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THEMA: Unterschiedliches Recht für Christen und Muslime
18 Antwort(en).
Wolfgang
begann die Diskussion am 15.07.02 (10:36) mit folgendem Beitrag:
"Religionsunterricht" heisst das Fach in deutschen Schulen... Was ein Etikettenschwindel ist - geht es doch nicht um die Religion(en) an sich, sondern um die Vermittlung der christlichen Glaubenslehre.
So sind dann auch die meisten ReligionslehrerInnen von den beiden christlichen Kirchen bestallt - den Amtskirchen, wie sie bezeichnend genannt werden. Bezahlt werden sie übrigens vom Staat.
Was den Einen recht ist, muss den Anderen billig sein...
Warum gibt es eigentlich an den staatlichen Schulen keinen Religionsunterricht speziell für Muslime?
Warum haben die muslimischen Glaubensgemeinschaften nicht das Recht, die Lehrer für diesen Unterricht zu bestallen?
Bayern ist auch an der Religionsfront ganz vorne... Warum sind muslimische Kinder per Gesetz gezwungen, die öffentlichen Volksschulen zu besuchen? Alle Volksschulen sind hier "christliche Gemeinschaftsschulen", wo entsprechend der bayerischen Verfassung "nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen" werden muss (Art. 135 BayVerf). Äusseres Zeichen: Das Kreuz mit dem Gekreuzigten in jedem Klassenzimmer...
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Jane
antwortete am 15.07.02 (11:30):
In der Oberrealschule hatten wir in Bayern getrennten Religions-Unterricht für Protestanten und Katholiken. Weshalb nicht jetzt auch für Muslime?
Jeder soll das Recht auf seine eigene Konfession haben???? Das stimmt doch schon dort nicht, wo eine muslimische Lehrerin im Unterricht kein Kopftuch tragen darf.
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schorsch
antwortete am 15.07.02 (12:04):
Sobald sich in islamischen Ländern die dortigen Religionslehrer (inklusive der Regierungen) einverstanden erklären, auch christliche Religionslehrer zuzulassen, bin ich einverstanden, dass auch hier im Abendland fremde Religionen in den Schulen lehren dürfen.
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Wolfgang
antwortete am 15.07.02 (12:57):
Du meinst also, Schorsch, dass wir in Deutschland, oder sagen wir allgemeiner, wir in Europa, unseren Anspruch auf Menschenrechte, insbesondere unseren Anspruch auf Meinungs- und Religionsfreiheit, von der Politik der islamischen Länder abhängig machen sollten?
Würde das im Extrem auch bedeuten, dass wir unsere Verfassungen verraten sollten und genau so intolerant sein sollten und einen zwar nicht islamischen, aber christlichen Gottesstaat etablieren sollten?
Oder bedeutet es "nur", dass wir mit eben Deiner Begründung den Angehörigen anderer Religionen die Rechte weiter vorenthalten sollten, die Christen und Juden bei uns haben, zum Beispiel das Recht auf einen eigenen Religionsunterricht in den staatlichen Schulen?
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Bällchen
antwortete am 15.07.02 (14:14):
Jane hat recht. Deutsche Mädchen dürfen afrikanische dredlocks tragen. Was aber wäre, wenn das eine Lehrerin täte? Dredlocks oder Kopftuch -, manchmal erlaubt, manchmal nicht erduldet. "Gleiches Recht für alle"???
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Ursula
antwortete am 15.07.02 (14:37):
In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT (URL unten) ist ein lesenswerter Artikel von Michael Naumann erschienen, der sich mit dem vom Bundesverwaltungsgericht Berlin jüngst verordneten Lehrverbot für eine Muslimin an einer öffentlichen Schule befaßt:
"Das Kreuz mit dem Tuch - Ein Lehrverbot für eine Muslimin verletzt das Grundgesetz"
(Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2002/29/Politik/)
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Mechtild
antwortete am 15.07.02 (14:42):
Ich halte es für wichtig darüber nachzudenken was für ein Interesse der Staat am Religionsunterricht hat. Es ist wichtig, dass Kinder etwas über die Religionen erfahren Zuhause geschieht das immer weniger. Die Eltern sind oft auch ohne Religion aufgewachsen und können es nicht leisten. Toleranz gegenüber Religionen ist aber nur möglich, wenn ich die verschiedenen Religionen kenne. Es wird in Europa in Zukunft eher mehr als weniger verschiedene Glaubensrichtungen geben. Deshalb wird es schwierig werden jedes Kind entsprechend seiner Religion in der Schule Religionsunterricht zu erteilen. Ich halte das auch nicht für sinnvoll. Die großen christlichen Religionen haben ihr Recht auf Religionsunterricht in den Schulen noch im Grundgesetz verankert. Der Religionsunterricht sollte als Wahlpflichtangebot für alle Kinder gelten, unabhängig von der Religion, zu der sie sich bekennen. Wie der Unterricht dann heißt ist weniger wichtig. Es sollen jedoch alle großen Religionen behandelt werden, ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede. In NRW haben manche Religionslehrer das in der Vergangenheit gemacht. für die Kinder war es Erziehung zur Toleranz. Nicht alle Kirchenfürsten haben es gern gesehen. Kinder müssen die verschiedenen Religionen kennen, um sich dann für eine oder gegen alle zu entscheiden. Die Schule muss das Wissen über die Religionen vermitteln und denn Sinn und Zweck von Religion. Jede Gemeinde vermittelt ihren Gläubigen spezielle Inhalte über ihren Glauben, der weit über das Wissen hinaus geht und Schule nicht leisten kann.
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Alfred
antwortete am 15.07.02 (16:08):
ja, liebe Mechthild: ...sollte, es sollte so sein - es sollte angeboten werden - es sollte getan werden...
Viele Menschen die sogar mit ihrem Leben dafür zeugten, wie Dietrich Bonhoeffer - haben dazu genauso geschrieben, auch Gerhart Hauptmann, Kurt Tucholsky - Steiner hat gegründet... Pestalozzi hat sicherlich eine völlig andere Vorstellung von der Wissensvermittlung und der Befreiung des Intellektes gehabt... ...es sollte human unterrichtet und Wissen weitergegeben werden als Verpflichtung aus den gemachten Fehlern zu lernen - v. Grimmelshausen, Simplizissimus...
Aber die wirtschaftliche Macht und die ihr Verpflichteten setzen andere Prioritäten! Solange Wissens-Vermittlung apriori zeitlich begrenzt und "gemessen" (woran auch immer), ist eine echte und freie Vermittlung von Wissen nicht möglich... Platon sei´s geklagt.-
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kleinella
antwortete am 15.07.02 (23:06):
Ich finde, der Glaube ist eine Privatangelegenheit und gehört gar nicht in die Schule. Sollte außerhalb der Schulen durch die jeweilige Kirche entsprechend unterrichtet werden.
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Charlie
antwortete am 16.07.02 (00:12):
Wäre es nicht besser den Religionsunterricht, wenn auch getrennt, in den Schulen zu belassen, damit die muslimischen Kinder nicht in Koran-Schulen unterrichtet werden?
Was dort möglicherweise an Indoktrination gelehrt wird, bleibt doch draussen nicht nachvollziehbar, wobei ich nichts unterstellen möchte, da ich es nicht weiss.
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Alfred
antwortete am 16.07.02 (00:13):
Der Glaube war und ist auch weiterhin absolut und nicht eingeschränkt "Private Angelegenheit"... Religion aber, oder Religionen (Plural) sind bestimmender Teil allgemein menschlicher Bildung und Verhaltensweise, d.h. ohne ethisch-religiöse Erfahrung (oder Bildung) ist das gesellschaftliche Zusammenleben nicht denkbar.-
Ob Primitiv-Religion oder Bnaij Noah, gesellschaftliches Zusammenleben basiert immer auf Religions-Vorstellungen...
Die europäische Kultur - ob der einzelne Mensch das nun mag oder ablehnt - basiert auf der seit knapp 1.300 Jahren gesellschaftlichen Anerkennung dieser einen, einer ganz bestimmten "Religion..." - der monotheistischen sogenannnten "christlichen..." die mit all ihren verschiedenen "Spielarten", von Altkathol. über Orthodoxie bis hin zu den Zeugen Jehovas das tägliche Leben zu einem großen Teil bestimmt... (vom Kalendertag bis zur Rechtsprechung sic! -Bewußtsein)..
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Henning
antwortete am 16.07.02 (08:39):
Hallo Charlie, bloß keine Koran-Schulen! Nach eigenem Wissen lehren die Koran-Schulen z.B. in Mali/Afrika zwar den Koran, aber nicht lesen und schreiben.
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Barbara
antwortete am 16.07.02 (12:35):
Im Religions-Unterricht meiner drei Kinder (Gymnasium in Schleswig-Holstein) ging es nicht um die Vermittlung der christlichen Glaubenslehre sondern in der Tat um ein Kennenlernen und Gegenüberstellen der unterschiedlichen Religionen. Eine christliche Glaubenslehre findet im Konfirmationsunterricht der Kirchen statt, und da gehört sie schließlich auch hin.
Gerade das Kennenlernen unterschiedlicher Religionen erweitert den Horizont und baut Ängste und Fremdenfeindlichkeit ab.
Trotzdem gab es auch in der Schule meiner Kinder Schüler, denen die Teilnahme am Religions-Unterricht von ihren Eltern untersagt war, was ich auf Unwissenheit zurückgeführt habe.
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Frieder (1932)
antwortete am 17.07.02 (09:41):
Die Meinung von Mechthild ist frei von Vorurteilen. Hätte ich zu entscheiden, so müßten an den Schulen die (großen) Religionen ebenso wie Ethik als Information - ebenso wie Geschichte - vorgetragen werden. Will eine Religionsgemeinschaft, daß Kinder in ihre Glaubenslehre hinein wachsen sollen, so muß sie dies selbst organisieren (inkl. der Kosten) In wieweit die Schule (der Staat) dafür Lehrer-Zeit und Räume zur Verfügung stellt, müßte abgewogen werden. Ich würde somit eine völlige Trennung (inkl. Kirchensteuer)von Religion und Staat auch im Grundgesetz voll unterstützen.
Derartige Veränderung werden jedoch nur schrittweise voran gehen, da die Erwachsenen teils noch christlich religiös sind und dies auf die Kinder übertragen möchten. Doch die Erfahrung zeigt ein langsames Loslösen vom Christentum (oder besser gesagt von der Kirche) Dies findet man auch bei Jugendlichen die von Kind an mit der christlichen Religion aufgewachsen sind. (Zum Loslösen habe ich 20 Jahre gebraucht)
Meine derzeitige Beobachtung sagt mir: Bei den islamisch Gläubigen - in Deutschland - ist dieses Loslösen jedoch nicht so kontinuierlich vorhanden. Hier finden wir noch mehr hierarchische Anweisungen durch Erwachsene. Es gibt bei Widerspruch noch Strafen. Fazit: Ich möchte, daß die Bundesregierung -allein - den Religionsunterricht in Schulen- in Art und Umfang - nach der Zahl der hierzu angemeldeten Schüler bestimmt.
Die Forderung von Schorsch, daß der Religions-Unterricht sich nach den Regeln für Christen in der Türkei richten sollte, ist zu kurz gefaßt. (Die Anzahl der Christen in Istanbul ist von ehemals 20% auf 0% gesunken) Die Vielzahl der islamischen Strömungen behindert jedoch die Anerkennung -in Deutschland - der islam. Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentl. Rechts und somit die Einführung des Religionsunterrichts in den Schulen. für die Religionsausübung hat der Deutsche Staat das Recht, den Umfang - Räume, Moscheen, Arbeitsunterbrechung etc- der Anzahl der religiösen Moslime anzupassen. Als Argument gegen türkische überzogene Forderungen muß er die Unterdrückung der Christen in der Türkei verwenden. (Gleiches (Un)Recht für alle)
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schorsch
antwortete am 17.07.02 (11:06):
@ Frieder (1923): "...Die Forderung von Schorsch, daß der Religions-Unterricht sich nach den Regeln für Christen in der Türkei richten sollte..."
Das habe ich nirgends geschrieben. Wohl aber "Sobald sich in islamischen Ländern die dortigen Religionslehrer (inklusive der Regierungen) einverstanden erklären, auch christliche Religionslehrer zuzulassen, bin ich einverstanden, dass auch hier im Abendland fremde Religionen in den Schulen lehren dürfen..."
Ich will damit sagen: Nur gegenseitiges Anerkennen der Religionen kann zu einem friedlichen Zusammenleben führen. Die Forderung von Islamisten, hier in unserer westlichen Welt Moscheen bauen und ihre Religion frei leben zu dürfen, kann nur sanktioniert werden, wenn der Islam in seinen angestammten Ländern Gegenrecht mit dem Christentum (und anderen Religionen) hält.
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Frieder (1932)
antwortete am 17.07.02 (14:27):
Lieber Schorsch, ich habe Deine Meinung falsch begriffen und somit falsch interpretiert. Soll nicht wieder vorkommen.
Darf ich dich bei der Gelegnheit fragen, warum kommen meine Beiträge manchmal doppelt in den ST. Mit bestem Gruß. Frieder
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Felix Schweizer
antwortete am 17.07.02 (23:45):
Warum hält ihrs nicht wie in aufgeschlosseneren Staatsgebilden, wo die Kirchen und der Staat sauber getrennt sind. Die staatlichen Schulen und ihre Lehrkräfte sind für den konfessionellen Religionsunterricht nicht zuständig. Der Stundenplan soll aber so angelegt sein, dass der von den Kirchen und Glaubensgemeinschaften organisierte Unterricht möglichst in Randstunden durchgeführt werden kann. Indokrinationen, die den konfessionellen Frieden gefährden sind untersagt. Zu einem obligatorischen Unterrichtsfach gehört das Kennenlernen der tradierten landesüblichen Geschichten und Mythologien (griechische, römische, jüdische, christliche und andere). Die Kinder und Jugendlichen sollen über die Zusammenhänge der Traditionen und Kulturen mindestens einen Überblick erhalten. Dazu kommt ein Fach Lebenskunde. Da geht es vorallem um Sozialisation, wie geht man miteinander um? Auch Konflktbewältigung, Gewissensbildung, Ethik, Suchtverhalten, Prävention, Sexualerziehung etc. Der Unterricht wird von den Klassenlehrern/innen erteilt und muss so gehalten werden, dass sämtliche Glaubensrichtungen oder auch Konfessionslose daran ohne Diskriminierung teinehmen können. Dass dies möglich ist, habe ich selber erfahren können.
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Barbara
antwortete am 17.07.02 (23:59):
Ach Felix, könnten wir Dich doch als Berater für die KMK-Konferenzen vorschlagen! Meine Stimme wäre Dir sicher!
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Frieder (1932)
antwortete am 18.07.02 (08:54):
Nur zur Information. Das Verwaltungsgericht Stuttgart (18.07.02)hat den Plänen für eine Moschee in Stuttgarter Stadteil Heslach eine Abfuhr erteilt. Begründung: Das Zentrum sei so dimensioniert, dass es eine überörtliche Bedeutung habe(....) stehe den Plänen der Stadt, nur Einrichtungen für die im Stadtteil lebenden Menschen zuzulassen, entgegen. Frieder
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