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THEMA:   Leistung um jeden preis

 27 Antwort(en).

Wolfgang begann die Diskussion am 01.05.02 (10:22) mit folgendem Beitrag:

Hast Du was, bist Du was! Ob Du aber jemals etwas hast, also nach dieser Logik etwas bist, das entscheidet sich in aller Regel schon in der Schule. Kein Abitur haben ist mittlerweile der grösste anzunehmende Unfall in vielen Familien.

"Es gibt einen verborgenen Lehrplan jeder Gesellschaft. Schüler haben diese Doppelbödigkeit längst durchschaut: Real zählt Leistung um jeden Preis, aber proklamiert werden Werte wie Mitmenschlichkeit oder Solidarität." - Das sagt der Soziologe WILHELM HEITMEYER anlässlich der Morde in einer Erfurter Schule.

Schnell waren die "Schuldigen" gefunden... Videos und Computerspiele, die angeblich zur Gewalt verführen... Schützenvereine... Laxe Gesetze... Leicht erhältliche Waffen...

Aber das sind meiner Meinung nach Ausreden derjenigen, die Menschlichkeit wie eine Monstranz vor sich her tragen und das Hohelied der Solidarität predigen, im Alltag aber das Leistungsprinzip brutalstmöglich durchsetzen...

Dann rastet einer aus und mordet. Das Betroffenheitsgetue steigert sich zum kollektiven Wahn. Die "Doppelbödigkeit" aber geht weiter... Das Prinzip bleibt...


rolf antwortete am 01.05.02 (10:31):

Lerne, leiste, spare was -
dann kannste, biste, haste was!
Mit diesem Spruch auf Stundenplänen warb die Sparkasse schon zu meiner Schulzeit. (50er Jahre)


Karl antwortete am 01.05.02 (11:13):

Dem Leistungsdruck nicht gewachsen waren Menschen schon immer. Es ist völlig in Ordnung darüber nachzudenken, was hier verbessert werden kann, damit jeder Mensch die Chancen erhält, die ihm angemessen sind.
Erfurt steht jedoch nicht nur für das (möglicherweise vorhandene) Versagen, einen jungen Menschen aufzufangen, sondern auch für ein offensichtlich den Computerspielen entlehntes Drehbuch der Rache. Dass gleich 17 Menschen sterben mussten hat sehr viel mit dem Drehbuch der Tat und nichts mit deren tiefenpsychologischen Ursachen zu tun.

M.E. gilt es hier verschiedene wichtige Ebenen der Diskussion auseinander zu halten. Und Wolfgang, wie schon beim WTC Attentat, ich fühle mich durch die Formulierung "Betroffenheitsgetue" verletzt. Meine Frau ist Lehrerin und ich möchte Dir nicht zuviel von den Gefühlen verraten, die uns übermannt haben.

Beste Grüße,
Karl


Horst Krause antwortete am 01.05.02 (12:14):

die Frage wer hat wieviel Schuld, ist meines Erachtens nicht richtig gestellt. Ich würde fragen wollen, was ist falsch gelaufen bzw. wer macht was falsch ?
Die Schuldfrage im allgemeinen wird mir zu oft in Anspruch genommen.


utelo antwortete am 01.05.02 (13:21):

Die Schuldfrage wird sicher nie genau zu klären sein. Videos, Horrorfilme, Angst, Respektlosigkeit, Auswegslosigkeit -eventuell sogar Erfolgszwang z.b. im Schützenverein- wer weiß es. Aber hat es nicht immer schon Menschen gegeben, die plötzlich ausflippen, sich und andere nicht mehr kennen und verletzen oder töten. Diese Sachen lassen sich auch nicht durch neue oder veränderte Gesetze verhindern, dazu sind alle eben n u r M e n s c h e n, mit allen Unwägsamkeiten und Risiken.
Die Lehrer bekommen von den Schülern keinen Respekt mehr, ebenso viele Eltern. An was liegt das? Nur an den Schülern, nur an den Eltern, nur an den Lehrern? Ich denke an jedem von ihnen. Und Gewalt und Respektlosigkeit wird uns doch allen vorgemacht -man siehe politische Wahlreden etc., man siehe Korruption, man siehe diese hirnlosen Kriege, die nur den Großen zum Geldverdienen dienen und den Kleinen den Tod bringen.
Firmen werden so wegrationalisiert, Fusionen mit zig Arbeitsplatzverlusten werden von unserer Regierung geduldet, der Arbeitnehmer bleibt auf der Strecke. Die Großen haben ihr Geld im Sack und können auch noch Steuervorteile für ihr Unvermögen und hohe Abfindungen für die Chefs rausschlagen. Alles gute Vorbilder für die Kinder und Jugendlichen, die denken, daß es sowieso keine Arbeit für sie geben wird.
Wie sollen sich denn Kinder oder Jugendliche verhalten, wenn sie es vorgelebt bekommen. Drogen werden schon in Schulen angeboten. Die Kinder nehmen sie, obwohl sie wissen,wie schädlich sie sind - weil sie etwas neues ausprobieren wollen. Danach ist das Geschrei groß, wenn Eltern oder Lehrer endlich merken, daß etwas nicht stimmt. Warum tun sich Eltern nicht mal zusammen und passen in den Pausen, vor und nach dem Unterricht mal an den Schulen auf. Es gibt ja noch genug Elternteile, die nicht berufstätig sind.
Wir haben dies schon früher auf den Spielplätzen gemacht und nur durch unsere Präsenz viel Unsinn und Gewalt verhindern können.
Wieso können schon 10Jährige mit Messern rumlaufen, was ich hier häufiger sehe. Und wenn sie dann merken, daß die anderen Angst vor dem Messer haben, sind sie schon fast die Größten. Wenn dann andere kommen, die stärker oder wirklich besser sind, kommt das große Heulen, weil man im Endeffekt nichts ist.
Mit Gesetzen oder Wiederanhebung der Volljährigkeit ist da nichts zu machen. Allgemein Aufpassen ist angesagt.
Und Einzelfälle von Amokläufern, so traurig und furchtbar sie sind, wird es immer wieder geben.


Mechtild antwortete am 01.05.02 (13:54):

Die schrecklichen Ereignisse in Erfurt führen natürlich auch zu der Frage, ist es möglich so etwas zu verhindern? Was ist falsch in unserem Staat, dass so etwas passieren kann. Die Erklärung der konkreten Situation ist eine Sache und man sollte sie den Fachleuten überlassen. Auch das Verarbeiten der Ereignisse muss jeder einzelne für sich selbst mit der möglichen Hilfe von Psychologen, Freunden und anderen Betroffenen machen und sollte nicht Thema von öffentlichen Diskussionen sein.
Aber die Frage der Werte in unserer Gesellschaft muss erlaubt sein. Erneut ausgelöst durch die Ereignisse in Erfurt, nicht als Erklärung. Die Diskussion wie viel Druck Schule ausüben darf ist nicht neu. Das ein Schüler, der nicht zum Abitur zugelassen wird keinen Schulabschluss erhält, halte ich für ein Unding und mir ist auch nicht klar, welchen pädagogischen Wert das haben soll.. Menschen, die mit der Institution Schule nicht klar kommen, hat es immer gegeben und sie sind deshalb keine schlechten Menschen. Zumindest haben sie Schwierigkeiten sich anzupassen und das ist für mich oft eine positive Eigenschaft. Auf jeden Fall ist es unbequem, wenn man sich nicht anpassen kann und behindert die Karriere.
Über das Männerbild in unserer Gesellschaft müssen die Männer nachdenken und vor allem etwas daran ändern. Ich eröffne hierzu ein neues Thema


Barbara antwortete am 01.05.02 (15:31):

Die skandalösen Schulrechtsbestimmungen in Thüringen, die junge Leute mit 19 Jahren ohne jeglichen Abschluss auf die Straße stellen, wenn sie das Abitur nicht schaffen, dürfen nicht totgeschwiegen werden. Vor gar nicht langer Zeit hat ein Mädchen, ebenfalls in Thüringen, aus ganz ähnlichen Gründen versucht, ihre Schule in Brand zu stecken. Ich meine, dass auch der Frage nachgegangen werden muss, wieviel Schüler eigentlich pro Jahr in den einzelnen Bundesländern Selbstmord verüben. Hierbei geht es mir nicht um die Anklage von Schuldigen sondern um die Suche nach Möglichkeiten, solche Tragödien in Zukunft zu verhindern.

Die Schule ist eine riesige Sortiermaschine. Ich hätte nie Lehrerin sein können, da ich es nicht übers Herz bringen könnte, einem Schüler eine schlechte Note zu geben. Lehrer sind durch unser System jedoch dazu gezwungen. In Finland und Schweden soll es bis zur achten Klasse keine Noten geben. Dort wird Kindern Zeit gegeben, ihre Fähigkeiten in Ruhe und ohne Notenstress zu entwickeln. Diese Länder schnitten in der PISA-Studie sehr gut ab. Leider endet eine Diskussion über diese Fragen bei uns meist im politischen Kampf: Gesamtschule ja oder nein.

Mit dem Fall der Mauer hatte ich gehofft, dass einige der Ideale aus der DDR unsere Gesellschaft bereichern würden. Leider hat man diese Ideale im Eiltempo über Bord geworfen und sich den Verhältnissen der Marktwirtschaft total unterworfen.

Alles braucht seine Zeit. Vielleicht könnte diese schreckliche Tragödie von Erfurt Anlass geben, eine längst überfällige Wertediskussion in unserer Gesellschaft in Gang zu setzen. An vielen verschiedenen Punkten "stinkt" es den Menschen, nur noch Spielball von Unternehmensberatungen zu sein. Das Leben sollte mehr sein, als die Hetze nach ein paar Euro mehr auf dem Konto. Es gehört viel Kraft und Stärke dazu, seinen Kindern ein anderes Vorbild vorzuleben.

Gerade die ältere Generation könnte und sollte sich mehr einmischen. Durch unsere Lebenserfahrung, Gelassenheit und unser Mehr an Freizeit sollten wir unseren Beitrag leisten, diese Wende herbeizuführen. Auch das Internet bietet reichlich Gelegenheit, sich durch Kommentare, Leserbriefe und Zuschauermeinungen einzumischen.

Also, Ärmel aufkrempeln und los!!!

Gruß Barbara


Ralph Kalterer antwortete am 01.05.02 (15:56):

Barbara:

"Gerade die ältere Generation könnte und sollte sich mehr einmischen. Durch unsere Lebenserfahrung..."

Ich möchte in aller Bescheidenheit ein paar zarte Zweifel anmelden. Es kommt meines Erachtens darauf an, was man unter älterer Generation versteht.

Ohne provozierend wirken zu wollen, gebe ich zu bedenken, daß gerade die ältere Generation das Gewaltmonopol selbst angewendet hat. Dazu gehörte u. a. die Prügelstrafe für Kinder und andere falsche autoritäre Erziehungsmethoden.

Die ältere Generation hat uns den 2. Weltkrieg beschert, den Holocaust und sonstige Grausamkeiten. Es wird nicht einfach sein, heute einem Jugendlichen klar zu machen, warum gerade diese Generation einen Beitrag zur Gewaltlosigkeit leisten könnte. Und wenn, mit welcher Berechtigung?


schorsch antwortete am 01.05.02 (16:10):

Der Leistungsdruck fängt in der Familie an. Drum erachte ich es als wichtig, dass Kinder, die einem solchen Leistungsdruck nicht gewachsen sind, einem Lernprogramm nur mit grösster Mühe und unendlichem Auswendiglernen folgen können, von den Eltern deswegen nicht ausgeschimpft werden, sondern, dass man sie in die Arme nimmt und ihnen zu verstehen gibt, man habe sie deswegen kein bisschen weniger lieb. Und sie sollen zu wissen bekommen, dass ein glücklicher Arbeiter das erfülltere Leben hat als ein verkrachter Elite-Karriere-Mann, der nur noch für sein Ego kämpft und für das Wünsche- und Ansprüche-erfüllen eines ebenso karrieregläubigen Eheweibes.

Schosch


Anita antwortete am 01.05.02 (16:35):

@Ralph
ich will zwar der Einmischung der älteren Generation nicht das Wort reden aber wer einen Krieg persönlich erlebt hat, kann glaubwürdig vor Gewalt warnen.
Die "ältere Generation", die den 2. Weltkrieg und den Holocoust zu verantworten hat, ist inzwischen in den Pflegeheimen oder gestorben.
Die jetzige ältere Generation hat die Kollektivschuld übernommen und in vielerlei Weise versucht, Unrecht wiedergutzumachen. Sie hat - und das ist doch ein Beweis, daß sie die Lehre aus der Geschichte gezogen hat -die 68er Generation hervorgebracht, die heute unser Land regiert.


Ralph Kalterer antwortete am 01.05.02 (17:10):

Anita,

ich habe ja extra gesagt, daß ich nicht provozieren möchte. Und ich habe auch andere Beispiele (siehe Prügelstrafe) angeführt.

Trotzdem noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen. Das Verbrechen des 2. Weltkriegs , mit Millionen Toten, und die Folgeerscheinungen, das kann man nicht wiedergutmachen.

Die 68er Generation, von der Du sprichst, die hat uns bereits wieder in neue Kriege geführt. Deswegen hält sich meine Begeisterung in engen Grenzen.

Nicht alle Menschen, die am 2. Weltkrieg aktiv beteiligt waren, sind gestorben oder in Pflegeheimen. Bei der letzten "Wehrmachtsausstellung" war diese Generation immerhin noch in der Lage, in Massen dagegen zu protestieren. Wer etwa um 1920 geboren ist, der ist heute "erst" etwa 80 bis 85 Jahre alt. Davon gibt es noch eine ganze Menge und das waren die Kriegsteilnehmer von damals.

Und wenn ich schon dabei bin, dann möchte ich noch einen ganz anderen Aspekt ansprechen. Computerspiele und Gewaltvideos sind nicht einfach von Himmel gefallen. Es sind überwiegend die Erwachsenen gewesen, die solche Dinge aus Amerika importiert haben. Erwachsene Geschäftemacher haben aus Geldgier diesen Boom ausgelöst. Auch das wissen die Jugendlichen von heute ganz genau.

Ich meine, gerade die ältere Generation wäre sehr schnell in einem akuten Erklärungsnotstand.


Barbara antwortete am 01.05.02 (18:12):

Hallo Ralph,

ich bin Jahrgang 1946 und habe schon von vielen dieser Runde gehört, die in etwa im gleichen Alter sind. Insofern hatte ich das Glück, mein bisheriges Leben in Friedenszeiten verbringen zu dürfen.

Ich finde einfach die Möglichkeiten des Internets gut, sich ohne großen Kraftaufwand einmischen zu können. In Foren der Online-Presse und der TV-Sender wird aufgerufen, seine Meinung einzubringen. Wenn genügend Leute in dieser Richtung aktiv werden würden, sollten ihre Forderungen schon berücksichtigt werden. Aber vielleicht bin ich noch immer zu blauäugig......

Gruß Barbara


Ralph Kalterer antwortete am 01.05.02 (18:36):

Hallo Barbara,

nein, Du bist sicher nicht blauäugig. Ich habe sehr gut verstanden, was Du zum Ausdruck bringen wolltest. Ich bin auch nur 4 Jahre älter und mische mich fast überall ein. Auf den unterschiedlichsten Ebenen.

Sinn meines Beitrages war eigentlich nur, einmal aufzuzeigen, mit welchen Gegenargumenten man eventuell von Jugendlichen zu rechnen hätte.

Das Hauptübel in unserer Gesellschaft ist, da sind wir uns sicher einig, daß die Jugend keine realen Vorbilder mehr hat. Und weil es so ist, hat die jüngere Generation jeden Respekt vor uns verloren. Ob wir das wirklich wieder gut machen können? Ich bin da sehr skeptisch.


Fred Reinhardt antwortete am 01.05.02 (19:46):

Hallo Anita, sicher hast du recht wenn du schreibst die ältere Generation ist im Altersheim oder bereits gestorben. Aber rechen wir doch mal die sogenannte ältere Generation zurück.

Heute 80 - 82 jährige waren bei der letzten Wahl im tausend jährigen Reich im Dezember 1933 gerade 13- 15 Jahre alt. Diese heute 80 jährigen haben also die NSDAP nicht gewählt. Wahlberechtigt waren erst die damals 21 jährigen, das wäre also der Jahrgang 1912 -fast keine aus dem Jahr 1913 und diese Damen und Herren mischen in den heute anstehenden Themen sehr wenig mit.

Ich bin Jahrgang 1932 und ich behaupte, der grösste Teil unserer Jugend ist von der Nachkriegsleistung der Eltern und Grosseltern tief beeindruckt und erkennt dies voll an.
Was diese jungen Leute hautsächlich an der älteren Generation schätzt, ist die Einmaligkeit des Friedens in Mitteleuropa in den letzten fast 60 Jahren, denn das gab es noch nie.

Ralph Kalterer schreibt etwas über " Respekt entgegen bringen " für was und warum ?
Nur weil ich ALT bin ? Aber das ist doch kein Verdienst !

Achtung für eine Leistung entgegen bringen ist für mich weitaus wichtiger und davon erhalte ich für meine Person wirklich genug und dann wird man auch zum Vorbild.

Leistungen wurden erbracht und werden auch in Zukunft erbracht, da bin ich mir sehr sicher. Mein Wunsch wäre, dass erbrachte Leistungen auch immer Leistungsgerecht honoriert werden.


Ralph Kalterer antwortete am 01.05.02 (20:36):

Fred,

es ist mal wieder ein Klischee. Oder anders gesagt, das fast klassische Bemühen von Dir, mich falsch zu verstehen!

Unter Respekt verstehe ich eben etwas anderes. Wenn ich an meine Jugendzeit denke, dann hatten wir jedenfalls auch noch Respekt vor Personen. Damit meine ich Lehrer, Polizisten, Pfarrer, Bürgermeister usw. So war das eben damals.

Und Respekt vor den "Alten" hatten wir übrigens auch. Damit meine ich Vater und Mutter, Opa und Oma usw. Es gab sogar damals den Spruch: "Hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren."

Wenn Dir solche Dinge fremd sind, dann hast Du vielleicht in einer anderen Welt gelebt.


Fred Reinhardt antwortete am 01.05.02 (22:08):

Ralph Kalterer,
ich muss mich nicht bemühen, sondern bin in vielen Sachen einfach anderer Meinung.
Auch die Personen die du oben anführst sind für nicht keine Respekt-Personen nur weil die diesen oder jenen Titel tragen. Weisse Haare mit Ehrfurcht in Verbindung zu bringen ist mir auch fremd. Ein Besoffener läuft schon ewig mit schneeweissen Haaren durch Bamberg, dafür das Wort " Ehrfurcht " nein das wäre zu viel der Ehre.

Warum sollte mein Enkel der mich wöchentlich 3 mal besucht vor mir Respekt haben ? Er achtet mich und ich achte ihm und damit ist unser Zusammenleben für immer gesichert.

Wir, du Ralph Kalterer und ich sind beide zu unterschiedlich älter geworden, in sehr unterschiedlichen Familien aufgewachsen. Unser Familienverband, Vater, Mutter und 8 Kinder, ich bin der Älteste, war auf der Basis des gegenseitigen Achtens aufgebaut. Auch unsere Lebensläufe sind total verschieden nur eines haben wir gemeinsam, wir leben auf der gleichen Welt wenn du dies auch mir nicht so recht zugestehen willst.


Wolfgang antwortete am 02.05.02 (10:08):

Hallo, Karl... Als ich vom "Betroffenheitsgetue" sprach, meinte ich nicht Dich (oder andere MitdiskutantInnen)... Es ging mir um das zu beobachtende Treiben in den Medien (nur darüber kann ich reden), das immer dann einsetzt, wenn schreckliche Dinge passiert sind. Machen wir uns nichts vor: Das ist das "Geschäft" der Medien, das natürlich nur möglich ist, wenn eine gewisse (nennen wir es vorsichtig) Neugierde bei ihren Rezipienten vorhanden ist.

Ich dachte eher an ausschwärmende Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzende, die ihre vorher der Presse angekündigten Kondolenz- und Kranztermine wahrnehmen.

Unter dem Titel "Belagert" kommentiert heute SERGEJ LOCHTHOFEN in der THÜRINGER ALLGEMEINE das rohe Vorgehen der Presse in Erfurt. Bitter schliesst er: "Dennoch wird die Belagerung weitergehen, bis ein neues Thema alles verdrängt."

Ich würde in dieser Diskussion gerne auf meine eigentlichen Anliegen zurückkommen: Dass es eine Menge Anlässe gibt, die Morde auslösen oder sie strukturieren, die Beschäftigung mit diesen Anlässen aber nichts erklärt und keine einzige künftige Gewalttat verhindern wird... Dass es ein mörderisches Prinzip in unserer Gesellschaft gibt, das sich verselbständigt hat und sich in immer neuen Exzessen präsentiert: Das Leistungsprinzip.

Die Tatsache, dass es LehrerInnen und SchülerInnen in einer Schule getroffen hat, und dass der Täter selbst ein Schüler war, meine ich, ist kein Zufall, sondern der Schlüssel bei der Ursachenforschung.


Horst Krause antwortete am 02.05.02 (11:16):

Wolfgang,
Deinen ersten Absatz unterschreibe ich voll und ganz. Es ist traurig und ärgert mich schon lange, dass die Medien in erster Linie die negativen und schrecklichen Nachrichten verbreiten anstatt auch die positiven, denn die gibt es auch.
Aber wie heisst es doch "Bild sprach zuerst mit dem Toten" solche Nachrichten interessieren die Masse und solange das so ist, werden die Medien entsprechend agieren.


Wolfgang antwortete am 02.05.02 (13:31):

Ich hatte selbst drum gebeten, zum Thema zurückzukehren... Aber manchmal wird es einem g'rad zuviel, vor allem, wenn von gnadenlosen Kanzlerkandidaten die Toten für ihren Kampf um die Pfründe in Beschlag genommen werden.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) kündigte ein "Bündnis gegen Gewalt" an. Auch Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber möchte sich daran beteiligen.

Noch ein Bündnis "für" bzw. "gegen"... "Bündnis für Arbeit", "Bündnis gegen Gewalt"... für wie blöde halten die uns eigentlich? Meinen die tatsächlich, wir durchschauten deren schauerliche Spielchen nicht?

Thierse fordert Zurückhaltung
Parteien sollen aus Erfurt kein politisches Kapital schlagen
https://www.fr-aktuell.de/fr/aktuell/t0000001L.htm

(Internet-Tipp: https://www.fr-aktuell.de/fr/aktuell/t0000001L.htm)


Barbara antwortete am 02.05.02 (21:51):

Lesenswert ist auch der Artikel

"Zwischen Erfurt und Pisa"

aus der aktuellen Zeit. Link siehe unten.

(Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2002/19/Wissen/200219_schule.html)


Wolfgang antwortete am 05.05.02 (12:13):

'Leistung um jeden Preis' heisst mein Thema... Ich hätte als Überschrift auch nehmen können: 'Profit um jeden Preis'.

Es traf sich, dass am Tag des Mordens in Erfurt zur gleichen Zeit die Abgeordneten des Bundestags in Berlin über das Waffenrecht debattierten. Grüne, PDS und SPD wollten eine Verschärfung der Bestimmungen des Waffenerwerbs, vor allem aber eine Begrenzung der Zahl der legal zu erwerbenden Waffen. Die Waffenlobby - vertreten durch ihre Abgeordneten in CSU/CDU und FDP - war dagegen; ihre Leute brachten diesen Passus des neuen Gesetzes dann auch zu Fall.

Noch am Freitagmittag, während der Debatte, da waren die Opfer und der Täter im Gutenberg-Gymnasium bereits tot, feierte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Waffenlobbyist ERWIN MARSCHEWSKI den "Sieg" und sagte (laut Bundestagsprotokoll): "Es ist gut, dass die sinnlose Waffenbegrenzung vom Tisch ist. Es ist gut, dass junge Menschen wieder üben können." Und dann wurde er ganz forsch: "Der Widerstand der Union [gegen die Waffenbegrenzung] im Schulterschluss mit Jägern und Sportschützen hat sich gelohnt. CDU/CSU [...] haben gut gezielt und voll ins Schwarze getroffen."

Da bleibt einem nur noch der Gruss: Waidmannsheil, Herr Abgeordneter MARSCHEWSKI!


Nuxel antwortete am 05.05.02 (13:43):

Ja,das Thema wurde gestellt :Leistung um jeden Preis

Das grauenhafte Ereignis-sind es nicht eigentlich:Ereignisse?-von Erfurth kam zur Sprache

Ja,Karl, meine Kinder sind auch Lehrer,wir haben sicher ähnliche Empfindungen wie Du und Deine Frau!

Wir haben natürlich-wie alle,darüber gesprochen,uns Gedanken gemacht.

Wer selber Kinder hat oder hatte,wird sich bestimmt die Frage stellen:wie ist es möglich,daß in einer Familie einer so wenig vom anderen weiß,daß niemand die Verzweiflung,die in diesem jungen Menschen immer größer wurde,bemerkt hat?!Nach seinem Schulverweis ist er nach meinem Kenntnisstand ein ganzes Jahr jeden Morgen aus dem Haus gegangen,als ob er zur Schule ginge..wo waren die Eltern,wenn Elternabende oder Sprechtage anberaumt waren?
Beruflich zu sehr engagiert?---money,money
Von der Schule verwiesen,kein Abitur,kein Schulabschluß,niemand dem er sich anvertrauen konnte,nicht mal dem Bruder
Welche Verzweiflung muß in diesem jungen Menschen immer größer geworden sein
Keineswegs sollen meine nachdenklichen Worte eine Entschuldigung für dieses grauenvolle Ereignis sein!
Im Schützenverein fand er möglicherweise die Anerkennung,die ihm so gefehlt hat.
Da konnte er beweisen,daß er "Fähigkeiten" hatte.Leistung erbringen konnte.
Wer kann ergründen,warum er gerade mit dem,was er "konnte"
ein tödliches Fanal gesetzt hat.
So bedauernswert die Eltern sein mögen--sind sie nicht die eigentlich Schuldigen in erster Linie?

fragt eine sehr nachdenkliche Nuxel


seewolf antwortete am 05.05.02 (14:26):

tja - Nuxel...

bei uns muß leider nicht das Nest funktionieren, in dem die Küken aufgezogen werden, sondern die Küken haben so zu funktionieren, daß sie im Nest möglichst wenig Wärme verbrauchen...

...oder wie ist das in der deutschen Architektur, Städteplanung, Bildungs-Ausgangslage, Arbeitswelt, usw. ?


Barbara antwortete am 05.05.02 (15:03):

@ Nuxel

Wir wissen praktisch so gut wie gar nichts, trotzdem stellst Du die Frage, ob nicht die Eltern die eigentlich Schuldigen seien. Das erschüttert mich! Die Familie muss mit der Schuld ihres Sohnes bzw. Bruders weiterleben. Das allein wird schwer genug sein.

Nach allem was ich gehört habe, soll es sich um eine "völlig normale Familie" handeln. Von den Medien wurde bereits von einer zerbrochenen Ehe berichtet, was nicht der Wahrheit entsprechen soll, aber so schön ins Bild passt. Also bitte vorsichtig mit Vorverurteilungen!

Was würdest Du sagen, wenn sich herausstellen würde, dass dieser Robert krank war? (Gehirntumor, Schizophrenie o.a.)

Es wäre sinnvoller darüber nachzudenken, wie den Opfern dieser Tragödie geholfen werden kann, und zu den Opfern zähle ich auch die Familie.

Barbara


Nuxel antwortete am 05.05.02 (18:22):

Hallo,Barbara
ganz offensichtlich hast Du Dir wenig Mühe gemacht meine Überlegungen der möglichen Ursachen des Unglücks von Erfurth nachzuvollziehen!
Natürlich müssen die Eltern mit den Folgen der Schreckenstat ihres Sohnes weiter zu leben versuchen.

Es ist mir,:MIR persönlich-unverständlich,daß kein Familienmitglied die sicherlich hilflose Verzweiflung des Sohnes und Bruders auch nur geahnt,geschweige denn bemerkt hat!
DAS ist für meine Erfahrungen "nicht normal",denn ich sehe darin keine "ganz normale" Familie!
Ich weiß nicht,ob Du selber Kinder und ein intaktes Familienleben hast,interssiert mich auch nicht!
Und ich nehme keinen meiner ausgesprochenen Gedanken zurück,da ich in dem Täter von Erfurth möglicherweise einen verzweifelten,unsicheren jungen Menschen sehe!

Natürlich entschuldigt das nicht sein handeln---aber es ist möglicherweise ein Weg zur Erklärung,wieso es überhaupt dazu kommen konnte!

Ich habe nur meine Überlegungen -und nicht nur meine-geäußert-niemand eine Schuld angelastet!

Du gibst an,:nach allem,was Du gehört hast...

Ich sage:meine Überlegungen

Wir WISSEN gar nichts!
Wir können nur Vermutungen anstellen .

Nuxel


Barbara antwortete am 05.05.02 (20:32):

Hallo Nuxel,

Du sagst:

>>Wir WISSEN gar nichts!
Wir können nur Vermutungen anstellen<<

Eben das empfinde ich als verantwortungslos, wenn wir mit diesen Vermutungen Menschen persönlich beschuldigen.
Das ist meine Meinung.

Das Thema heißt: Leistung um jeden Preis

Wer zieht diejenigen zur Verantwortung, die junge Menschen, die ihr Abitur nicht bestehen, ohne jeglichen Schulabschluss der Schule verweisen - und das in unserer Leistungsgesellschaft! Hier klage ich nicht Herrn Müller oder Frau Schulze an, sondern die Verantwortlichen des Kultusministeriums. Dort möchte man diese folgenschwere Regelung z.Zt. nicht ändern, da dann evtl. der eine oder andere dem Robert S. dankbar dafür sein könnte, dass er durch seine Wahnsinnstat eine Änderung herbeiführte.

Das ist für mich ein Skandal, weil man damit leichtfertig mit den Schicksalen weiterer junger Menschen spielt!

Meine Informationen habe ich z.B. aus der Thüringer Landeszeitung. Link siehe unten.

Barbara

(Internet-Tipp: https://www.tlz.de/tlz/tlz.drucken.artikel.php?https://www.tlz.de/tlz/tlz.tagesthema.volltext.php?id=245459&zulieferer=tlz&rubrik=Homepage&kategorie=HOM®ion=National&auftritt=TLZ&id=245459&zulieferer=tlz&kategorie=HOM&rubrik=Homepage®ion=National&auftritt)


schorsch antwortete am 06.05.02 (09:27):

Einerseits wollen die Jungen immer früher Stimmrecht, Wahlrecht und Selbstbestimmungsrecht - und die Alten geben an Abstimmungen ihren Segen dazu. Doch wenn dann ein 19jähriger zu den Waffen greift, heisst es plötzlich, die Eltern seien schuld.
Wir haben eine (gutgeratene!) Tochter, die uns - als sie bereits verheiratet war - sagte, sie habe einmal dem Briefträger aufgelauert und ihm einen Brief des Lehrers abgebettelt. Dieser - er hätte von den Eltern gelesen und unterschrieben werden sollen - hat sie selber mit meiner Unterschrift versehen!
Als sie es erzählte, musste ich lachen. Hätte sie es vor 20 Jahren erzählt, wohl nicht...
Viele Eltern wissen nicht, was für teuflische Gedanken in ihren Kindern herrschen, denn man sieht nur an sie, nicht in sie.

Schorsch


Nuxel antwortete am 06.05.02 (10:20):

Hallo,Schorsch

ich habe nicht behauptet,"die Eltern"seien schuld!
Meine Worte waren eindeutig auf die Frage ausgerichtet,
ob in diesem Fall der Ursprung zu dieser grauenhaften Tat
durch endlose Verzweiflung und Einsamkeit ausgelöst wurde.

Da der junge Mensch nicht fähig war,sich seinen Eltern anzuvertrauen,stellte ich die Frage,ob da wirklich eine intakte Familie war.
Ich hatte 3 eigene und insgesamt 10 Pflegekinder.Alle habe ich je nach Veranlagungen erzogen,und eines war Grundregel:
wenn ihr mal irgendetwas angestellt habt,kommt zu mir und sagt es,egal,wie schlimm,ich helfe euch und steh zu euch.Ich kann euch möglicherweise irgeneine "Strafe" nicht erlassen,das ist aber sicher besser,als alleine vor einem Problem zu stehen.
Das war gut so:
meine eigene Tochter "stahl" mit 12 Jahren einen Lippenstift,als sie sah,wieviel Geld ihre vermeindliche Freundin für Kosmetika ausgeben konnte. -Deren Eltern sich mit viel zuviel Taschengeld vom Elternsein befreiten-Natürlich wurde meine Tochter erwischt!Die Polizei sollte gerufen werden--für einen Preis von damals DM 0,75
unter Tränen sagte sie immer wieder:bitte,rufen sie doch meine Mutter an,die kommt bestimmt
Mutter kam auch,machte sogar in der Aufregung ihren ersten kleinen Autounfall."Sprach" mit dem Geschäftsführer-natürlich ohne die Gegenwart der Tochter,wollte die Schuld bezahlen,das erübrigte sich nach dem "Gespräch".
Meine heulende,zitternde Tochter packte ich ins Auto und habe bei einer Tasse Kakao ganz ruhig mit ihr besprochen,was sie falsch und richtig gemacht hat.Der Schreck war Strafe genug.
Anderes Beispiel:
4 Kinder,Geschwister unter 10 Jahren als Pflegekinder bei mir.Eines Tages bat mich die Geschäftsinhaberin zu einem Gespräch und sagte:mein Sohn würde jedesmal beim Einkauf Süßigkeiten entwenden.Erst da gab ich zu erkennen,daß ich die 4 aus dem Heim geholt hatte,niemand im Dorf wußte bis dahin,daß sie nicht meine eigenen waren.In diesem Fall hat es etwas länger gedauert,bis der Junge,10-jährig-nichts mehr irgendwo weggenommen hat.
Er hatte den frühen Tod der Mutter und den Heimaufenthalt nicht verarbeiten können und nur in meiner verständnisvollen Erziehung und ganz viel liebevoller Zuwendung fühlte er sich wieder geborgen und "brauchte" das nicht mehr.
Es würde zu weit führen,wenn ich noch mehr Beispiele anführte.
Tatsache ist,daß ich nicht einfach etwas unüberlegt sage.Ich habe einen reichen Erfahrungsschatz.
Da ich vor wenigen Jahren noch ehrenamtliche Bewährungshelferin am Landgericht..war,ist mir der kausale Zusammenhang zwischen Tat und möglicher Ursache noch bewußter geworden!
MFG
Nuxel