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THEMA:   "Präimplantationsdiagnostik (PID) - Segen oder Fluch

 6 Antwort(en).

Mechtild begann die Diskussion am 04.02.02 (16:52) mit folgendem Beitrag:

Um diese Frage beantworten zu können ist es erforderlich, die Frage: Was ist eine Behinderung allgemein gültig zu beantworten.
Es ist auch Frage damit eng verbunden: - Gibt es ein lebenswertes und ein lebensunwertes Leben?
Es geht nicht darum, was der Einzelne individuell als lebenswertes oder lebensunwertes Leben für sich bezeichnet, sondern was man ethisch darunter zu verstehen hat.
Wollen wir wirklich, dass der Staat wieder entscheidet, was lebenswertes Leben ist?
Ich hoffe, ich habe das Thema in Wolfgangs Sinn eingeführt.


Karl antwortete am 04.02.02 (17:40):

Ich bitte aber, dass wir bei dieser Diskussion den Unterschied zwischen dem Behinderten und der Behinderung beachten. Ich kann alles dafür tun, dass Menschen weniger unter Behinderungen zu leiden haben, aber trotzdem sehr liebevoll mit Behinderten umgehen.

Was wir für die Diskussion auch brauchen, ist eine Definition der PID:

Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen legale in vitro Fertilizationen praktiziert werden - und zwar zigtausendfach. Bei dieser Technik fallen immer mehrere befruchte Eizellen an, die im Reagenzglas ihre ersten Teilungszyklen durchlaufen. Nur einer dieser Embryonen wird der Frau eingepflanzt, die anderen werden eingefroren.

Die Verweigerer der PID verlangen nun vom Arzt, dass er der Frau auch im Falle eines bekannten hohen Familienrisikos für eine Erbkrankheit einen beliebigen Embryo einpflanzt, welcher manchmal mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit viel später wieder (legal) abgetrieben wird, obwohl er (der Arzt) durch eine Präimplantationsdiagnostik vermeiden könnte, gerade den gesunden Embryo einzufrieren.

Die Argumentation der Verweigerer der PID beruht im Wesentlichen auf der Ablehnung jeglicher menschlicher Selektion, da dies als "Gott spielen" angesehen wird.

M.E. besteht jedoch bereits seit der medizinischen Indikation, die es der Frau auch in sehr späten Stadien der Schwangerschaft noch erlaubt, abzutreiben, die Möglichkeit zur Selektion. Die PID würde in einem sehr viel früheren Stadium die Erkennung eines Erbdefektes ermöglichen, der Frau die traumatischen Erfahrungen ersparen und vor allem, die Geburt eines sonst eingefrorenen, gesunden Kindes ermöglichen.

Ich bin der Meinung, dass wir unseren Verstand bekommen haben, um ihn zu gebrauchen.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Barbara antwortete am 04.02.02 (20:50):

Das ist wirklich ein sehr schwieriges Thema. Je mehr Informationen ich zu diesem Thema erhalte, desto unsicherer bin ich mir, was ethisch zu vertreten ist.

Im Moment möchte ich Karl zustimmen, denn die befruchteten Eizellen sind ja bereits vorhanden. Ich habe von Eltern gehört, die bereits mehrere Kinder in jungen Jahren aufgrund schrecklicher Erbkrankheiten verloren haben. Wenn die Wissenschaft nun von diesem Paar z.B. sechs befruchtete Eizellen hat, warum darf dann nicht zur Implantation eine "gesunde" herausgesucht werden.

Andererseits habe ich z.B. von Menschen mit Glasknochen gehört, dass sie gern leben und sich energisch dagegen wehren, evtl. "aussortiert" zu werden. Viele von uns haben die Fernsehspiele mit Bobby Brelow gesehen, der mit Down-Syndrom geboren wurde. Er macht einen sehr glücklichen Eindruck und kaum jemand würde ihm das Recht auf Leben absprechen.

Wie gesagt, ich bin hin und hergerissen. Trotzdem meine ich, da der Frau nicht alle sechs Eizellen eingepflanzt werden können, ist die Entscheidung für eine augenscheinlich "gesunde" Eizelle zu vertreten.

Gruß Barbara


Mechtild antwortete am 04.02.02 (20:53):

Lieber Karl,
genau diese Diskussion wollte ich nicht, klar ist es sinnvoll Eltern, die Angst um eine Erbkrankheit haben zu helfen ein gesundes Kind zu bekommen. Dass die meisten Menschen die Behinderten lieben, die sie kennen ist auch klar.
Ich halte es für notwendig eine Wertediskussion zu führen. Was ist gesund, was ist krank. Erst wenn diese Diskussion in unserer Gesellschaft offen und ehrlich geführt wird, kann ich sagen wo ich bereit bin die PID zu erlauben um Menschen zu helfen. Zur Zeit habe ich das Gefühl die Befürworter der PID wollen ein „Ja“ für Versuche, deren Grenzen sie selbst nicht kennen oder nicht offen benennen wollen. Erreichen wollen die Befürworter der PID dieses Ziel mit moralischem Druck. „Wenn Du nicht für die PID bist, willst Du verhindern, dass Menschen geholfen wird.“
Lass uns doch mal klar darüber reden was man mit der PID bewirken will und nicht nur über die Extrempositionen „Ja oder Nein“.


Karl antwortete am 04.02.02 (21:46):

Liebe Mechthild,


ich glaube wir sollten die PID zulassen für diejenigen Erbkranbkheiten für die eine Abtreibung aus medizinischen Gründen straffrei bleibt. Weitergehende Selektionsmassnahmen sind durch Gesetz auszuschließen.


Mechtild antwortete am 04.02.02 (23:03):

Ja Karl, da stimme ich Dir zu.
Aber die Gesellschaft muss trotzdem eine Wertdiskussion führen. Da werden wir nicht Drumherum kommen.
Ich will die Diskussion beginnen:
Ich bin der Überzeugung, dass es nicht möglich ist, alle Dinge, die Schmerzen bereiten wie Krankheit, Tod, Unfall oder Mord abzuschaffen.
Ich meine jedoch, dass wir daran arbeiten sollten, allen Menschen eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen. Wobei Lebensqualität an Werten gemessen werden sollte und nicht daran, was wissenschaftlich möglich ist.


Günter Paul antwortete am 08.02.02 (18:06):

Hallo, Mechtild,
ich befürchte, daß uns die Fragestellung „Was ist eine Behinderung? Was sind Behinderte?“ nicht weiterhelfen wird. Zum einen sind die meisten Behinderungen epigenetischer Natur, entstehen also durch Unfälle, Krankheiten und andere mißliche Umstände während des Lebens, sind nicht genetisch angelegt. Zum anderen treten auch viele genetisch bedingte Veränderungen erst im fortgeschrittenen Lebensalter und selbst dann nur mit einer oft geringen Wahrscheinlichkeit in Erscheinung. Die PID ist natürlich nur sinnvoll, wenn sie genetische Abweichungen nachweist, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Beeinträchtigung führen. für die meisten Behinderungen ist das weder derzeit mglich noch künftig zu erwarten.

Das Problem liegt nach meiner Meinung im Vorfeld der PID. Karl hat im Grunde genommen schon darauf aufmerksam gemacht. Bei der „in vitro“-Befruchtung werden mehrere Eizellen befruchtet, aber nur eine wird zur Weiterentwicklung im mütterlichen Körper zugelassen. Die übrigen werden als Reserve eingefroren und nach einer gewissen Zeit getötet. Wenn wir die Zygote (befruchtete Eizelle) bereits als „Menschen“ betrachten, heißt das mehrfache Vernichtung menschlichen Daseins, damit ein neuer Mensch heranwachsen kann. .... Ist das ethisch zu rechtfertigen? - Führen wir die künstliche Befruchtung aber nicht durch, so bleiben alle Eizellen unbefruchtet und gehen unter. .... Auch das potentielle menschliche Leben, daß die unbefruchteten Eizellen repräsentieren wird ausgeschlossen. .... Ist das moralischer? -

Wenn wir in Kauf nehmen, daß bei der künstlichen Befruchtung die Überzahl der befruchteten Eizellen vernichtet wird, ist die PID offenbar der einzige Weg, die geeignetste Zygote zum Embryo heranwachsen zu lassen, sofern sich die Zukunft des menschlichen Keimes überhaupt voraussagen läßt (s.o.).

Ich glaube, wir sitzen in einer gedanklichen Falle, aus der wir nur entkommen werden, wenn es uns gelingt, überzeugend aussagen zu können, ab wann der heranwachsende Embryo tatsächlich menschliche Qualität besitzt, d.h. wann sein „bewußtes Sein“ beginnt. Daß das nicht erst nach der Geburt der Fall ist, machen zahlreiche nerven- oder sinnesphysiologische, teilweise sogar „psychologische“ Untersuchungen während der vorgeburtlichen Entwicklung wahrscheinlich, .... aber niemand kann heute schon den Beginn des „bewußten Seins“ (Bewußtsein) angeben oder auch nur sagen, wie es überhaupt zustande kommt.

In die Falle gegangen ist die menschliche Gesellschaft durch privates „Machertum“ und Bereicherungsstreben, die immer wieder dazu führen, daß wissenschaftliche Erkenntnisse schnellstmöglich gewinnträchtig „verwertet“ werden – ohne vorherige Klärung der Folgen und möglichen negativen Auswirkungen. Das droht uns bei der Gentechnik insgesamt ebenso wie bei der Erforschung des menschlichen Genoms. Die „Patentierung“ einzelner menschlicher Gene (also von Bestandteilen eines lebenden Menschen) ist dafür wohl ein erschreckendes Beispiel. Die moderne Wissenschaft und die technische Umsetzung ihrer Ergebnisse erweisen sich für die private Nutzung als ungeeignet und gefährlich.

Grüße von Günter Paul