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THEMA:   Seit wann interessieren sich Sozis für Aktienkurse?

 17 Antwort(en).

Johannes Michalowsky begann die Diskussion am 17.07.02 (19:17) mit folgendem Beitrag:

Eichel hat heute in einer Pressekonferenz erklärt, die Aktion Ron Sommer sei angesichts des fallenden Kurses der T-Aktie notwendig gewesen.

Sonst gab es keinen Grund? Hat man nicht vielleicht gemerkt, daß die T-Aktionäre - nimmt man auch noch die beteiligten Familien hinzu - ein Wählerpotential darstellen? Warum sonst die Wahl des Zeitpunktes? Die T-Aktie fällt schon seit Monaten, der fallende Kurs alleine kann es also nicht gewesen sein.

Und nun sind heute die Aktien "explodiert"! Wegen einer zweifelhaften Interimslösung, die keinesfalls besser ist als das, was man hatte? Wer hat wohl Aktien erworben, um die Wählergunst zurückzukaufen? Spekulationen sind erlaubt.


Wolfgang antwortete am 17.07.02 (20:01):

Aktienkurse fallen und steigen, ohne eine diesem Verhalten zugrundeliegende "Wahrheit", so, wie alle Aktien fallen oder steigen entsprechend den Vermutungen der MarktteilnehmerInnen, dass diese fallen oder steigen werden.

Sicher, es gibt sogenannte "Basisdaten", betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kennzahlen... Aber das ist eine Sache von und für SpezialistInnen... Der "Volksaktionär", der Gierigste der Börsenhaie, kauft und verkauft ziemlich bewusstlos dann, wenn die Profis ihm sagen, dass er das tun soll, und meistens immer zu spät.

Ein Vorstandswechsel alleine birgt noch kein Kurspotential in sich. Nicht bei 65 Milliarden (!) Euro Schulden... So viel hat die Telekom unter Ron Sommer angehäuft und der Schuldendienst drückt mächtig die Gewinnerwartungen (s. Link zum Manager Magazin).

Merke:

Eine Rakete, die pfeilgerade in die Höhe schiesst, nimmt schnell den umgekehrten Weg, wenn ihr der Sprit ausgeht.

*lach* und *frechgrins*

TELEKOM
"Auch ohne Sommer sind die Aussichten bescheiden"
Von Christian Buchholz
https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,205435,00.html

(Internet-Tipp: magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,205435,00.html)


Johannes Michalowsky antwortete am 17.07.02 (20:49):

@wolfgang

Das ist völlig in Ordnung, was Du schreibst, und ich widerspreche dem nicht.

Nur: es geht ein wenig an meinem Anliegen vorbei. Mir ging es um den schamlosen Wahlopportunismus unserer Regierenden, der sich hier wie zuvor schon bei der Einsetzung der Hartzkommission gezeigt hat. Ich denke, es wird auf sie zurückschlagen und den Weg frei machen für mehr Kompetenz in Berlin.


Barbara antwortete am 17.07.02 (23:18):

@ Johannes

Du schreibst:
>>Wer hat wohl Aktien erworben, um die Wählergunst zurückzukaufen? Spekulationen sind erlaubt.<<

Willst Du damit etwa sagen, dass die Sozis derart viele Aktien gekauft haben, so dass der Kurs um ca. 10 % stieg? Ich glaube, da überschätzt Du deren Finanzkraft bei weitem.

In der Presse ist zu lesen, dass sich der neue Übergangschef, Helmut Sihler, unverzüglich an die Reduzierung der Schulden machen will.

Spiegel online schreibt:

>>In einem Punkt will der neue Telekom-Übergangschef Helmut Sihler den vorher auch von ihm mitgetragenen Kurs offenbar radikal ändern. Er kündigte unmittelbar nach seiner Berufung einen rigiden Konsolidierungskurs mit Kostensenkungen und Schuldenabbau an.<<

Meinst Du nicht, dass eine derartige Ankündigung vor den Finanzmärkten eher den Kurssprung ausgelöst haben könnte?

(Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,205505,00.html)


Johannes Michalowsky antwortete am 18.07.02 (05:57):

@Barbara

Nein, das wollte ich nicht sagen - ich wollte damit sagen, daß es hinreichend finanzkräftige gesellschaftliche Gruppen gibt, die eine Wiederwahl dieser Regierung herbeiführen möchten. Aktienmanipulation in diesr Größenordnung dürfte nicht zu schwer fallen - ich spekuliere aber wie gesagt nur!


Heinz-Dieter antwortete am 18.07.02 (06:37):

Es wäre in jeden Fall besser gewesen, wenn H, Eichel seinen Urlaub in Frankreich nicht unterbrochen hätte; denn jetzt wird dadurch bestätigt, daß die SPD - Politiker bei der Abdankung von H. Sommer Einfluß genommen haben.
Wie werden die amerikanischen Aktionäre reagieren ??
Evt. mit Prozessen; das kann dann aber sehr teuer werden.


schorsch antwortete am 18.07.02 (11:10):

@ "...>>In einem Punkt will der neue Telekom-Übergangschef Helmut Sihler den vorher auch von ihm mitgetragenen Kurs offenbar radikal ändern. Er kündigte unmittelbar nach seiner Berufung einen rigiden Konsolidierungskurs mit Kostensenkungen und Schuldenabbau an.<<...

Klartext: Ein paar hundert Stellen mehr werden abgebaut!


Wolfgang antwortete am 18.07.02 (12:30):

Es geht um etliche tausend Arbeitsplätze, Schorsch, vielleicht um zehntausend oder mehr... Genau das ist es aber, was die Eigentümer (Aktionäre) der Telekom erwarten: Arbeitsplatzabbau. - für die Beschäftigten sind Arbeitsplätze Quellen ihrer Einkommen, für das Unternehmen sind Arbeitsplätze Quellen von Kosten (man spricht auch von "zweibeinigen Kostenträgern").

Prompt ging nach der personellen Neuordnung der Aktienkurs hoch.

Es gilt immer noch die alte betriebswirtschaftliche Rechnung:

Leistungen minus Kosten = Gewinn

Dieses Verhältnis gilt es so auszugestalten, dass möglichst viel Gewinn entsteht. Auf dem Prinzip der Gewinnmaximierung ruhen alle kapitalistischen Volkswirtschaften und die in ihnen agierenden Unternehmen.


schorsch antwortete am 18.07.02 (15:10):

Ja, der Gewinn, das einzig noch erstrebenswerte Ziel frustrierter Zeitgenossen, die nur noch das Eine denken können: Ich X will in den Medien mit einigen Millionen Jahresgewinn besser dastehen als mein Konkurrent Y. Und: Warum sollte ich mit tausend teuren Mitarbeitern hundert Millionen Umsatz machen, wenn ich mit den achthundert billigsten davon hundertundein Millionen machen kann?


Wolfgang antwortete am 18.07.02 (15:36):

Genau so ist es... :-)


Johannes Michalowsky antwortete am 19.07.02 (14:00):

@Barbara

"Meinst Du nicht, daß eine derartige Ankündigung vor den Finanzmärkten eher den Kurssprung ausgelöst haben könnte?"

Drei Bemerkungen dazu:

1. Es gibt an der Börse den Begriff "Strohfeuer"

2. Es gibt Kursmanipulationen

3. Die meisten Aktienbesitzer - Anleger und Kleinspekulanten - haben ihre Aktien nicht zum Tiefstkurs gekauft, sondern zu einer ganzen Palette von höheren Kursen bis hin zum Höchstkurs - Letztere haben 90% Buchverlust eingesteckt. Da braucht es noch viel Kurssteigerung, um das wieder wettzumachen.

Übrigens erhofft der neue Interimsvorstand eine Verbesserung der Situation der Telekom dank der Tatsache, daß das operative Geschäft gut läuft. Also hat der alte Vorstand vielleicht doch nicht so schlecht gewirtschaftet?

3.000.000 Wählerstimmen sollen am Kurs der Telekom-Aktie hängen. Wenn das für einen Opportunisten wie unseren Bundeskanzler nicht ein Argument wäre!

PS.: Heute sind die Telekom-Aktien um 5% gefallen.


Wolfgang antwortete am 20.07.02 (01:38):

Wer sich ins Börsengeschäft stürzt, ist mündig und kann sein Handeln wohl am besten abschätzen.

Was also ist Dein Anliegen, Jo?


Johannes antwortete am 20.07.02 (07:24):

Da haben sich so manche nicht "ins Börsengeschäft gestürzt", sondern sind mit kleinen und kleinsten Ersparnissen Anlageempfehlungen ihrem Bankberater gefolgt. Ich habe von meiner mit 95 verstorbenen Mutter ein Wertpapierdepot - kaum wagt man diese Bezeichnung in den Mund zu nehmen - mit nur 37 Telekomaktien geerbt. Das war kein Sturz ins Börsengeschäft einer hochbetagten alten Dame gewesen, und ein Einzelfall bestimmt ebenfalls nicht. Mündig gehandelt hat sie bestimmt, denn sie wird das ja wohl nicht ohne Empfehlung getan haben.

Mein Punkt ist, daß es sich bei der Aktion Sommer nicht um eine finanziell oder wirtschaftlich bedingte Maßnahme handelt, sondern um ein pures Politikum. Wie ich las, sind 3 Millionen Wähler persönlich am Kurs der Telekomaktie interessiert. Ein Schelm, der da glaubt, es ginge um ein normales Börsengeschehen.

Ich dachte eigentlich, daß ich mich klar genug ausgedrückt gehabt hatte.

Bei dieser Gelegenheit:

Man hört immer nur Ron Sommer, Aufsichtsrat, Aktionäre, Börse - kein einziges Mal habe ich in der ganzen Debatte gehört, daß sich da jemand Gedanken um die Kunden macht.


Wolfgang antwortete am 20.07.02 (11:28):

Mir war das wirklich nicht klar, Jo, und jetzt weiss ich es... :-)

Reden wir also über das von Dir so genannte "Politikum"...

Der Kurs der Telekom-Aktie stieg seit Monaten nicht mehr, ging gar die letzten Wochen zurück. Das ist zur Zeit normal, weil die Börsianer aus mir unerfindlichen Gründen die Ohren hängenlassen und ihre Ware zu Schleuderpreisen verkaufen.

Nicht normal ist der Zustand der Telekom selbst... Das ist ein ziemlich hoch verschuldetes Unternehmen mit nur geringen oder gar keinen Gewinnerwartungen. Der Schuldenstand ist so gewaltig, dass nach meiner Einschätzung mit tiefen Einschnitten in die Unternehmensstruktur gerechnet werden muss.

Ein Sanierer muss ran... Aus der Sicht der Eigentümer müssen die Kosten runter, d. h. in erster Linie, Arbeitsplätze müssen abgebaut werden. Die Sicht der Beschäftigten ist anders... Aber die haben nichts zu sagen... Wenn erst mal ein paar Tausend von ihnen gefeuert sind, stellen die Börsianer wieder ihre Ohren und kaufen.

Es ist ein "Politikum", schreibst Du, und siehst einen Gegensatz zu "finanziell und wirtschaftlich bedingte[n] Maßnahmen". Aber genau diese "finanziell und wirtschaftlich bedingte[n] Maßnahmen" sind das Politikum. So ist das immer...


Johannes antwortete am 20.07.02 (12:29):

@Wolfgang

Prima, das wäre ja ein neues Thema: Was ist ein Politikum?

Vermutlich fängt das schon an, wenn ich mir ein Brötchen kaufe, denn das ist ja auch so eine Maßnahme! :-)

Ansonsten: d'Accord mit Deinen Ausführungen. Ich bin aber etwas im Zweifel, ob ein prinzipiell auf Expansion festgelegtes Unternehmen mit Sparmaßnahmen richtig liegt. Die Schulden sind doch nicht durch zu hohe laufende Kosten entstanden. Sollte man sich nicht eher um Einnahmeverbesserungen Gedanken machen?


Wolfgang antwortete am 20.07.02 (13:13):

für Deinen Bäcker, Johannes, ist das schon ein Politikum... Aber Spass beiseite...

Gerade weil dieses Unternehmen auf Expansionskurs war, hätte alles getan werden müssen, um die nicht expansionsbedingten Kosten in den Griff zu kriegen.

Das Gegenteil von Kosten sind Leistungen... Jedes Management betrachtet immer die beiden Seiten und wird bestrebt sein, die Kosten zu senken UND die Leistungen zu erhöhen. Optimierungsziel ist immer ein (unter den gegebenen Bedingungen) maximaler Gewinn. Nur ist es einfacher und berechenbarer, auf der Kostenseite etwas zu tun, als auf der Leistungsseite, die von anderen Marktakteuren massgeblich bestimmt wird.


schorsch antwortete am 20.07.02 (14:04):

Eine Aktie ist genau so viel Wert als das Publikum glaubt, dass es Wert sei. Mit den Banknoten ist es ähnlich: Geht mal mit einer Euro-Banknote nach Pakistan und versucht, einem Strassenhändler etwas abzukaufen. Warum wird er nichts verkaufen wollen? Weil er nicht an den Wert dieser Banknote glaubt! Ergo: Wenn dann wieder genügend Leute glauben, die Aktie X von der Firma Y sein so und so viel Wert, wird sie eben so viel Wert haben. So einfach ist das. Inzwischen werden aber Spekulanten und Insider ihren Gewinn abgesahnt haben.


Barbara antwortete am 20.07.02 (16:34):

Wer erinnert sich noch:

Wie ungeschickt lief es mit der Versteigerung der UMTS-Lizenzen? Die Ersteigerer hätten sich damals 30 Milliarden DM sparen können, wenn sie sich das Geschäft nicht allein unter den Nagel hätten reißen wollen. 30 Milliarden verschenkt aus reiner Gier! Nun kommt das dicke Ende.

Sicher war dieses nur einer von mehreren Fehlern. Ich denke jedoch, dass die Telekom und andere (z.B. MobilCom) noch heute daran zu knabbern haben.

(Internet-Tipp: https://www.teltarif.de/arch/2000/kw33/s2829.html)