jo
begann die Diskussion am 25.09.04 (18:03) :
„Die SPD-Bundestagsfraktion will den Ländern bei der Regelung des Ladenschlusses vorerst keine freie Hand geben. Der stellvertretende Fraktionschef Stiegler sagte, es dürfe kein Ermächtigungsgesetz für die Länder geben.“
Als ich das vorhin las, dachte ich, da weiß einer unserer an verantwortlich stehender Stelle agierenden Politiker offenbar nicht, wovon er redet. Eine solche Bezeichnung für ein doch marginales Problem der Tagespolitik zu verwenden, zeugt für mich von jeglichem Mangel an Geschichtsbewußtsein und –kenntnis.
Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 hieß genau „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ und bildete nach der „Machtübernahme“ die Basis für die endgültige Etablierung und Festigung der Hitlerdiktatur.
Die doch recht simple und auf mich nun bald chaplinesk wirkende Frage der Ladenöffnungszeiten mit einem solchen unerhörten geschichtlichen Vorgang verbal in Verbindung zu bringen, sehe ich als eine nicht hinnehmbare demagogische Attacke eines ahnungslosen Provinzpolitikers, der sich nach Berlin verirrt hat.
Internet-Tipp: https://www.documentarchiv.de/ns/ermaecht.html
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jo
antwortete am 25.09.04 (18:06):
Unten noch die Quelle - die Information stammt vom 25. 09.2004, 11.31 Uhr.
Internet-Tipp: https://www.dradio.de/aktuell/306693/
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rolf
antwortete am 25.09.04 (19:13):
Wann wird das Wort Heil verboten? Es ist doch übertrieben, jeden Begriff, nur weile er auch im dritten Reich gebraucht wurde, zu vermeiden. Die Länder sollen mit dem Gesetz ermächtigt werden, die Ladenschlußzeiten selbst zu regeln, der Bund gibt einen Teil seiner Macht ab, ermächtigt die Länder in einem Teilbereich von der Bundesgesetzgebung abzuweichen. Wo ist da die Verbindung zum Dritten Reich? Viel mehr stört mich in diesem Zusammenhang das Geschrei der Gewerkschaften, die doch sonst immer Angst vor Eingriffen in die Tarifautonomie haben, zuletzt beim angedachten Mindestlohn..
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trux
antwortete am 25.09.04 (21:26):
Ich bin auf Deiner Seite Jo! Wie kann man nur eine solche Flüchtigkeit begehen? Ermächtigungsgesetz steht für die Aushebelung der Weimarer Verfassung. Jeder Deutsche sollte wissen was es damit auf sich hat und die meisten werden es auch wirklich wissen.
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York65
antwortete am 25.09.04 (21:28):
Ich sehe da auch keinen Zusammenhang zwischen früher,wo das Wort benutzt worden ist und heute,wenn einer das wieder mal benutzt.Das ist doch alles schon Geschichte.(Haarspalterei) Schlimmer ist ,wenn sich ein EU-Potitiker(Verheugen) sich ermächtigt fühlt über das Wohl von Europas Zukuft alleine entscheiden zu können.(Türkei-Beitritt zur EU)
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Wolfgang
antwortete am 25.09.04 (21:40):
Es ist nicht so bekannt, dass es nicht nur DAS Ermaechtigungsgesetz (das beruehmt-beruechtigte 'Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich' vom 23.03.1933) gibt, sondern viele Ermaechtigungsgesetze (auch im Falle der Ladenschlusszeiten, vgl. Link).
Der Begriff 'Ermaechtigungsgesetz' ist also auch ein gaengiger rechtstechnischer Begriff.
Internet-Tipp: https://www.oefre.unibe.ch/law/dfr/bv001283.html
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Wolfgang
antwortete am 25.09.04 (21:47):
Hallo, York... Der Herr VERHEUGEN entscheidet nicht alleine. Allerdings wurde er als zustaendiger EU-Kommissar ermaechtigt, federfuehrend sich mit der Sache zu befassen.
Ob es zu Beitrittsverhandlungen kommt, entscheidet er aber auch nicht. Das entscheiden die Laenderchefs im Oktober, sozusagen die Chefs der EU-Kommissare. An die berichtet Herr VERHEUGEN.
Nach meinen Informationen herrscht mittlerweile Konsens, mit den Beitrittsverhandlungen zu beginnen.
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rolf
antwortete am 26.09.04 (00:04):
ß 71 GG: Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden.
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Wolfgang
antwortete am 26.09.04 (00:08):
Genau... Und deshalb ist es im Zusammenhang mit den Ladenschlusszeiten voellig korrekt, von einem Ermaechtigungsgesetz zu sprechen, das gerade vorbereitet wird. Rechstechnisches business as usual ist das, mehr nicht.
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Tobias
antwortete am 26.09.04 (09:22):
Mir gefällt das Wort im Zusammenhang mit Ladenschlussgesetz auch nicht aber wir haben viel schlimmeres aus dieser Zeit übernommen und da kräht kein Hahn danach.
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trux
antwortete am 26.09.04 (10:59):
Dann war es also Eurer Meinung nach, vom stellvertretenden Fraktionschef der SPD Stiegler, keine flüchtige Bemerkung, sondern eine mit Bedacht gemachte Äußerung.
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Wolfgang
antwortete am 26.09.04 (11:57):
Der Herr STIEGLER ist Jurist... Er weiss, dass der Bund eine Oeffnungsklausel in das bestehende Ladenschlussgesetz einbauen muesste, das die Laender ermaechtigen wuerde, selbst zu entscheiden.
Fachsprachlich heisst solch ein Gesetz ueblicherweise Ermaechtigungsgesetz.
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ricardo
antwortete am 26.09.04 (14:47):
Es ist ziemlich geschmacklos, dieses Wort für den simplen Ladenschluß zu mißbrauchen. Beim Nachschlagen im Netz gibt es kein anderes Gesetz als das von 1933, das so genannt wird.
unten ein Link von dem beliebten Wikipedia
Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Ermächtigungsgesetz
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Felix
antwortete am 26.09.04 (18:40):
Ich finde es gut, wenn auf belastete Begriffe sensibel reagiert wird ... aber man kann alles auch übertreiben!
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trux
antwortete am 26.09.04 (19:39):
Beim Lesen der Beiträge stelle ich mir eine Prüfung im Fach Staats- und Verwaltungskunde vor, in der ein Prüfling nach dem Ermächtigungsgesetz gefragt wird und der dann antwortet: „Meinen Sie vielleicht das Ladenschlussgesetz?“
Also liebe Leute, wenn der Begriff "Ermächtigungsgesetz" in den Köpfen aller Deutschen nicht mehr fundamental ist, was denn noch? Es ist Bestandteil Deutscher Geschichte, der Verfassungskunde und der Deutschen Nation geworden. Jedenfalls das wird doch wohl keiner hier in Abrede stellen wollen.
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werner
antwortete am 26.09.04 (20:26):
Eigentlich freue ich mich über die Meinung beider Seiten. Einesteils ist es gut, dass auch heute noch Menschen über Unwörter aus der Zeit des Faschismus sensibel reagieren. Andererseits ist es an der Zeit die Vergewaltigung der deutschen Sprache durch die Nazis aufzuarbeiten. Ich glaube dazu wurde hier ein Beitrag geleistet. Wir können nicht ewig Wörter wie Ermächtigungsgesetz, Rampe, Selektion, Führer, im Besitz dieser Verbrecher lassen sondern müssen sie wieder in die deutsche Sprache in ihrer ursprünglichen Bedeutung eingliedern solange wir nicht vergessen für welchen Zweck sie einmal missbraucht wurden.
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jo
antwortete am 26.09.04 (20:40):
Gab es für "Ermächtigungsgesetz" - und andere - eine ursprüngliche Bedeutung? Da müsste man in die Vor-Nazi-Zeit zurückblenden können. Ich denke, daß in jener unseligen Zeit einige Neuschöpfungen erfolgten, die man getrost vergessen kann und sollte - das hier und aktuell häufig verwendete Wort "Kriegstreiber", das mir noch aus 1939 im Ohr klingt, zähle ich dazu.
Sogar in den Zeiten der Bundesrepublik gabe es solche Neuschöpfungen - oder erinnert Ihr Euch nicht mehr an die "Schreibtischtäter" der 60er Jahre?
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Wolfgang
antwortete am 26.09.04 (21:27):
Die ursprunegliche und immer noch gueltige rechtliche Bedeutung: Ein Ermaechtigungsgesetz oder eine Ermaechtigungsverordnung ist ein Gesetz bzw. eine Verordnung, die andere ermaechtigt, etwas in eigener Regie zu entscheiden.
Gaengige Begriffe sind das. Wer einmal ein Oeffentliches-Recht-Seminar mitgemacht hat, wird das bestaetigen.
Es gibt eine Fuelle solcher Gesetze bzw. Verordnungen... Kein Mensch, der klar bei Verstand ist, wird im Zusammenhang mit den Ladenschlusszeiten an DAS Ermaechtigungsgesetz denken (ich meine das beruehmt-beruechtigte 'Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich' vom 23.03.1933).
In Deutschland, so kommt es mir vor, sind vor allem alte Menschen manchmal ziemlich hysterisch oder tun zumindest so. Viele sind es aber nicht. Diese Hysterie ist natuerlich auch nicht von Dauer. Mittlerweile sind Nicht-Naziland-Generationen herangewachsen. Man frage einmal in einer Schulklasse Jugendliche, was sie vom 'Ermaechtigungsgesetz' wissen. ;-)
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werner
antwortete am 26.09.04 (21:39):
Na Wolfgang - das war aber eine heimtückische Argumentation, Jugendliche zu fragen und das nach den Ergebnissen der Pisa Studie. Da scheiterst Du schon bei der Frage: Wer war Adenauer? (Na ja so schlimm ist es vielleicht auch nicht) Kannst Du Dich eigentlich nie an eine zivilisierte Umgangsform gewöhnen? 'Kein Mensch der klar bei Verstand ist....' Warum fällt es Dir so schwer eine gegensätzliche Meinung zum Ausdruck zu bringen ohne den Gegenpart zu entwürdigen? Ich habe die Zeit des Faschismus nicht selbst erlebt aber mir wurde so viel Erziehung zuteil, dass ich die Gefühle derjenigen respektiere welche andere Lebenserfahrungen haben und für die war der Missbrauch der deutschen Sprache eine einschneidende Lebenserfahrung. Soll ich denn wieder auf der gleichen niedrigen Ebene antworten? Kein Mensch der klar bei Verstand ist, weiss das nicht zu respektieren!? Ich dachte wir sollten mit diesen arroganten Herabsetzungen endlich Schluss machen.
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mart
antwortete am 26.09.04 (21:49):
<<...die kids wussten sich zu wehren: sie zeigten ihnen den stinkefinger. meinen sohn habe ich nachher dafuer gelobt und ihm ein mcdonalds-event spendiert. *freu* + *wuerg*<<<
Kein Mensch, der klar bei Verstand ist, wird hier nicht zu zweifeln beginnen:-)
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Wolfgang
antwortete am 26.09.04 (21:56):
Was vergessen wird und warum es vergessen wird, ist z. B. nachzulesen in einem Bericht ueber eine Untersuchung des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS (s. Link).
So ist das. Alles Schimpfen nuetzt nichts. Alte Generationen verschwinden. Neue Generationen wachsen nach. Was wichtig war, wird zunehmend unwichtig. Bedeutungen verlieren ihre Bedeutung. Alles fliesst. Gott sei Dank ! ;-)
Internet-Tipp: https://oesterreich.orf.at/oesterreich.orf?read=detail&channel=4&id=338847
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ricardo
antwortete am 26.09.04 (22:05):
Na alter Wolfgang biste froh daß andere nachwachsen?
Bist du dann ermächtigt, eine neue Bedeutung für "Ermächtigungsgesetz" zu finden? Lassen wir das Getüm besser in der historischen Schublade, wo es auch hingehört.
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