Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"
THEMA: Die Gewerkschaften sollten in Krisenzeiten von den Lohnabhängigen besser unterstützt werde
12 Antwort(en).
Graugans
begann die Diskussion am 01.10.04 (16:10) :
Hallo Forumsfreunde,
die vielen Überkapazitäten der großen Handelsketten werden abgebaut, Arbeitsplätze stehen zur Disposition an usw., usw.. Leider verlassen in solchen Zeiten immer mehr Mitglieder die Arbeitnehmervertretungen. Die Arbeitgeber haben ein immer leichteres Spiel, außschließlich ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die wenigsten Arbeitnehmer sind in der Lage mit einem Arbeitgeber eine Lohnerhöhung auszuhandeln. Die Menge der lohnabhängigen Trittbrettfahrer steigt, aber nicht mehr lange. Die CDU -Politik will den Urlaub und die Kündigungszeiten drastisch reduzieren. All das, wofür viele Jahrzehnte unsere Vorfahren gekämpft haben, wird von den CDU-Politikern über den Haufen ge- schmissen, weil die Arbeitnehmer die Gewerkschaften nicht mehr unterstützen!
Viele Grüße Graugans
|
Mechtild
antwortete am 01.10.04 (16:49):
Wir brauchen eine starke Arbeitnehmerorganisation gerade jetzt. Aber viele treten aus der Gewerkschaft aus, um auch noch die paar Mark/Euro zu sparen. Die Gewerkschaften kämpfen immer noch nur für die, die Arbeit haben. für die Arbeitslosen haben sie nie was getan und tun sie auch jetzt nichts. Hartz IV wurde auch von den Gewerkschaften unterzeichnet. Die Gewerkschaften müssen sich um mehr Arbeit kümmern und nicht nur darum, dass die die Arbeit haben keine Einbussen haben. Das trifft nur die alten ArbeitnehmerInnen. Die jungen sind entweder arbeitslos oder haben andere Verträge, meist über Zeitarbeitsfirmen. Da gibt es keine Gewerkschaften und deren Arbeitsbedingungen richten sich nicht nach Tarifverträgen. Die Strukturen der Gewerkschaften sollte man nutzen, aber die Inhalte müssen sich ändern. Der Satz nur gemeinsam sind wir stark bleibt richtig. Wir ArbeiterInnen/Angestellte, Ich-AGs-BesitzerInnen und Arbeitslose sind viele
|
trux
antwortete am 01.10.04 (19:01):
Eine theoretische Betrachtung: Wenn es keine Arbeitgeber mehr gibt, erledigt sich so manches.
|
rolf
antwortete am 01.10.04 (21:44):
Wenn es keine Käufer mehr gibt, erledigt sich auch die Produktion in Billiglohnländern.
|
ueberhaupt
antwortete am 03.10.04 (07:41):
Ein Grund dafür, daß Gerwerkschaftsmitglieder austreten, ist sicher, daß sie das Geld selber brauchen. Ich stelle aber auch mal andere Gründe zur Diskussion: Jahrzehntelang haben die Gewerkschaften aus vermeintlich stärkerer Position heraus mit den Arbeitgebern um Lohn und Arbeitszeitverkürzungen verhandelt, statt frühzeitig an Arbeitsplatzerhalt zu denken. Selbst in letzter Zeit haben sie ein schlechtes Besipiel dafür abgegeben: Bei der Post wurde eine für heutige Zeiten wahnsinnige Lohnerhöhung rausgeholt (3,5 % ?). Mir war am selben Tag klar, daß die Führungsetage der Post gleichzeitig ausgerechnet hat, wieviele Leute entlassen werden, um das wieder aufzufangen. Durch den Abschluß hatten sie aber für den Moment die Gewerkschften vom Hals. Und? Welche Entlassungszahl hat die Post vor Kurzem bekanntgegeben? ++ Und damit komme ich zum anderen vermuteten Grund für die Austritte: Enttäuschung darüber, daß die Gewerkschaften keinen Einfluß (mehr) nehmen (können)auf diese irrsinnigen Massenentlassungen. Es sei einmal dahingestellt, ob Gewerkschaften je die Chance gehabt hätten, Gegenkurs zu den wahnsinnig gewordenen Aktionären zu halten. Nur: Mindestvoraussetzung dafür wäre halt eine starke Mitgliedschaft gewesen. Der Mitgliederschwund (Verdi wohl alleine 80.000) ermuntert die Manager geradezu zu Entlassungen. Die lachen sich hinter den Türen tot darüber. Und da schließt sich der Teufelskreis. Übrigens: Der Rückgang der "Montagsdemos" ist dem vergleichbar. Politiker behaupten doch allen Ernstes, aus dem Rückgang schließen zu können, daß das Volk zunehmend mit Hartz IV einverstanden ist. Ich halte das ganz einfach für Resignation der Bevölkerung. Nur: Dieses Wort kennen unsere Gewählten aber nicht.
|
schorschie2
antwortete am 03.10.04 (23:19):
In einer Zeit wo immer mehr Arbeitnehmerrechte beschnitten werden und wo mit dem Märchen der Lohnkürzung Firmen angeblich gerettet werden sollen,wird die einzige Schutzmacht des Arbeitnehmers,die Gewerkschaften durch Austritte geschwächt.Glauben diese Arbeitnehmer,dass ihre sämtlichen Rechte ihnen von den Arbeitgebern einst geschenkt worden sind,nein sie wurden durch Gewerkschaften erstritten.Ich kann nur sagen,alle dummen Kälber,wählen ihre Metzger selber.
|
Ziesemann
antwortete am 04.10.04 (17:24):
Bei aller Anerkennung, die den Gewerkschaften für Einzelverbesserungen gebührt, bleibt das volkswirtschaftliche Gesetz unberührt, dass Löhne langfristig nicht höher sein können, als der Pro-Kopf-Produktivität entspricht. Es klingt schrecklich banal, aber es ist so: Der Lohn ist ein Preis für die Ware Arbeit, liegt dieser über der Nachfrage, bleibt der Anbieter der Arbeitsleistung auf seinem Angebot sitzen (=Arbeitslosigkeit) - wie der dümmste Bananenhändler an der Ecke, der zuviel für seine Früchte verlangt, sodass diese ihm verfaulen. Nur so dumm ist kein Bananenhändler, er senkt den Preis. Was sich die Gewerkschaften in den neuen Bundesländern mit ihrer "Aufholjagd" der Löhne erlaubt haben, als sie diese um 40% über die Produktivität hochpeitschten, kam praktisch einer Arbeitsplatzvernichtung und einem Arbeitsverbot für Hunderttausende gleich. Auch ein rigider Kündigungsschutz erhöht das Risiko für Neubeschäftigung, lässt Unternehmer zögern mit Neueinstellungen. Wenn es so einfach wäre, Menschen in Arbeit bei gutem Lohn zu bringen, warum gibt der Staat dann den Beschäftigten nicht einen Kündigungsschutz wie bei Beamten und setzt einen Mindestlohn zum doppelten des Sozialhilfesatzes fest?! Nein, in der derzeitigen Lage sind IGM und ver.di - das mag polemisch klingen, ist aber längst weit über die Wissenschaft hinaus Gemeingut auch in der Politik geworden bis hin zur SPD geführten Regierung - gigantische Maschinerien zur Verhinderung von Mehrbeschäftigung. Sie tun dies aus purem Verbandsinteresse, sie führen bzw. lassen ihn führen: Einen Klassenkampf der Arbeitsplatzbesitzer gegen die Arbeitslosen.
|
schorschie2
antwortete am 04.10.04 (17:36):
Ziesemann,Du solltest die anderen Parteien gleich mit einbeziehen,denn auch sie haben mit Sicherheit nicht das Konzept,was diesen Staat auf die Beine hilft.Sie sind sich nur in einem einig,wenn es darum geht, dem Lobbyismus zu noch mehr Macht zu verhelfen.Sie haben sich alle den Staat zur Beute gemacht,nur den Arbeitnehmern,Kranken und Rentnern werden letzlich Opfer abverlangt.Geradezu lächerlich, so eine Politik als Reform zu verkaufen.Ich nenne dies Volksverdummung.
|
mart
antwortete am 04.10.04 (22:13):
<<Bei aller Anerkennung, die den Gewerkschaften für Einzelverbesserungen gebührt, bleibt das volkswirtschaftliche Gesetz unberührt, dass Löhne langfristig nicht höher sein können, als der Pro-Kopf-Produktivität entspricht.<< (Ziesemann)
und das istīs einfach!
Solange die Arbeitslosen in diese Pro-Kopf-Produktiviät nicht eingerechnet werden, wird das Ergebnis unsozial und für den Wirtschaftsstandort ruinös sein.
"Und die Lohnstückkosten seien günstig, weil jahrelang die Löhne nur mäßig gestiegen, die Produktivitätszuwächse aber hoch gewesen wären.
"Freilich wäre da nun zu fragen, warum die Produktivität so stark gestiegen ist?
"Sie ist unter anderem so stark gestiegen, weil laufend Betriebe und Unternehmungen, die mit der ständig schärfer werdenden Konkurrenz nicht mehr mithalten können, abwandern, aufgeben und zusperren; weil Betriebe und Unternehmungen Arbeitskräfte, die das nicht mehr verdienen, was sie kosten, laufend in die Arbeitslosigkeit entlassen oder schon entlassen haben; weil die sozialen Netze mit ihren vergleichsweise hohen Lohnersätzen Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt - z. B. in die Frühpension - weglocken und/ oder davon abhalten, sich eine weniger gut bezahlte Arbeit zu suchen, als ihre frühere es war.
"Mit anderen Worten: Die Produktivitäts-Messzahl Lohnstückkosten spiegelt beileibe nicht alle Faktoren, die in der Lohnpolitik zu berücksichtigen wären. .. .Produktivität ist Wertschöpfung dividiert durch Arbeitszeit.
Durch welche Arbeitszeit? Nur durch jene, welche von den aktiven Arbeitnehmern geleistet wird? .."
Internet-Tipp: https://makeashorterlink.com/?P2F215F69
|
Ziesemann
antwortete am 05.10.04 (20:10):
Die Antwort von Mart zeugt von profunder Kenntnis und/oder guter Abschöpfung des Internets. Völlig richtig! Zieht man die Arbeitslosen in die Berechnung ein, ist die Produktivität noch niedriger, denn sie steigt natürlich, je mehr entlassen werden. Ich habe nur meine Zweifel, ob dieser Komplex hier zuende diskutiert werden kann. Ziesemann
|
Ziesemann
antwortete am 06.10.04 (10:59):
@ mart ich glaube, ihm noch eine etwas fundiertere Antwort schuldig zu sein. Die (gesamt-)volkswirtschaftliche Produktivität kann in der Tat kein alleiniger Indikator für die "richtige" Lohnhöhe sein. Im Modell der Theorie herrscht Vollbeschäftigung, wenn der Lohn des "Grenzarbeiters" nicht höher ist als die Grenzproduktivität, also die niedrigste - völlige Mobilität vorausgesetzt. Betriebsschließungen z.B. durch Konkurs und Entlassungen erhöhen die durchschnittliche Produktivität, weil die Grenzunternehmer ausfallen und die am wenigsten produktiven Arbeitnehmer entlassen werden - bei uns wegen des Kündigungsschutzes gilt das nur sehr bedingt, da werden auch besonders produktive Arbeitnehmer vor anderen auf die Straße gesetzt. Hohe Löhne und hohe Produktivität können so einhergehen mit hoher Arbeitslosigkeit. Darin liegt mein Vorwurf gegen IGM: Sie bedienen ihre Klientel der Beschäftigten zu Lasten der Nichtbeschäftigten. Ich bin mir nicht sicher, ob man diese Theoreme hier diskutieren kann. Wichtig wäre nur eine Erkenntnis: Keine, und sei sie noch so mächtig, Gewerkschaft, kein Staat kann Lohnerhöhungen oder Lohnerhalt durchsetzen gegen die Kräfte des Marktes bestehend aus Angebot und Nachfrage. Ich wünsche viel Spaß, wenn erst mal Millionen türkischer Arbeitnehmer ganz legal auf den europäischen Markt drängen, ein Überangebot an Arbeitskräften bei u.U. sogar schrumpfender Arbeits-Nachfrage.
|
Ziesemann
antwortete am 12.10.04 (19:38):
@mart Mit Dir zu diskutieren, ist ehrenwert und bringt Gewinn. Nur, es gibt keinen Widerspruch von meiner Seite, denn Du hast vollkommen recht. Beide scheinen wir den H.-W- Sinn "Ist Deutschland noch zu retten?" nicht nur gelesen sondern auch verstanden zu haben. Ich erhebe denselben Vorwurf gegen die IGM und Ver-di wie Du. Aus Verbandsinteressse für Ihre (beschäftigten!) Mitglieder treiben Sie eine Politik der Arbeitsplatzvernichtung. Wer am Flächentarifvertrag festhält, wer den erstarrstesten Arbeitsmarkt der Welt verteidigt, ist faktisch ein Gegner für Mehrbeschäftigung.
|
mart
antwortete am 13.10.04 (19:43):
Da sind wir offensichtlich einer Meinung und damit recht einsam. aber: Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle unrecht haben. (Bertrand Russell)
Bei einem von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegten "Internationalen Standort-Ranking" der Industrienationen hat die Bundesrepublik den letzten Platz unter den 21 untersuchten Ländern. https://www.ftd.de/pw/in/1097302810685.html?nv=hpm
Lt.Weltwirtschaftsforum bemängeln Manager vor allem das restriktive Arbeitsrecht, unflexible Lohnfindungsprozesse sowie starre Einstellungs- und Kündigungsregelungen, die Steuergesetze und die Höhe der Steuern. Als negativ bewerten sie auch die ineffiziente Nutzung öffentlicher Mittel sowie das Haushaltsdefizit. "Dies alles sind Bereiche, in denen weiter handfeste Reformen dringend notwendig sind", sagte WEF-Chefökonom Augusto Lopez-Claros. https://finanzen.sueddeutsche.de/nws.php?nws_id=1000351311&cmp_id=&ntp_id=362,383,385
Nun, zum Nachdenken und zur Diskussion sollten diese Analysen, (auch wenn sie bestimmte Interessen vertreten) schon führen.
Aber ich habe sie in fast keinem Medien behandelt gesehen.
|
|