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THEMA:   Grenzenlose Selbstbestimmung?

 152 Antwort(en).

seewolf begann die Diskussion am 07.05.02 (17:49) mit folgendem Beitrag:

"Sie sind lesbisch, sie sind taub - und wollten Kinder, die nicht hören können. Ein tauber Samenspender machte es möglich. Der Fall wirft die Fragen auf, was Eltern wünschen dürfen und was Behinderung ist."

Überschrift eines Artikels aus der "ZEIT" - siehe link unten.

Dürfen Menschen gezielt behinderte Kinder zeugen?

(Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2002/18/Wissen/200218_m-lesbenbaby.html)


rolf antwortete am 07.05.02 (18:00):

Wer bestimmt, welche Behinderung die Zeugung ausschließt?
Und sollen diese Behinderten dann zwangssterilisiert werden?
Und welches Zulassungskriterium folgt als nächstes?


Nuxel antwortete am 07.05.02 (18:41):


Das darf doch wohl nicht wahr sein!
Vorprogrammierte und gewollte Behinderung.
Ist es nicht schon schlimm genug,wenn "normalerweise" ein Kind nicht gesund geboren wird?!

Wer kann denn so verantwortungslos sein,und WOLLEN,daß so ein armes Geschöpf bewußt gewollt -künstlich- gezeugt wird?


karl antwortete am 07.05.02 (18:52):

Lieber Seewolf,

vielen Dank für den sehr informativen Link. Ich bin aber noch zu betroffen, um dazu eine Stellungnahme abzugeben. Das muss ich erst verdauen.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


seewolf antwortete am 07.05.02 (19:18):

Lieber Karl -

was da alles an offenbar "Denkbarem" tatsächlich gedacht und diskutiert wird... DAS ist etwas, was ich auch erstmal verdauen muß...


Karl antwortete am 07.05.02 (20:28):

Hallo Seewolf,

deshalb möchte ich mich an dieses Thema auch erstmal nur vorsichtig herantasten und gebe die Meinung einer realen Gesprächspartnerin wieder, mit der ich mich gerade unterhalten habe.
1. Die Adoption eines gehörlosen Kindes wäre eine gute Tat gewesen.
2. Das Hinarbeiten auf einen behinderten Nachwuchs durch gezielte Zuchtwahl (oder wie auch immer) ist höchstgradig egoistisch, da nicht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt steht, sondern der eigene Wunsch nach einem nicht überlegenen, sondern möglichst ähnlichem Kind.
3. Behinderte Menschen benötigen und verdienen Liebe und Anerkennung, aber das darf nicht dazu führen, dass sie sich als Elite verstehen nach deren Bild der Rest der Welt modelliert werden sollte.
4. Fakt ist: Ein behindertes Kind hat reduzierte Möglichkeiten auch in einer gerechten Welt. Deshalb besteht der Wunsch vernünftiger Eltern, auch behinderter, darin, gesunde Kinder zu bekommen.
5. für taub geborene Kinder gibt es inzwischen die fantastische Möglichkeit, nicht taubstumm zu bleiben, da es die Cochlear Implantate gibt (s. Link). Konsequenterweise müssten die in der Zeit diskutierten Eltern ihren Kindern auch dies verwehren, womit eine kriminelle Grundhaltung erkennbar wird.

Ich denke ich stimme mit der wiedergegebenen Meinung überein. Ich war besonders erschüttert darüber, dass die kontergangeschädigte deutsche Professorin, die in der Zeit zitiert wird, den Elternwunsch nach tauben Kindern in Ordnung findet. Würde sie Kontergan freiwillig schlucken, um möglichst ähnlichen Nachwuchs zu erhalten, wäre das doch wohl eine eindeutig kriminelle Handlung.

(Internet-Tipp: https://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/Medizin/HNO/ci/ci.htm)


seewolf antwortete am 07.05.02 (21:16):

Ein Abschnitt des Artikels im Wortlaut:

"In deutschen Behindertenkreisen existiert die Diskussion seit längerem, ob es legitim sei, sich ein behindertes Kind zu wünschen - und wie weit man gehen dürfe, diesen Wunsch zu verwirklichen. Immer wieder gibt es Fälle von körperlich behinderten Eltern, die ein Kind erwarten und sich trotz des Drucks von Ärzten keiner Pränataldiagnostik unterziehen, auch auf die Gefahr hin, dass ihr Kind ebenso behindert sein wird. Doch wie wäre der nächste Schritt zu bewerten: Darf eine behinderte Mutter nach einer Pränataldiagnostik ein gesundes Kind abtreiben, weil es im umgekehrten Fall einer nichtbehinderten Frau erlaubt ist, einen geschädigten Fötus zu töten?"

Als Mann möchte ich dazu die Frage an Frauen stellen:

Kann der Trieb, sich als Mutter zu verwirklichen, wirklich so weit gehen?


Barbara antwortete am 07.05.02 (23:00):

Hier geht es nicht um die Frage:

Hat eine behinderte Frau das Recht, ein behindertes Kind zu wollen?

sondern um die Frage:

Was verstehen wir unter Behinderung?

Dazu ein Ausschnitt aus dem Text:
>>Doch eigentlich wünschte sich Sharon Duchesneau nur, was alle Eltern möchten: ein Kind, das die Welt aus ihrer Perspektive sieht und ein Leben führt, wie "wir es genießen". Denn weder sie selbst noch ihre Lebensgefährtin oder all ihre tauben Freunde empfinden das körperliche Defizit, das sie eint, als Handikap. Sie sind Teil der Emanzipationsbewegung amerikanischer Gehörloser und nennen sich Deaf - Taub, großgeschrieben wie America oder Germany.

Der Eigenname ist Programm. Anders als die tauben Menschen mit dem kleinen t, die versuchen, sich in die hörende Gesellschaft mittels Lippenlesen und Lautsprache zu integrieren, verstehen sich die Bewohner dieses Gehörlosistans als kulturelle Minderheit, die sich gegen die Mehrheit behaupten muss. Ihre Basis ist die gemeinsame Ausdrucksform, die American Sign Language (ASL). Sie ist ein vollwertiges Idiom mit breitem Wortschatz und eigener Grammatik - wie Gebärdensprachen in anderen Ländern auch. Sie erlauben den Gehörlosen, sich ohne jedes Problem untereinander zu verständigen. In ihrer Gebärdensprache erzählen sie Witze, demonstrieren oder singen im Chor. Viele Gebärdensprachen haben ihr eigenes Theater und ihre eigene Poesie, vorgetragen mit Händen, Gesicht und Körper statt mit Kehlkopf und Zunge. In dieser stillen Welt leben Sharon Duchesneau und Candace McCullough zufrieden.<<

Sie fühlen sich nicht "behindert". Ich habe einmal von "normalen" Menschen taubstummer Eltern gehört, dass es für sie ein Schock war, als sie eingeschult wurden und damit in die Welt der "Normalen" kamen. Nicht die Sprache bereitete ihnen Schwierigkeiten, sondern der Mangel an Ausdrucksformen. Wir "Normalen" reden nicht mit dem ganzen Körper, gestikulieren nicht wild herum, aus unseren Gesichtern kann man nicht Freude und Leid sofort ablesen. Wir sind arm an dieser Form des Ausdrucks, wir verbergen unsere Gefühle, hüllen sie in Worte........

In der regionalen Presse wurde hier bereits vor Wochen von dem obengen. Fall berichtet. Die Mutter soll als Kind noch ein klein wenig gehört haben und daher zuerst eine normale Schule besucht haben, in der sie totunglücklich war, weil ihr der Reichtum des Ausdrucks dort fehlte. Erst auf der Gehörlosenschule fühlte sie sich wohl.

Diese Eltern (ob lesbisch oder nicht) möchten, dass ihr Kind in "ihrer" für sie sehr reichen und glücklichen Welt aufwächst und dass sie mit ihm problemlos auf ihre Art kommunizieren können......

Eigentlich doch verständlich.......

Ob sie ein Recht haben, sich diesen Wunsch zu erfüllen, kann ich auch nicht sagen. Nur stellt sich die Frage anders.

Barbara


elchi antwortete am 07.05.02 (23:13):

Irgend etwas besonders moralisch Verwerfliches oder sogar Strafbares kann ich beim Handeln von Sharon Duchesneau und Candace McCullough wirklich nicht feststellen.

Diese Eltern wollten Kinder, die ihrer Vorstellung entsprechen. Sicher, die meisten Eltern wollen hörende Kinder, diese wollen eben taube Kinder. Sowohl die einen als auch die anderen gehorchen demselben Prinzip.

Die Ansicht ist mittlerweile weit verbreitet, daß es legitim ist, sich ein Wunschkind mit Hilfe der modernen Reproduktionstechniken anzuschaffen. Welche Instanz außer den Eltern soll denn darüber entscheiden, wie diese Wunschkinder beschaffen sein sollen?


seewolf antwortete am 08.05.02 (00:56):

aha - ab wann muß ich zwecks Sozialisierung auch taub sein?


seewolf antwortete am 08.05.02 (02:25):

...Schweigen im Wald???

FRAUEN : Ihr seid gefragt !!!


Lissy antwortete am 08.05.02 (03:10):

Ich habe Kontakt zu einigen schwerst hörbehinderten und gehörlosen Menschen, darunter ein Ehepaar, beide gehörlos. Sie waren überglücklich, als ihr Baby gesund und NICHT hörgeschädigt zur Welt kam!

Wenn die bewußte "Züchtung" von genetisch defekten Menschen (oder ist dieser Ausdruck nicht "political correct"?) ermöglicht werden soll - wie weit sind wir dann entfernt von der "Züchtung" von Monstern? Ist "gesunder Menschenverstand" etwa schon pervers?

Ich bin entsetzt über solch grenzenlosen Egoismus und eine nicht zu übertreffende Überheblichkeit!


Karl antwortete am 08.05.02 (07:22):

Die Definitionsproblematik "Was ist normal?" ist mir bewusst und deshalb ist auch die Frage "Was ist krank, was nicht?" eine sehr schwierige und sie muss sehr vorsichtig diskutiert werden.
Im Falle von Hör- oder Sehschäden ist jedoch eine Definition möglich, da Hör- und Sehleistungen zweifelsfrei messbar sind. Da es sich um unbestreitbar wichtige Sinnesleistungen handelt, die die Welt unserer Erfahrung zugänglich machen, halte ich den Wunsch nach der Deprivation eigener Kinder für eine verbotspflichtige Perversion.
Elternrecht hat seine Grenzen, die beginnen dort, wo das Kind geschädigt wird. Sage niemand, dies untergrabe die Anerkenntnis von Behinderten in unserer Gesellschaft. Es ist zu unterscheiden, ob ich ein geborenes Kind, das behindert ist, akzeptiere oder bewusst darauf hinarbeite, dass mein Kind auch bitte schön eine Behinderung hat. Ersteres ist ein moralisches Gebot und Letzteres ein verabscheuungswürdiges Verbrechen.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


nuxel antwortete am 08.05.02 (08:58):


@elchi

Karl hat die Worte zum Ausdruck gebracht,die jeder normal Denkende und Empfindende nur unterstreichen kann!
Eigentlich gibt es darüber hinaus nichts zu sagen!

Dir kann ich nur raten,Deine Ansichten noch einmal gründlich zu überdenken!

Nuxel


rolf antwortete am 08.05.02 (09:55):

elchi,
dürfen blinde Eltern dann auch ihre Kinder - die dummerweise sehend geboren wurden - blenden.


e k o antwortete am 08.05.02 (10:22):

Zunächst war ich auch schockiert von dem, was sich diese Eltern geleistet haben. Und ich fand es auch verwerflich und egoistisch, sich ein gehörloses Kind zu wünschen und zu zeugen.( man spricht in diesen Kreisen nicht mehr von "Taubstummen", dieser Ausdruck ist verpönt, sondern man sagt "Gehörlose", denn sie sind ja nur stumm, weil sie gehörlos sind)

Dann aber habe ich Barbaras Beitrag gelesen und der hat mir doch sehr zu denken gegeben. Ich denke, wir "Hörenden" sind da ein bisschen zu vorschnell und zu einseitig mit unserer Kritik und Verurteilung zur Hand.

Ich kann mir, wenn ich darüber nachdenke, sehr gut vorstellen, dass Gehörlose in einer anderen Welt leben und es gar nicht als Mangel empfinden, nichts zu hören. Sie gleichen diesen von uns als Mangel empfundenen Nachteil durch ihre Körpersprache wieder aus und haben gar nicht das Empfinden eines Mangels. Deshalb sind sie auch glücklich und zufrieden.

Und das war wohl der Wunsch dieser Eltern.

Wir Hörenden sollten deshalb mal nicht so voreilig und überheblich sein und meinen, dass unsere Welt das Maß aller Dinge sei.

Wir haben doch die Körpersprache , die "nonverbale Kommunikation" entweder verlernt oder noch gar nie richtig wahrgenommen.

Was nützt uns denn alles Hören, wenn man den Krach und Lärm betrachtet, der uns auf Schritt und Tritt begleitet?

Wo immer auch ich hingehe, werde ich ich mit Krach und Lärm zugetaubt, mit unerwünschter Musik überschüttet ( sogar am Telefon in der Warteschleife!!!), es gibt kein Plätzchen der Ruhe und Stille mehr. Da wünschte ich mir manches Mal, ich wäre gehörlos.

Man darf die Welt der Gehörlosen nicht durch die Brille (Ohren) der Hörenden beurteilen, man muss sich schon die Mühe machen, sich in diese Menschen hineinzudenken....und dann sieht alles so ganz anders aus.

Gruß

E K O


e k o antwortete am 08.05.02 (10:39):

@ seewolf:

Was ist eigentlich eine "Behinderung"? Dürfen wir uns das Recht nehmen, andere Menschen, die gehörlos oder blind sind, als "behindert" einzustufen?

Das Wort an sich ist nämlich eine Diskriminierung einer bestimmten Gruppe und ich bin der Meinung, dass es uns nicht zusteht, hierüber zu urteilen.

Hör Dich oder sieh Dich mal um unter diesen "behinderten" Menschen, die würden Dir aber was erzählen von wegen "behindert"!!!

Gruß vom E K O


elchi antwortete am 08.05.02 (11:05):

@eko
So sehe ich das auch, eko. Ich gestehe keinesfalls allen das Recht zu, mit Hilfe moderner Medizintechnik grenzenlos zu manipulieren. In diesem speziellen Fall aber, um den es im Thema geht, haben die Eltern in ihrem Sinne richtig gehandelt. Sie lehnen es ab, als "behindert" eingestuft zu werden. Sie sind zufrieden, ja glücklich, so, wie sie mit ihren Körperfunktionen ausgestattet sind und leben ihr Leben nach ihren eigenen Grundsätzen. Genau das Gleiche wollen sie auch ihren Kindern ermöglichen.

@nuxel
Vorsicht mit Ausdrücken wie "jeder normal Denkende und Empfindende". Diese Denkweise hat schon viel Unglück über die Menschen gebracht. Definiere bitte einmal, was "normal" ist. Und versuche einmal festzulegen, welche Instanz "Normalität" festschreiben und durchsetzen sollte. Und überlege einmal, wenn eine "Normalität" verfügt würde, was dann mit den "Unnormalen" geschehen sollte.


wese antwortete am 08.05.02 (11:23):

@ EKO:

Was ist es denn dann, wenn es keine Behinderung ist? Wer blind ist, oder gehörlos, oder taubstumm, der ist in wesentlichen Körperfunktionen eingeschränkt und folgedessen behindert.

Du kannst natürlich auch die deutsche Sprache vergewaltigen, wenn Dich die Bezeichnung stört. Ein Normalzustand ist es jedenfalls nicht. Und ein Glücksfall auch nicht.

In meiner Nachbarschaft wohnt eine Frau, die mit 42 Jahren erblindete. Frage sie doch einfach mal, ob sie sich behindert fühlt. Insbesonders nachdem sie ihren Beruf (sie war Apothekerin) aufgeben musste. Inzwischen ist auch ihre Ehe an dieser Situation zerbrochen.

Man kann ja ganz schön philosophieren, solange man nicht selbst von einem solchen Schicksal betroffen ist.

EKO, mir leuchtet Deine Logik wirklich nicht ein!


Mechtild antwortete am 08.05.02 (11:56):

Kinder sind ein Geschenk das ich für einige Jahre meines Leben anvertraut bekommen habe vom Partner, der Partnerin, von Gott und Allah und der Natur. Ich darf ein Stück seines und meines Lebens mit ihm gemeinsam gehen. Natürlich präge ich es und es mich in der Zeit. Auch die Erbanlagen beider Familien haben es geprägt und prägen es weiter. Eltern haben keine Rechte an ihren Kindern und sollten sie so annehmen wie sie sind, als eigenständige Menschen, die sie ein Stück des Lebens begleiten dürfen. Dann stellt sich die Frage nicht, welche Erbanlagen es haben muss.


DorisW antwortete am 08.05.02 (12:21):

@seewolf antwortete am 07.05.02 (21:16):
"Als Mann möchte ich dazu die Frage an Frauen stellen:
Kann der Trieb, sich als Mutter zu verwirklichen, wirklich so weit gehen?"

Seewolf, diese (in Form einer Frage verkleidete) Anklage an die Frauen ist doch unnötig und geht am Thema vorbei.
Wie man zu der Frage einer gewollt herbeigeführten Taubheit steht, ist ziemlich unabhängig vom Geschlecht - wie du ja auch an den kontroversen Beiträgen hier siehst.
Statt eines lesbischen Paares hätte es genauso ein schwules oder heterosexuelles sein können, das diesen Entschluß gefaßt hätte.


schorsch antwortete am 08.05.02 (16:18):

Dieses Thema wurde schon vor ein paar Wochen von der Schweizer Boulevard-Zeitung BLICK abgehandelt. Meine Meinung dazu: Zuerst das Kind fragen, ob es invalid geboren werden möchte!

Schorsch


Ursula antwortete am 08.05.02 (16:28):


Ich bin entsetzt, und mir graust bei dem Gedanken, dass dieser Fall Schule machen könnte. Dieser Fall ist in meinen Augen pervers und zeugt von grenzenlosem Egoismus.

Da ja bewußt ein tauber Samenspender gewählt wurde,kommt noch hinzu, dass ein großer Prozentsatz der Kinder der nächsten Generation ebenfalls taub zur Welt kommen.

Bei uns hätten Eltern mit Entzug des Sorgerechtes oder einem Strafverfahren zu rechnen, wenn sie aktiv verhindern würden, dass ihr gehörloses Kind rechtzeitig mit einem Hörgerät versorgt wird. Und ein Kinderarzt hätte mit einem Schadensersatzprozess zu rechnen, wenn er bei den Vorsorgeuntersuchungen eine behandelbare Hörschädigung nicht im ersten Lebensjahr erkennt und das Kind wegen dieses Fehlers nicht oder nur unzulänglich sprechen lernt...

Ursula


Tessy antwortete am 08.05.02 (18:22):

@ EKO,
"überlege dir immer gut was du dir wünschst, es könnte in erfüllung gehen",
das ist für mich ein wichtiges Wort, vielleicht solltest Du Dir das auch mal zu Herzen nehmen?
Zum Thema: Eltern sollten sich nach Kräften bemühen im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles für ihr Kind zu tun damit dieses als Erwachsener ein glücklicher Mensch wird mit vielen Möglichkeiten zur Lebensgestaltung. Und Tatsache ist, daß einem gehörlosen Menschen viele Bereiche verschlossen bleiben.

Tessy


elchi antwortete am 08.05.02 (18:48):

@Tessy
Auch hörenden Menschen bleiben viele Bereiche verschlossen, die von gehörlosen Menschen erschlossen werden. :-)


wese antwortete am 08.05.02 (19:39):

Was würde übrigens aus solchen "Wunschkindern" werden, wenn die (sogenannten) Eltern sehr früh sterben?

Wo wäre dann die geschützte und behütete Umgebung für ein solches Kind? In einem staatlichen Waisenhaus etwa?

Nur Sadisten können das einem Kind wünschen!


Barbara antwortete am 08.05.02 (22:59):

@ wese

Bei Deinen Worten kommt mir das Grauen.
Du sagst praktisch, dass taubstumme Waisen keine liebevollen Adoptiveltern finden würden.....
Wenn Du Recht hättest, spricht das nicht gerade für unsere Gesellschaft.

Wäre das nicht ein starkes Argument, schnellstens auch in unserem Land eine Emanzipationsbewegung nach dem Vorbild von "Deaf" zu gründen? Wenn ich lese, wie liebevoll man dort miteinander umgeht, habe ich großes Vertrauen, für den von Dir geschilderten Fall die passenden Adoptiveltern in dieser Gemeinschaft zu finden.

Es ist wirklich an der Zeit darüber nachzudenken, was wir mit dem Begriff "Behinderter" bewirken. Allein durch diese Vokabel behindern wir Menschen, die sich ohne diese Stigmatisierung als gleichwertig empfinden würden.



wese antwortete am 09.05.02 (00:16):

@ Barbara:

Ich stimme Dir bei Deinen Aussagen vollkommen zu. In unserer Gesellschaft liegen menschliche Tugenden brach. Damit meine ich ganz konkret, daß ich das Vorhandensein solcher Werte nicht bestreite. Sie werden jedoch nicht genutzt, oder sie werden zur Seite geschoben. In der Regel werden doch Menschen erst dann aktiv, wenn sie selbst in irgendeiner Weise betroffen sind.

Das Wort "behindert" stört mich nicht. Das ist einfach der obligatorische Sprachgebrauch. Und ich sehe darin auch kein Werturteil, sondern lediglich eine körperliche Zustandsbeschreibung.

Weiter oben habe ich das Schicksal einer 42-jährigen Frau beschrieben, die ziemlich unerwartet erblindete. Was glaubst Du, wie sich diese Frau selbst erlebt? Sie bezeichnet sich selbst als "Krüppel an Leib und Seele" und meint das wortwörtlich so. Und ich kann das nachvollziehen. Sie kommt sich wertlos, nutzlos und überflüssig vor. Inzwischen ist auch noch ihre Ehe zerbrochen. Sie ist urplötzlich allein.

Welche gesellschaftlichen Werte will man einer solchen Frau vermitteln, wenn ihre Wahrnehmungsfähigkeit so massiv gestört ist? Man stelle sich vor, welche innere Hölle diese Frau durchlebt. Eine intelligente und akademisch gebildete Frau, ausgestattet mit tausendfachen Interessen, die sitzt den Rest ihres Lebens in einem Raum, den sie nicht mal mehr richtig wahrnehmen kann. Sie wird nie mehr ein Buch lesen können. Sie wird immer und überall ausgegrenzt sein.

Selbstverständlich ist das eine behinderte Frau. Sie ist nicht nur selbst behindert, sondern sie wird von ihrem ganzen Umfeld zusätzlich behindert und verhindert....

Nein, ich glaube nicht so sehr an das Gute in unserer Gesellschaft. Das habe ich auch (in meinem Beitrag weiter oben) am Beispiel mit den "Waisenkindern" gemeint. Im Einzelfall mag es eine glückliche Fügung geben, die Regel ist es nicht. Und ein Bestandteil unserer materiell geprägten Gesellschaft ist es ebenfalls nicht.

Kranke, Schwache, Alte, Behinderte... alle diese Gruppen haben nur eine einzige Gemeinsamkeit, sie sind in sämtlichen Bilanzen der staatlichen Wohlstandsstatistik erfasst. Aber leider nur als Unkostenfaktor.


seewolf antwortete am 09.05.02 (01:37):

wese -

genau um DAs geht es :

um die verlorene Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit...

Schon der Gebrauch eines Begriffes ist nicht mehr möglich, ohne daß sofort das Negative in diesem Begriff gesucht - ja geradezu erstrebt wird. Wer daran gehindert ist, hören zu können (eine Fähigkeit, die sich sich jeder politischen Bewertung versagen sollte), der ist doch nicht "behindert". Wem man nach einem freiwillig initiierten - allerdings dann verunglückten - Paraglidingunfall die Beine nicht wieder voll funktionsfähig herrrichten kann, der ist doch nicht " behindert " ...

Wer nicht genügend Mittel sein eigen nennen kann, um den Standards der deutschen "Gesellschaft" zu genügen - DER ist doch nicht "arm" - nicht einmal "minderbemittelt" - der ist ein Opfer der Wohlstandgesellschaft...

Wer direkt vor einem Wegweiser steht, hinguckt, und dann andere fragt, wo denn dies und das sei... der ist ja keineswegs unfähig, seinen Weg zu finden. Nein - DER ist ein "von der Gesellschaft im Stich Gelassener".

Die Heuchelei muß aufhören. Sonst sprechen die Menschen in unserem Land wirklich nicht mehr mit einer Sprache miteinander, aus der man den Sinn des Gesagten ernsthaft entnehmen kann.

Im eigenen Hause muß es anfangen.


friedrich antwortete am 09.05.02 (09:14):

Alle wünschen zwar den Individualismus, doch das Maß aller Dinge ist, was die Mehrheit der Menschen für richtig hält !---- Was also nicht dementsprechend NORMAL ist, muß als u n n o r m a l gelten, und als nicht nützlich zum Wohle der Allgemeinheit.


Barbara antwortete am 09.05.02 (09:22):

@ wese

Dein Beispiel einer im Alter von 42 Jahren erblindeten Frau kann man doch überhaupt nicht mit taubstumm geborenen Menschen vergleichen. Diese Frau konnte in ihrem bisherigen Leben ihre anderen Sinne nicht derart stärken, dass sie nun gut auf ihre Sehkraft verzichten kann. Natürlich ist sie verzweifelt! Wird sie heute noch die Blindenschrift erlernen, ihren Tastsinn weiter ausprägen, ihr Gehör schärfen können? Selbstverständlich wurde sie durch diesen Schicksalsschlag in ihrem gewohnten Leben behindert .

Vielleicht magst Du Dir noch einmal ganz in Ruhe den Zeit-Artikel durchlesen. Diese Menschen fühlen sich stark, weil sie durch den Mangel an Sprache andere Möglichkeiten des Ausdrucks gefunden haben, die sie als wichtiger empfinden, als sprechen zu können.

Sie fühlen sich nicht behindert! Wir schieben sie in dieses Kästchen, weil wir meinen, unsere Maßstäbe seien die allein gültigen.


wese antwortete am 09.05.02 (10:28):

@ Barbara:

Ich habe nicht zu dem Zeit-Artikel, sondern zu der hier laufenden Diskussion Bezug genommen. Und ich wollte damit deutlich machen, wie lässig man mit dem Thema "Behinderung" umgeht.

Wer vorsätzlich einen behinderten Menschen gebären will, der ist in meinen Augen ein Monster. Ich lasse da keine einzige Ausrede gelten. Kinder sind keine Knetmasse, die man willkürlich formen, verformen und deformieren darf.

An edle Motive glaube ich ebenfalls nicht. Vielleicht ist es lediglich die Ohnmacht der eigenen Behinderung, die solche Leute auf derartige Gedanken bringt. Und deswegen ist mir da ein bitterböser Spruch eingefallen:

Hüte Dich vor denen, die Gott gezeichnet hat!

Wann immer Menschen glauben, sie können über andere Menschen willkürlich verfügen, haben sie die wahre Menschlichkeit längst hinter sich gelassen.

Ob ein Kind blind auf die Welt kommt, oder ob ein Mensch im Laufe seines Lebens erblindet, das ist zwar in der Tat ein Unterschied. Gleich ist aber bei allen, daß sie kein Augenlicht haben. Und somit müssen sie auf fundamentale menschliche Sinne verzichten.

Es ist ein böser und zynischer Irrtum, wenn man sagt, daß andere Sinne geschärft würden und so fehlende Körperfunktionen korrigiert würden. Wer Sonne, Mond und Sterne am Himmel nicht sehen kann, weil er keine Augen hat, der wird diese Dinge auch nicht mit den Händen greifen oder ertasten können.


Karl antwortete am 09.05.02 (10:34):

@ Friedrich

So einfach dürfen wir es uns nie wieder machen. Nicht jeder der der Mehrheit nicht entspricht ist gleich unnormal - und unnormal wäre sowieso nicht gleich unnütz (das Adjektiv "unnütz" würde ich niemals bezogen auf ein menschliches Wesen akzeptieren). Gerade "Unnormale", von der Mehrheit Abweichende, haben oft Großes geleistet. Wie normal war z.B. ein Van Gogh?

@ Barbara
Wir sollten uns doch noch einmal erinnern, worum es in diesem Thema eigentlich geht. Es steht nicht zur Debatte, dass Behinderten (ich finde an diesem Begriff nichts Anstößiges) ein lebenswertes Umfeld geboten werden muss, dass alles getan werden muss, dass Rollstuhlfahrer überall hinkommen können, dass auf Blinde und Gehörlose Rücksicht genommen wird. Ich würde es selbstverständlich auch begrüßen, wenn Behinderte in Selbsthilfegruppen es schaffen, Selbstwertgefühl zu entwickeln.

Um all das geht es in dieser Diskussion nicht. Es geht um die Frage, ob erlaubt sein soll, dafür Sorge zu tragen, dass ein Kind möglichst behindert zur Welt kommt. Hier verstehe ich die Diskussion nicht, denn dies sollte sich von selbst verbieten. Ich halte dies für eine strafbare Handlung größter Ungeheuerlichkeit.

Speziell im vorliegenden Fall geht es um Gehörlosigkeit als positives Selektionsmerkmal. Gehörlose Kinder lernen - wenn sie gehörlos bleiben, nie sprechen. Sie sind lebenslang auf die Gebärdensprache Ihrer Eltern angewiesen und können sich demnach auch nur in der sehr kleinen Population derjenigen Menschen, die die Gebärdensprache beherrschen verständigen. [nebenbei bemerkt: Schon dies würde eine Adoption z.B. nach einem Autounfall der Eltern extrem schwierig machen, weshalb ich Wese Recht gebe].

Die Mehrzahl der Gehörlosigkeit bei Babies geht auf den Verlust der Sinneshaare in der Schnecke zurück. Solche Kinder bleiben heute nicht mehr "taubstumm", weil man Ihnen durch das Cochlear Implantat das Hören zurückgeben kann. Wie oben beschrieben, müssten die kriminellen Eltern dies ihrem Kind aber auch verwehren, um wirklich sicher zu gehen, dass ihr Kind niemals aus ihrer eingeschränkten Welt ausbrechen kann. Wie ich dazu stehe, habe bereits oben gesagt.

Mit freundlichen Grüßen

Karl

(Internet-Tipp: https://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/Medizin/HNO/ci/ci.htm)


Nuxel antwortete am 09.05.02 (10:40):

Habe alle Beiträge noch einmal durchgelesen.
Ich habe den Eindruck,daß - wie so oft- an dem eigentlichen
Thema vorbeigeschrieben wird!
Es wurde doch mitgeteilt,daß ein gehörloses Paar durch einen ebensolchen Samenspender(der sich schon gefunden haben soll) ein ebenfalls gehörloses Kind haben wolle.

Das ist nicht nur unverständlich,sondern gewissenlos!

Noch verantwortungsloser ist der Mediziner--Arzt kann ich in diesem Zusammenhang nicht sagen-- der sich bereit erklärt,
die erforderliche Hilfe leisten zu wollen!

Es ist eine Handlung so verwerflich wie die andere!

Das hat überhaupt nichts mit Diskriminierung von Behinderten zu tun!

Jedes verantwortungsvolle Elternpaar wird ein behindertes Kind "annehmen" in jeder Beziehung!

A-normal ist,sich ein behindertes Kind zu wünschen und auch noch mit medizinischen Mitteln auf Umwegen realisieren lassen zu wollen.




Karl antwortete am 09.05.02 (10:43):

Nachtrag wegen einer Anmerkung meiner Frau:
Wohlgemerkt, es geht in dem diskutierten Fall nicht um die Nachkommenschaft eines erblich belasteten Paares, das einen gemeinsamen Kinderwunsch hat, sondern um die gezielte Auswahl eines erblich belasteten Samenspenders, damit das eigene Kind eine möglichst große "Chance" auf Gehörlosigkeit hat. Dies ist es, was ich für verwerflich halte. Die große Mehrheit erblich belasteter Eltern hofft inständig, dass Ihre Kinder gesund sind.


Heidi antwortete am 09.05.02 (10:47):

grundsätzlich: wer ein Kind in die Welt setzt hat die Verpflichtung im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass das Kind die bestmöglichen Chancen hat, sich zu entwickeln.

Das bedeutet nicht, das eine Mutter oder ein Vater das Recht haben, dem Kind die eigenen Wertvorstellungen aufzuzwingen. Wer Gehörlosigkeit als positives Erleben wertet, hat nicht das Recht diese Wertung auf das eigene Kind zu übertragen.

Kinder sind nicht Eigentum der Eltern.

https://www.tivi.de/logo/topthemen/Weltkindergipfel/default_kindergipfel.htm

(Internet-Tipp: https://www.tivi.de/logo/topthemen/Weltkindergipfel/default_kindergipfel.htm)


Barbara antwortete am 09.05.02 (11:02):

@ Nuxel

Das Paar brauchte keine Mediziner.
Der Vater ihres ersten Kindes hat sich ein zweites Mal zur Zeugung bereit erklärt.

@ wese

Im Diskussionsthema wurde auf den Zeit-Artikel verwiesen. Insofern lenkt Dein Beitrag vom Thema ab, wenn Du auf das Schicksal plötzlich erblindeter Menschen ablenkst.

Dieses Paar hätte sein Verhalten nicht öffentlich machen müssen. Sie wollten diese Diskussion!


Ursula antwortete am 09.05.02 (11:05):

@Barbara

Worüber diskutierst Du eigentlich; über den Zeit-Artikel doch wohl nicht.

Die Kernaussage, die Seewolf hier zur Diskussion gestellt hat, ist doch, dass eine taubstumme Frau aus ausschließlich egoistischen Motiven künstlich - mit dem Samen eines ebenfalls genetisch gehörlosen Mannes - ein gehörloses Kind erzeugt, das (konsequenterweise) aus eben diesen egoistischen Gründen natürlich auch nicht sprechen lernen darf.

Dieses Kind muß ein Leben ohne Gehör und Sprache leben, weil die Mutter es zur Bewältigung ihres eigenen Lebens so bestimmte. Findest Du das ethisch vertretbar?

Komm doch bitte zum Thema zurück.

Nur zur Info: Ein Kind wird nur gehörlos geboren, nicht stumm. Die meisten dieser Kinder können völlig normal sprechen lernen, mit allen Nuancen, wenn sie im ersten Lebensjahr mit Hörgeräten und später mit einem Cochlear-Implantat versorgt werden. (vgl. Karls Beitrag)

Ursula






wese antwortete am 09.05.02 (11:55):

@ Barbara:

Ich bin beim Thema Behinderung. Nur darum geht es wirklich. Auch Gehörlosigkeit ist eine Behinderung!

Bliebe ja auch noch die Frage, wo das wirkliche Ende der Fahnenstange wäre. Vor meinem geistigen Auge sehe ich nur Gruselbilder auf mich zukommen... Taube wollen taube Kinder, Blinde wollen blinde Kinder, Gelähmte wollen gelähmte Kinder. Und geistig behinderte Menschen hätten demnach einen Anspruch auf "passende" Nachkommenschaft.

Warum regen wir uns eigentlich auf, wenn in manchen Ländern kleine Mädchen beschnitten werden? Geschieht das nur deswegen, weil es weh tut? Oder sind wir empört, weil im Namen einer Religion geschieht?

Du wirst jetzt wieder sagen, das hat nichts mit der Sache zu tun. Ich bin anderer Meinung. Aber es macht keinen Sinn, jetzt auch noch darüber zu diskutieren, um welche Art von Behinderung oder Verstümmelung es sich handelt.

Die Frankenstein's lasssen herzlich grüßen !


Heidi antwortete am 09.05.02 (12:02):

Rechte und Pflichten von Eltern ist das Eine..

Behinderte als "gruselig" oder "Frankensteins" abzuqualifizieren ist das Andere. Welche Menschenverachtung spricht aus diesen Worten!

Wer, aus welchen Gründen auch immer, nicht über alle fünf Sinne oder alle Organe verfügen kann,ist trotzdem ein Mensch wie jeder andere und die "Behinderung" entsteht erst durch seine Umwelt. Diese sollte angepasst werden. Nicht umgekehrt.


wese antwortete am 09.05.02 (12:41):

@ Heidi:

Ich verwahre mich dagegen, daß Du die Abartigkeit Deiner Gedanken auf mich überträgst.

Ich habe keine real existierenden Menschen angesprochen. Ich habe lediglich die Frage aufgeworfen, wie wohl das Ende der Fahnenstange aussehen würde. Ich habe ganz bewusst von fiktiven Bildern gesprochen. Zitat:

"Vor meinem geistigen Auge sehe ich nur Gruselbilder auf mich zukommen..."

Wenn Du nicht in der Lage bist, inhaltlich meiner Aussage zu folgen, dann solltest Du schweigen. Ich lasse es mir nicht bieten, daß ich von Dir verunglimpft werde. Und ich lasse mir keine Menschenverachtung unterstellen.

Aus meinen vorhergehenden Beiträgen ist klar ersichtlich, auch für Dich, welche Einstellung ich zu diesem Thema habe. Dein Versuch, mich hier öffentlich zu denunzieren, ist eine persönliche Schweinerei von Dir, die ich als Beleidigung empfinde.


Ursula antwortete am 09.05.02 (12:50):

Heidi, ich habe ähnliche Assoziationen wie Wese, wenn ich mir vorstelle, dass das Recht auf Selbstbestimmung zuläßt, dass Menschen mit erblichen Behinderungen gezielt Kinder mit der selben Behinderung "basteln", weil nur diese zu ihnen passen.

Mich packt das Grausen, wenn ich diesen Gedanken weiter verfolge.

Ursula


Heidi antwortete am 09.05.02 (13:07):

Ursel, hier werden zweierlei Themen diskutiert: 1. ob Eltern das Recht haben vorsätzlich ein "behindertes" Kind zu zeugen und 2. wie werden "behinderte Menschen" in unserer Gesellschaft wahrgenommen.

Ich habe mir erlaubt, mich zu beiden Themen getrennt zu äußern.


Karl antwortete am 09.05.02 (13:11):

@ Heidi
es ist der fairen Diskussion nicht dienlich, die "worst case" Interpretation der Aussagen von Mitdiskutanten vorzunehmen. ich finde an den Äußerungen von Wese nichts Anstößiges, eher in den Zuständen, die er geißeln möchte.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Ursula antwortete am 09.05.02 (13:14):

@Heidi,

Nachtrag: Warum interpretierst Du in Weses Beitrag etwas hinein, was er nicht gesagt hat? Hast Du ihn nicht richtig gelesen bzw. verstanden oder ist es böser Wille?

Ursula


Nuxel antwortete am 09.05.02 (13:25):


@Barbara

Wenn,eingangs im Beitrag von Seewolf angegeben,ein Samenspender den lesbischen Frauen zu einem gehörlosen Kind "verholfen" hat,wird das wohl kaum durch Windbestäubung geschehen sein!


Heidi antwortete am 09.05.02 (13:29):

Ich habe Werners Beitrag jetzt dreimal gelesen und ich lese immer noch eine Diskriminierung von Behinderten darin.

Vielleicht irre ich mich, es ist nicht immer möglich, Aussagen anderer so zu interpretieren, wie sie gemeint sind. Ich kann hier nur wiedergeben, wie ich die Dinge sehe.

Ich habe keine Veranlassung andere Schreiber persönlich zu beleidigen, mir ist das Thema wichtig - nicht die Schreiber. Worte wie "gruselig" und "Frankensteins" werden von sehr vielen Menschen benutzt, wenn sie von "Behinderten" sprechen.


Barbara antwortete am 09.05.02 (13:43):

Hallo Ursula,
hallo wese,

Ihr werft mir vor, vom Thema abzuschweifen, nicht über den Zeit-Artikel zu diskutieren. Ich bezweifel, dass Ihr Euch überhaupt die Mühe gemacht habt, ihn zu lesen. Ihr wisst ja anscheinend von Natur aus, was richtig und falsch ist, da kann Hintergrundwissen nur stören.

Ausschnitt aus dem Zeit-Artikel:

>>Der Stolz auf ihr Anderssein und ihre Kultur ist groß. Das hat viel mit Bildung zu tun, die sich im Fall amerikanischer Gehörloser in einer Institution versammelt: der Gallaudet University, der einzigen Hochschule für Gehörlose weltweit. 2000 Studenten besuchen das College in Washington, das Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet worden ist. Hinter den Backsteinmauern gedieh hier in den vergangenen 20 Jahren eine kleine, aber gebärdenmächtige Schicht Intellektueller. Die meisten Aktivisten sind von Geburt an taub, viele haben bereits gehörlose Eltern.

Auch Sharon Duchesneau und Candace McCullough besuchten das "Harvard der Tauben" genannte College. Hier haben sie sich kennen und lieben gelernt. Hier erfuhren sie, was gehörloses Selbstbewusstsein ("deaf pride") ist. Das Studium in Gallaudet habe ihr gesamtes Leben verändert, erinnert sich Duchesneau, "meine Hoffnungen, meine Träume, meine Zukunft, alles". Hier in Gallaudet verstand sie jeder. Hier war sie erstmals nicht mehr behindert, sondern Angehörige einer Schicksalsgemeinschaft, die es nach Ansicht ihrer Mitglieder zu erhalten und zu pflegen gilt - im Zweifelsfall auch durch gesteuerte Fortpflanzung.<<

Im Gegenteil zu Euch habe ich mir noch nicht einmal mein Urteil gebildet. Noch bin ich dabei, die Hintergründe zu erfahren, mich in diese Menschen hineinzudenken, eben sie zu VERSTEHEN.

Das College besteht seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Viele Mitglieder sind über Generationen hinweg taub. Wollt Ihr diesen Menschen verbieten, sich fortzupflanzen? Das muss ich doch aus Euren Beiträgen schließen.

Barbara


Ursula antwortete am 09.05.02 (14:25):


Hallo Barbara,

ich habe an keiner Stelle gesagt oder auch nur anklingen lassen, dass gehörlose Menschen keine Kinder haben sollen. Das ist selbstverständlich auch nicht meine Meinung.

Es ist mir unverständlich, aus welcher meiner Äußerungen Du deinen Schluß ziehst.
(Den Zeit-Artikel habe ich übrigens sehr sorgfältig gelesen.)

Ursula


Karl antwortete am 09.05.02 (15:33):

@ Barbara

ich möchte Ursula und Wese in Schutz nehmen und zwar vor einer fast schon böswilligen Interpretation ihrer Beiträge. Nirgends, aber auch nirgends habe ich gelesen, dass sie dafür sind, Behinderten zu verbieten Kinder zu haben. Darum geht es auch überhaupt nicht und ich wage zu behaupten, dass Du, Barbara, offenbar Schwierigkeiten hast, den Artikel in der Zeit wirklich zu verstehen.
Ich betone zum xten Mal, es geht hier nicht darum, dass alles zu tun ist, um Behinderten Selbstwertgefühl und Lebenswert zu verschaffen, es geht um Elternrecht, darum, ob Eltern das recht haben darauf zu bestehen, dass Ihr Kind auch behindert ist, weil sie es sind. Wie Heidi es formuliert hat:

"wer ein Kind in die Welt setzt hat die Verpflichtung im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass das Kind die bestmöglichen Chancen hat, sich zu entwickeln.
Das bedeutet nicht, das eine Mutter oder ein Vater das Recht haben, dem Kind die eigenen Wertvorstellungen aufzuzwingen. Wer Gehörlosigkeit als positives Erleben wertet, hat nicht das Recht diese Wertung auf das eigene Kind zu übertragen.

Kinder sind nicht Eigentum der Eltern."

Darum geht es, nur darum.


DorisW antwortete am 09.05.02 (15:42):

Die meisten von euch reagieren auf Anhieb geschockt bei der Vorstellung, daß Eltern sich ein Kind mit einer bestimmten Behinderung (nämlich ihrer eigenen) wünschen und gezielt darauf hinwirken. Umgekehrt wären wohl die meisten genauso geschockt über die Vorstellung, genetisch "vorbelasteten" Elternteilen die Fortpflanzung zu verbieten (oder diese gar mit Gewalt zu verhindern = Sterilisation).

Wo liegt also die Grenze?

Zwischen den Extremen liegen viele Abstufungen:
1. Ein gesund geborenes Kind wird absichtlich "verstümmelt", um eine Behinderung herbeizuführen
2. Durch Selektion des Partners wird darauf hingewirkt, daß ein Kind mit einer gewissen Behinderung geboren wird (wie im ZEIT-Artikel beschrieben)
3. Behinderte Eltern nehmen bewußt in Kauf, daß durch ihre Fortpflanzung mit einer GROSSEN Wahrscheinlichkeit ein behindertes Kind entsteht
4. Behinderte Eltern nehmen bewußt in Kauf, daß durch ihre Fortpflanzung mit einer GERINGEN Wahrscheinlichkeit ein behindertes Kind entsteht
5. Behinderte Eltern verzichten aus eigener Entscheidung auf leibliche Kinder
6. Behinderte Eltern verzichten auf gesellschaftlichen Druck hin auf leibliche Kinder
7. Es wird nur Menschen erlaubt, sich fortzupflanzen, die genetisch "einwandfreies Erbgut" vorweisen können

(Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

An beiden Enden tun sich Abgründe auf, die unserem moralischen Empfinden widersprechen. Aber wer will dazwischen die Grenze ziehen? Und aufgrund welcher Maßstäbe?
Wie kann man die gewollte Zeugung eines tauben Kindes verurteilen und die "in Kauf genommene" verteidigen?
Sind Eltern, die beide taub sind und ein taubes Kind zeugen, nicht genauso verantwortlich dafür? für das Kind macht es jedenfalls keinen Unterschied, oder?

Bitte mich nicht falsch zu verstehen; ich möchte nicht für dieses oder jenes Ge- oder Verbot plädieren, sondern nur meine Ratlosigkeit ausdrücken.
für mich lautet die Kernfrage: welche Maßstäbe legt man bei der Beantwortung dieser Fragen an?


wese antwortete am 09.05.02 (15:43):

Ich habe eigentlich keine Veranlassung, mich hier zu rechtfertigen. Ich verlange allerdings, daß ich persönlich nur an dem gemessen werde, was ich tatsächlich gesagt habe.

Selbstverständlich haben Behinderte ein Recht auf Kinder. Das habe ich auch mit keinem einzigen Wort bestritten! Es darf aber nicht passieren, daß ABSICHTLICH und BEWUSST behinderte Menschen gezeugt werden.

Auch deswegen, weil (wie ich sagte) das Ende einer solchen Entwicklung überhaupt nicht eingeschätzt werden kann. Die Hemmschwelle würde zwangläufig sinken, weil man einer Gruppe von Behinderten (im speziellen Fall Gehörlose) nicht etwas zugestehen kann, was man dann anderen Behindertengruppen verweigern darf.

Nur das wollte ich zum Ausdruck bringen. Und deswegen habe ich diese Assoziationen zum Ausdruck gebracht. Ich stelle mir die Zukunft eben anders vor. für mich ist es nicht wünschenswert, wenn Moral und Ethik zur Beliebigkeit verkommen.

Es ist schon traurig genug, wenn ein einziges behindertes Kind auf die Welt kommt. Aber vorsätzlich versuchen, daß die Wahrscheinlichkeit für ein solches Kind geschaffen wird, das ist ein Verbrechen. Es widerspricht allen menschlichen Attributen, allen Konventionen und allen guten Sitten.

Wenn ich für dieses Menschenbild, das ich hier vertreten habe, öffentlich angeprangert werde, dann frage ich nach der Legitimation dafür. Sie kann doch nur von Leuten kommen, die mich nicht verstehen wollen, oder absichtlich falsch interpretieren. Das schließe ich aus der Tatsache, daß ich alle meine Beiträge in deutscher Sprache verfasst habe. Sie konnten nicht falsch verstanden werden.


Karl antwortete am 09.05.02 (16:07):

@ DorisW
Du fragst "Wie kann man die gewollte Zeugung eines tauben Kindes verurteilen und die "in Kauf genommene" verteidigen? ... für das Kind macht es jedenfalls keinen Unterschied, oder?"
Das ist ein wichtiger Punkt. Doch, für das Kind macht es allen Unterschied der Welt, denn wenn seine Gehörlosigkeit (und damit Sprachlosigkeit) nicht gewollt ist, werden ihm seine Eltern die technsiche Möglichkeit der modernen Therapien ermöglichen, d.h. das Kind wird mit einem Cochlear Implantat hören und sprechen lernen.


DorisW antwortete am 09.05.02 (16:13):

Sicher, aber tausche die Taubheit gegen eine andere Krankheit aus, die man nicht so "einfach" kompensieren kann, und die Frage stellt sich erneut.

Und kann eine moralische Frage abhängig davon beantwortet werden, welche technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen?


Barbara antwortete am 09.05.02 (16:22):

Danke DorisW, Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich habe auch noch keine Antwort, bin auch noch ratlos.

Es liegen folgende Fakten vor:

- seit fünf Generationen gibt es dieses "Harvard der Tauben"
- seit fünf Generationen finden sich unter den Studenten Paare, die heiraten
- seit fünf Generationen nehmen sie es in Kauf, gehörlosen Nachwuchs zu zeugen
- zwei Gehörlose dieser Universität zeugen ihr zweites Kind

Nun folgt der "Skandal":

- die Mutter freut sich darüber, dass ihr Kind wie sie gehörlos ist
- sie lebt nicht mit dem Erzeuger des Kindes zusammen sondern mit einer Frau
- sie macht es publik, dass sie sich ein gehörloses Kind gewünscht hat

Nun stürzt die ganze Welt über sie her, pardon: 95 % des Seniorentreffs, was ja fast das gleiche ist ;-)))

Ich verstehe nicht, warum mich viele von Euch derart angreifen, nur weil ich, genau wie DorisW, im Zweifel darüber bin, ob man diese Mutter dafür an den Pranger stellen darf.

Barbara


Barbara antwortete am 09.05.02 (16:37):

Karl, Du fragst DorisW:

>>Du fragst "Wie kann man die gewollte Zeugung eines tauben Kindes verurteilen und die "in Kauf genommene" verteidigen? ... für das Kind macht es jedenfalls keinen Unterschied, oder?"
Das ist ein wichtiger Punkt. Doch, für das Kind macht es allen Unterschied der Welt, denn wenn seine Gehörlosigkeit (und damit Sprachlosigkeit) nicht gewollt ist, werden ihm seine Eltern die technsiche Möglichkeit der modernen Therapien ermöglichen, d.h. das Kind wird mit einem Cochlear Implantat hören und sprechen lernen.<<

Ist das nicht ziemlich naiv gedacht, wenn Du im Zeit-Artikel liest:

>>Zudem wirft die Fallgeschichte, erzählt in einer langen Reportage der Washington Post, ein grelles Licht auf eine Minderheit, die ihre Behinderung als Auszeichnung versteht.<<

Es handelt sich um gebildete Menschen, die ihre Behinderung als Auszeichnung verstehen. Und dann gehst Du davon aus, dass diese Eltern alles daran setzen, um ihrem Nachwuchs die Auszeichnung zu nehmen? Meinst Du das wirklich?

Barbara


Karl antwortete am 09.05.02 (16:42):

Liebe Doris,

bei der verantwortlichen Entscheidung von Eltern mit genetischer Belastung über Nachwuchs spielt vermutlich die Therapiemöglichkeit für die Erbkrankheit eine sehr wichtige Rolle. Wegen der guten Therapiemöglichkeit vieler angeborener Gehörlosigkeiten sind gehörlose Eltern heute in der Lage, optimistischer in die Zukunft zu blicken als früher. Sie tun das, weil für Ihre Kindern eine Chance auf Hören und Sprechen gegeben ist.

Dass man hier auf Widerspruch stößt, wenn man kriminelle Eltern an den Pranger stellt, die ihrem Kind Gehör- und Sprachlosigkeit wünschen, ist der eigentliche Skandal in meinen Augen und zeigt, vielerorts hat eine Umkehrung der Werte stattgefunden.


Karl antwortete am 09.05.02 (16:46):

@ Barbara,

entschuldige, aber ich bin eben nicht so naiv und habe impliziert, dass diese kriminellen Eltern ihrem Kind eben keine Chance auf ein Cochlear Omplantat geben werden.


wese antwortete am 09.05.02 (16:55):

Eine Behinderung als Auszeichnung empfinden.... Dazu sind nur fanatisierte Menschen fähig. Das dürfen sie auch gerne glauben und empfinden, solange sie es auf die eigene Person anwenden.

Was sie nicht dürfen, das ist, daß sie diesen Fanatismus körperlich an ihre Kinder weitergeben. Glaubensfragen können Kinder im Laufe ihres eigenen Lebens revidieren. Körperliche Beeinträchtigungen müssen sie zwangsweise mit sich herumschleppen und können keine eigene Entscheidung mehr treffen.

Es würde mich auch brennend interessieren, ob man diese Methode auch umgekehrt anwenden darf. Darf ein gehörloses Kind von seiner hörfähigen Mutter verlangen, daß sie gefälligst auch gehörlos gemacht wird?

Wenn nein, ja warum eigentlich nicht?


elchi antwortete am 09.05.02 (17:04):

"Es ist schon traurig genug, wenn ein einziges behindertes Kind auf die Welt kommt."

Solche Sätze sind es, die mich erschrecken lassen. Es ist nie traurig, wenn ein Kind auf die Welt kommt, auch nicht, wenn es ein "behindertes" genanntes Kind ist.


DorisW antwortete am 09.05.02 (17:18):

So leicht lasse ich dich da nicht raus, Karl.

Abstrahiere doch mal und stell dir eine Krankheit ohne Therapiemöglichkeiten vor.

Angenommen, ein Paar mit einer bestimmten genetischen Disposition ist sich darüber im Klaren, daß eine überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit besteht, ein behindertes Kind zu zeugen. Trotzdem entscheidet es sich für ein Kind.

Darf man diese Entscheidung genauso anprangern wie die hier diskutierte oder nicht? Und wenn nein, warum nicht?

Darf das Kind, das wegen dieser Entscheidung mit einer schweren, nicht therapierbaren Krankheit geboren wird, seine Eltern anklagen und ihnen seine Behinderung vorwerfen?

Ist die eine Variante kriminell und die andere "bloß" fahrlässig?

Oder gilt das, was Elchi sagt "Es ist nie traurig, wenn ein Kind auf die Welt kommt, auch nicht, wenn es ein "behindert" genanntes Kind ist" - muß man dann nicht konsequent sein und die Zeugung behinderter Kinder akzeptieren und gutheißen, egal ob die Behinderung gewollt ist, in Kauf genommen wird oder als Unglück empfunden wird?


wese antwortete am 09.05.02 (17:19):

@ elchi:

Darin unterscheiden wir uns eben ganz gewaltig. für mich sind "Schicksale von behinderten Menschen" immer traurig. Einfach deswegen, weil sie in ihrem Leben ein Handicap zu bewältigen haben. Privat und beruflich.

Das Gegenteil von "traurig" ist übrigens "fröhlich" und daran hättest Du vielleicht auch denken sollen.


elchi antwortete am 09.05.02 (17:27):

@wese
Ich habe daran gedacht. :-)


Ursula antwortete am 09.05.02 (18:12):

Hallo Doris,

Eltern, die sich ein krankes Kind wünschen und alles daran setzen, dass es ja nicht gesund zur Welt kommt und nach der Geburt auch ja so bleibt, müssen eine schwere charakterliche Störung haben bishin zu kriminellen Zügen. Sie benutzen ein krankes Kind für eigene Zwecke.
Ein gesundes Kind würde abgelehnt, weil es diese ihm zugedachte Rolle nicht ausfüllen könnte.

Gruß
Ursula



Barbara antwortete am 09.05.02 (18:27):

wese:
>>für mich sind Schicksale behinderter Menschen immer traurig<<

Zeit-Artikel:
>>Ihre Basis ist die gemeinsame Ausdrucksform, die American Sign Language (ASL). Sie ist ein vollwertiges Idiom mit breitem Wortschatz und eigener Grammatik - wie Gebärdensprachen in anderen Ländern auch. Sie erlauben den Gehörlosen, sich ohne jedes Problem untereinander zu verständigen. In ihrer Gebärdensprache erzählen sie Witze, demonstrieren oder singen im Chor. Viele Gebärdensprachen haben ihr eigenes Theater und ihre eigene Poesie, vorgetragen mit Händen, Gesicht und Körper statt mit Kehlkopf und Zunge.<<

Vielleicht mal kurz innehalten und überlegen.......


wese antwortete am 09.05.02 (19:41):

@ Barbara:

"Vielleicht mal kurz innehalten und überlegen......."

Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Ich bestreite den Wert der "American Sign Language (ASL)" in keiner Weise. Doch das ist nicht die entscheidende Frage bei der Sache.

Die Frage lautet: Dürfen Kinder bewusst da hineingeboren werden? Und da sage ich ein klares NEIN.

Stelle Dir doch bitte (wenigstens für ein paar Sekunden) eine ganz reale Situation vor. Was passiert, wenn sich ein Kind im Laufe seiner Entwicklung anders entscheiden will? Was ist, wenn ein Kind in einer solchen Umgebung unglücklich ist?

Alle meine ernsthaften Fragen werden weder von Dir, noch von Doris beantwortet. Ich wiederhole sie deshalb:

"Darf ein gehörloses Kind von seiner hörfähigen Mutter verlangen, daß sie gefälligst auch gehörlos gemacht wird?"

"Was würde übrigens aus solchen "Wunschkindern" werden, wenn die (sogenannten) Eltern sehr früh sterben?"

Nun habe ich also ganz schlichte Fragen gesteltt. Es ist fast verdächtig, warum man solchen Fragen ausweicht und die Antwort darauf vergisst, oder verweigert.


Karl antwortete am 09.05.02 (19:45):

Vielleicht mal kurz innehalten und überlegen.......

Das ist ganz prima, wenn Taubstumme durch ASL die Möglichkeit erhalten haben, eine wichtige Barriere zumindest zu ihresgleichen und einer kleinen Gruppe von Hörenden, die der Zeichensprache mächtig ist, zu durchbrechen.

Mit dem zur Debatte stehenden Thema hat das nichts zu tun. Vielleicht nur insofern, als durch die eigene Sprache eine Abgrenzung zustande gekommen ist gegen die "anderen", was wohl ein urmenschliches Phänomen ist, sich abzugrenzen und abzusetzen aufgrund der eigenen Kultur und Sprache.

für die "Nationalisten" dieser Gehörlosen-Elite muss es ein furchtbarer Schlag sein, dass nun Therapiemöglichkeiten bestehen. Schon der Begriff "Therapie" wird wahrscheinlich als Beleidigung empfunden.

Ein behindertes Kind braucht alle Liebe der Eltern und erhält in vielen Familien eher mehr als gesunde Geschwister und das ist gut so.

Ich fände aber diejenigen fürchterlich, die froh wären, wenn behinderte und nicht gesunde Kinder geboren würden (ich vermute, dass das keine faire Interpretation der Meinungsäußerung von Elchi wäre?). Eltern sind in dieser Situation normalerweise nicht himmelhoch jauchzen, sondern wissend was auf sie zukommt, geschockt und sorgenvoll.

@ DorisW
Ich weiß von Eltern, die sich trotz genetischer Belastung für Kinder entschieden haben, aber auch von anderen Fällen. In vielen Fällen hilft die genetische Beratung Sorgen zu zerstreuen oder zumindest das genetische Risiko genau zu definieren, damit man eine Entscheidungsgrundlage hat. Diese Entscheidung ist immer eine individuelle. Ich weiß von keinem Fall, dass Eltern in eine genetische Beratung mit der Frage gekommen sind, mit der Absicht alles richtig zu machen, u m ein behindertes Kind zu bekommen. Die Frage geht immer in die andere Richtigung, wo hoch ist die Wahrscheinlichkeit ein gesundes zu erhalten.


Barbara antwortete am 09.05.02 (19:54):

Hallo wese,

Deine erste Frage:

>>Darf ein gehörloses Kind von seiner hörfähigen Mutter verlangen, daß sie gefälligst auch gehörlos gemacht wird?"<<

Nein, das darf es nicht. Die Mutter ist nämlich in einem ganz anderen Umfeld, eben unter Hörenden aufgewachsen. Sie wäre behindert, wenn sie als Erwachsene plötzlich taub werden würde. Ihr wurden nicht bereits als Kind die Kommunikationsmöglichkeiten Gehörloser beigebracht, die weitaus ausgeprägtere Mimik, eine sensiblere Wahrnehmung ihrer Mitmenschen, die Gebärdensprache u.v.m. Insofern würde man sie in der Tat durch eine "Gehörlosmachung" behindern.

Deine zweite Frage:

>>Was würde übrigens aus solchen "Wunschkindern" werden, wenn die (sogenannten) Eltern sehr früh sterben?<<

Wie alle anderen Kinder auch würde sie mit dem Verlust ihrer Eltern ein schwerer Schicksalsschlag treffen. Es gibt Tausende von Gehörlosen unter uns. Vielleicht würde sich unter ihnen ein liebevolles Adoptiv-Elternpaar finden.

Barbara


Karl antwortete am 09.05.02 (20:10):

Liebe Barbara

Du überhöhst jetzt die Möglichkeiten die Gehör- und Sprachlosigkeit durch die Verbesserung anderer Fähigkeiten zu kompensieren: "die weitaus ausgeprägtere Mimik, eine sensiblere Wahrnehmung ihrer Mitmenschen, die Gebärdensprache u.v.m ." Es ist den Betroffenen zu gönnen, dass sie ein lebenswertes und zufriedenes Leben führen können. Aber stellen wir dies doch jetzt nicht so hin, als wäre Gehör- und Sprachlosigkeit erstrebenswert. Das würde der Wirklichkeit einfach nicht gerecht.
Mir persönlich hat das Hörvermögen schon öfters das Leben gerettet und nach dem Totalverlust des Hörvermögens auf einem Ohr habe ich bereits in manchen Lebenssituationen mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen. Gehörlose haben ein Handicap (sind im Nachteil) und alles andere zu behaupten ist eine Lebenslüge.


DorisW antwortete am 09.05.02 (20:48):

@wese:
"Darf ein gehörloses Kind von seiner hörfähigen Mutter verlangen, daß sie gefälligst auch gehörlos gemacht wird?"
"Was würde übrigens aus solchen "Wunschkindern" werden, wenn die (sogenannten) Eltern sehr früh sterben?"
"Nun habe ich also ganz schlichte Fragen gesteltt. Es ist fast verdächtig, warum man solchen Fragen ausweicht und die Antwort darauf vergisst, oder verweigert."

Ich habe diese Fragen nicht als an mich gerichtet betrachtet, weil ich der bewußten und absichtlichen Zeugung eines gehörlosen Kindes nicht das Wort geredet habe.

Um meinen Standpunkt einmal klarzumachen, ich betrachte ein solches Vorhaben als Körperverletzung.

Ich habe jedoch auch ein paar Fragen gestellt, die sich mir in diesem Zusammenhang aufdrängen. Wirst du dazu auch Stellung nehmen?


Karl antwortete am 09.05.02 (21:30):

Liebe Doris,

zu deiner zentralen Frage oben an mich "Abstrahiere doch mal und stell dir eine Krankheit ohne Therapiemöglichkeiten vor."
Im realen Leben gibt es nie abstrakte Fälle, sondern nur Einzelfälle. Dies ist besonders im Umkreis der genetischen Beratung immer zu beachten und die Festlegung auf theoretisierende Lösungsmodelle möchte ich schon deshalb vermeiden, da ich die Meinung vertrete, dass die Eltern die Folgen Ihrer Entscheidung letztendlich mit allen Konsequenzen zu tragen haben, weshalb ich diese respektieren würde. In den wenigsten Fällen ist die Chance auf ein gesundes Kind Null. Selbst in Fällen in denen beide Eltern reinerbige Merkmalsträger sind, besteht immer die Möglichkeit, dass verschiedene Gene betroffen sind, was für die Kinder bedeuten könnte, mit Sicherheit kein Merkmalsträger zu sein. Eine genetische Beratung ist deshalb immer anzuraten.


Nuxel antwortete am 09.05.02 (21:56):

Es ist doch ganz einfach-eigentlich-
ein gehörloses Wesen ist gefährdeter als ein hörendes!Im Straßenverkehr,im Beruf z.B.

Ein Gehörloser wird nie einen Vogel singen hören,
kann keine Musik hören

hört sein Kind nicht lachen und weinen


DorisW antwortete am 09.05.02 (22:09):

Lieber Karl,

danke für deine Antwort.

Es scheint darauf hinauszulaufen, daß die "gute" oder "böse" Absicht der Eltern also das entscheidene Kriterium dafür ist, ob man ihr Handeln verurteilt oder respektiert?

Ich möchte nicht provozieren, versuche mich nur dem Thema zu nähern und bin immer noch auf der Suche nach den Maßstäben.

Die Geschichte der beiden Frauen, die sich ein gehörloses Kind wünschen, ist doch letztendlich auch ein Einzelfall, den man aus nächster Nähe wahrscheinlich nicht so leicht beurteilen kann wie aus der hohen Warte moralischer Entrüstung.
Mir fällt dazu ein Roman von Hannah Green ein, den ich vor Jahren gelesen habe, "Mit diesem Zeichen", die ziemlich deprimierende Geschichte eines gehörlosen Paares mit einem oder mehreren (?) hörenden Kindern.

Ich habe aber das Gefühl, daß ich nichts weiter zu diesem Thema beitragen kann; ich möchte das gehörlose Paar nicht verteidigen, tue mich aber schwer mit der Verurteilung.

Wenn mich jemand sucht, ich bin in der Kleinen Kneipe und trinke eine Maibowle mit Nuxel.

Gute Nacht.


liberty antwortete am 09.05.02 (22:46):

Fragen einer hörenden Zeitgenossin:

Haben Sie einmal miterlebt, mit welcher Freude ein Baby

- Töne wahrnimmt
- seine eigenen Laute hört
- Geräusche nachahmt
- der Stimme der Eltern lauscht
- Musik hört
- anfängt zu sprechen
- eine Melodie singt ?

Ist Ihnen bewußt,
- wie wichtig das Hören zum Vermeiden von Gefahren ist?
- wie schön es ist, die Stimme eines geliebten Menschen, den Gesang eines Vogels, das Plätschern eines Baches, das Rauschen des Windes zu hören?
- wieviel Freude und Trost Musik geben kann?
- Welches Verbrechen Sie an einem Menschen verüben, dem Sie die Fähigkeit zu hören bewußt vorenthalten?

Ich finde die egozentrischen Wünsche zweier Frauen absurd. Wir sollten uns bewußt machen, dass Kinder nicht als Spielzeug für Eltern da sind, das diese nach Ihrem Bild und Wunsch gestalten oder verunstalten dürfen. Ich würde meine Eltern zutiefst hassen, wenn Sie mir bewußt wichtige Bereiche meiner Möglichkeiten genommen hätten


Gila antwortete am 09.05.02 (23:39):

Viele Menschen, die mit einer Behinderung leben, fühlen sich gar nicht behindert, weil sie gelernt haben, mit ihrem Handicap umzugehen. Vor allem, wenn sie damit geboren wurden. Ich denke da z.B. an die sogenannten Contergankinder.

Bei später erworbenen Handicaps (durch Krankheit, Unfall) mag das anders aussehen. Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Leid und Verzweiflung überwunden werden musste, um mit diesem Schicksal fertig zu werden. Um so größer meine Hochachtung vor allen, die nicht aufgegeben, sondern gekämpft haben und ein erfülltes Leben mit ihrem Handicap führen.

Mir kann aber keiner erzählen, dass blind oder gehörlos geborene Menschen sich nicht irgendwann in ihrem Leben von Herzen gewünscht haben, sehen oder hören zu können. Oder sei es nur die Frage als Kind gewesen: "Mama, warum kann ich nicht sehen (hören)?"

Wenn Gehörlose - wie in Amerika bei DEAF - gegen Diskriminierung in der Gesellschaft angehen, so ist das gut und unterstützenswert. Sie machen anderen Mut und stärken sie in ihrem Selbstbewusstsein. Gehörlosigkeit aber als erstrebenswert anzusehen, halte auch ich für eine Kompensation. Als Hörende maße ich mir jedoch nicht an zu beurteilen, ob ein Leben in der Stille nun reicher ist oder nicht. Das steht eigentlich auch nicht zur Debatte.

Hier geht es doch einzig und allein darum, ob das Recht auf Selbstbestimmung so weit gehen darf. Einem Kind mutwillig das Recht auf eines seiner Sinne zu rauben, widerspricht in meinen Augen jeder Ethik und ist in höchstem Maße verwerflich.

Wie viele Eltern gäben alles dafür, wenn ihr Kind gesund auf die Welt gekommen wäre. Wie viele Kinder leiden an unheilbaren Erbkrankheiten und wünschen sich, gesund zu sein. für diese Eltern und Kinder muss es doch wie ein Schlag ins Gesicht sein, wenn eine Frau ganz bewusst ihrem Kind die Chance auf ein Leben mit fünf gesunden Sinnen nimmt.

Gila


seewolf antwortete am 10.05.02 (00:55):

Gila -

ich danke Dir für diese ebenso klare wie umsichtige Betrachtung des eigentlichen Themas.

Ich halte es für eine ausgemachte Frechheit, wenn Menschen mit - aus welchen Gründen auch immer - weniger Fähigkeiten ( dazu zähle ich auch die gesunden funktionierenden Sinnesorgane ) sich anmaßen, andere in ihre Beschränktheit hinein-begeistern zu wollen.


e k o antwortete am 10.05.02 (19:03):

Inzwischen habe ich mich bei einer Fachfrau (Lehrerin an einer Gehörlosenschule und Dolmetscherin in einem Gehörlosenverein) kundig gemacht.

Nach allem, was ich nun weiß, kann ich nicht mehr zu dem stehen, was ich am 8.5. um 10.22 Uhr hier eingestellt hatte.

Tatsache ist, dass durch die Cochlear - Implantationstechnik gehörlosen Menschen so geholfen werden kann, dass so gut wie niemand mehr gehörlos bleiben muss. Es wird also in naher Zukunft immer weniger Gehörlose geben, dieser Kreis wird immer kleiner werden und die Kontaktmöglichkeiten werden immer mehr eingeschränkt sein.

Unter diesem Aspekt sieht die Sache natürlich ganz anders aus und so betrachtet ist das, was diese Frau getan hat, unverantwortlich und in höchstem Maße egoistisch.

Ich habe mir auch sagen lassen, dass gehörlose Menschen, die kein adäquates Umfeld ( andere Gehörlose) haben, sondern allein zu Hause in ihren vier Wänden sitzen, mit der Zeit vereinsamen und depressiv werden.

Das alles hatte ich nicht gewusst und nicht bedacht. Ich bin - schlicht und ergreifend - einem Irrtum zum Opfer gefallen. Das sehe ich ein und nun sieht die Sache anders aus. Ich hoffe, meine Kritiker lesen auch diesem Beitrag und verurteilen mich dann nicht mehr.

Gruß vom e k o


wese antwortete am 10.05.02 (19:52):

EKO - Glückwunsch und Respekt !

für Deine Aussage spreche ich Dir meine ehrliche Hochachtung aus. Du gehörst zu den ganz wenigen Menschen, die bereit sind, einen Irrtum einzugestehen und zu korrigieren. Leider ist diese Eigenschaft in diesem Forum fast nicht vorhanden.

Wie gesagt, ich habe Respekt vor Menschen, die eine Diskussion ernst nehmen. Dazu gehört eben auch, daß man die besseren Argumente akzeptiert und eine vergefasste Meinung revidiert.

Dafür, lieber EKO, mein herzliches Dankeschön!


seewolf antwortete am 11.05.02 (02:46):

Lieber Eko -

ich schließe mich voll und ganz Wese's Worten an.

Danke !


Wolfgang antwortete am 12.05.02 (12:58):

Es wird gesagt: "Wer Gehörlosigkeit als positives Erleben wertet, hat nicht das Recht diese Wertung auf das eigene Kind zu übertragen." - Doch, genau dieses Recht haben Eltern. Genau so, wie hörfähige Eltern auch das Recht haben, sich ein hörfähiges Kind zu wünschen...

Ganz offensichtlich ist es der Begriff "Behinderung", den viele Menschen aus ihrer Ideologie des "Gesunden" und "Normalen" ableiten, und der als Folge zur Ablehnung natürlicher Variationen führt. Behinderte werden aber nicht geboren, sondern sie werden zu Behinderten gemacht, - je nachdem, wie sich die Gesellschaft organisiert.

"Kinder sind nicht Eigentum der Eltern." - Das ist richtig. Aber Kinder dürfen auch nicht Zielobjekte der Ideologie der "Gesunden" sein.


Heidi antwortete am 12.05.02 (13:09):

Kinder sollten nicht "Zielobjekte" sein.

Menschen sollten nicht als "behindert" abqualifiziert werden.

Die Gesellschaft sollte endlich dafür sorgen, dass jeder Mensch,unabhängig von seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten, als gleichberechtigt anerkannt und gleichberechtigt behandelt wird. D.h. keine Unterteilung in "normal" oder "behindert" sondern Möglichkeiten bieten für alle "Varianten" des menschlichen Lebens ohne die eine oder die andere zu diskriminieren.


Jutta antwortete am 12.05.02 (13:20):

Eine wesentliche Problematik in der Eltern/Kind-Beziehung "behinderter" Eltern ist, dass im Alter zwischen drei und acht Jahren "normale" Kinder "behinderter" Eltern beginnen, sich diesen gegenüber aggressiv zu verhalten. Sie beginnen, sich für ihre "behinderten" Eltern zu schämen.

Man stelle sich vor: ein "normales" Kind kommt freudestrahlend aus dem Kindergarten oder der Schule nach Hause und erzählt seiner gehörlosen Mutter, was es erlebt hat. Diese gestikuliert wild herum und versteht nichts. Das Kind reagiert darauf aggressiv, sieht seine Mutter als "behindert" bzw. minderwertig an.

Ich verstehe, dass eine Mutter sich darüber freut, die Achtung seines Kindes nicht bereits im Alter von drei bis acht Jahren wahrscheinlich zu verlieren.


Wolfgang antwortete am 12.05.02 (13:21):

Ich stimme den Worten meiner Vorrednerin Heidi zu... :-) - Ich will aber eines noch einmal deutlicher herausstellen:

Es ist meiner Meinung nach kein vordringlich biologisches Problem, um das es hier geht. "Behinderung" ist in vielen Fällen eine soziale Konstruktion. Wer "Behinderte" ungefragt immer nur "heilen" will und sie dadurch von ihrer "Behinderung" erlösen will, maßt sich eine Definitionsmacht an, die ihm nicht zusteht.


Heidi antwortete am 12.05.02 (13:38):

Ergänzend: Das Cochlear Implantat mag für manche Gehörlose, die es erst später geworden sind, eine wünschenswerte Sache sein.

Aber ich stelle mir das Entsetzen eines Menschen vor der, gehörlos geboren, auf einmal den "Lärm" unserer Welt hört. Nicht alle Segnungen der modernen Wissenschaft sind unter Umständen und für alle ein Segen.


Gila antwortete am 12.05.02 (16:22):

Also Wolfgang, da komm ich nicht mehr mit.

>> Behinderte werden aber nicht geboren, sondern sie werden zu Behinderten gemacht, - je nachdem, wie sich die Gesellschaft organisiert.<<

Wie soll ich denn das verstehen? Natürlich ist ein Mensch, der gehörlos zur Welt kommt, behindert. Wenn dich das Wort 'behindert' stört, will ich es 'beeinträchtigt' nennen. Aber ist das nicht nur Wortklauberei?

Einem Menschen ohne Gehör fehlt nun mal ein wichtiges Sinnesorgan. Er ist in seiner Wahrnehmung eingeschränkt. Wie er dieses Handicap kompensiert, was er aus seinem Leben macht, wie die Gesellschaft mit ihm umgeht, all das steht auf einem anderen Blatt. Aber das ist doch nicht das Thema hier!

>>"Kinder sind nicht Eigentum der Eltern." - Das ist richtig. Aber Kinder dürfen auch nicht Zielobjekte der Ideologie der "Gesunden" sein.<<

Stimme ich dir vollkommen zu, aber dann auch bitte nicht Zielobjekte der Ideologie der "Gehörlosen". (Bitte nicht verallgemeinernd zu verstehen, sondern auf den konkreten Fall im "Zeit"-Artikel bezogen).

Warum schweifen du und Heidi vom ursprünglichen Thema ab? Es geht doch nicht darum, ob man "Behinderte" ungefragt "heilen" oder "erlösen" will.

Es geht auch nicht, Heidi, um gleichberechtigte Anerkennung und Behandlung von Behinderten oder um deren Diskriminierung in der Gesellschaft. Das ist ein ganz anderes Thema, das sich aber nicht auf die anfängliche Fragestellung bezieht.

Hier geht’s darum, dass Eltern WOLLEN, dass ein Kind gehörlos zur Welt kommt und im Zuge dieses Wunsches sogar zur Manipulation greifen.

Ob dieses Kind glücklich sein wird, wenn es erfährt, dass seine Mutter gezielt genkontrolliertes Sperma ausgesucht hat, um die Chance zu erhöhen, dass es auch gehörlos ist?

Das wage ich doch sehr zu bezweifeln.

Gila


Wolfgang antwortete am 12.05.02 (19:01):

Auf der Seite "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V." gibt es ein Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Jantzen, der ist Professor für Behindertenpädagogik an der Universität Bremen. Dort kann man lesen:

FIfF: Das heißt also, vereinfacht gesagt, Behinderung ist etwas, was gesellschaftlich hergestellt wird...

Jantzen: ... eine soziale Konstruktion, ja. - Dieses Gefüge von Gewohnheiten, die im Alltag verankert sind, von der Familie, die ganzen kulturellen Traditionen, die wir alle im Kopf haben: verändern kann man solche Verhältnisse immer nur reflexiv, spontan stellen sie sich sofort wieder her.

Das ganze Interview, Gila, findest Du hier:

Behinderung als soziale Konstruktion
https://fiff.informatik.uni-bremen.de/itb/fk02.html

Die interessante Website (aus der diese Seite stammt) mit weiteren Beiträgen heisst...

Informationstechnik und Behinderung
https://fiff.informatik.uni-bremen.de/itb.html

(Internet-Tipp: https://fiff.informatik.uni-bremen.de/itb.html)


Heidi antwortete am 12.05.02 (20:39):

Obwohl sich in mir als Hörende noch alles sträubt: Je länger ich mich mit diesem Thema beschäftige um so mehr wächst in mir das Verständnis für gehörlose Eltern, die ein gehörloses Kind möchten.

Auszug aus einen Gehörlosen-Forum:

"...

Und dann kommt natürlich der Bereich, durch den Gehörlose sich fundamental unterscheiden von allen anderen Behinderten und wodurch diese Art der Behinderung einzigartig ist: Wenn sie untereinander sind, verschwindet die kommunikative Behinderung. Mehr noch: Sie haben nicht nur eine eigene Sprache, sondern auch eine eigene Kultur entwickelt. NICHTS davon trifft für irgendeine andere Behindertengruppe zu. ..."

https://www.taubenschlag.de/phpBB/viewtopic.php4?t=277&sid=7ab56ddcf99eb466f94e055b22dcbbc7

(Internet-Tipp: https://www.taubenschlag.de)


Nuxel antwortete am 12.05.02 (20:54):


@Heidi

hast Du Dir Deine Worte gründlich überlegt?
Ich faß es nicht.
Kein Vogelzwitschern,kein Kinderlachen,kein Musikhörenkönnen,keinen Wind in den Bäumen,kein Wasserrauschen,--kein herannahendes Auto......u.s.w.
Gehörlose:eigene Kultur,eigene Sprache --was ist das schon für alles,was sie entbehren müssen?

Möchtest Du so leben?
Möchtest Du -gewollt-Deinem Kind so etwas antun?

Überleg es Dir nochmal in aller Konsequenz.

Nuxel


Mechtild antwortete am 12.05.02 (20:58):

Hier werden 2 Themen miteinander diskutiert, die wenn man sie mit einander vermischt, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Kinder haben ein Recht auf eine eigene selbständige Persönlichkeit. Eltern haben nach meiner Meinung nur bedingt das Recht vor der Geburt korrigierend einzugreifen.
Behinderung ist auch in meinen Augen etwas, das gesellschaftlich hergestellt wird. Was die Mitglieder einer Gesellschaft als Behinderung definieren, ist nicht in jeder Gesellschaft gleich.
Was ein Gesunder, der später ein Handicap bekommt, durch Krankheit oder Unfall als Behinderung empfindet, ist wieder ein anderes Thema. Behinderung wird sicher immer unterschiedlich definiert, je nach dem ob man es mit Gesunden oder Kranken oder mit einer Gruppe Kranker und Gesunder diskutiert. Dann gibt es sicher noch einen Unterschied, ob es Betroffene diskutieren oder WissenschaftlerInnen es eher theoretisch dikutieren
Hier im Forum wird für beide Fragen nach einer Antwort gesucht. Ich sehe mich nicht dazu in der Lage die Themen miteinander zu verbinden. für mich haben gehörlose Eltern die gleichen Rechte und auch Pflichten in bezug auf ihre Kinder wie hörende Eltern


Heidi antwortete am 12.05.02 (21:22):

Nuxel, ich bin eine Hörende - selbstverständlich möchte ich das Hören nicht missen.

für nachstehendes braucht es etwas Phantasie: :-)

Stellt Euch einmal vor, die Mehrheit der Menschen besäße einen sechsten Sinn. Nennen wir diese Sinneswahrnehmung "rudeln". Die Mehrheit der Menschen kann also sehen, hören, riechen, schmecken, tasten und rudeln.
Ihr gehört zu der Minderheit die zwar sehen, hören, riechen, schmecken und tasten kann, aber ihr könnt nicht rudeln. Ihr wisst auch nicht was das ist und könnt es Euch nicht vorstellen, weil ihr ohne diese Sinneswahrnehmung geboren wurdet. für euch ist es eine völlig fremde Sinneswahrnehmung. Die anderen Menschen kommunizieren mit Hilfe dieses sechsten Sinnes und halten das für selbstverständlich. Das Hören und Sehen ist für sie nicht mehr so wichtig, sie vernachlässigen diese Sinne weil das Rudeln für sie effektiver ist. Ihr aber seid auf die anderen fünf Sinne angewiesen.

Was macht Ihr? Ihr sucht die Gesellschaft anderer Menschen, die auch nur 5 Sinne haben. ihr haltet die Kultur des Hörens und Sehens hoch und versucht, diese weiter zu vermitteln. Ihr sucht Euch einen Lebenspartner der ebenfalls dieser Minderheit angehört und selbstverständlich möchtet Ihr doch auch Kinder mit denen Ihr auf Eure Art kommunizieren könnt. Oder?


Tessy antwortete am 12.05.02 (21:44):

Hallo Heidi,
vielleicht wäre ja die Möglichkeit gegeben, einem Kind beide Welten zugänglich zu machen? Was spricht dagegen?
Und was nun wenn eines der Kinder den Wunsch hat, Pilot zu werden? Oder seine Gefühle im Tanz auszudrücken, auf einer Bühne stehen möchte? Oder sich verliebt in einen Hörenden? Bitte nicht sagen daß das alles kein Problem macht!
Und wäre es nicht auch möglich gewesen ein gehörloses Kind zu adoptieren?
Was über diese Elite der Gehörlosen geschrieben wird klingt sehr verlockend: Eine Gemeinschaft die eng verbunden ist, sich ihre Welt sozusagen selber geschaffen hat. Aber ich denke auch da gibt es Ausgrenzungen, wie in jeder anderen Gruppe.


Erika Holst antwortete am 12.05.02 (21:54):

Manche Gedankengänge verstehe ich beim besten Willen nicht. Und ich möchte ein paar wenige Fragen in den Raum stellen.

Hätte es jemals einen Mozart, einen Beethoven, Schubert, Mendelsohn, Ravel oder Richard Wagner gegeben, wenn die Menschheit nur aus Tauben und Taubstummen bestanden hätte?

Hätte es jemals einen Rubens, Rembrandt, Picasso oder Botticelli gegeben, wenn es die Natur gewollt hätte, daß alle Menschen blind sind?

Allein an diesen Fragen sollte man erkennen, wir bizarr eine Diskussion sein kann. Ich verstehe wirklich nicht, warum man hier über Fragen diskutiert, die sich eigentlich von selbst beantworten.

Erstaunlich ist auch die Anmaßung *Nichtbehinderter" , wenn sie hier zum Ausdruck bringen, wie schön und harmonisch das Leben *Behinderter" in Wirklichkeit sein kann.

Erika Holst - (mehrfach behindert - Rollstuhl)


Wolfgang antwortete am 12.05.02 (22:09):

Das Problem: Was die Natur "will" oder nicht "will", ob sie überhaupt irgend ein Ziel verfolgt, wissen wir nicht. Offensichtlich lässt sie Variationen zu. für uns wichtiger ist, was wir Menschen wollen... Ob wir das Leben in enge, von irgendwelchen selbsternannten "Normalen" postulierte Konventionen sperren lassen, oder ob wir, wie die Natur auch, Variationen zulassen und als selbstverständlich ansehen und jede(n) nach ihrer/seiner Facon selig werden lassen. :-)


Heidi antwortete am 12.05.02 (22:45):

Als letztes noch einen Leserbrief den ich im "Taubenschlag" gefunden habe:
Dürfen sich Eltern ein taubes Kind wünschen?
Oder - Hörende können es nicht verstehen!

Durch die Presse geht seit einigen Tagen der Bericht über ein lesbisches Paar, das sich einen Mann zur Zeugung eines Kindes ausgesucht hat. Dieser Mann ist taub. Beide Frauen nehmen es nicht nur in Kauf ein taubes Kind zu bekommen, sondern begrüßen es bewusst.

Seit vielen Jahren schon gibt es eine genetische Beratung für Frauen in und vor der Schwangerschaft.
Manche Frauen wünschen sich nur ein gesundes nicht behindertes Kind, gehen zur Beratung und lassen Notfalls ein Kind, wenn es eine Behinderung hat, abtreiben. Andere Frauen verzichten bewusst auf eine Schwangerschaft, weil ein genetischer Defekt bei ihnen vorliegt.
Ob Frauen aus egoistischen Gründen (es stellt heutzutage eine Wahnsinns Belastung dar, ein Kind mit Behinderung großzuziehen) oder aus Gründen der Nächstenliebe zum Kind, (darf ich meinem Kind ein behindertes Leben zumuten?) auf eine Schwangerschaft verzichten oder abtreiben, wird nicht erfragt. Darf man einem Kind, wenn es behindert ist zumuten hier in dieser Gesellschaft zu leben? Darf ein Kind mit Down-Syndrom auf die Welt kommen, hat es hier eine Chance? Nimmt man es den Eltern übel, wenn sie ein lebendiges Kind mit DS abtreiben?
Viele Frauen lassen sich bewusst nicht beraten, nehmen ihr Kind an so wie es ist. Ist das verwerflich? Das müssen sich heute Frauen fragen lassen! Beim Frauenarzt werden Frauen über 35 schräg angeschaut, wenn sie keine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen. Werden zum Teil von der Gesellschaft als verantwortungslos hingestellt, nur weil es für sie nicht von Bedeutung ist, ob ein Kind behindert ist oder nicht.


Alles was nicht der Norm entspricht wird als negativ und belastend für die Gesellschaft empfunden. Ein gesundes Kind, ein Kind mit viel Intelligenz und allen Sinnen wird bevorzugt. Sollten aber Kinder auf die Welt kommen, trotzt eines Defizits, setzt die Menschheit alles daran diese Defizite auszugleichen. Was für ein Wort "auszugleichen", es wird z.B. bei gehörlosen Kindern versucht, sie hörend zu machen, mit Operationen schon im Babyalter, auch damit sie später nicht so viel zusätzliche Kosten produzieren. Eine Operation, die von Krankenkassen fast Widerspruchslos bezahlt wird, - eine umstrittene Operation mit Risiken und Folgen für das ganze Leben. Nun so ganz perfekt gelingt es der Medizin noch nicht, aber sie sind auf dem besten Wege die Gehörlosigkeit bei Kindern zu "überwinden".

Dann erreicht uns die Nachricht aus Amerika. Ein taubes lesbisches Paar möchte gern auch ein taubes Kind. Die ganze Welt regt sich auf. Wie können Eltern nur so egoistisch sein, bewusst ein Kind zu wünschen, das taub ist? ...


Heidi antwortete am 12.05.02 (22:45):

Fortsetzung des Leserbriefes..

Frauen suchen sich seit Menschengedenken Männer zum Zeugen von Kindern, die ihren Vorstellungen entsprechen. Sagen wir Frauen nicht oft zu uns, "Mit diesem Mann möchte ich ein Kind!"? Nichts anderes haben diese Beiden getan! Sie nahmen diesen Mann, weil er ihren Vorstellungen entsprechend perfekt war.

Hörende können nicht begreifen, dass gehörlose Menschen sich als nicht behindert empfinden. Man kann es Hörenden auch nicht übel nehmen, denn sie kennen nicht die Lebenskultur der Gehörlosen. Ja, es ist eine Kultur, die sich durch Jahrhunderte lange Unterdrückung durch Hörende entwickelt hat. Es ist ein feste Gemeinschaft, eine sprachliche Minderheit, eine Kulturgemeinschaft in Sprache und Gefühl, die sich trotz der Unterdrückung der Gebärdensprache in Amerika, aber auch in Skandinavien, langsam auch in Deutschland entwickelt hat.
Spätertaubte und Schwerhörige gehören oft nicht dieser Kultur an, denn sie empfinden einen Verlust, wenn sie das Gehör verlieren. Von Geburt an Gehörlose empfinden dies nicht.

Sie leben mit ihre Gehörlosigkeit in Einklang, entwickeln Selbstbewusstsein und Lebensart. Sie lieben ihre Sprache und fühlen sich nach wie vor noch von der Hörenden Kultur diskriminiert.

Sollte die Gesellschaft der Gehörlosen nicht weiter bestehen dürfen, wären wir um eine Kultur auf der Welt ärmer- die Vielfalt auf der Welt eingeschränkt. Dürfen wir verurteilen, wenn sich Gehörlose ein gehörloses Kind wünschen, oder sollten wir endlich anfangen zu verstehen was Gehörlose denken und fühlen?! Sollten wir nicht anfangen die Rahmenbedingungen für die Gehörlosen zu ändern, ihnen den Schutz der Gemeinschaft bieten, sie als eine Minderheit in Kultur und Sprache anzuerkennen? Sollten wir nicht endlich anfangen zu überlegen, ob das Streben nach perfekten Menschen aus Sicht der Allsinnigen falsch ist?


Karl antwortete am 12.05.02 (23:36):

Ich möchte an einen oben gelesenen Satz anknüpfen "Behinderte werden aber nicht geboren, sondern sie werden zu Behinderten gemacht, - je nachdem, wie sich die Gesellschaft organisiert."
Obwohl ich mit einigem Nachdenken Grenzfälle erkennen kann, in denen dieser Satz einen Kern Wahrheit enthält, halte ich ihn dem Wesen nach aber doch für eine groteske Verzerrung der Wirklichkeit. Wahr ist, dass wir Menschen so effizient bei der Veränderung der Lebensumwelt sind, dass wir viele Handicaps ganz gut kompensieren können. Wir betonieren den Boden, verbreitern die Türen und machen das Leben so für Rollstuhlfahrer lebenswert. Auch der Rollstuhl selbst ist eine technische Kompensation, die eine Behinderung teilweise aufhebt.
Als einohriger Mensch habe ich schon relativ lange überlebt, weil ich den Urwald meide und mich auf gewohnten, meist geteerten oder wenigstens gut gespurten Wegen bewege. Auch ohne Richtungshören hilft mir ein Ohr durchaus im Strassenverkehr, ich könnte mir sogar vorstellen, durch noch vorsichtigeres Bewegen und Herumschauen in unserer zivilisierten Welt auch taub von A nach B zu kommen. Es wäre ein Handicap, aber kompensierbar.
Vor 20 000 Jahren hätte ich aber sicherlich nicht so lange überlebt. Wenn ich jetzt lese, dass Behinderung durch die Gesellschaft gemacht wird, verstehe ich die Welt nicht mehr. Wenn überhaupt, dann setzt uns die moderne Gesellschaft und Technik mehr und mehr in die Lage, Behinderungen zu kompensieren. Daraus aber zu schließen, dass Behinderungen nicht mehr als solche benannt werden dürfen, ja dass hier sogar plötzlich Bedauern geäußert wird, wenn eine Gehörlosenkultur (wegen Therapiemöglichkeiten) verschwinden würde, dann begreife ich, wie verquer menschliches Denken funktionieren kann. Dahinter scheint eine längst vergessen geglaubte Ideologie zu stecken, die den Menschen vollständig als das Produkt seines Milieus begreifen will und biologische Voraussetzungen seiner Existenz möglichst negiert. In meinen Augen ist das ziemlich absurd, aber immer ein interessantes Diskussionsthema ;-)
Mit freundlichen Grüßen
Karl


Barbara antwortete am 13.05.02 (00:29):

Noch einmal zu dem Satz:

""Behinderte werden aber nicht geboren, sondern sie werden zu Behinderten gemacht, - je nachdem, wie sich die Gesellschaft organisiert."

Es gibt Kulturen, in denen ein behinderter Mensch ganz oben in der Achtung seiner Mitmenschen steht - eben weil er in ihren Augen etwas ganz Besonderes, etwas Einzigartiges darstellt. Seine Mitmenschen vermuten göttliche Kräfte in ihm, behandeln ihn als Weisen, als Schamanen......

An diesem Beispiel sieht man doch, wie eine Behinderung gesehen werden kann:

als abwertend oder aufwertend

Allerdings denke ich, dass es sehr auf die Art der Behinderung ankommt: mit der einen kann man gut leben, die andere macht es einem wahnsinnig schwer. Insofern können nur die Betroffenen selbst sagen, was sie mehr behindert

die Art und Weise, wie ihre Mitmenschen auf ihre Beeinträchtigung reagieren oder

die körperliche Beeinträchtigung selbst

Barbara


Wolfgang antwortete am 13.05.02 (01:04):

Das ist ein ganz wichtiger Hinweis, Barbara, dass das, was "Behinderung" genannt wird, immer nur im kulturellen Kontext verstanden werden kann.

Ich möchte auf einen Artikel in der taz hinweisen... Dieser Artikel handelt von der zur Zeit geöffneten Ausstellung in Berlin "der [im]perfekte Mensch - Vom Recht auf Unvollkommenheit". SEBASTIAN LINKE schreibt in dem Artikel für die taz:

"Wer behindert ist, bestimmen also nicht die Natur oder gar die Gene, sondern die Gesellschaft - die "Behinderer". Erst die soziale Umgebung macht Behinderte zu Außenseitern [...]."

Auf der Suche nach den Behinderern
Die Ausstellung "Der (im-)perfekte Mensch" im Martin-Gropius-Bau will für die Betrachter erfahrbar machen, das Behinderung ein soziales Konstrukt ist. Danach ist es sogar vorstellbar, dass in einigen Jahren Brillenträger nicht mehr der Norm entsprechen
von SEBASTIAN LINKE
https://www.taz.de/pt/2002/03/16/a0190.nf/text

(Internet-Tipp: https://www.taz.de/pt/2002/03/16/a0190.nf/text)


Karl antwortete am 13.05.02 (08:38):

Liebe Barbara, lieber Wolfgang,

vermischen wir hier nicht verschiedene Linien der Argumentation? Die Einstellung, Achtung und Liebe zu Behinderten darf doch nicht in eine Achtung und Liebe der Behinderung umschlagen.

Ich halte diese Argumentation, die die Behinderung erhöht, um die Stellung der Behinderten zu verbessern, für feige. Es kommt mir so vor, als würde man den Kopf in den Sand stecken und das Leid nicht sehen wollen.

Tun wir alles für die behinderten Menschen, aber bekämpfen wir die Behinderungen, ob angeboren oder erworben mit allen Kräften. Wer etwas über angeborene Missbildungen weiß empfindet die Aussage, Behinderungen werden durch die Gesellschaft gemacht, in ihrer Absolutheit übrigens einfach nur als blanken Hohn oder grenzenlose Ignoranz.


Barbara antwortete am 13.05.02 (09:10):

Mich wundert sehr, wie hart diejenigen angegriffen werden, die bemüht sind, sich in die Lage dieser Menschen hinein zu versetzen. Unter Behinderung verstehen wir eben alles mögliche, so dass wohl niemand ein für alle zutreffendes Urteil fällen kann. Wenn diese gehörlosen Menschen sich selbst als nicht behindert fühlen, muss ich ihnen doch wohl Glauben schenken.

Ich hatte den gleichen Gedanken wie Heidi:

man stelle sich vor, auf einer einsamen Insel würde ein Menschenstamm entdeckt, der über einen weiteren Sinn verfügt. Vielleicht können diese Menschen fliegen oder haben ein drittes Auge, mit dem sie nach hinten sehen können. Plötzlich sind wir in deren Augen alle behindert, weil wir über diesen so unermesslich wichtigen Sinn nicht verfügen. Es kommen Wissenschaftler daher, die uns ein Gerät ins Gehirn pflanzen möchten, das uns "annähernd normal" macht.....

Ich glaube, ich würde dankend ablehnen. Es bleibt doch dabei: Vieles hängt von der Sichtweise des Umfeldes ab. Dabei hat auch die Sprache ein großes Gewicht. Nach Kriegsende kehrten viele als Invaliden zurück. Man erzählte von dem Mann, der nur noch ein Bein hatte. Im Vordergrund stand der MANN, zweitrangig war, dass er nur noch ein Bein hatte. Heute sprechen wir vom Behinderten, der vom Behindertenbus abgeholt wird und zu anderen Behinderten gefahren wird. Im Vordergrund steht die Behinderung, die wenigsten interessieren sich für den Menschen.

Vielleicht sollten wir uns einfach mehr Zeit zum Verstehen dieses sehr komplexen Themas nehmen und nicht ganz so schnell über die herfallen, die versuchen, die Breite des Problems zu erfassen.

Barbara


Heidi antwortete am 13.05.02 (09:26):

Leider ist es so, liebe Barbara, dass die meisten Menschen in unserer Gesellschaft lieber übersehen statt sich um Verstehen zu bemühen.

Ich habe das vor einigen Jahren in einem Restaurant erlebt, als eine Gehörlosengruppe herein kam. Es handelte sich um eine gemischte Gruppe von denen einige Teilnehmer sich noch mit oraler Sprache unterhielten, die anderen mit Gebärdensprache.

Die Kommentare einiger Restaurantbesucher möchte ich hier nicht wiedergeben. Die meisten guckten peinlich berührt weg.


wese antwortete am 13.05.02 (10:13):

@ barbara:

"...man stelle sich vor, auf einer einsamen Insel würde ein Menschenstamm entdeckt, der über einen weiteren Sinn verfügt."

Damit stellst Du doch die Diskussion auf den Kopf. Behindert ist man nicht dadurch, daß man über zu viel an Sinnen verfügt, sondern über zu wenig.

Das Beispiel "American Sign Language (ASL)" macht übrigens deutlich, was manchmal hinter einer guten Absicht steckt. Behinderte sollen nicht in die normale Gesellschaft integriert werden. Sie sollen "unter sich" bleiben. Sie sollen eine Zwangsgemeinschaft bilden.

Was aus einzelnen Menschen werden soll, die überhaupt keinen Zugang zu einer solchen Gemeinschaft haben, diese Frage ist ebenfalls noch nicht beantwortet.

Es ist leicht gesagt, man solle Behinderte nicht anders sehen als wie Nichtbehinderte. Leider ist das aber nicht sehr realistisch. für Behinderte ist es oft unmöglich, zum Beispiel ihre eigene Existenzgrundlage zu sichern. Viele können überhaupt nicht an einem Berufsleben teilnehmen.

Unterschiede können nicht einfach wegdiskutiert werden. Deswegen stimme ich Karl zu, wenn er sagt:

"Wer etwas über angeborene Missbildungen weiß, empfindet die Aussage, Behinderungen werden durch die Gesellschaft gemacht, in ihrer Absolutheit übrigens einfach nur als blanken Hohn oder grenzenlose Ignoranz."


Barbara antwortete am 13.05.02 (10:33):

@ wese

Du schreibst:

>>Damit stellst Du doch die Diskussion auf den Kopf. Behindert ist man nicht dadurch, daß man über zu viel an Sinnen verfügt, sondern über zu wenig.<<

Wenn sechs Sinne der "Normalfall" wären, wären die uns bekannten fünf doch einer weniger. Ist das von Heidi oder mir genannte Beispiel so schwer zu verstehen?

Barbara


Heidi antwortete am 13.05.02 (10:47):

Gib es auf, Barbara :-))

Es wird immer
Menschen geben, die verstehen,
Menschen geben, die nicht verstehen können
und Menschen geben, die nicht verstehen wollen.

Letztere anzusprechen, ist pure Zeitverschwendung


wese antwortete am 13.05.02 (11:33):

@ Barbara:

ich betrachte die Debatte nicht als Märchenstunde. Dein pausenloses wenn... wenn... wenn... ist nicht gerade überzeugend.

Wieviel Sinne Du (oder Heidi) bei irgendwelchen nicht existierenden Inselbewohnern vermutest, das sei Dir völlig unbenommen. Mit der Diskussion hier hat es jedoch nichts mehr zu tun.


Tessy antwortete am 13.05.02 (18:52):

Mir fällt auf daß das posting von ERIKA HOLST vor lauter Eifer einfach übergangen wurde!!!


Barbara antwortete am 13.05.02 (19:00):

@ Tessy

Warum antwortest Du Ihr dann nicht?


seewolf antwortete am 15.05.02 (04:11):

...eigenartig :

kein Zitat aus der Bergpredigt - aus anderen kulturell eminent wichtigen Dokumenten - kein Wort von der Schöpfung - kein einziges Argument aus dem, was uns unsere Großeltern an Lebensweisheiten zu vermitteln vesucht haben...

Eine merkwürdige Diskussions-Gesellschaft hier - alle nur noch mit ihrem schlechten Gewissen beschäftigt ???


Karl antwortete am 15.05.02 (11:03):

Nach nochmaligem Durchlesen aller Beiträge möchte ich hier noch einmal meine Meinung deutlich sagen:

1. Wer seinen Nachkommen durch gezielte Zuchtwahl - oder was für Manipulationen immer - bewußt das Hörvermögen und damit gesprochene Sprache und Musik lebenslänglich verweigern will, handelt moralisch höchst verwerflich.

2. Wer gehörlosen Kleinkindern die mögliche Therapie durch moderne Techiken (z.B. Cochlear Implantat) verweigert, handelt kriminell.

3. Mir ist völlig unverständlich, wie die Liebe zu und die Achtung von Behinderten mit der Liebe zu und der Wertschätzung der Behinderung verwechselt werden kann.

4. Wer "Behinderung" als Behinderung durch die Umwelt versteht, übersieht, dass viele Behinderten erst in unserer menschengestalteten Umwelt ein lebenswertes Leben ermöglicht wird. Diese Argumentation stellt einfach die Realitäten auf den Kopf.

Mit den besten Grüßen

Karl


Heidi antwortete am 15.05.02 (11:36):



1. Gezielte Zuchtwahl, z.B. durch Gentechnik oder sonstige Manipulationen sind für >>mich<< grundsätzlich nicht aktzeptabel , weder im "positiven" noch im "negativen" Sinne.


2. Wer gehörlosen Kleinkindern die mögliche Therapie durch moderne Techiken (z.B. Cochlear Implantat) verweigert, hat möglicherweise berechtigte Gründe dafür und ich versuche mich zu informieren um diese Gründe zu verstehen.


3. Ich versuche "Behinderung" und "Behinderte" von deren Standpunkt aus zu sehen und zu verstehen. Da es für einen "Gesunden" sehr schwierig ist, diesen Standpunkt wirklich einzunehmen hüte ich mich vor Pauschalurteilen.


4. Sehr viele "Behinderungen" werden erst durch die Umwelt gemacht. Das ist Realität!

5. Nicht die "Einschränkung" ist die Behinderung, sondern das Unvermögen mit dieser Einschränkung in unserer "normalen" Umwelt zu leben, weil alle Dinge des alltäglichen Lebens auf "Gesunde" ausgerichtet sind.


schorsch antwortete am 15.05.02 (13:59):

Genügt es denn nicht zuzusehen, wie "Tierzüchter" aus ihren Lieblingen Monster machen? Müssen wir Menschen dies auch noch mit unseren eigenen Kindern versuchen?

Schorsch


Karl antwortete am 15.05.02 (19:11):

@ Heidi,

zu deinem Punkt 5: Aber doch glücklicherweise wird durch die Umwelt und Technik immer mehr, nicht immer weniger Rücksicht genommen. Vergleiche die Situation eines Gelähmten heute mit der eines Gelähmten zu Zeiten Jesu, der nicht gerade das Glück hatte, IHm zu begegnen.
Ich bin hier Kulturoptimist, nicht Pessimist.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Heidi antwortete am 15.05.02 (19:28):

Oh ja, Karl - dank jahrzehnte langen Kämpfens der Betroffenen selbst hat es einige Erfolge gegeben - es wird wohl noch sehr viel Optimismus brauchen um diesen Menschen etwas - eigentlich Selbstverständliches - zu ermöglichen, das ganz alltägliche Leben in der Umwelt.

"..Obwohl seit einiger Zeit Rundfunk und Fernsehen über das Problem der behinderten Menschen mehr und mehr berichten, sind die Schwierigkeiten der Behinderten in der Öffentlichkeit zumeist immer noch wenig bekannt. Es ist den meisten selbstverständlich, gesund zu sein, oder aber doch zumindest zu den sogenannten "Normalen" zu gehören. So erstaunt es, daß allein in der Bundesrepublik rund 6.000.000 Behinderte leben, 380.000 davon sind auf einen Rollstuhl angewiesen. In der Regel wird diese Zahl selbst von vielen Behörden weit unterschätzt.

Neben einer gewissen Zahl Schwerstbehinderter, die oft jahrelang ihre Wohnung nicht verlassen, gibt es die unterschiedlichsten Gründe, weshalb Behinderte die Öffentlichkeit meiden. Oft ist es für sie eine fremde, ja feindliche Welt!

Wenn man bedankt, daß die Bordsteinkante vor einem Überweg für einen Rollstuhlfahrer schon ein Hindernis sind, dann kann man sich vorstellen, wie ein solcher Behinderter empfindet, wenn ihm - oft unnötig - Stufen als ein unüberwindbares Hindernis entgegenstehen., besonders bei Behörden, Banken, Sparkassen, Arztpraxen, Geschäften usw.

Der Zugang zu Stellen, die er gerne einmal ohne femde Hilfe aufsuchen möchte, ist ihm versperrt.

Auch der Fehlbestand an behindertengerechten oder zumindest behindertenfreundlichen Wohnungen zwingt viele von ihnen in die Isolation. .."


Fred Reinhardt antwortete am 15.05.02 (21:04):

Wir, damit meine ich hauptsächlich die Älteren oder noch besser die Alten diskutieren über Behinderungen, körperlicher und auch geistiger Art aus einer Zeit, die nicht mehr die Heutige ist. Früher wurden Leute im Haus versteckt wenn sie nicht der Allgemeinnorm entsprachen.

Unser jungen Menschen sehen dies viel lockerer. Wehrdienstverweigerer in Kliniken und Altenheimen. Junge Menschen leisten Hilfe bei Schwerstbehinderten soetwas gab es noch nie. Dies ist beim grössten Teil unserer Jugend selbstverständlich.

Unser Schwiegersohn ein Kontergankind, heute ein Mann mit Magisterabschluss und seit einigen Jahren Geschäftsführer in einer Firma mit ca- 45 Angestellten. Er besucht Kunden und vertritt auch diese Firma im In- und Ausland. Als ich jung war wurden solche Menschen als Krüppel bezeichnet. Das gehört der Vergangenheit an, Gott sei es gedankt. Wir Alten können diesbezüglich viel von unseren jungen Menschen lernen, sie haben weit weniger Vorurteile wie wir. Aber leider gehen einige auch dieses Thema wieder zu verbissen an. Ich frag mich nur warum ----- oder liegt es am Alter ?

P.S. Unsere Tochter hat einen sehr auf Familie bezogenen Mann und zwei Buben. Wir sind sehr sehr stolz auf unsere Kinder.

Fred Reinhardt


Heidi antwortete am 15.05.02 (21:34):

Nein, Krüppel sagt man nicht mehr - heute sind es Worte wie "Sozialparasit" ..

Erfahrungsbericht eines MS-Kranken

"Zumutung für die Solidargemeinschaft...das ist einer jungen Mitarbeiterin einer Institution rausgerutscht, von der ich die Stirn hatte, etwas mir zustehendes, einen minimalen finanziellen Ausgleich (es ging um eine Erstattung von ca. 50 .- DM) zu beantragen, ich habe es nicht verlangt. Den Namen der Institution werde ich hier nicht preisgeben, ich brauche sie noch.

Ich habe Multiple Sklerose, seit 9 Jahren. Die MS nötigt dazu, immer wieder aufstehen zu müssen. Es gibt immer wieder Krankheitsschübe, die Lähmungen in Armen und Beinen auslösen, bis zur völligen Bewegungsunfähigkeit. Glücklicherweise kommt es manchmal zur (nicht vollständigen) Rückbildung. Immer wieder hilflos und abhängig sein, um danach zu versuchen, wieder etwas neues aufzubauen, nur um einige Zeit später wieder alles zu verlieren.Die Entzündungen im Zentralnervensystem verursachen physische Schäden, die ständigen Druck auf die Seele ausüben, um deren folgende Schwäche dann zum Auslöser eines neuen MS-Schubes zu machen. Der Kreislauf einer Autoaggressionserkrankung, bis zur völligen Vernichtung.

14 Monate habe ich eine Umschulung im IT-Bereich gemacht, ich mußte sie im Februar 2000 aufgeben. Ich kann kaum beschreiben, wieviel Hoffnung auf diese Ausbildung und ihre Zukunft gesetzt habe. Die Zeit hat mich viel gekostet. Immer wieder Krankheitsschübe, um danach wieder anzufangen, nachzuholen und weiterzumachen, bis zum nächsten MS-Schub. Eine unbeschreibliche Qual, wenn alle 2 Monate die Hoffnungen zerstört werden und abzuwarten, ob es überhaupt weitergehen kann.

Seit fast 10 Jahren knechtet und quält mich die MS, keine Chance einen Beruf aufrechtzuerhalten und mir mein Leben zu verdienen. Jetzt, mit 36 Jahren, bekomme ich eine EU-Zeitrente für 1 ˝ Jahre, 1.042 DM im Monat. 1992 war diese Überlegung schon mal akut, hätte ich zu diesem Zeitpunkt beantragt, wurde mir ca. 1.500.- DM EU-Rente ausgerechnet. Auf meine Frage beim Rentenberater wie so eine Diskrepanz möglich wäre, hatte er nur Schulterzucken - und: Die Berechnungsgrundlagen lt. Sozialgesetzbuch sind geändert worden. Perfide, man kürzt nicht, man ändert die Berechnungsgrundlagen.

Mit der Zusage vom Arbeitsamt, die Umschulung im Anschluss an die Zeitrente abzuschließen, habe ich mich auf die Zeitrente eingelassen, daran erinnert sich inzwischen keiner mehr, das Problem ist gelöst.Beim Sozialamt habe ich nach irgendwelchen Unterstützungen angefragt, keinen Anspruch, ein Erwachsener hat monatliche Durchschnittskosten von 988.- DM, das ist die Grenze.In den ganzen Jahren habe ich versucht beruflich wieder auf die Beine zu kommen, habe dabei auch versucht, trotz der Erkrankung, 3 ˝ Jahre nebenberuflich selbstständig zu sein. Aus den Folgen ergibt sich noch eine Rückzahlung von ca. 4.000.- DM an das Arbeitsamt. Mit der Rückzahlung wollte ich eigentlich zu diesem Zeitpunkt nach der Umschulung beginnen, aber leider hat mir die MS wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Jetzt habe ich als besondere Überraschung ein Verrechnungsersuchen von der BfA bekommen, meine monatliche EU-Rente soll um die Hälfte verrechnet werden, d.h. mir würden ca. 500.- DM zum Leben bleiben. Durch das Sozialamt und eine Bescheinigung wird die Verrechnung ca. 80.- DM im Monat betragen. Das Versorgungsamt hat gerade eine Verschlimmerung der Erkrankung nicht zur Kenntnis genommen, ich hatte das Merkzeichen G wie Gehbehindert beantragt. Im Moment habe ich ca. 30 m Gehstrecke...
Es gibt noch viele andere Beispiele für ständige Knüppelschläge, vor allem von Behörden, aber auch immer mehr aus der Gesellschaft, immer und immer wieder, es ist eine Strafe krank zu sein. Der 10. Antrag, der 20. Widerspruch, der Kampf um die Gesundheit hat keinen Platz mehr, er wird in den Hintergrund geschoben. "


Doris antwortete am 16.05.02 (02:59):

Obwohl die Diskussion vom urspruenglichen Thema etwas abgekommen ist, moechte ich dazu sagen, dass es mich verwundert, dass Deutschland - in so vielen sozialen Dingen so fortschrittlich - auf dem Gebiet der Behindertenfuersorge scheint's noch einen recht weiten Weg hat. Hier, in meiner Stadt Vancouver (Kanada), aber auch in allen groesseren Staedten, sind Rampen an allen oeffentlichen Gebaeuden (vor allem auch in Schulen), Behinderten-Parkplaetze, Rampen an Buergersteigen, usw. vorgeschrieben. Sie sind vielfach, in aelteren Nachbarschaften und Gebaeuden, nachtraeglich angebracht worden. Busse und modernere Strassenbahnen haben Stufen, die auf Strassenebene heruntergeklappt werden koennen, sodass ein Rollstuhl ohne Schwierigkeiten hineingeladen werden kann.


Nuxel antwortete am 16.05.02 (07:51):

Liebe Heidi

erschüttert habe ich Deinen Bericht gelesen.
Ich sende Dir einen ganz besonders lieben Gruß!

Du hast so offen über Deine Krankheit und Erfahrungen mit
"zuständigen" Behörden berichtet.Darum möchte ich gerne
etwas dazu sagen.
Laß dich bitte nicht entmutigen,wenn das Versorgungsamt Deinen Antrag auf"G"-Einstufung abgelehnt hat.Das versuchen
diese ....sehr häufig!
Versäum die Widerspruchsfrist nicht!!
Kurz und knapp legst Du Widerspruch gegen den Bescheid ein,
dann hast Du die Frist gewahrt und kannst mit Hilfe Deines Arztes - oder eines anderen - erneut Deinen Antrag,bzw.Widerspruch begründen.
Besteht nicht die Möglichkeit,daß Du aufgrund Deiner Krankheit sogar eine Pflegestufe beantragen kannst?
Laß Dich nur ja nicht entmutigen!
In Bad./Württ.gibt es noch eine Sonderregelung,wenn das Merkzeichen "G" nicht gewährt wird: einen Sonderausweis,mit dem man unentgeldlich überall parken kann,um kürzere wege bei Éinkäufen oder Arzt-u.Behandlungsbesuchen etc.zu haben.
Sogar im Halteverbot und auf Anwohnerparkplätzen darf man bis zu 3 Stunden parken.
Wenn Du magst,können wir ja per Email Einzelheiten besprechen.
Alles Gute Dir!
Nuxel


Erika Holst antwortete am 16.05.02 (08:25):

@ Heidi:

Warum schreibst Du eigentlich so viel Beiträge, wenn Du zum eigentlichen Thema nichts zu sagen hast?


Heidi antwortete am 16.05.02 (09:44):

Liebe Nuxel,

ich werde Deine Ratschläge und Grüsse an den Schreiber des obigen Erfahrungsberichtes weiterleiten.

Liebe Grüsse.. Heidi

--------------------------

@ Erika
Was stört Dich an meinen Beiträgen?


Erika Holst antwortete am 16.05.02 (09:59):

@ Heidi:

"Was stört Dich an meinen Beiträgen?"

Das sage ich Dir gerne. Mich stört besonders, daß Du Dich für das Thema offensichtlich nicht interessierst, aber dennoch ständig völlig sachfremde Beiträge schreibst.

Es geht hier doch nicht um "Behinderte" schlechthin. Es geht auch nicht um die Umweltbedingungen für Behinderte. Dafür könnte man ein neues und sicher auch wichtiges Thema eröffnen.

Das eigentliche Thema, um das es hier geht, hat *Seewolf* am 07.05.02 wie folgt eröffnet:

"Sie sind lesbisch, sie sind taub - und wollten Kinder, die nicht hören können. Ein tauber Samenspender machte es möglich. Der Fall wirft die Fragen auf, was Eltern wünschen dürfen und was Behinderung ist."

Und deswegen ist meine Frage berechtigt, warum Du von diesem Thema ständig abweichst.


Heidi antwortete am 16.05.02 (10:11):


>>was Eltern wünschen dürfen<< >>und was Behinderung ist<<

Das ist für mich das Thema und dazu habe ich mich geäußert.

Hast Du erwartet,Erika, dass ich zwei lesbische gehörlose Frauen in den USA beschimpfe?


Erika Holst antwortete am 16.05.02 (10:46):

@ Heidi:

"Hast Du erwartet, Erika, dass ich zwei lesbische gehörlose Frauen in den USA beschimpfe?"

Deine Gegenfrage ist ausgesprochen primitiv. Ich finde es sehr schade, daß Du nur so niveaulos antworten kannst. Auf dieser Grundlage erübrigt sich eine Diskussion.


Heidi antwortete am 16.05.02 (10:59):

:-)


Nuxel antwortete am 16.05.02 (12:48):

Liebe Heidi
bitte,entschuldige,daß ich nicht aufmerksam genug gelesen habe und Dich direkt angesprochen habe!Ist mir ausgesprochen peinlich!
Bin Dir aber dankbar,daß Du nicht verärgert bist!
Grüß Dich!
Nuxel


Barbara antwortete am 16.05.02 (13:12):

@ "Erika Holst"

.....und da heißt es, Frauen hätten das niedrigere Aggressionspotential.......

Während die einen offenbar keine Schwierigkeithaben, sich in wenigen Minuten ein unumstößliches Urteil zu bilden, sind andere bemüht, sich erst einmal in die Lage dieser Menschen hineinzudenken. Dazu gehört u.a., sich allgemein die Frage zu stellen, wie unsere Gesellschaft eigentlich mit Behinderten umgeht. In dem ZEIT-Artikel ist nachzulesen, dass diese Betroffenen sich gar nicht als behindert empfinden, dass ihre Umwelt sie aufgrund ihrer Sichtweise erst dazu macht. Insofern sollte doch jeder einmal in sich gehen und sich fragen, wie er selbst mit Menschen umgeht, die in unseren Augen "behindert" sind.

für lesenswert halte ich außerdem den folgenden Leserbrief aus der ZEIT zu dem obengen. Artikel:

>>Gewiss sollte über die Gefahren genetischer Selektion offen und ohne falsche Tabus diskutiert werden. Ich frage mich aber, ob wir wirklich gut beraten sind, vermeintlich "bizarre Fälle" wie die gewollte Geburt eines gehörlosen Kindes durch eine lesbische Frau zum ethischen Testfall zu erheben. Die "sehr alten ethischen Grenzen", die Herr Naumann in Gefahr sieht, richten sich nämlich auch immer wieder gern gegen die Zeugung "unwerten" Lebens. Wer die gewollte Geburt eines tauben Kindes als "bizarren Fall" in die Debatte wirft, könnte gerade dann um Argumente verlegen sein, wenn es darum geht, das individuelle Selbstbestimmungsrecht der Eltern gegen die Hybris genetischer Selektion im Namen einer "erbgesunden" Bevölkerung zu verteidigen.<<

@ wese

Dieses Mal ganz ohne "wenn": Das Hamburger Abendblatt (online-Artikel: "Sie sehen mit dem Kiefer") berichtet in seiner heutigen Ausgabe über die sensationelle Entdeckung eines zusätzlichen einzigartigen Sinnesorgans bei Krokodilen:

>>Nachts erkennen Krokodile ihre Beute nicht mit den Augen oder den Ohren, sondern mit dem Unterkiefer. Dort besitzen sie unter zahlreichen Hauterhebungen Druckrezeptoren - ein bisher unentdecktes, einzigartiges Sinnesorgan, mit dem sie kleinste Bewegungen der Wasseroberfläche wahrnehmen können. Über diese Entdeckung berichtet Daphne Soares von der University of Maryland im Magazin "Nature"......."Die Hauptfunktion der Rezeptoren scheint das Aufspüren von Beute zu sein", sagt Soares. Denkbar sei aber auch, dass sie bei der Kommunikation durch Kopfbewegungen und Lautäußerungen eine Rolle spielen. Die Drucksinnesorgane sind nicht nur bei Alligatoren, sondern bei allen heute lebenden Arten von Krokodilen vorhanden.<<

Soviel zu unserer Kenntnis von Sinnesorganen......

Barbara

(Internet-Tipp: https://www.abendblatt.de)


wese antwortete am 16.05.02 (14:29):

Barbara,

ich möchte nicht unsachlich werden, aber Dein neuster Beitrag zeigt, daß Du die Thematik noch immer nicht verstanden hast.

Deine Abschweifungen ins Tierreich bringen im Zusammenhang mit diesem Thema nichts. Tiere haben schon immer über Sinnesorgane verfügt, die bei Menschen unbekannt sind. Beispiele dafür gibt es sehr viele. Brieftauben, Fledermäuse, Lachse, oder Delphine usw. Sie alle verfügen über ein ein sogenanntes Radarsystem (Ultraschall), mit welchem sie Gegenstände und Entfernungen wahrnehmen und lokalisieren können.

Auch ohne Hamburger Abendblatt sind das uralte und längst bekannte Faktoren. Es ist allerdings eine allgemeine Verarschung von Behinderten, wenn Du Begriffe aus dem Tierreich auswählst und damit eine Verbindung zu menschlichen Behinderungen herstellst.


Erika Holst antwortete am 16.05.02 (15:20):

@ Barbara:

"Während die einen offenbar keine Schwierigkeit haben, sich in wenigen Minuten ein unumstößliches Urteil zu bilden, sind andere bemüht, sich erst einmal in die Lage dieser Menschen hineinzudenken."

Hättest Du diese Diskussion etwas ernster genommen, dann bräuchtest Du nicht im Dunkeln zu tappen. Am 12.05.02 habe ich geschrieben, daß ich selbst mehrfach behindert bin.

Ich weiß also sehr genau, von was ich hier rede. Du weißt das leider nicht. Deine "Besserwisserei" ist genau das, was Betroffene wirklich nicht brauchen können. Ich schließe mich da meinem Vorredner an, ich lese in Deinen Beiträgen sehr viel Hohn und Spott.

"Insofern sollte doch jeder einmal in sich gehen und sich fragen, wie er selbst mit Menschen umgeht, die in unseren Augen "behindert" sind."

Es ist wirklich beschämend, daß Du diese Worte ausgerechnet an mich richtest. Ich brauche nicht "in mich gehen" um zu wissen, wie ich mit meiner Behinderung umzugehen habe. Ich muss täglich damit leben.


Heidi antwortete am 16.05.02 (15:26):

Wenn dieses Thema nicht schon so überfüllt wäre, würde ich jetzt auch auf "die andere Seite" von "Behinderten" eingehen, nämlich wie "Behinderte" mit "Gesunden" umgehen.

Aber das wäre dann wirklich ein neues Thema wert - ich spare es mir an dieser Stelle. :-)


Barbara antwortete am 16.05.02 (16:10):

@ Erika Holst

Du antwortetest auf Heidis Beiträge:

>>Deine Gegenfrage ist ausgesprochen primitiv. Ich finde es sehr schade, daß Du nur so niveaulos antworten kannst.<<

Daraufhin richtete ich folgende Worte an Dich:

>>.....und da heißt es, Frauen hätten das niedrigere Aggressionspotential.......<<

Die folgenden Worte waren an alle gewandt.

Falls es von allgemeinem Interesse ist: Lt. meinem Ausweis bin ich ebenfalls mehrfach behindert.....

@ wese

Dass Tiere über andere Sinnesorgane verfügen habe ich nie bestritten. Heidi und ich hatten darauf hingewiesen, dass Menschen mit weiteren - bisher unbekannten - Sinnen entdeckt werden könnten. Wir, die nicht über diese verfügen, wären somit in deren Augen "behindert".
Da es sich lt. Artikel des Hamburger Abendblattes um ein neuentdecktes Sinnesorgan handelt, fand ich es für unsere Diskussion interessant.

Aber anscheinend ist kein Beitrag zur Auflockerung der Fronten erwünscht.


Karl antwortete am 16.05.02 (17:37):

Liebe Barbara,

obwohl wir uns immer mehr vom Thema entfernen, juckt es mich als Biologe doch, Dir zu widersprechen. Wir Menschen sind ohne Ultraschallsensoren, im Gegensatz zu Fledermäusen, nicht behindert, denn wir Menschen haben genau die 5 Sinne erhalten, die wir für unsere normale Lebensweise benötigen. Von den 5 Sinnen sollten wir allerdings keinem anderen Menschen wünschen, auch nur einen zu missen - und ich finde, wir haben auch nicht das Recht dazu, auch dann nicht, wenn es unsere eigenen Kinder sind und wir vielleicht selbst nur 4 Sinne übrig haben.

Der Gesellschaft (menschlichen Umwelt) pauschal die Schuld für Behinderungen zu geben, halte ich für unfair, denn nur die menschengestaltete Umwelt (inklusive Technik) ermöglicht vielen Behinderten erst ein menschenwürdiges Leben. Können wir uns vielleicht auf solche simplen Wahrheiten einigen? Auf dieser Grundlage würde es dann durchaus Sinn machen, zu fragen, was getan werden kann, um die Lage von Behinderten weiter zu verbessern.

Den Versuch, Behinderungen einfach wegzudiskutieren, halte ich hingegen für ein völlig untaugliches Mittel, um die Lage der Behinderten zu verbessern. Die Tatsache, dass auch gehörlose Menschen glücklich sein können, kann ich doch nicht als Argument verwenden zu forden, dass wir gehörlos zu werden hätten. Gehörlosigkeit ist doch nicht die Voraussetzung für Glück. Glücklich wer trotzdem lacht.


Mit freundlichen Grüßen

Karl


Heidi antwortete am 16.05.02 (18:19):


Dass unsere Umwelt nur in kleinsten Ansätzen sich dem Behinderten anpasst ist doch wohl unumstritten.

Dass es ein Glück ist "behindert" zu sein, hat von den SchreiberInnen hier niemand behauptet. Nur, dass es von den Betroffenen als Glück empfunden werden könnte.

Was hier versucht wurde ist, eine Grundlage für das Verständnis des Handelns der beiden o.g.gehörlosen Frauen zu schaffen, indem außer dem Zeitartikel auch andere Informationen vorgestellt wurden, indem "Bilder" zum Vergleich herangezogen wurden, indem das Thema "Behinderung" grundsätzlich angesprochen wurde.

-------
Es ist auch ein untaugliches Mittel, Beiträge umzudeuten und/oder nachträglich zu pauschalieren wie es hier mehrfach geschehen ist.


Karl antwortete am 16.05.02 (19:12):

Hallo Heidi,

also Du versuchst die Täter (die Eltern) zu verstehen, ich versuche die Opfer (die Kinder) zu schützen, in dem ich ein Verbrechen als solches bennene.

Karl


Heidi antwortete am 16.05.02 (19:24):

:-) Es ist Dir doch unbenommen, Karl, Dein Urteil zu fällen.

Ich werde versuchen, auch das von Deinem Standpunkt aus zu verstehen.Ich fürchte, es wird mir genauso schwer fallen wie Dein Verständnis für Barbara und mich. Die Standpunkte sind zu unterschiedlich.

Aber wir diskutieren hier ja auch nicht um Einigkeit zu erzielen, sondern um verschiedene Standpunkte und Denkweisen aufzuzeigen.


Heidi antwortete am 16.05.02 (19:37):

grundsätzlich:

Das Handeln eines anderen zu verstehen oder verstehen zu wollen, bedeutet für mich nicht immer diesem auch zuzustimmen.

Es bedeutet lediglich, dass ich mir kein Urteil erlaube solange ich nicht verstehe, warum so oder so gehandelt wird.

Es hängt von meinem Verständnis für dieses Handeln ab, ob ich mir ein Urteil erlauben kann oder nicht.


Barbara antwortete am 16.05.02 (21:01):

Liebe Heidi,

Du sprichst mir aus der Seele. Ganz genau so wie Du sehe ich es auch.

Barbara


nuxel antwortete am 16.05.02 (22:18):


Es geht doch gar nicht darum,ob wir das Handeln von anderen Menschen grundsätzlich beurteilen wollen oder dürfen.

Im angeführten Diskussionspunkt geht es einzig darum,ob es vertretbar ist,daß bewußt-b-e-w-u-ss-t- Kinder mit Behinderungen gezeugt werden sollten.

Darauf kann jeder verantwortungsvolle Mensch nur mit NEIN antworten!

Alle Angaben darüber,was heute machbar ist,um Gehörlosen durch Operationen und anderen Hilfsmitteln ihr Schicksal zu erleichtern,ist doch in diesem Zusammenhang Augenwischerei!

Wer von Euch,die versuchen wollen,diesen beiden Frauen und auch dem Mann die Freiheit ihrer Entscheidung für so ein gewissenloses Verhalten zuzugestehen,
würde denn genauso handeln?

fragt Nuxel


Heidi antwortete am 16.05.02 (22:27):

Nicht verstanden, Nuxel?

Ich gestehe mir weder das Recht zu, dem Handeln der beiden Frauen zuzustimmen noch das Recht, das Handeln der beiden zu verurteilen - weil ich es nicht beurteilen kann!


Nuxel antwortete am 16.05.02 (23:30):

O doch,Heidi,
ich habe sehr wohl verstanden!
ABER:

Verbrecherisches Handeln -und das ist solches Tun- kann man verurteilen weil die Folgen vorhersehbar sind.

Wissend und gewollt ein Kind entstehen lassen wollen,das einen seiner wichtigsten Sinne nicht haben soll,ist nicht nur ungeheuerlich,sondern zu verurteilen.

Eine ganz andere Frage drängt sich mir da auf:
Wer muß die Kosten für Hörhilfen,evt.Op.oder Spezialunterricht tragen??????

Nuxel


Heidi antwortete am 16.05.02 (23:38):


"... der werfe den ersten Stein!"


Ich verabschiede mich aus diesem Thema.


seewolf antwortete am 17.05.02 (01:07):

Zitat Heidi :

"Dass es ein Glück ist "behindert" zu sein, hat von den SchreiberInnen hier niemand behauptet. Nur, dass es von den Betroffenen als Glück empfunden werden könnte."

Folglich wurde behauptet, "dass es von den Betroffenen als Glück empfunden werden könnte."

Jetzt reicht's mir aber wirklich...

Über jede Falte, jeden Pickel, jedes ausfallende Haar wird in dieser Republik seitens dadurch psychisch belasteter Kreise gejammert was das Zeug hält und nach Abhilfe geschrieen - und da wird hier in diesem Forum ernsthaft behauptet, daß von Behinderung Betroffene dies ALS GLÜCK EMPFINDEN KÖNNTEN - wenn es nicht so weh täte, so etwas zu lesen, würde ich mich schlapplachen !!!

Liebe Erika Holst - ich verstehe Deinen Zorn.


Barbara antwortete am 17.05.02 (08:54):

@ seewolf

Deine Worte:

>>Folglich wurde behauptet, "dass es von den Betroffenen als Glück empfunden werden könnte."

Jetzt reicht's mir aber wirklich...<<

Meine Frage: Hast Du den von Dir zur Diskussion gestellten Artikel überhaupt gelesen?

Zitat aus dem ZEIT-Artikel:

>>Zudem wirft die Fallgeschichte....... ein grelles Licht auf eine Minderheit, die ihre Behinderung als Auszeichnung versteht.<<

Barbara


Erika Holst antwortete am 17.05.02 (11:04):

Lieber Seewolf,

gib auf, es hat keinen Sinn! Es gibt leider Gottes Menschen, denen Menschenwürde nichts bedeutet. Sie sind auch nicht in der Lage, einer Diskussion rein inhaltlich zu folgen. Sie sind einfach nicht zugänglich für humanes Gedankengut, sondern sie produzieren moralischen Abfall und brüsten sich mit absurden und krankhaften Vergleichen aus der Tierwelt.

Einer *Barbara* und einer *Heidi* zu antworten, das ist einfach sinnlos. Aus ihren Worten spricht so viel Gefühllosigkeit, Gemeinheit, Rechthaberei und Besserwisserei, daß sich jedes vernünftige Argument erübrigt.

Wenn ich mir vorstelle, daß solche Frauen möglicherweise selbst Kinder haben, dann würgt es mich im Hals. Ich würde mich schämen, wenn ich eine solche Mutter gehabt hätte.

Ich bin selbst mehrfach behindert, wie ich hier schon öfters gesagt habe. Aber ich habe auch zwei kerngesunde Geschwister. Und wenn ich mir nur vage vorstelle, welche Verbrechen man an meinen Geschwistern hätte verüben können.... wenn sie den falschen Müttern in die Hände gefallen wären, dann bin ich nicht nur zornig, sondern dann empfinde ich nur noch Hass und tiefe Verachtung.

Mehr habe ich zu diesem Thema nicht mehr zu sagen!


kopfschüttel antwortete am 17.05.02 (11:37):

Lesen und Verstehen sind zweierlei Dinge


schorsch antwortete am 17.05.02 (13:43):

In fernöstlichen Ländern werden Kinder mit Gewalt zu Krüppeln gemacht - und dann auf die Strasse zum Betteln geschickt.

Wir brauchen nicht auf die Strasse zu gehen - wir haben schliesslich die Invalidenversicherung, die finaziell für Gebrechen aufkommt.

Schorsch


Heidi antwortete am 17.05.02 (14:22):

abschließend (wirklich ;-) ):

Immerhin, es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich durch und anlässlich einer Themendiskussion etwas gelernt, mein Wissen vertieft und meine zuerst abgegebene Meinung teilweise revidiert habe.

Meinen Dank an alle Diskutanten, vor allem an die, die mich oder meine späteren Äußerungen mal mehr und mal weniger beschimpften, ohne sie hätte ich mich nicht so intensiv mit den Gehörlosen beschäftigt und das wäre schade, denn es ist ein vielseitiger und interessanter Bereich. ;-)

Ich wünsche den beiden Damen in den USA und ihren Kindern ein langes glückliches und erfülltes Leben.

(Internet-Tipp: https://www.taubenschlag.de)


Wolfgang antwortete am 19.05.02 (10:37):

Auch ich wünsche den Eltern - den beiden Frauen - und dem Kind alles Gute. Das Kind wird in einer anerkannten Gemeinschaft mit Menschen aufwachsen, für die ihre Gehörlosigkeit keine Behinderung ist und die stolz sind auf ihre einzigartige Kultur, vor allem auf ihre Sprache, die so nur von Gehörlosen geschaffen werden konnte.

Diese Frauen handeln entpsrechend dem " [...] neumodischen Recht, sich Kinder nach dem eigenen Bild zu formen" (ZEIT, 18/2002). Strafbar ist das nicht, denn es gibt keinen Straftatbestand und entsprechende rechtliche Regeln, die das verbieten. An dieser Stelle möchte ich auf die Ungezogenheit hinweisen, explizit von "Verbrechen" bzw. "verbrecherischem Handeln" und implizit damit von "VerbrecherInnen" zu sprechen. Die Verfasser dieser Worte sollten wissen, dass von Verbrechen und VerbrecherInnen nur geredet werden darf, wo das Recht es erlaubt.

Hier haben wir es aber mit Moral zu tun. Allen Moralaposteln sei gesagt: Moral (im Gegensatz zum Recht) ist nichts Objektives, sondern etwas Subjektives. Moral (und leider auch Moralapostel) gibt es wie Sand am Meer. Niemand hat das Recht, seine Moral als objektiv hinzustellen und aus Menschen, die nicht ihrer Moral folgen, sprachlich VerbrecherInnen zu machen.

Ich habe nichts gegen Moral. Aber sie bindet ausschliesslich nur diejenigen, die sie für sich aufgestellt haben. Dass hier sich einige als "Normale" fühlen und damit sich aufspielen und "Unnormale" konstruieren, ist typisch für die Verwechsler von Moral und Recht. Aber Gott sei Dank haben sie keine staatliche Macht. Gnade uns Gott, wenn sie die jemals bekämen... Mit dem Recht wäre es dann vorbei und den Gehörlosen und anderen "Unnormalen" würde es schlecht ergehen.


Nuxel antwortete am 19.05.02 (11:13):

Hallo,Wolfgang

erstaunt lese ich deinen Beitrag,der an der eigentlichen Fragestellung doch wohl völlig vorbeigeht!

Es geht nicht um Moralvorstellungen oder dem Lebensrecht und
-wert der behinderten Menschen!

Es ist bewundernswert,wie diese von der Natur benachteiligten Menschen--das kann doch wohl niemand leugnen--ihr eingeschränktes Leben meistern mit Hilfe
ihrer eigenen psychischen und physischen Kraft und modernster Techniken.

Thementitel war:
Grenzenlose Selbstbestimmung

Und genau da ist die Antwort erfragt:

darf ein Mensch gewollt -GEWOLLT- einen Anderen schon vor dessen Geburt in seinen Möglichkeiten,seiner Empfindungswelt
einschränken

und da gibt es nur ein ganz glasklares NEIN!

Nuxel


wese antwortete am 19.05.02 (11:27):

Wolfgang,

Deine Vorstellung von Moral in allen Ehren, nachvollziehbar ist Deine Logik für mich allerdings nicht. Zitat von Dir:

"Ich habe nichts gegen Moral. Aber sie bindet ausschliesslich nur diejenigen, die sie für sich aufgestellt haben."

Wenn Du damit Recht hättest, dann könnte man das auf alle Ebenen unserer Gesellschaft ausweiten. Man könnte jedes beliebige Gesetz ignorieren, weil man sich nicht "gebunden" fühlt und weil man es nicht selbst "aufgestellt" hat.

Du wirst jetzt vielleicht den Zusammenhang von Gesetz und Moral in Frage stellen. Aber Tatsache ist, daß auch die Moral durch das Grundgesetz geschützt ist. Wer diese Gesetze nicht beachtet, oder vorsätzlich ignoriert, der muss sich schon den Vorwurf gefallen lassen, daß er ein Gesetzesbrecher ist. Im Einzelfall sogar ein Verbrecher.


Karl antwortete am 19.05.02 (11:58):

Falls die bewusste Produktion von Menschen mit eingeschränkter Sinneswahrnehmung noch kein Straftatbestand sein sollte, würde ich dafür plädieren, die Gesetze zu ändern, und zwar zum Schutze der noch nicht Geborenen vor ihren, in meinen Auge eindeutig verbrecherischen Eltern.


Karl antwortete am 19.05.02 (12:10):

Noch ein Nachtrag:
Grenzenlose Selbstbestimmung ist der geschilderte Fall eben nicht, denn die Hauptbetroffenen haben kein Mitspracherecht. Es ist für mich völlig unfassbar mit welcher intellektueller Arroganz hier für gut befunden werden kann, dass Menschen gezielt erzeugt werden sollen, die nicht Hören können. Wenn dies nicht ein Verbrechen sein soll, sind alle Massstäbe verloren gegangen.


Ursula antwortete am 19.05.02 (12:49):

Hallo Wolfgang,

ich stimme mit Nuxels Antwort auf Deinen Beitrag voll überein. Hinzufügen möchte ich noch, dass dieses bewußt gehörlos gezeugte Kind mit Hilfe der modernen Medizin nicht gehörlos bleiben müßte, aber bleiben muß, weil seine Mutter es so will. (vgl. verschiedene Beiträge weiter oben)

Durch die rechtzeitige Versorgung mit Hörgeräten bzw. einem Cochlear-Implantat (Innenohr-Prothese) könnte es nämlich trotz der angeborenen Taubheit hören und später sprechen lernen. (Es wäre von einem primär hörenden Kind kaum oder gar nicht zu unterscheiden.)

Diesem Kind werden aber auch nach der Geburt,(konsequenterweise)die medizinischen Möglichkeiten aktiv verwehrt, doch noch zu hören und die Sprache zu erlernen Das ist in meinen Augen nicht moralisch verwerflich, sondern eindeutig kriminell!

Wenn das Kind alt genug ist, um selbst darüber zu entscheiden, ob es tatsächlich ohne Gehör und Sprache leben will, ist "der Zug abgefahren" - unwiederbringlich:

Die Ausreifung der Hörbahnen und Vernetzung innerhalb des Gehirns (Voraussetzung für den Spracherwerb) geschieht in den ersten 3 Lebensjahren und ist danach nicht mehr möglich. Das Kind bleibt definitiv taub und stumm.

Ursula


Nuxel antwortete am 19.05.02 (12:54):

Karls Worten stimme ich vorbehaltlos zu!
Vor allem der Überlegung zur Gesetzesänderung.

Im genannten Beispiel geht es doch eigentlich sogar um gewollte Körperverletzung
Körperverletzung ist strafbar

Eine ganz andere-vom ethischen Gesichtspunkt abweichende Frage:
wer denkt an die Kostenlawine,die auf alle Steuerzahler zukommt,wenn diese Kinder und Erwachsenen besonders erzogen,geschult,gebildet werden müssen
besonderes Lehrmaterial gibt es auch nicht kostenlos

Nuxel


wese antwortete am 19.05.02 (13:09):

Hier ist so vieles nicht mehr nachvollziehbar, zumindest nicht vom Grundsatz her. Zugegeben, dabei spielen natürlich meine eigenen Moralvorstellungen eine wesentliche Rolle.

Ebenso wie die Rechtssprechung, so hat auch Moral keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Das weiß ich sehr wohl. Und in diesem Punkt widerspreche ich auch nicht.

Vereinfacht gesagt, das was die beiden Frauen getan haben, das gehört eigentlich in die Kategorie menschlicher Arroganz. für mich ist die Motivation unnatürlich und fast schon pervers. Hintergrund ist doch nicht die Liebe zu einem Kind, sondern ein perfider Egoismus dieser Frauen.

Was mich zornig macht, das ist aber auch noch etwas ganz anderes. Die Geburt eines gehörlosen Kindes ist etwas Endgültiges. Dem Kind wird das Recht auf Selbstwirklichung bewusst genommen, oder doch stark reduziert. Demnach wird einem bei einem solchen Kind die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit vorsätzlich manipuliert. Das widerspricht unserem Grundgesetz eindeutig. Und deswegen kann ich dieses Recht niemand zubilligen. Auch nicht in Ausnahmefällen!

Selbst wenn ich den Begriff "Behinderung" weglasse, es ist für mich einfach unverantwortlich, wenn einem Lebewesen eine so massive Fremdbestimmung aufgezwungen wird.

Eine weitere, wichtige Frage stellt sich dann für mich auch. Wenn man das Verhalten dieser beiden Frauen nur deswegen gut findet, weil es in einem vorgeburtlichen Stadium stattfindet, wo sind dann die Grenzen? Die fast zwangsläufige Folge wäre doch, daß man Kinder in jedem beliebigen Lebensalter manipulieren darf. Und das ist nicht hinnehmbar, weil es unmenschlich ist.