlich legitimierten
Adat-Rechte wachten und den Fremden, die auf dem ohnehin dürren Arbeitsmarkt als Konkurrenten auftraten, misstrauisch und
immer feindseliger gegenüberstanden.
So steht in der Tat heute zu befürchten, dass der den radikalen Islamisten zugeschriebene Terrorakt von Kuta – falls
indonesische Urheber aus islamischen Kreisen überführt werden sollten – zu einer gefährlichen Eskalation im Verhältnis
zwischen Balinesen und Zuwanderern führen könnte.

Unschuld verloren?

«Unschuld verloren» titelte die einflussreiche «Jakarta Post» am Tage danach. Viele meiner balinesischen Kollegen, Freunde und
Freundinnen, Künstler und Intellektuelle, aber auch einfache Menschen vom Lande, wissen, dass Bali keine Unschuld zu
verlieren hat. Die balinesische Welt war immer eine Welt voller Gegensätze: Licht und Schatten, Krieg und Frieden, Gut und
Böse, Leben und Tod, Reinheit und Unreinheit, Schuld und Unschuld. Immer wieder haben die dämonischen über die göttlichen
Mächte gesiegt. Die grössten balinesischen Rituale sind Rituale der Reinigung des Menschen, der Insel und der ganzen Welt.
Reinigung von Unreinheit ist immer auch Reinigung von Schuld. An Kuta und an dem, was dort geschah, haben sich die Balinesen
durch ihr Laissez-faire mitschuldig gemacht. Es wird bald zu grossen Reinigungsritualen kommen auf Bali. Doch werden diese
aufwändigen und farbenprächtigen Rituale den Ruf Balis, ein Paradies und ein sicherer Hafen zu sein, nicht so bald
zurückbringen. Ich weiss, dass viele meiner balinesischen Freunde und Bekannten dies als Chance ansehen, sich in einer
äusserst wertkonservativen Gesellschaft bemerkbar zu machen, um einen Prozess des Umdenkens, der Neudefinition kultureller
und gesellschaftlicher Identität und, vielleicht, auch der Rückkehr zu einem sanften, ökologisch verträglicheren Tourismus mit
500 000 statt zwei Millionen Gästen pro Jahr in Gang zu bringen.


Wolfgang antwortete am 19.10.02 (23:01):

Vielleicht interessieren sich die ein oder anderen für eine Presseauswahl zum Thema - zusammengestellt auf der Seite des "Friedenspolitischen Ratschlags" der AG Friedensforschung an der Uni/Gesamthochschule Kassel:

Terror im Ferienparadies
Wem galt der Anschlag? Wer führte ihn aus? Was sind die Antworten? Eine Presseauswahl
https://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Terrorismus/bali.html

P.S.: Danke, Felix, für den ausführlichen Auszug aus der Baseler Zeitung. :-)

Internet-Tipp: https://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Terrorismus/bali.html


Beate antwortete am 01.11.02 (22:50):

Dank sei dem "Diskussionsforum Politik und Gesellschaft" fuerdie E-Mails von Felix mit dem Titel "Der Mythos vom Paradies oder Warum audgerechnet Bali?" vom Basler Ethnologen Urs Ramseyer. Ich konnte sie downladen und an
meine Tochter weitersenden.

Freundliche Grueße besonders Dir, lieber Karl Friedrich.