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THEMA: Nochmals: Beslan und "Tierisches"
4 Antwort(en).
iustitia
begann die Diskussion am 10.09.04 (10:38) :
Unschuldige Kinder - Kolumne von Katharina Rutschky (Pädagogin in Berlin)
Das sind keine Menschen, das sind Tiere!", soll eine Augenzeugin und betroffene Mutter das Verhalten der Geiselnehmer in Ossetien gewertet haben. Es ist ein beliebte Erklärung, Täter schlimmster Taten der Tierheit zuzuschlagen. Aber Tiere nehmen keine Geiseln, lassen sie nicht dursten und führen keinen Krieg. Was nicht heißt, dass die heute gern verhimmelte Natur moralischen Ansprüchen genügt. Man weiß inzwischen, dass hoch entwickelte weibliche Menschenaffen die Tötung ihrer Jungen durch einen neuen Chef hinnehmen, weil dem nämlich die Evolution die Übernahme der Stiefvaterrolle bisher nicht attraktiv gemacht hat. Viele der in beliebten Sendungen des Fernsehens behandelten Tiergattungen sind auch keine Vegetarier. Die gute Tigermutter braucht Frischfleisch und hat keine Hemmungen, das Junge einer guten Antilopenmutter zu schlagen, wenn sie es denn gegen den Widerstand der Herde erwischt. Noch gewöhnlicher als der Rückzug auf die Tierheit der Täter ist die Klage über den Zivilisationsbruch, weil die Geiselnehmer in der Schule von Beslan unschuldige Kinder gewählt haben. Angeblich soll Präsident Putin wegen der unschuldigen Kinder erwogen haben, in Verhandlungen mit den Terroristen zu treten. Nun, nach dem mörderischen Desaster, lehnt er - das Denkmuster bleibt dasselbe - Gespräche mit Kindermördern ab. 42 000 tschetschenische Kinder seien im Krieg bisher gestorben, auch seine eigenen, hat andererseits ein Geiselnehmer der Mutter in der Turnhalle geantwortet, die wegen der unschuldigen Kinder an ihn appellierte. Was mich fragen lässt, ob der scheinbar doch so evidente, tatsächlich aber irrige Rückzug auf die Unschuld der Kinder irgendwie weiterführt, je weitergeführt hat. In Beslan jedenfalls setzten die Terroristen das Dogma der unschuldigen Kinder voraus und verletzten es zielstrebig in einer blasphemischen Aktion. Jede Mutter, jeder Vater weiß, dass Kinder Menschen sind wie du und ich, nicht besser und schlechter, auch wenn sie besonderer fürsorge und besonderen Schutzes bedürfen. Aber solcher Empathie bedürfen auch Behinderte, Flüchtlinge, überall immer noch Frauen und Entrechtete überall auf der Welt. Wer eigentlich nicht irgendwann einmal? Aber vor allem müssen die, die jetzt von Entzivilisierung reden, sich die Frage stellen: Waren die Toten der terroristischen Anschläge, die vor drei Jahren in den USA starben, schon darum richtigere Opfer, weil sie als normale Berufstätige, als Reisende und eben Erwachsene keinen Anspruch auf Unschuld mehr erheben konnten? Von der naiven Idee, dass die Sorge um die Kinder eine Menschheit wenigstens moralisch einen könnte, die sich sonst im Krieg befindet, müssen wir uns angesichts des neuen Terrorismus endgültig befreien. Dass Kinder, Frauen, Alte und allgemein hilflose Zivilisten immer die ganz überwiegende Mehrzahl der Opfer in den großen und kleinen Konflikten der Weltgeschichte gestellt haben, sollte sich inzwischen doch herumgesprochen und die Illusion vom anständigen Krieg, den das Patriarchat unter Männern führt, desavouiert haben. Trotzdem werden keinem die Bilder von den halb nackten Schulkindern, die in Beslan wenigstens überlebten, so schnell aus dem Kopf gehen. Habe ich nicht selbst vor wenigen Wochen eine anrührende Feier von Kindern und Eltern zum Schulanfang miterlebt? (...) (WELT am 10.10.04)
Internet-Tipp: https://www.welt.de/data/2004/09/10/330435.html
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schorsch
antwortete am 10.09.04 (10:59):
Der grosse Unterschied zwischen Menschen und Raubtieren ist, dass erstere wählen können zwischen Fleisch- und Pflanzennahrung. Sie könn(t)en aber auch wählen zwischen Krieg und Frieden.....
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julchen
antwortete am 11.09.04 (05:01):
Augenzeugenberichte von Beslan sagen, dass den Geiseln anfangs gesagt wurde: gehorchen oder sterben..... Im ersten Schreck starben viele......
Augenzeugen haben berichtet, dass ein Mann in den Kopf geschossen wurde, nur weil er versucht naeher zu seiner Frau und Kind zu sein.
Ein weiterer Mann versuchte zu fluechten...er wurde erschossen und sein blutender Koerper in die Turnhalle zurueckgezerrt, damit alle das Blut sehen konnten.
Jede unerlaubte Bewegung wurde bestraft mit dem Tod...und dem Tod von weiteren 20 personen die daneben sassen. Maenner , FRauen, Kinder......es machte keinen Unterschied....
Augenzeugen berichteten, dass eine art Superbombe gebaut wurde, mit der Drohung dass diese detoniert wuerde.....der psychologische Terror muss unertraeglich gewesen sein.
Irgendein Tier mit diesen "Menschen" zu vergleichen ist eine Beleidigung fuer die Tiere!!!
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iustitia
antwortete am 11.09.04 (17:24):
Ja, die Beispiele sind Steigerungen dessen, was in Europa auch im Dreißigjährigen Krieg passierte - als religiöser Machtkampf und Einsatz der damaligen Spitzen-Technik. Und die SS hat im Holocaust solche Einsatzbefehle hiner der Front betrieben. * Tiere kann man nicht "beleidigen". M. M. n. kann man an solcher Extrembestialität e i n e s Anführers und einiger Gefolgsleute nur die völlige Verwahrlosung von kriminellen Männern erkennen. In militärisch "geordneter Form" (auf Befehl und mit Spaß und mit Gewinnsucht und ohne Eigenverantwortung) haben wir das "Böse" auch an den Folterungen der US-Armee bzw. Geheimdienstes gesehen.
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benin
antwortete am 15.09.04 (22:18):
Der Anführer der Terroristen soll den (meist christlichen) Geiseln befohlen haben: "Betet zu Gott, zu Allah, dem einzigen wahren Gott!" Beten zu einem Gott von Mördern? Der Kinder- und Frauenmörder mit den höchsten Ehren und mit Jungfrauen belohnt? Ich weiss von einem andern Allah.
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