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THEMA: Vergleich nicht erlaubt?
18 Antwort(en).
mart
begann die Diskussion am 13.06.04 (14:07) :
Der Diskussionsfaden "Vergleich erlaubt" endete m.M. nach unrühmlich in einer Diskussion über Altersstarrsinn.
In Jungle World wird von Thomas v.d.osten-sacken über den Doppelten Standard und Die arabische Debatte über Folter im Irak berichtet.
Daraus ein Ausschnitt:
"....Im Irak dagegen waren es keineswegs nur die Bilder der Gefolterten, die Empörung auslösten, sondern auch der Umgang arabischer Medien sowie der US-Regierung mit dem Skandal.
Jahrzehntelang symbolisierte das als »Palast des Todes« bekannte Gefängnis Abu Ghraib die Grausamkeiten des Regimes wie kein anderer Ort im Irak. Entsprechend bedeutsam waren auch die Ereignisse in diesem Gefängnis am 8. April 2003, als Hunderte Irakis den Komplex auf der Suche nach ihren Angehörigen stürmten und lediglich ein paar verscharrte Leichen fanden. Mit völligem Unverständnis wurde deshalb die Entscheidung der von den USA geführten Übergangsregierung aufgenommen, Abu Ghraib nicht etwa in eine nationale Gedenkstätte zu verwandeln, sondern weiter als Haftanstalt zu verwenden.
Dass nun ausgerechnet dieser Name (erg.Abu Ghraib »Palast des Todes« ), der im Irak so bedeutungsschwer ist, von radikalen Islamisten, ehemaligen Ba’athisten und arabischen Staatsführern mit geheuchelter moralischer Empörung im Munde geführt wird, schockierte die Menschen ebenso wie die Bilder der Misshandelten selbst.
Nach Angaben von Ibrahim al-Idrissi, dem Präsidenten der Association of Free Prisoners, kann seine Organisation inzwischen nachweisen, dass mindestens 147 000 Menschen in Iraks Gefängnissen exekutiert worden sind.
Der neu ernannte irakische Menschenrechtsminister Baktiar Amin kritisierte deshalb nicht nur die US-Amerikaner, sondern vor allem auch die offiziellen arabischen Reaktionen. Alle, die heute laut die USA anklagten, hätten jahrzehntelang über die Verbrechen des Regimes von Saddam Hussein geschwiegen.
Amin fordert deshalb die arabischen Führer auf, sich an den US-Amerikanern ein Beispiel zu nehmen und sich für ihre Vergehen öffentlich zu entschuldigen.
Aber auch in der arabischen Presse finden sich erstaunlich viele Artikel, die den herrschenden Doppelstandard kritisieren und ihr Augenmerk auf die Missstände in ihren eigenen Ländern zu lenken versuchen. »In allen arabischen Ländern wird mit Wissen der arabischen Presse gefoltert. Wenn aber jemand auf diesen Sachverhalt hinweist, wird er angeklagt, dem Ruf der Araber zu schaden und für die Zionisten zu arbeiten«, schreibt etwa Abd al-Rahman al-Rashed in al-Sharq al-Awsat..."
Internet-Tipp: https://www.jungle-world.com/seiten/2004/24/3345.php
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Karl
antwortete am 13.06.04 (15:32):
@ mart,
ich zucke immer bei Sätzen mit Absolutheitsanspruch zusammen. Der folgende Satz ist ein solcher: "Alle, die heute laut die USA anklagten, hätten jahrzehntelang über die Verbrechen des Regimes von Saddam Hussein geschwiegen ".
Dieser Satz kann so wie geschrieben gar nicht stimmen. Das ist ein völlig untauglicher Versuch, die Schandtaten der Amerikaner im Irak kleinzureden.
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mart
antwortete am 13.06.04 (16:17):
Ist das tatsächlich ein Versuch, die Schandtaten der USA kleinzureden? Habe ich jedenfalls in diesem Artikel nicht gefunden. :´-)
In dem von dir beanstandeten Satz: "Alle, die heute laut die USA anklagten, hätten jahrzehntelang ...geschwiegen." bezieht sich das Wort ALLE auf "offizielle arabische Reaktionen".
Ist nicht vielmehr folgender Satz doch von einem gewissen Wahrheitsgehalt?
»In allen arabischen Ländern wird mit Wissen der arabischen Presse gefoltert. Wenn aber jemand auf diesen Sachverhalt hinweist, wird er angeklagt, dem Ruf der Araber zu schaden und für die Zionisten zu arbeiten«, schreibt etwa Abd al-Rahman al-Rashed in al-Sharq al-Awsat."
Wenn A richtig ist, ist dann B unrichtig?
Wenn A kritisiert wird, darf dann B nicht mehr kritisiert werden?
Wenn B kritisiert wird, wird dadurch A kleingeredet?
Müßte nicht sowohl A als auch B kritisiert werden?
Wenn nur A kritisiert werden darf, nicht aber B, erfüllt das den Tatbestand der einseitigen Wahrnehmung der Wirklichkeit.
Dann ist allerdings ein Vergleich nicht erlaubt.
:-)
Vielleicht hat auch diese Beobachtung einen gewissen Wahrheitsgehalt:
"Beobachten sie die Unterschiede in Pressekonferenzen auf beiden Seiten. Im Westen begnügen sich die Journalisten nicht damit, zuzuhören. Vielmehr widersprechen sie, protestieren, prüfen nach, streiten um das, was ihnen angetragen wird und decken Lügen in ihren Zeitungen und Fernsehsendungen auf. In unseren Medien wird alles, was al-Sahhaf [der irakische Informationsminister] sagt, so an die Öffentlichkeit gebracht, als ob er Freitagsprediger in einer Moschee sei." (Abd al-Rahman, Chefredakteur von der Al-Sharq al-Awsat, April 2003)
Auch hier werden die Fehler der westlichen Journalisten nicht kleingeredet, hier wird verglichen - und das steht einem Naturwissenschaftler eigentlich nicht schlecht an.
:-)
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Karl
antwortete am 13.06.04 (16:34):
@ mart,
ich bin schon zufrieden, wenn du mir so weit entgegenkommst, dass du mir erlaubst auch die USA zu kritisieren. Die Kritik der arabischen Regierungen , wenn sie foltern lassen, ist ebenso notwendig. für viele Jahrzehnte waren die USA und der Westen für mich Hüter der Menschenrechte und ich beweine nun schon die Situation, dass sich die USA und der Westen auf einer Stufe wiederfinden mit menschenverachtenden Regimen.
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mart
antwortete am 13.06.04 (16:46):
Da sind wir uns dann einig.
Besonders deinem letzten Satz stimme ich vollinhaltlich zu.
Ich sehe nur den Unterschied, daß über die Folterungen, die die USA Führung angeordnet bzw.geduldet hat, berichtet wird und über die anderen Folterungen, eben nicht (oder kaum).
Deshalb wage ich Hoffnung zu haben für die "Selbstreinigungskräfte" in den USA.
Übrigens hat einer der arabischen Analysten des Arabischen Untersuchungsberichtes über die Entwicklung arabischer Staaten im Rahmen der UNO gerade diesen Unterschied zwischen demokratischen und den totalitären Staaten an Hand einer Analyse des vor kurzem stattgefundenen arabischen Gipfels in Tunis festgestellt.
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schorsch
antwortete am 13.06.04 (18:11):
Solange das "Selbstreinigungssystem" nicht mal in den USA selber fuktioniert, wie sollte es denn tausende von Kilomtern ausserhalb?
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Felix
antwortete am 14.06.04 (02:35):
<Wenn zwei das Selbe tun ... ist es eben nicht das Gleiche>
Von einer Nation, die sich als Weltpolizei aufspielt, sich eindeutig auf der Seite des Guten sieht und sich als Moralisten gegenüber der Achse des Bösen sieht, erwartet man ein anderes Verhalten als das der Gegner. Auch wenn beide Seiten ethisch Verwerfliches tun, wird dies nicht gleich energisch verurteilt. Was Saddam seinen politischen Gegnern, den Kurden, den Iranern und andern unliebsamen Volksgruppen angetan hat, ist grauenhaft und in keiner Weise zu verharmlosen. Peinlich ist, dass er durch die Unterstützung der Amerikaner zur Macht kam und damit die Möglichkeit für diese Schandtaten erhalten hatte. Bis zu einem gewissen Grad gilt dies auch für die Erstarkung eines Bin Ladens und seiner Kämpfer. Solange es in die Machtpolitik der USA gegen den Ostblock passte, war offenbar jedes Mittel recht. Auch in Bezug auf die menschenverachtende Politik Israels beobachte ich eine ähnliche Ungleichheit der Verurteilung. Irgendwie erwarten viele von einer Nation, die sich auf das von Gott Auserwählt sein beruft, ein verantwortlicheres Verhalten als das der verzweifelten Gegner. Der israelische Rassismus wirkt anstössiger als der Hass der unterdrückten Palästinenser. Auch hier im Forum haben viele nicht begriffen ... oder wollen es nicht zulassen ... dass die arrogante Haltung der USA und Israels heftiger kritisiert wird als das verwerfliche Verhalten ihrer schwächeren Gegner. Immer wieder wird stur auf die ungleiche Gewichtung der Kritik verwiesen ... ohne sich darüber Gedanken zu machen, weshalb dies zustande gekommen ist
Bei der gerichtlichen Beurteilung der Schuldzuweisung wird schliesslich auch die Vorgeschichte des Fehlbaren, seine Schuldfähigkeit, respektive die Zurechnungsfähigkeit berücksichtigt. Wer ein Verbrechen kaltblütig plant und zu Ungunsten des Geschädigten durchführt, wird besonders hart verurteilt. Wer diese Tat noch verbunden mit Bereicherung oder andern Vorteilen plant und begeht, wird als besonders niederträchtig betrachtet und entsprechend bestraft.
Zwar lassen sich diese juristischen Beurteilungen nicht einfach auf Nationen oder Personengruppen übertragen. Doch spielen meiner Meinung nach ähnliche Prinzipien bei der Verurteilung von Nationen oder Volksgruppen eine wichtige Rolle.
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schorsch
antwortete am 14.06.04 (14:29):
Gestern gelesen: Die Wachmannschaften im iraker Gefängnis wetteiferten darin, wer am meisten Gefangene so foltern oder verängstigen konnte, dass sie in die Hosen machten.....
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Wolfgang
antwortete am 14.06.04 (14:56):
Miteinander vergleichen kann man nur Geschehnisse, Institutionen, Staaten u.a., die ueber Vergleichbares, Aehnliches oder sogar Gleiches, verfuegen.
Konkret: Die amtierende US-Administration wollte nach eigener Aussage (ob diese Administration glaubwuerdig ist oder nicht, spielt in diesem Fall keine Rolle) dem Irak Recht, Freiheit (auch von Folter) und Frieden bringen.
An ihrem eigenen Massstab muessen die BUSH-Krieger also gemessen werden.
Die Bilanz ihres Krieges ist verheerend. Wer jetzt vergleicht zwischen SADDAM's Regime und BUSH's Regime, gibt indirekt zu, dass die beiden Regime vieles gemeinsam haben (z. B. Folterer, die das Recht missachten).
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Ziesemann
antwortete am 16.06.04 (10:14):
Mart und Karl Ohne auf die inhaltliche Diskussion einzugehen erlaube ich mir formallogisch einen Hinweis: Vergleichen heißt nicht Gleichsetzen. Entgegen dem Volksmund, dass man Äpfel und Birnen nicht vergleichen dürfe, kann man das sehr wohl. Und dann stellt man fest, sie haben Ähnlichkeiten, sind Früchte, wachsen auf Bäumen, sind essbar usw. Und gleichzeitig entdeckt man Unterschiede im Geschmack und Aussehen etw. So darf man selbstverständlich auch Männer und Frauen vergleichen, aber eben nicht gleichsetzen. Vive la diffrence! Es würde die Diskussion sicherlich befruchten, wenn Vergleichen nicht im Sinne von gleich verstanden würde. Ziesemann
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mart
antwortete am 16.06.04 (10:45):
Danke für deine Ausführungen!
Stimmt meine Schlußfolgerung daraus, daß man also formallogisch berechtigt ist, unter dem Oberbegriff "Staaten", Unterbegriffe "Pressefreiheit", "unterzeichnete UNO-Menschenrechtcharta" Vergleiche anzustellen.
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Karl
antwortete am 17.06.04 (10:44):
@ ziesemann,
ich fühle mich nicht angesprochen. Ich habe über die Zulässigkeit oder die Unzulässigkeit von Vergleichen nichts ausgesagt.
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Ziesemann
antwortete am 24.06.04 (07:48):
@ Karl Hatte dich auch nicht gemeint.
@ Mart Die Menschenrechtscharta ist kein Unterbegtriff von "Staat", nicht einmal die Pressefreiheit, denn sie ist als Teil der Meinungsfreiheit ein primäres, vorstaatliches Menschenrecht. Im Übrigen, ich wiederhole mich, kann man prinzipiell alles vergleichen u.U. mit dem Ergebnis, dass keinerlei Gleichheiten oder auch nur Ähnlichkeiten nachzuweisen sind. Ziesemann
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Medea.
antwortete am 24.06.04 (10:49):
Außenminister Joschka Fischer hat gerade in einem Kurztrip die Arabischen Emirate und Oman besucht und in Dubai hat er sich vielen Fragen von Journalisten im arabischen Sender El Arabija gestellt. Er rief zur Toleranz auf und sagte, daß es niemals eine Legitimierung für Attacken gegen eine Synagoge, Kirche oder Moschee gäbe, daß Deutschland eine historische Verantwortung für Israel habe und daß die USA für Deutschland trotz des Neins der Bundesregierung zum Irak-Krieg der wichtigste Alliierte sei.
Fischer würde gern die Diskussion über eine Modernisierungsinitiative für den Nahen und Mittleren Osten aufnehmen, jedoch wurde ihm vom Außenstaatssekretär in Abu Dhabi, Abdullah Raschid, zu den Partnerschaftsplänen der EU beschieden: "Ihr Konzept von Demokratie ist anders, Sie können nicht eine Formel von Demokratie aufzwingen".
Fischers arabische Gesprächspartner lassen sich bei Reformen nicht unter Zeitdruck setzen, sie betonen zwar auch Interese an Partnerschaft und Kooperation, denken aber dabei eher in wirtschaftlichen Dimensionen.
Hier gibt es einen großen Widerspruch, auf der einen Seite riesiger Reichtum, Wolkenkratzer, Wirtschaftsboom und High Tech, auf der anderen die feudalen und clangeprägten Herrschaftsstrukturen, die Scharia und das traditionelle Denken.
(nach einem dpa-Bericht von Dorothea Hülsmeier)
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BarbaraH
antwortete am 24.06.04 (12:54):
Ich finde es durchaus richtig, dass sich arabische Gesprächspartner nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Wer auf andere zeigt sollte bedenken, dass dabei drei Finger auf ihn selbst zeigen.
Dazu zwei Informationen:
Eine Radiosendung berichtete von den Schicksalen der "Verdingkinder" in der Schweiz. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts wurden armen und/oder ledigen Mütter ihre Kinder weggenommen und als "Verdingkinder", ein anderes Wort für Sklaven, an Landwirte gegeben. Diese Kinder hatten keinerlei Rechte, keine Ansprechpartner für ihre Nöte... sie wurden geschlagen, gedemütigt, misshandelt... Grüne Politiker der Schweiz forderten nun eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels und eine Entschädigung für noch lebende Betroffene. Der Bundesrat lehnte das ab....
Internet-Tipp: Ungeliebte Niemande https://www.kath.ch/aktuell_detail.php?meid=17858 TURI – EIN FILM DER EMOTIONEN https://www.infowilplus.ch/artikel/content.asp?aid=3497
Zweite Information:
In der neuesten Ausgabe der EMMA wird von einer bekannten TV-Moderatorin in Riad berichtet, die von ihrem Ehemann zusammengeschlagen wurde. Rania al-Baz versteckte sich nicht unter einem Schleier sondern hielt ihr völlig verschwollenes Gesicht in die Kameras der Fotografen. Ein Aufschrei ging durch die arabische Presse. Noch vor Beginn des Prozesses reichte Rania die Scheidung ein. Jetzt kann sie nach dem in Saudi-Arabien gelten islamischen Recht entscheiden, ob ihr Ehemann Schmerzensgeld zahlen muss oder mit derselben Härte verprügelt wird, mit der er sie misshandelt hat. Immerhin erlitt sie 13 Knochenbrüche im Gesicht und musste sich 12 Operationen unterziehen.
Vergleich nicht erlaubt?
Internet-Tipp: https://www.kath.ch/aktuell_detail.php?meid=17858
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Titus
antwortete am 24.06.04 (15:39):
Medea,
Fischer wird bei diesen Gesprächen immer wieder scheitern, weil er die Denkweise der Moslems allem Anschein nach nicht versteht oder nicht verstehen will.
Diese Denkweise ist untrennbar mit der Zielsetzung des Islam verbunden. Und da wäre der Westen gut beraten, wenn er den arabischen Potentaten einmal - ganz vorsichtig - klar macht, daß ihr vieles Geld noch keine wirtschaftliche Macht bedeutet. Also ein wenig Umdenken wäre den Arabern zu empfehlen.
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Medea.
antwortete am 24.06.04 (16:09):
Titus - ich glaube schon, daß Joschka Fischer um die andere Denkweise weiß, die westliche Staaten von der in arabischen Ländern unterscheidet -
beim Sultan von Oman hat er sich für eine inhaftierte Deutsche eingesetzt, der bei Verurteilung die Todesstrafe droht. "Deutschland vertraue auf einen 'fairen und gerechten Prozeß' " sagte er bei einem ca. eineinhalbstündigen Gespräch mit dem Sultan und betonte ebenso die grundsätzliche deutsche Ablehnung der Todesstrafe.
In den letzten Jahren beginnen sich immer mehr westliche Menschen mit der orientalischen und arabischen, durch den Koran geprägten Mentalität auseinanderzusetzen - ein Jahrzehnte vernachlässigtes Terrain der Europäer und Amerikaner, das zu erheblichen Fehleinschätzungen führt.
Der Irak ist ein erschreckendes Beispiel auch von Mentalitäts-Fehleinschätzungen einer letztendlich dem westlichen Menschen verschlossenen anderen Welt und Denkungsweise.
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mart
antwortete am 24.06.04 (16:39):
Es gibt im islamischen Raum schon Stimmen, die für einen echten Dialog eintreten.
z.B. Mustafa El-Feki: Historische Chance zum Dialog mit dem Westen
In der ägyptischen Zeitschrift Al-Ahram Weekly appelliert Mustafa El-Feki an islamistische Bewegungen, sich von allen extremistischen Ausprägungen des politischen Islam zu distanzieren. Als Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten Ägyptens fordert El-Faki eine ‚islamische Initiative zur historischen Versöhnung mit dem Westen’.
Als Voraussetzung dazu nennt er unter anderem eine „Neubestimmung der Lehren des Islam“. Sein Artikel erschien in der Al-Ahram Weekly vom 17.-23. Juni 2004:
..."Ich glaube, dass der historische Scheideweg, an dem wir stehen, uns eine einzigartige Gelegenheit bietet, die patriotische und moralische Verpflichtung anzunehmen und auf breiter Basis einen Aufruf zum Dialog zu initiieren. Damit jedoch ein solcher Aufruf auch wirksam sein kann, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
"Erstens muss der Aufruf zum Dialog konzeptionell und praktisch international ausgerichtet sein. Der Islam reicht über nationale Grenzen und Zugehörigkeiten hinweg. Weder spricht er für die Regierungen, noch haben Regierungen die Macht, in seinem Namen zu sprechen. Außerdem sollte der Aufruf von keiner bestimmten muslimischen Gruppe ausgehen und andere dadurch ausschließen – gleich welche historische Bedeutung und welchen Einfluss diese Gruppe hat.
"Zweitens sollte die Initiative [für die Menschen] annehmbar sein, weil sie sich stark auf das kulturelle Erbe [legacy] bezieht, eine klare Vision hat und ganz besonders philanthropisch ist. Darüber hinaus sollte sich der Aufruf nicht allein an die USA richten, sondern an alle Länder und an alle muslimischen Gemeinden dieser Welt.
"Drittens benötigen humanitäre Ideen, wie ehrenwert und achtbar sie auch sind, immer angemessene Foren - nicht nur zu ihrer effektiven Verbreitung, sondern auch zum Gedankenaustausch, der ihnen erst die notwendige Substanz und Struktur verleiht. Zweideutige Vorschläge und vage Slogans sind nicht genug. Wir müssen mit soliden und spezifischen Ideen aufwarten.
"Ich bete darum, dass die Leser der Ernsthaftigkeit meines Aufrufs trauen. Ich habe keine heimlichen Motive und keine hidden agenda – anders als so viele aus der Region, die ihre Kritik, ihre Sorgen und ihre Skepsis in der Hoffnung auf ein Visa oder auf ausländische Anerkennung nur im Westen äußern und damit auch noch die Animositäten fördern, die keine Seite brauchen kann. Nun meinen manche ja, dass das Leben eben ein Kampf und es daher unmöglich sei, den menschlichen Eroberungsinstinkt ruhig zu stellen. Aber gerade wenn das der Fall wäre, hätten Muslime und Araber um so mehr Grund dazu, eine unkonventionelle, humanitäre und inspirierte Vision voranzubringen, die auf den Lehren und dem wahren Wesen unserer Religion basiert und darauf zielt, die Kommunikation mit dem Westen zu ermöglichen. Wenn wir dies tun und einen neuen islamischen Diskurs vorstellen, der frei von allen Makeln des Fanatismus und Extremismus ist, werden wir unseren Völkern, unserer Religion und unserer Kultur und Zivilisation in diesen extrem komplexen und angespannten Zeiten das bestmögliche Geschenk machen.“
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Medea.
antwortete am 24.06.04 (18:20):
Eine "Neubestimmung der Lehren des Islam" zu fordern, ist eine sehr mutige Aussage - ebenso wie eine 'islamische Initiative zur historischen Aussöhnung mit dem Westen'. (El-Faki)
Ägypten könnte hier einen der wichtigsten Schritte für ein künftiges gutes nachbarschaftliches Miteinander zwischen Orient und Okzident einleiten.
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