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THEMA:   Gewalt in der Altenpflege - Was ist das?

 26 Antwort(en).

Heidi Lachnitt begann die Diskussion am 07.10.00 (00:07) mit folgendem Beitrag:

Ich bin mir nicht sicher, ob dies wirklich ein Thema ist, dass alle interessiert. Das Thema Altenpflege wurde hier schon einmal angeschnitten und mit der ersten Antwort abgeblockt mit dem Hinweis auf Roghans Seite. (Ich habe mir diese Seite inzwischen angesehen und halte sie für sehr geeignet für Profis.)

Ich möchte aber hier nicht die Profis ansprechen, sondern alle, die nicht professionell mit alten kranken und pflegebedürftigen Menschen konfrontiert werden und vor allem die unter Euch, die selbst pflegebedürftige Angehörige pflegen oder in einem Pflegeheim unterbringen mussten.
Wenn ich Anderen von meinem oder aus meinem Berufsleben erzähle ist die Reaktion immer blankes Entsetzen oder unangebrachte Bewunderung.

Was verstehe ich unter Gewalt in der Altenpflege?

Alles was gegen die Würde des alten Menschen verstösst und gegen seine Selbstbestimmung und alles was gegen die Würde einer Altenpflegerin verstösst und ihre Selbstbestimmung.(Das gilt natürlich auch für meine männlichen Kollegen)

Welche Formen der Gewalt gibt es?

Es gibt unterschiedliche Formen von Gewalt - physische (eher selten)und psychische-; personelle oder institutionelle-; ..

Was sind die Ursachen für Gewalt in der Altenpflege?
Wie kann man sie verhindern?

Viele Fragen zum obigen Thema - Vielleicht habt Ihr noch andere Fragen, vielleicht auch einige Antworten?

(Internet-Tipp: https://members.aol.com/hsmsiegen)


Heidi Lachnitt antwortete am 09.10.00 (16:51):

Zu trocken? Zuviel Theorie? Oder "will es niemand wissen"!

1999 Das Jahr der Senioren

Im Jahr der Senioren sind wir die Vergessenen,
wir sind die "Alten"!

Ich bin 84 Jahre alt
ich sitze im Rollstuhl weil meine Beine
mich nicht mehr tragen
die weißen Haare auf meinem Kopf kann ich zählen
meine Hände sind verbogen und steif
ich kann schlecht sehen und schlecht hören
und mein Hörgerät funktioniert nicht immer
ich habe keine Kontrolle über meine Ausscheidungen
und trage "Pampers"
aber mein Kopf, der funktioniert noch
und das was ich noch sehe und höre hier draußen in der Welt
verletzt mich:

wenn ich im Rollstuhl durch das Einkaufszentrum
gefahren werde
sehen die Leute weg - es ist ihnen peinlich
wenn ich im Rollstuhl in ein Restaurant gefahren werde
rücken die Leute einen Tisch weiter
sie rümpfen die Nase und flüstern "die stinkt!"
und "die kann doch nicht mehr alleine essen, was will sie hier?"
wenn ich im Rollstuhl in ein Bekleidungsgeschäft gefahren werde
bringt die Verkäuferin mir einen Jogginganzug ("das ist praktisch für Sie")
das schöne Seidenkleid aus dem Schaufenster darf ich nicht anprobieren
("das gibt es nicht in Ihrer Größe") aber sie hat nur Angst,
das Kleid könnte meinen Geruch annehmen

Im Jahr der Senioren sind wir die Übersehenen
wir sind die "Alten" und die "Gebrechlichen"
wir funktionieren nicht mehr
und wir erinnern die "Jungen" und die "Senioren" daran
daß auch sie einmal "alt und gebrechlich" werden
- niemand will das wissen!
hl/1999

Und auch dieses noch:


Empathie

Ich liege in einem Bett
und starre an die Zimmerdecke.
Ich kann meine Beine nicht mehr bewegen,
meine Arme sind steif und schmerzen.
Ich kann nicht mehr sprechen,
nur noch hören, sehen und denken.
Jemand hat einen Schlauch in meine Blase gelegt,
jemand hat einen Schlauch in meinen Magen gelegt.

„Guten Morgen, haben Sie gut geschlafen?“
Jemand zieht die Decke von mir weg,
fährt mir mit einem nassen Lappen durch das Gesicht,
über Brust und Arme,
ein Handtuch trocknet notdürftig die Nässe,
ich werde zur Seite gekippt, kalter Schaum wird auf meinen Po gesprüht
und mit eiligen plastikbehandschuhten Händen wieder abgewischt,
ich werde auf den Rücken gerollt und grobe Hände
legen sich unter meine Achseln und ziehen mich nach oben,
die Decke wird hastig über mich geworfen.

Fremde Finger öffnen meinen Mund,
bohren sich mit einem feuchten Stück Tuch
in meine Wangentaschen,
Zitronengeschmack auf meiner Zunge
- ich mag keine Zitronen.
Eine Flasche mit Nahrungsbrei hängt über mir,
der anonyme Brei tropft langsam in meinen Magen.

Ich liege in einem Bett
und starre an die Zimmerdecke
niemand spricht
mit mir

hl/1998


Ein Freund schrieb gestern "....ich habe mehrfach angefangen und dann immer wieder schnell woanders gesurft,
weil ich das Thema verdrängen wollte..."

(Internet-Tipp: https://members.aol.com/hsmsiegen/forum.htm)


Wolfgang Maul antwortete am 09.10.00 (17:42):

Es wird wohl daran liegen, Heidi... Es ist kein "schönes" Thema. Aber, es ist ein wichtiges Thema. Die SeniorInnen in diesem Forum - mich schliesse ich natürlich ein -sprühen ja vor Elan und Aktivität und wenn man manchen Beiträgen glauben schenken darf, sind sie immerfort dabei, meterdicke Bäume auszureissen. Sie (ich) glauben also offensichtlich, dass sie (ich) niemals in die unglückliche Lage der Altenpflege kommen können. Der Mythos der flotten "Alten" lebt, von den Alten selbst am verbissensten hochgehalten. Die Realität sieht leider anders aus.

Schnell ist man alt und verbraucht und alle Sprüche helfen nicht mehr. Dann wird man gepflegt - von Angehörigen oder professionell. Ab diesem Moment ist man schwach und die, die einen pflegen, sind stark. Wir wissen, dass solche Konstellationen Gewalt fördern: Kinder werden von ihren Eltern und anderen Erwachsenen geschlagen oder missbraucht; Frauen werden von Männern vergewaltigt; Alte ziehen den Kürzeren gegenüber den Jüngeren.

Sich dieses drohende Abhängigkeitsverhältnis frühzeitig deutlich zu machen, halte ich für wichtig. Nicht dass man dadurch schon vor der Gewalt gefeit wäre. Aber in der Öffentlichkeit das Thema publik machen und darüber reden, bevor es zu spät ist, halte ich für wichtig. Sexualität, Krankheit, Tod, Alter, Gewalt - Tabuthemen, über die man nicht gerne spricht, schon gar nicht im Seniorentreff.


Oliver Block antwortete am 11.10.00 (00:45):

Big Dady!!!
Hallo wer kann helfen?Suche Big Dady nichtBig Brother!
Wie kann es sein,daß unser Beruf soweit gesunken ist?
Wie kann es sein ,das die Altenheime immer leerer werden?
Wie kann es sein,das die Heime immer wieder in die Schlagzeilen kommen?
Von wegen Pflegefehler?!
Bei uns gibt es nur drei Nachtwachen für 6Stockwerke!
Immer mehr Bewohner beschweren sich über das Personal.
Wir müssen immer sagen ,sorry keine Zeit.
Ich besuchte zich Fortbildungen.
Doch wann kann ich das Gelernte umsetzen,wann und wie?
Wo ist"Big Dady"?der mir hilft Gutes zu tun.
Wer leistet mit mir die Überzeugungsarbeit,Dinge zu ändern,die noch zu ändern sind ?
Warum kann ich nichts tun,um das Leben der alten Leute positiver zu gestalten?
"Ich bin alt ich werde eh bald sterben" so ein Bewohner neulich zu mir! Ich war sprach los und depremiert.
Was sollte ich entgegnen? Mag sein dasman Krankenhaus und Heim nicht mit Familie vergleichen kann,okay.
Aber alle glauben an "Big Dady",der da oben im Himmelreich wohnt.Doch woh ist er,der"Big Dady"?
Es muß eine Möglichkeit geben,den Menschen zu helfen in all ihrer Verzweiflung!
Nicht,Fixierung ,Psychopharmaka,Zwangsernährung sind der richtige Weg!!!Nein das kann und darf nicht sein !!!
Okay bis dann ,wollte nur mal meinen Kummer los werden.

(Internet-Tipp: https://home.t-online.de/home/Rogahn)


Heidi Lachnitt antwortete am 11.10.00 (19:47):

Ja, hier ist ein Kollege verzweifelt.

Haben die Senioren hier im Treff wirklich nichts dazu zu sagen?


Elke Kasper antwortete am 15.10.00 (20:44):

Liebe Heidi,
ich versuche seit gestern, einen Beitrag zur Diskussion zu senden, aber obwohl ich alles richtig gemacht habe, ist meine Antwort nicht erschienen. Deshalb schick ich es jetzt so:
Gewalt in der familiären Altenpflege

Darf's auch etwas mehr sein?
Du
bist 92 Jahre alt, seit 27 Jahren Witwe
2 Kinder, 5 Enkel, 8 Urenkel

Du
hast dein Leben bis zum letzten Tropfen ausgekostet,
nun bist du fast am Ziel:
die Seele satt, der Leib müde -
bereit zu gehen.

Wir
wollen noch nicht loslassen,
dich verlieren,
wir lieben dich!?

Also:
Medizin, Infusionen, Sondennahrung -
Bleib noch eine Weile unter uns,
uns zu Liebe.


Wolfgang antwortete am 17.10.00 (12:49):

Zu sagen habe ich wenig. Eher habe ich Fragen. Nicht nur an die "Profis", aber die sind nun mal näher dran am Problem. Kann es sein, dass Gewalt in der Altenpflege durch zu wenig Pflegepersonal entsteht? - Vor kurzem - ich weiss nicht mehr wo - habe ich gelesen, dass etwa drei zu Pflegende auf einen Pflegenden kommen. Und dass die Fachverbände fordern, dass das Verhältnis drastisch verändert wird, auf dann 1,5 zu 1 (was zu einer Verdoppelung der Stellen für PflegerInnen führen müsste). - Stimmen diese Zahlen? Könnte durch diese Massnahme die Gewalt in den Pflegeheimen zurückgedrängt werden?

Briefe veröffentlichen, die in Nachtschränkchen lagen, berühren immer und bewirken nie was. - Müsste man nicht konkret was tun? Geld bereitstellen? PflegerInnen ausbilden? Druck machen auf die Politik und die Wirtschaft, die ja die Rahmenbedingungen setzen, unter denen dann Alte und PflegerInnen miteinander auskommen müssen?


Heidi Lachnitt antwortete am 17.10.00 (18:38):

Lieber Wolfgang, eine Pflege 1:3 wäre ja geradezu traumhaft!

Die Realität sieht anders aus, zunächst einmal trockenes Zahlenmaterial:

Drei zu pflegende alte Menschen auf 1 Pflegeperson ? Statistisch gesehen d.h. nach dem Pflegeschlüssel eines Hauses, mag das stimmen. Die Praxis sieht anders aus.

Beispiel: Eine Pflegestation mit 32 Bewohnern, davon 13 ständig bettlägerig, bei 15 weiteren erfolgt die Grundpflege(Waschen,Anziehen Transfer Bett-Rollstuhl etc) vollständig durch das Pflegepersonal, vier dieser Bewohner bedürfen "lediglich" der Unterstützung bei diesen Tätigkeiten und können noch - in Begleitung - alleine gehen.

Das Personal arbeitet im Schichtdienst, d.h. von 6.00 - 13.00 h, von 13.00 bis 20.00 h (die Nachtwache von 20.00 bis 6.00 h wird im folgenden aber (noch )nicht berücksichtigt.).

Laut Stellenplan gibt es für diese Station 15 Pflegepersonen, davon sind 7 examinierte. Pflegefachkräfte, 3 ex. Pflegehilfskräfte und 5 sind angelernte Helfer. In Vollzeit (35-38,5 Std./Woche) arbeiten lediglich 4 Fachkräfte und 1 Helferin,
Der Rest hat Arbeitszeiten von 18-22 Std./Woche.

Rein rechnerisch ergibt sich jetzt eine Zahl von 2,13 Bewohnern auf 1 Pflegeperson, wenn alle von 6.00 bis 20.00 Uhr arbeiten würden, teilen wir also durch 2 Schichten dann ergibt sich eine Zahl von 4,26 Bewohnern auf 1 Pflegeperson, wenn man jetzt Urlaub, Krankheit, Teilzeitarbeit noch mit einbezieht verschlechtert sich die Zahl weiter, sodass wir im Durchschnitt in der Frühschicht 6.4 Bewohner auf 1 Pflegeperson und in der Spätschicht 8 Bewohner auf 1 Pflegeperson haben. An den Wochenenden darf man die Bewohnerzahl dann nochmal erhöhen, weil dann nur halbe Besetzungen mit höchstens 1 Aushilfe zusätzlich arbeiten.

Und diese Zahlen sind geradezu paradiesisch im Vergleich zu den Zahlen, die ich aus anderen Häusern hier in unserem Kreisgebiet kenne!

Dies ist also eine der Ursachen für Gewalt in der professionellen Altenpflege - Ständige Überforderung bedingt durch zu wenig Personal und einer der Gründe, warum wir/ich ständig auf die Straße gehen, demonstrieren, auf Veranstaltungen uns den Mund fusselig reden und letztendlich auch hier im "Senioren"-Forum den Mund aufmachen.

Soweit zu den personellen Rahmenbedingungen. Der nächste Beitrag folgt in einigen Minuten


Heidi Lachnitt antwortete am 17.10.00 (19:06):

Ich will an dieser Stelle jedoch noch ein weiteres Beispiel für Gewalt in der Altenpflege bringen, ein Beispiel, dass mich vor meinen Urlaub sehr belastet hat und - unfassbar für mich - in der gleichen Form immer noch besteht:

Ein Mann, 84 Jahre alt, Grunderkrankung Morbus Parkinson im letzten Stadium, neurologisch austherapiert d.h. alles, was es an Medikamenten für diese Erkrankung gibt, bekommt er bereits. Der Mann ist die meiste Zeit bei relativ klaren Bewusstsein und orientiert!

Stellen Sie sich einen Mann vor, dessen gesamte Muskulatur ständig bis zum äussersten angespannt ist (24 Stunden am Tag), d.h. wenn wir sämtliche Lagerungskissen entfernen liegt der Mann mit dem Kopf, der rechten Schulter, der linken Hüfte und mit der rechten Ferse auf der Matratze, der restliche Körper bildet einen in sich gedrehten Bogen über der Matratze.
Die Finger seiner Hände - und um diese geht es, haben sich im Laufe der letzten Monate durch die ständige Anspannung derart in die Handflächen gedrückt, dass sich die Fingernägel, schön einer nach dem anderen, vom Halbmond her aus dem Finger drücken und die Handfläche eine einzige Wunde ist. Um eine Sepsis (Blutvergiftung) zu vermeiden müssen diese Hände tagtäglich neu versorgt werden und dass sieht dann so aus.

Der Arm wird mit Gewalt in eine halbwegs gerade Lage gebracht und fixiert.
Einer von uns biegt mit Gewalt einen Finger nach dem anderen auf und der andere reinigt und desinfiziert die Wunde und verbindet wieder neu. Diese Prozedur dauert jeweils 40 Minuten. (Ich möchte nicht wissen, wieviele dieser kleinen Fingerknochen wir mittlerweile hierbei gebrochen haben!)
Das sind täglich 40 Minuten unerträgliche Schmerzen (trotz Schmerzmittel) für diesen Mann.

Das sind täglich 40 Minuten unerträgliche Schmerzen, für Tochter und Sohn die dieser Prozedur mit großer Tapferkeit beiwohnen um den Vater nicht alleine zu lassen.

Das sind täglich 40 Minuten unerträgliche Schmerzen für uns, die wir diese Prozedur durchführen müssen und sehr genau wissen, was dieser Mann und was seine Kinder dabei empfinden und sehr genau wissen, dass mit einer relativ einfach Operation dem Mann und allen Beteiligten diese Schmerzen erspart werden könnten.

Warum diese OP nicht erfolgt? Ich weiß es nicht - Der behandelnde Hausarzt hat die Einweisung in die chirurgische Ambulanz geschrieben, der Bewohner wurde dort angesehen und sofort wieder zurückgeschickt mit dem Hinweis er möge sich in der nächsten Woche in der ambulanten handchirurgischen Sprechstunde melden. Eine Woche später, Vorstellung in der Handchirurgie - der Bewohner wurde "postwendend" mit der Begründung zurück geschickt " es bestehe kein Handlungsbedarf, da keine Sepsis vorliege".
********

Worin besteht hier die Gewalt?

In der Zumutung, dass dieser Mann die letzten Monate oder auch Jahre mit diesen Schmerzen leben soll.

In der Zumutung, dass wir, das Pflegepersonal, diese Gewalt die nächsten Monate oder Jahre weiterhin ausüben sollen.

In der Zumutung, dass die Angehörigen dieses Mannes dieses Elend die nächsten Monate oder Jahre ertragen sollen.

Aber es besteht für die Herren Krankenhausärzte kein Handlungsbedarf.
- Vielleicht sollten wir diesen täglichen Verbandswechsel unterlassen, sodass sich damit endlich der Handlungsbedarf in Form einer Sepsis einstellt? -

Nebenbei bemerkt:
Selbstverständlich bekommt dieser Mann seine tägliche Nahrung über eine Magensonde und ist mit einem Blasendauerkatheter versorgt. Er wird zweistündlich gelagert, von seinen Exkrementen befreit , gewaschen und - da er krankheitsbedingt häufig massive Schweissausbrüche hat - umgezogen. Jede Pflegehandlung unsererseits ist mit Schmerzen für diesen Mann verbunden.

Wissen Sie eine Lösung? - Ich nicht.
*********

Warum ich diese Situation - die kein Einzelfall ist - ausgerechnet hier schildere?

Es könnte im nächsten Jahr Ihr Vater sein, der in diese Lage kommt und es könnten Sie sein, die hilflos im Krankenhaus stehen und sich darauf verlassen, dass die ärzte dort schon wissen, was richtig ist und einfach alles als gegeben hinnehmen.

Wehren Sie sich!!


Heidi Lachnitt antwortete am 17.10.00 (19:25):

Und noch eine Bitte: Wir können diesen Kampf nicht alleine ausfechten. Wir brauchen die Unterstützung der Angehörigen unserer Bewohner.
Wir brauchen Angehörige, die nicht alles hinnehmen, was tagtäglich in den Altenheimen und Altenpflegeheimen passiert. Angehörige die die Augen aufmachen und sich wehren.
Danke, für's Zuhören.

Ich werde in nächster Zeit an dieser Stelle noch weitere Beiträge zu diesem Thema einstellen. Es gibt so unendlich viel, dass geändert werden müsste......


Günter Rogahn antwortete am 18.10.00 (13:41):

Hallo zusammen,

das Thema "Gewalt in der Pflege" ist leider nicht aus der Welt zu reden.

Gewalt geschieht! Ich denke, dass sie meistens verursacht wird durch totale Überforderung des Pflegepersonals. Diese sehe ich vor allen Dingen in

- mangelhafte personelle Besetzung,
- nicht qualifiziertes Hilfspersonal,
- ein sich steigernder Druck durch die Dienstgeber.

Zu diesem Thema habe ich auf meiner Homepage "Altenpflege wehrt sich!!"
https://home.t-online.de/home/Rogahn

im Bereich "Pflege" unter "Gewalt in der Pflege" und "Missstände" einiges zusammengetragen. Hier handelt es sich vor allen Dingen um Presseartikel, die sich naturgemäß der negativen Berichte annehmen.
Solche Gewalthandlungen sind schlimm genug und es muss dagegen etwas unternommen werden.

Aber aufpassen müssen wir, dass hierdurch der Berufsstand der in der Altenhilfe Beschäftigten pauschal diskreditiert wird.

Ich gehe immer noch davon aus, dass überwiegend gewaltfrei gepflegt wird.

Viele Grüße

Günter Rogahn

(Internet-Tipp: https://home.t-online.de/home/Rogahn)


Wolfgang Maul antwortete am 18.10.00 (14:15):

Lieber Günter, Sie schreiben: "Solche Gewalthandlungen sind schlimm genug und es muss dagegen etwas unternommen werden."

Dem wird jeder vernünftige Mensch zustimmen... Aber was tun? Wie dagegen angehen? - Es kann doch nicht reichen, dass Sie auf Ihre Website verweisen - was ansonsten völlig in Ordnung ist. Ich meine, man muss drüber reden. Und am besten öffentlich. Gerade weil es ein Tabuthema ist. Und weil sich die meisten SeniorInnen in den diversen Foren so weit davon entfernt wähnen und meinen, sie selbst könnten so schnell oder nie in eine Lage kommen, die Heidi drastisch und ohne alles Drumherumgerede beschrieben hat.


Günter Rogahn antwortete am 18.10.00 (15:42):

Wolfgang Maul (creativepartners@t-online.de) schrieb am 18.10.00 (14:15):

Lieber Günter, Sie schreiben: "Solche Gewalthandlungen sind schlimm genug und es muss dagegen etwas unternommen werden."

Dem wird jeder vernünftige Mensch zustimmen... Aber was tun? Wie dagegen angehen? - Es kann doch nicht reichen, dass Sie auf Ihre Website verweisen - was ansonsten völlig in Ordnung ist.

Ich habe nicht nur auf meine Webseite verwiesen.

Ich schrieb auch:

"Das Thema "Gewalt in der Pflege" ist leider nicht aus der Welt zu reden.

Gewalt geschieht! Ich denke, dass sie meistens verursacht wird durch totale Überforderung des Pflegepersonals. Diese sehe ich vor allen Dingen in

- mangelhafte personelle Besetzung,
- nicht qualifiziertes Hilfspersonal,
- ein sich steigernder Druck durch die Dienstgeber.

Aber aufpassen müssen wir, dass hierdurch der Berufsstand der in der Altenhilfe Beschäftigten pauschal diskreditiert wird.

Ich gehe immer noch davon aus, dass überwiegend gewaltfrei gepflegt wird."


Ich meine, man muss drüber reden. Und am besten öffentlich. Gerade weil es ein Tabuthema ist. Und weil sich die meisten SeniorInnen in den diversen Foren so weit davon entfernt wähnen und meinen, sie selbst könnten so schnell oder nie in eine Lage kommen, die Heidi drastisch und ohne alles Drumherumgerede beschrieben hat.


Das ist auch meine Meinung und deshalb habe ich hier mein Statement abgegeben.

Viele Grüße

Günter Rogahn

(Internet-Tipp: https://home.t-online.de/home/Rogahn)


Heidi Lachnitt antwortete am 20.10.00 (10:23):

Danke für die vorhergehenden Beiträge!

Zunächst einmal Günter: Ich denke schon, dass man das Thema Gewalt in der Pflege aus der Welt reden muss!!! Wieder und immer wieder, bis irgend wann einmal alle zuhören und etwas unternehmen!
In den ersten Monaten meiner Berufsausbildung war ich auch der Meinung, dass diese ständigen negativen Pressemitteilungen nur unserem Berufsbild schaden. Ich habe meine Meinung geändert. Unsere heutige Gesellschaft reagiert nur noch auf Horrormeldungen, je schlimmer um so besser und ich nehme billigend in Kauf, das Leser pauschalierend unser Berufsbild in den Dreck ziehen - wenn sie dafür bereit sind etwas zu unternehmen um diese Missstände zu beseitigen.
Wer mit offenen Augen in ein Altenheim geht weiss, dass nicht überwiegend gewaltfrei gepflegt wird. Das ist allerdings eine Sache der Definition von Gewalt.
Wir sind uns im Grundsatz einig, lieber Günter und ich hoffe, dass wir - wenn auch auf unterschiedlichen Wegen, trotzdem gemeinsam kämpfen.

Wolfgang, Du schreibst "Der Mythos der flotten Alten lebt" Nicht der flotten "Alten" sondern der "Senioren". Themen und die Beschäftigung mit und zu "Senioren" sind "in". Jeder Politiker , jeder Verein, jede Zeitung schwenkt das "Senioren-Fähnlein".
- Finde ich gut, ist notwendig und total in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, ist die Tatsache, dass die "Alten" die wirklich alten Menschen hierüber vergessen werden.Habe mich bereits in Gedichtform darüber ausgelassen(s.o.).

Die Berührungsangst in unserer Gesellschaft vor Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Tod ist groß. Lieber schnell wegsehen - es könnte mir ja klar werden, dass ich selbst auch einmal davon betroffen werde - will ich nicht!
Nur - das Wegsehen hilft mir nicht, wenn ich tatsächlich betroffen bin - sei es in eigener Person, seien es meine Angehörigen oder meine Freunde. Also rede ich und schreibe ich - überall - wo es passt und auch wo es nicht passt. Das ist, neben meiner Arbeit, das Einzige, was ich tun kann - nicht zu schweigen!

Die Beiträge von Oliver und Elke zeigen, dass dieses Thema unendlich viele Facetten hat. Die verschiedenen Gedichte hierzu, im anderen Forum, zeigen, dass die Unmenschlichkeit oder sagen wir besser "Gleichgültigkeit" in unserer Gesellschaft sehr wohl erkannt wird. Das Gedicht von Friedgart Seiters "Altenheim" hat mir eine Gänsehaut verursacht. Wie kann es angehen, das Angehörige einen solchen Eindruck von einem AltenHEIM mit nach Hause nehmen müssen??

Ich werde in meinem nächsten Beitrag- heute noch - von der Veranstaltung zum Thema Gewalt in der Altenpflege berichten, an der ich vorgestern teilgenommen habe. Keine Angst, es wird kein langer Sermon - nur in Schlagzeilen der Inhalt von Herrn Fusseks Vortrag zur "alltäglichen Gewalt".
Bis später-


Heidi Lachnitt antwortete am 20.10.00 (14:08):

Die von Euch, die die HSM-Seite gelesen haben, wissen, dass wir vorgestern eine Fachtagung zum Thema "Gewalt in der Altenpflege" hatten.Ich will jetzt nicht mit einem Bericht von dieser Tagung langweilen (der wird demnächst auf der HSM-Seite sein) sondern nur das was mich - trotz jahrelanger Beschäftigung mit diesem Thema - zutiefst beeindruckt hat.

Erinnertes aus dem Vortrag von Klaus Fussek "alltägliche Gewalt"


".. ich will Sie warnen, ich rede nur aus der Sicht der Betroffenen, einseitig, subjektiv, und emotional, manche nennen das polemisch, gut dann bin ich halt polemisch...

..stellen Sie sich vor, Sie sitzen zu Hause in Ihrem Wohnzimmer auf einem Toilettenstuhl und entledigen sich Ihres Stuhlgangs, in einer halben Stunde erwarten Sie Besuch von Ihrem Enkel zum Mittagessen, in eben diesen Zimmer ... alltäglich in Altenheimen....

.. stellen Sie sich vor, an Ihrem Bein ist ein durchsichtiger Beutel befestigt, in den Ihr Urin durch einen ebenfalls durchsichtigen Schlauch von der Blase her ständig hineinfliesst - Dauerkatheter = pflegeerleichternd=Körperverletzung (wenn nicht medizinisch bedingt!)
... alltäglich in Altenheimen.....

... stellen Sie sich vor, Sie bekommen Ihre tägliche Nahrung durch einen Schlauch direkt in Ihren Magen, weil Sie zu langsam essen oder manchmal nicht essen wollen (Magensonde)...alltäglich in Altenheimen......

... Sie sind in Ihrem Rollstuhl mit Gurten festgebunden, weil Sie manchmal versuchen aufzustehen und es ist nicht genügend Personal da um Sie ständig zu beobachten und Sie ggf. aufzufangen .... alltäglich ..

... eine Frau hat sich nachts mit den Fixierungsgurten stranguliert - ging durch die Presse - haben Sie davon gehört? (Ein Altenheim mit 93 Bewohnern und EINER Nachtwache!)
.. alltäglich..

Was spielt sich hier ab?! Gleichgültigkeit - seit mittlerweile über zehn Jahren.

Der Hausarzt hat einer alten Dame im Heim einen Rollator (Gehhilfe) verschrieben. Krankenkasse lehnt die Zahlung ab mit dem Hinweis, das Heim habe dieses Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, da es pflegeerleichternd sei, die alte Dame musste ihr Recht vor dem Sozialhilfegericht erkämpfen - bevor es zu einem Urteil kam, fiel sie aus dem Rollstuhl, die Folge - sie wurde fixiert - Pech - Pflegenotstand -- SIE WOLLTE NUR EIN PAAR METER GEHEN!......

...Sterben im Pflegeheim(wenn es keine Angehörigen gibt) - menschenunwürdig, ohne Begleitung, niemand der wenigstens die Hand hält - alltäglich...

...Kennen Sie die am häufigsten ausgesprochenen Worte in einem Alten/Pflegeheim?

"Keine Zeit!" "Ich komme gleich!" - niemand kommt, weil niemand da ist ... alltäglich..

Politiker rufen zur Zivilcourage auf - aber nicht zu diesem Thema - hier schweigen ALLE -
Kirche-ärzte-Berufsbetreuer - niemand will es wissen.


Ich frage mich, wie kann es Gegner für eine bessere Pflege geben? Was haben wir in 10 Jahren erreicht: 9 Minuten mehr (bezahlte) Pflege am Tag!

Die Medien beschäftigen sich mit "Big Brother". Wie wär's mit Big Brother im Altenheim?

Die Schicksalsfrage in den Zeitungen: Missstand mit 2 oder 3 s, oder die Öffnungszeiten in den Biergärten, wie lange dürfen sie geöffnet sein? In den Altenheimen müssen die alten Menschen um 18.00 Uhr ins Bett!! - alltäglich

Die Pflegeheime sind rechtsfreier Raum, Zuwendung ist "Kaviarleistung", täglich finden in Deutschland 380.000 freiheitsentziehende Maßnahmen statt!....

Ich stelle ganz einfache Forderungen (keine Bitten) an jedes Alten/Pflegeheim:

jeder Bewohner soll

- essen wie, wann und wo er es möchte
- selbst bestimmen wie, wann und wo er seine Toilettengänge verrichten möchte
- sich waschen, kämmen, bekleiden, aufstehen und zu Bett gehen, wie er es möchte
- in den Arm genommen werden können, getröstet werden können, wenn er es braucht
- und beim Sterben eine Hand haben, die seine hält, wenn es zu Ende geht

Ist das zuviel verlangt? Können und wollen wir uns das leisten? Unter den heutigen Rahmenbedingungen sind diese Forderungen nicht erfüllbar.

Keiner kann sagen, ich habe nichts gewußt!

Wir, das Pflegepersonal in den Altenheimen, sind die einzige Chance für die, die nicht mehr sprechen können - Zeigen Sie Zivilcourage!........"

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Im Moment habe ich Herrn Fusseks Worten nichts hinzu zu fügen.


Threin antwortete am 23.10.00 (20:45):

Gewalt gegen alte Menschen ist ein wichtiges, aber schwieriges Thema. Es sind viele wesentliche Punkte schon angesprochen. Ich möchte das Thema in den Zusammenhang Gewalt in der Gesellschaft allgemein stellen.
In unsere Gesellschaft nimmt Gewalt zu, in den Schulen, im Fernsehen, im öffentlichen Raum allgemein. Immer mehr Menschen bewaffnen sich, ja es wird schick eine Waffe zu tragen. Gewalt wird aber immer gegenüber schwächeren Menschen ausgeübt. Alte Menschen sind schwach, zu mindestens dann, wenn sie pflegebedürftig sind. Aber alte Menschen waren nicht immer alt und schwach. Sie waren als junge Menschen oft auch stark und müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie damals mit Gewalt umgegangen sind.
Gewalt in der Gesellschaft entsteht nicht von alleine. Alle Menschen haben eine Verantwortung für die Normen und Werte in der Gesellschaft. Solange man/frau jung und stark ist, muß man daran mitarbeiten, dass die Normen und Werte in der Gesellschaft so sind, dass auch schwache Menschen wie z.B. Kinder, Alte und Kranke sich wohlfühlen. Wenn Liebe, Toleranz, Rücksichtnahme u.dgl. wieder wichtige Werte werden und nicht nur Jugend, Profit, Leistung einen Wert haben, wird auch die Gewalt in der Gesellschaft einen anderen Stellewert bekommen und schwache Menschen brauchen weniger Angst vor Gewalt haben.


Ricardo antwortete am 29.10.00 (02:25):

Das Thema, liebe Heidi ist sehr wichtig, du hast recht.

Hier in Freiburg wurde ein Stück aufgeführt:"King Kongs Töchter."
Es soll eine heitere Satire sein.
Drei Altenpflegerinnen bringen jeweils zu einem bestimmten Geburtstag die Heimbewohner mit Gift um.
Die Alten werden von jungen Schauspielern dargestellt und ziemlich lächerlich gemacht.
Das ganze sei amusant, habe ich gehört.

Ich selbst habe einmal in einem Lehrfilm einen hilflosen Patienten darstellen müssen, die verschiedenen Handreichungen, Umlagern usw wurden demonstriert.
Dabei habe ich mein mögliches Schicksal vorweg erlebt und mich ziemlich schlecht gefühlt.
Ich werde, ebenso wie meine Frau, solange es geht, nicht in ein Pflegeheim gehen und wie meine alte Nachbarin versuchen, mit häuslicher Pflege auszukommen. Sie hatte Glück mit ihrer Pflegerin und ist lange selbständig geblieben.Die Pflegerin hatte keine besondere Ausbildung, war aber sehr liebevoll.

In der Schweiz versucht man, die Pflege mehr und mehr auf ambulante häusliche Pflege umzustellen, ich glaube, daß damit die Not gelindert werden könnte.


Heidi Lachnitt antwortete am 29.10.00 (16:36):

Trudi, Du hast vollkommen recht - Liebe und Menschenwürde müssen wieder wichtig werden in unserer Gesellschaft!

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Lieber Ricardo, außer in einem Punkt, stimme ich Dir voll und ganz zu. Selbst die schlechteste häusliche Pflege ist besser als das beste Pflegeheim. Warum?

Seht Euch jetzt einmal in Eurer Wohnung um, denkt kurz über Euren Tages- und Nachtablauf nach.

Und jetzt stellt Euch vor, das Alles wird reduziert auf ein Zimmer, mit viel Glück zwei eigene Möbelstücke, einen Kleiderschrank, Tages- und Nachtablauf im Rahmen des Heimablaufes, d.h. evtl. um 6.30 Uhr geweckt werden, um 18.30 Uhr ins Bett gehen, Essen nach Speiseplan ... den Rest s.o.(Fussek)

Ich sehe das tagtäglich und mich überläuft das kalte Grausen wenn ich mir Alter und Pflegebedürftigkeit bei mir vorstelle. - Also in jedem Fall zu Hause bleiben, solange es geht!

Der Punkt in dem wir nicht übereinstimmen, ist die Ausbildung. Wie wichtig eine qualifizierte Ausbildung ist, gerade in der häuslichen Pflege, habe ich in den letzten vier Jahren erlebt. Es geht ja nicht nur um die medizinische oder körperliche Pflege, die ganzen psychosozialen Fähigkeiten müssen erlernt werden, es geht nicht nur um liebevolle Zuwendung, die hat sicher auch manche ungelernte Kraft - und mancher gelernten Kraft fehlt diese auch - aber mit Liebe kann man in unserem Beruf auch sehr viel falsch machen, wenn sie falsch "angewandt" wird. Sie kann zur Hilflosigkeit, Unselbständigkeit und Abhängigkeit bei dem alten Menschen führen und das ist nicht der Sinn der Sache. Will aber jetzt keinen Fachvortrag schreiben. (Vielleicht später mal)

Liebe und Zuwendung ja, aber nicht ohne qualifiziertes Wissen dahinter.


Heidi Lachnitt antwortete am 29.10.00 (16:41):

Threin, entschuldige bitte, habe mich beim Namen verlesen! :-)


Trudi antwortete am 29.10.00 (22:34):

Liebe Heidi,

ich verfolge immer mit viel Interesse Deine Beiträge und bewundere Dein Engagement. Jetzt fühle ich mich durch Zufall ganz persönlich angesprochen. Ich habe es zwar nicht geschrieben, bin aber im tiefsten Inneren davon überzeugt, dass es unabdingbar ist, dass Liebe und Menschenwürde wieder wichtig werden müssen in unserer leider oft sehr kalten und materiellen Welt.

Wie wichtig aber auch eine qualifizierte Ausbildung ist - worauf Du ja in Deinem letzten Beitrag besonders hinweist - erlebe ich jeden Tag hautnah, da ich als Mitarbeiterin in einem Altenpflegeseminar beschäftigt bin, wo wir versuchen, Altenpfleger/innen auszubilden, die nicht nur fachlich bestehen können, sonderen deren psychosoziale Ausbildung sie befähigt, ihre schwere Aufgabe so zu erfüllen, dass Liebe und Menschenwürde nicht auf der Strecke bleiben. Dass der Bedarf an qualifiziertem Pflegefachkräften groß ist, beweist die "Verweildauer" vieler Pflegekräfte in diesem Beruf, die bekanntlich nicht allzu hoch ist.
Nur wollen die Verantwortlichen, die für die Finanzierung der Ausbildung zuständig sind, diesen hohen Bedarf nicht wahrhaben.
Gerade in der vergangenen Woche wurde mir von einer Mitarbeiterin des zuständigen Arbeitsamtes mitgeteilt, dass 2001 nun schon im dritten Jahr keine finanzielle Förderung einer Ausbildungsmaßnahme erfolgen kann, da der Bedarf nicht vorhanden sei "und wir schließlich keine Arbeitslosen produzieren wollen!" (O-Ton).
Und das zuständige Bundesland ziert sich auch bei jedem Ausbildungsplatz mit ähnlicher Argumentation.
Aber die Mitarbeiter/innen in den Heimen, den ambulanten Pflegediensten und wo immer sie sonst arbeiten, gehen an ihrem Beruf zugrunde, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ihn so auszuüben, wie sie es einmal gelernt haben und wie sie es sich vorgestellt und gewünscht haben, als sie die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben.
Für alles gibt es Geld - aber für unsere alten Menschen, die uns oft den Wohlstand, in dem wir zum großen Teil leben können, da gibt es nur nach Minuten abzurechnende Leistungen. Es ist eine Schande, die einen manchmal verzweifeln lässt, und genau dieser Frust hat mich bisher bewogen, mich gar nicht erst zu diesem Thema zu äußern, da ich manchmal das Gefühl habe, wir kämpfen gegen eine unüberwindbare Mauer.

Trotzdem hoffe ich, Du und alle anderen engagierten Mitstreiter machen weiter.

In diesem Sinne grüße ich Dich herzlich
Trudi


Heidi Lachnitt antwortete am 30.10.00 (07:36):

Danke, Trudi - aber bitte, keine Bewunderung - mein Engagement besteht zu einem großen Teil aus Selbstverteidigung, um dem Frust, der in den letzten Jahren bei mir entstanden ist entgegen zu wirken und der Resignation, die mich immer wieder erfassen will.

Briefe, wie obige, motivieren wieder!


Sylvia Hilpisch antwortete am 01.11.00 (19:01):

Liebe Trudi!
Weißt Du, was ich hoffe? Daß Du nicht aufgibst, daß Du den Frust niederkämpfst und die unüberwindbare Mauer mit immer weiteren gut ausgebildeten AltenpflegerInnen bombardierst! Es ist so wichtig, daß die Hinter- und Untergründe bei Pflegenden stimmen und das können sie nur, wenn die Ausbildung ihnen das nötige Rüstzeug gibt. Auch wenn viele aus Frust aufgeben, in der Pflege zu arbeiten, sie haben doch eine Zeit lang guten Wind in alte Strukturen gebracht.Sicher, die Gewalt der herrschenden Strukturen zerstört viele Pflegende, aber wie sollen sie denn damit fertigwerden, wenn sie nicht in der Ausbildung soviel "Menschenbildung" wie möglich bekommen? Ich wünsche Dir viel Kraft, um viele "engagierte Mitstreiter" auszubilden und damit selber einer zu sein !
Sylvie


Heidi Lachnitt antwortete am 01.11.00 (23:16):

Habe gerade eine erfreuliche Information von Wolfgang (s.o.) bekommen, lest selber:

Pressemitteilung Nr. 0660/2000

Datum: 01.11.2000

Menschenrechte in Heimen sicherstellen

Zur heutigen Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Aenderung des Heimgesetzes durch das Kabinett erklaert die seniorenpolitische Sprecherin Irmingard Schewe-Gerigk:

Wir begruessen die vorliegende Novellierung des Heimgesetzes. Die Qualitaet der Pflege wird damit in Zukunft garantiert. Das war angesichts des zunehmenden
Risikos der Pflegebeduerftigkeit alter Menschen dringend notwendig. Viele Heimbewohnerinnen und Heimbewohner sind demenzkrank und deshalb auf intensive Pflege angewiesen. Sie haben Anspruch darauf, Schutz und zuverlaessige Pflege zu erhalten. Dass dies nicht selbstverstaendlich ist, zeigen wiederholt Medienberichte ueber Pflegeskandale und schockierende Missstaende in Pflegeeinrichtungen.

Die Rechte der alten und pflegebeduerftigen Menschen werden kuenftig durch eine Vielzahl von Massnahmen gestaerkt. Die Heimaufsicht wird bessere Eingriffsmoeglichkeiten erhalten, um die Qualitaet der Pflege wirklich zu sichern. Sie wird mindestens einmal jaehrlich eine Pruefung vornehmen, die auch unangemeldet erfolgen kann. Ausserdem wird die Transparenz der Heimvertraege erhoeht und die Mitwirkungsmoeglichkeiten des Heimbeirats erweitert.

Die Beruecksichtigung der Interessen und Beduerfnisse der Menschen, die in Heimen wohnen, ist fuer uns Buendnisgruenen besonders wichtig. Ihrer Selbstaendigkeit und der Selbstverantwortung wird in der Novellierung Respekt gezollt. Das geschieht beispielsweise durch die Weiterentwicklung der Heimmitwirkung. Der Heimbeirat kann zukuenftig nicht nur mit Personen besetzt werden, die in dem jeweiligen Heim wohnen, sondern wird geoeffnet fuer
Angehoerige oder andere Vertrauenspersonen. Zudem werden die Mitwirkungsmoeglichkeiten der Heimbeiraete erweitert auf Qualitaetssicherung und Verguetung.

Der vorliegende Entwurf ist ein erheblicher Fortschritt. Es muessen jedoch noch weitere Massnahmen folgen, denn leider wurden die Rechte der pflegebeduerftigen Menschen nicht soweit ausgebaut, dass von Mitbestimmungsrechten gesprochen
werden kann. Dieser Kritikpunkt muss im parlamentarischen Verfahren noch intensiv diskutiert werden.

Bundestagsfraktion Buendnis 90/Die Gruenen
Pressestelle
11011 Berlin
Telefon: 030/227-5 72 12 -5 72 13
Fax: 030/227-5 69 62
E-Mail: presse@gruene-fraktion.de

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Das Wesentliche daran ist: Die Heimaufsicht kann jetzt UNANGEMELDET in die Heime, d.h. keine Vorzeigebewohner, keine Vorzeigezimmer, keine doppelte Personalbesetzung an den Kontrolltagen mehr - hat es alles gegeben!

Ein kleiner Schritt, um die "schwarzen Schafe" unschädlich zu machen, ein kleiner Schritt damit auch die "gut geführten" Häuser sich nochmal umsehen im eigenen Haus, ob tatsächlich noch alles so gut ist, wie im Prospekt angegeben. Betriebswirtschaftliches Denken kann betriebsblind machen.
Ein Schritt mehr, um Gewalt in der Altenpflege zu verhindern!


Heidi Lachnitt antwortete am 07.12.00 (08:20):

Für die, die das Thema interessiert hat - Gewaltpotentiale - und - warum soviele AltenpflegerInnen schon nach kürzester Zeit aus dem Beruf aussteigen (sie können sich nicht mehr im Spiegel sehen!)

Spiegelbilder

Manchmal während des Dienstes
schaue ich in einen Spiegel
um zu sehen ob das Gesicht dort
wirklich noch meines ist

ob es wirklich mein Mund war
der gerade in scharfen Ton
mit einer alten Dame gesprochen hat

ob es wirklich meine Augen sind
die eben weggesehen haben
um den Wink des alten Herrn nicht zu sehen

ob es wirklich meine Ohren sind
die sich verschlossen haben
vor dem ständigen Rufen und Schreien

ich sehe in den Spiegel und mich fröstelt
habe ich wirklich aufgegeben,
mich dem Zeitdruck unterworfen?

mir wird heiß
und ich gehe zu der alten Dame
und rede mit ihr und höre ihr zu
ich fahre den alten Herrn zum Kiosk
damit er einkaufen kann
und ich gehe zu denen,
die rufen und schreien vor Langeweile
und singe ein paar Lieder mit ihnen

30 Minuten gestohlene Zeit
aber ich kann mich wieder
im Spiegel sehen

hl/6.12.00


Sylvia antwortete am 21.01.01 (14:45):

Heute hat mich meine 24-jährige Tochter mit der (nicht ganz ernstgemeinten) Bemerkung: "Ich lasse mich auf die Warteliste des Alten- und Pflegeheims Hirschmatt setzen". überrascht. Sie ist Physiotherapeutin in Ausbildung.
Sie erzählte, dass dieses Heim neue Wege gehe, in der Altenpflege. Einige Beispiele:
-Keine einheitliche Tagwache, alle können aufstehen, sich für den Tag zurechtmachen oder zurechtmachen lassen, wann sie es wünschen.
-Frühstückausgabe ist bis 10.ooh möglich.
-Es wird nichts aufgedrängt, was von den Bewohnern und Bewohnerinnen zurückgewiesen wird.
-Wünsche werden so gut wie möglich erfüllt
-Bedürfnisse werden so gut wie möglich berücksichtigt
-In der Pflegeabteilung ist es zwar nicht möglich eigene Möbel in den Zimmern zu haben. Aber im Aufenthaltsraum können alle ein persöliches Möbelstück hineinstellen, was dem Raum eine lebendige Athmosphäre verleiht.
-Das Pflegepersonal trägt Zivilkleidung (die Menschen, die da wohnen sind in erster Linie einfach alt, nicht krank).


Eine Untersuchung zeigt, dass diese Form, ein Alten- und Pflegeheim zu führen, nicht mehr Personal braucht, auch nicht Mehrkosten verursacht. Da morgens z. B. nicht alle auf einmal Tagwache geboten bekommen, hat das Personal mehr Zeit, kann stressfrei arbeiten. Die Alten sind auch nicht unter Stress (sie werden ja nicht gegen ihren Willen aus den Federn gejagt).
-Pflegerische Verrichtungen haben natürlich auch hier ihren Preis.
-Die alten Menschen erfahren aber auch Zuwendung und die kostet nichts, da es dem Pflegepersonal auch erlaubt ist sich Zeit für Gespräche und Plaudereien zu nehmen.
-Es werden weniger Medikamente verschrieben, verabreicht und - verlangt, als anderswo.
Das habe ich aus den Schilderungen meiner Tochter entnommen. Das Wichtigste, scheint mir, ist, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass menschliche, menschenwürdige Altenpflege nicht mehr kostet als die herkömmliche, z.T. eben unmenschliche, menschenunwürdige.


Heidi Lachnitt antwortete am 23.01.01 (18:11):

Altenpflege-Traumland Schweiz!!

Während meiner Ausbildung habe ich immer neiderfüllt die Videos angesehen von Altenheimen und speziellen Heimen für Demenzerkrankte die es in der Schweiz offensichtlich gibt.

Ich frage mich seitdem und durch Deinen Beitrag wieder aufs Neue angeregt, liebe Sylvia, warum es diese idealen Heime und Häuser nicht auch bei uns gibt.

Sind die gesetzlichen Bedingungen (Pflegeversicherung)anders oder die Kosten niedriger oder handelt es sich um Häuser "nur" für Selbstzahler???

Hier in Deutschland scheint eine menschenwürdige Altenpflege nicht bezahlbar zu sein. Die Personalkosten sind zu hoch - höre ich immer wieder (zur Information: mein monatliches Bruttogehalt/höchste Altersstufe bei einer Arbeitsleistung von 30,25 Std. wöchentlich beträgt DM 3650,--)wir können uns nicht mehr Personal leisten.

Alle Liebe zum Beruf und zu den alten Menschen hilft nicht, wenn wir zu viert an einem Wochenende 32 alte Menschen - fast alle schwerstpflegebedürftig - "versorgen" müssen.

Das ist menschenunwürdig - für beide Seiten!


Sylvia antwortete am 23.01.01 (19:38):

Mein Beitrag darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auch in der Schweiz nicht alles zum Besten ist! Gerade, weil nicht überall so gute Verhältnisse wie in der Hirschmatt herrschen, kam meine Tochter überhaupt auf die Idee, sie könnte sich jetzt schon einen Platz im Altersheim sichern.
Ich muss gestehen, dass ich in Bezug auf die gesetzlichen Bedingungen in der Schweiz nicht genügend Bescheid weiss. Ich weiss, dass die Anstrengungen, menschenwürdige Pflege- und Altenheime zu führen in der Schweiz gross sind. Ich weiss aber auch, dass längst nicht alle Heime in dieser Beziehung gute Noten verdienen. Auch hierzulande werden alte Menschen nicht immer mit Respekt behandelt.
Auch hier wird kritisiert, dass mancherorts den Bewohnern und Bewohnerinnen Vorschriften gemacht werden, die man allenfalls Jugendlichen im Schutzalter machen kann: Abends nur Ausgang bis 22.00h, immer abmelden, immer anmelden, sagen wohin man geht, für Damen kein Herrenbesuch, für Herren kein Damenbesuch auf dem Zimmern, etc., etc...
Menschen, die pflegebedürftig sind, werden wohl mit dem Nötigen versorgt, werden gepflegt und behandelt, auch therapiert, ansonsten werden sie liegen- oder sitzengelassen, weil zu wenig Personal da ist (was eben zu überprüfen wäre). Auch da wird die kleinste, die - wie man meinen sollte - selbstverständlichste Handreichung verrechnet.
Zur Zeit bin ich selber in einer ziemlich belastenden Situation. Ich hoffe, das wird sich bald ändern. Dann will ich versuchen, mehr Informationen in Sachen Alten- und Pflegeheime in der Schweiz zusammen zu tragen und euch zukommen zu lassen.