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Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"

THEMA:   Frankreich + Folter + Algerien

 10 Antwort(en).

mart begann die Diskussion am 16.06.04 (10:05) :

Frankreich ließ im Algerienkrieg foltern.

Meinem Wissen nach wurden nie Anklagen erhoben.

Weiß jemand von euch näheres?


Wolfgang antwortete am 16.06.04 (11:24):

Es gibt (auch im WWW) eine Fuelle von Informationen ueber die Rolle und das Verhalten der fraenzoesischen Kolonisatoren in Algerien im Allgemeinen und ihrer Folter und ihrer Folterer im Besonderen.

Zwei Links der Seite 'Friedenspolitischer Ratschlag' - das ist eine Seite der deutschen Friedensbewegung - moechte ich als 'Einstieg' denjenigen empfehlen, die vielleicht noch nicht wissen, wie grausam Kolonisatoren vorgehen, um an die begehrten wirtschaftlichen Vorteile heranzukommen (an die heranzukommen natuerlich nur gegen den Widerstand der Kolonisierten moeglich ist):

Was Algeriens Terroristen und Folterknechte von Frankreich gelernt haben
Verbrechen der franzoesischen Armee waehrend des Algerienkriegs - Schwierige Erinnerungsarbeit
https://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Algerien/folter.html

Algerien: Ausgemachte Komplizenschaft
Offener Brief an die franzoesische Regierung
https://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Algerien/aufruf.html

Internet-Tipp: https://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/


Miriam antwortete am 16.06.04 (12:10):

MART, habe versucht manche konkrete Fakten in der französischen Presse zusammenzutragen. Nun, es kamen erstaunliche, für mich bis jetzt unbekannte Fakten, ans Licht. Da sie m.E. von allgemeinen Interesse sind, möchte ich sie hier wiedergeben. Dies wird aber als "Fortsetzung folgt" stattfinden.

1.Am 31 Oktober 2000 haben 12 französische Intellektuelle den französischen Staat aufgefordert, die Missbräuche wie Folterungen, Plünderungen, etc.. die während des Algerienkrieges begangen wurden, endlich anzuerkennen bzw. zu verurteilen. Die zwölf, zum Teil selber Opfer der Missbräuche, wiederholen jetzt diesen Aufruf (in Okt. 2000 wurde ihr Aufruf ignoriert seitens des Staates). Sie weisen nun darauf hin, dass Frankreich nur dann glaubwürdig seine Stimme in Bezug auf den Irak-Krieg erheben kann, wenn im eigenem Land vergleichbare Praktiken angeprangert werden. (Zu den zwölf Intellektuellen gehören: Germaine Tillion, Henri Alleg, Simone de Bollardiere, Pierre Vidal-Naquet..Über letzteren möchte ich später noch berichten)

Dieser wiederholte Appell zeigt eindeutig, dass eine allgemeine gerichtliche Verurteilung in Frankreich nicht stattgefunden hat. Aber über verblüffende Prozesse in Zusammenhang mit diesen Thema, erzähle ich etwas später.


Miriam antwortete am 16.06.04 (13:05):

2.Jean-Marie Le Pen, Algerienkrieg und Folter.

In 1988 wurden sowohl "Le Monde" als auch "Liberation" verurteilt, da beide in 1985 Artikel publizierten und Beweise brachten, dass Jean-Marie Le Pen PERSÖNLICH in Algerien während des Krieges gefoltert hatte. Die Behautungen wurden als Diffamierung bestraft.
In 1994 änderte sich die Rechtssprechung in Frankreich. "Le Monde" - veröffentliche weiterhin seine Recherchen in Bezug auf Algerienkrieg und Folter und erneut : konkrete Beweise über Le Pen in diesen Zusammenhang.(Eine Serie von Artikel wurden zwischen Mai und Juni 2002 publiziert). Le Pen verklagte die Zeitung wieder - seine Klage wurde 2004 entgültig abgewiesen, dabei wurde die Algerien-Spezialistin bei "Le Monde", Florence Beauge, von der Strafkammer als "besonders ernsthaft und tiefgründig" bezeichnet.

"Die Villa Susini" - von Henri Pouillot.
Henri Pouillot, seinerzeit einberufen im Algerienkrieg, klagt in seinem Buch (sein Thema : die Folterungen während des Algerienkrieges) hauptsächlich den General Maurice Schmitt an. Daraufhin hat der General Henri Pouillot verklagt. Am 14 Mai 2004, vertrat Schmitt vor einem Tribunal in Marseille seine These : die Notwendigkeit der Folter im Krieg. Der Prozess läuft noch, ich werde den Verlauf in der Presse verfolgen.
Übrigens : der Name des Generals Schmitt taucht oft in der französischen Presse auf, wenn über Folterungen im Algerienkrieg berichtet wird.




Wolfgang antwortete am 16.06.04 (13:11):

Ich erzaehle derweil etwas ueber die Hauptantriebskraft der Folter der folternden Kolonisatoren...

Kolonialismus ist ein Herrschaftssystem. Die herrschenden wirtschaftlichen, militaerischen und politischen Eliten europaeischer Laender beschlossen, ihre Herrschaft auszudehen auf aussereuropaeische Laender.

Zwecke war die wirtschaftliche Ausbeutung der dort reichlich vorhandenen Ressourcen.

Mittel zum Zweck war der Krieg - also Mord, Totschlag, Folter und Raub.

Der Kolonialismus ist eine recht junge Art, der Welt habhaft zu werden. Aber schon 1914 stand bereits ueber die Haelfte der Weltbevoelkerung unter direkter kolonialer Herrschaft.

(wird fortgesetzt)


Miriam antwortete am 16.06.04 (14:03):

WOLFGANG, das entwickelt sich ja zum regelrechten Wettstreit zwischen uns mit unseren Fortsetzungen. Aber nur bei oberflächlichem Betrachten. Jeder verfolgt ja seinen Faden, der hoffentlich nich zu fad wird.

3.Die Historikerin Claire Mauss-Copeaux entschlüsselt die verblüffenden Ähnichkeiten der Systeme in den physischen und mentalen Praktiken der Folterer - seinerzeit im Algerienkrieg und jetzt geschehen, im Irak. Trotz dem zeitlichen Unterschied von 50 Jahren, hällt die Autorin die gemeinsamen Merkmale fest: Immer ist der gefolterte nackt, der Folterer aber GUT gekleidet. Der Folterer schaut in beiden Fällen lächelnd in die Kamera und präsentiert das Opfer wie eine Jagdtrophäe. Der Folterer und derjenige , der das Geschehen mit der Kamera festhält, bilden eine Allianz. Dies verstärkt die Demütigung des Opfers.

Auch Pierre Vidal-Naquet (ich erwähnte seinen Namen schon im ersten Beitrag) nimmt den Machtmissbrauch unter die Lupe. Er weist unter anderem darauf hin--über den Irak und die Folter sprechend-- dass es die amerikanischen Medien in erster Linie waren, die mit der Aufklärung der Misshandlungen im Irak anfingen.

Was geschieht also in Frankreich bezüglich Irak, Folter, etc..? Die Medien versuchen erneut die dunkle Vergangenheit des Algerienkrieges zu thematisieren. Bleibt zu wünschen, dass sie diesmals Erfolg haben werden, manches (wie Abweisung der Klage von Le Pen) deutet in diese Richtung. Und andererseits, diese Richtigstellung : nicht von Aussen kam in erster Linie die Aufklärung über Folter im Irak.


Miriam antwortete am 16.06.04 (14:05):

Ich hab fertig !!!


Wolfgang antwortete am 16.06.04 (15:01):

(Fortsetzung)

Kolonialismus, ich sagte es, ist ein Herrschaftssystem... Die Herrschaft der Kolonisatoren dient dem Raub der Ressourcen und der Ausbeutung der Kolonisierten.

Kolonisatoren und Kolonisierte haengen auf eine verhaengnisvolle gewaltsame Art und Weise aneinander. Die Gewalt geht vom Kolonisator aus und erzeugt Gewalt beim Kolonisierten.

Der wirtschaftliche Profit ist das urspruengliche und bestimmende Motiv, weswegen weisse selbsternannte 'Herrenmenschen' das koloniale Privileg erfanden und auskosteten bzw. heute noch auskosten.

Aber der wirtschaftliche Profit erzeugt auch andere Motive und laesst den Kolonisator zum Rassisten, zur menschlichen Bestie, zum Moerder und Totschlaeger und Folterer werden. Der Status als Kolonisator erzeugt bei ihm einen schlimmen, seine Mit-Menschlichkeit zerstoerenden psychischen Prozess, der ihn in aller Regel zum Un-Menschen werden laesst:

" Der permanente Triumph des Kolonisators liegt nicht nur in der Oekonomie. Der kleine, der armselige Kolonisator hielt sich nichtsdestoweniger fuer etwas Hoeheres als der Kolonisierte, und in gewissem Sinne war er das auch wirklich [...]. Und das machte ebenso einen Teil des kolonialen Prinzips aus." (Quelle des Zitats... Der Kolonisator und der Kolonisierte. Zwei Portraets (von ALBERT MEMMI), Syndikat, Frankfurt am Main 1980

(wird fortgesetzt)


mart antwortete am 16.06.04 (15:15):

Also, da kann ich nur hoffen, daß Europa nie kolonnialisiert werden wird, - die USA würde ich aber noch am liebsten von allen, die das gerne möchten, akzeptieren.

:-)


Felix antwortete am 16.06.04 (16:29):

Dass die Franzosen systematisch Foltermethoden angewandt haben, war mir aus Indochina und Algerien längst bekannt. Durch einen Bekannten, der in der Fremdenlegion gedient hatte und einem höheren Offizier der französischen Armee, der in Algerien stationiert war, erfuhr ich zu meiner Verwunderung, wie grausam die Franzosen gegen Aufständische in ihren Kolonien vorzugehen pflegten. Eine beliebte Foltermethode, war das äusserst schmerzhafte Elektrisieren empfindlicher Körperteile. Dazu wurden im Felde auch Handgeneratoren verwendet.
Auch die politische Polizei, die in Frankreich gegen, demonstrierende Algerier eingesetzt wurde, verwendete SS-Methoden. Ich habe sie damals selber in Paris mit eigenen Augen beobachtet. Meine Kollegen in Frankreich sprachen auch von "unserer SS".
Mir sind in diesem Zusammenhang weder Prozesse noch Strafverfolgungen bekannt. Auch in den Medien wurde der Mantel des Schweigens über diese Untaten gelegt. Auch die heutigen Folterer wünschten sich das!
Traurig ... nicht wahr!


Wolfgang antwortete am 17.06.04 (09:09):

(Fortsetzung)

Einen Kolonialismus ohne Rassismus, ohne Mord und Totschlag und Folter und Raub gibt es nicht. Kolonialismus ist immer die Demuetigung der Kolonisierten durch die Kolonisatoren. Kolonialismus ist ein Herrschaftssystem.

Heute feiert der Kolonialismus (obwohl formal wegdefiniert und von den neuen Kolonisatoren geleugnet) froehliche Urstaend... Frankreich hat seinen Status als Kolonialmacht weitgehend verloren; die wirtschaftlichen, militaerischen und politischen Eliten der USA fuehlen sich als neue Herrscher ueber ein weltweites Imperium bestehend aus Staaten mit quasi-kolonialem Status geworden.

Folglich wird auch wieder gefoltert. Die Folterer werden als einzelne, schwarze Schafe in einer ansonsten intakten und wohlgeordneten Herde von ueberwiegend weissen Schafebn hingestellt. Wenn ueberhaupt werden wenige 'kleine Lichter' abgeurteilt, die Haupt-Verantwortlichen (z. B. der Praesident der USA) gehen straffrei aus.

Der neue Kolonialismus gar wird schoengeredet. Er soll Frieden und Freiheit und Demokratie bringen. Dabei bringt er nur neue Abhaengigkeiten und neue Gewalt.

Wenn mich jemand fragt: 'Moechtest Du unter der Herrschaft des X oder des Y oder des Z leben ?', dann antworte ich: Ich bin gegen Kolonialismus und Rassismus... Kein Mensch soll unter Kolonisatoren und Rassisten leiden (auch nicht unter amerikanischen Kolonisatoren und amerikanischen Rassisten).

Dass immer mehr Menschen genauso denken, zeigt sich auch daran, dass immer mehr Gewalt angewendet werden muss seitens der Kolonisatoren, um die Kolonisierten niederzuhalten.

(ich habe fertig)