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Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"

THEMA:   Zwiespalt der Deutschen Demokratie

 8 Antwort(en).

philos60 begann die Diskussion am 19.05.04 (16:54) :

Hier lesen Sie eine persönliche Meinung ohne Fakten, Zahlen und Beweise. Es sind Ansichten eines deutschen Bürgers, der seine Beobachtungen, Erfahrungen und individuellen Erkenntnisse über die Deutsche Demokratie mit Betroffenheit zum Ausdruck bringt.

Die Betroffenheit wird genährt durch die geringe Wirksamkeit politischer Absichten, Ziele und Versprechen seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Enttäuschung ist immer wieder die Folge, wenn politische Visionen und Ziele verschiedener Regierungen nicht das halten, was sie versprechen. Die Frage nach dem WARUM findet je nach politischer Einsicht und sozialen Erfahrungen Erklärungen und Antworten.
Eine mutmaßliche Erklärung folgt nun:
Die Deutsche Demokratie mit ihrer Gewaltenteilung (Legislative, Judikative und Exekutive) ist geprägt durch die vernichtenden Folgen der Hitler-Diktatur. Sie ist geradezu ein Versicherungsunternehmen, um die Gefahr eines wiederkehrenden, totalitären Regimes durch Verfassung und Grundgesetz mit der deutschen Gründlichkeit für alle Zeiten zu verhindern. Seit Bestehen der Bundesrepublik hat es immer eine starke Opposition gegeben, die wie in einem Verfolgungswahn jede dominierende politische Willensbildung bekämpft und deren Handlungsfähigkeit geradezu bis zu einem Schattenboxen degradiert (Verwässerung der Gesetzgebung). Gemessen wird dennoch jede Regierung an dem, was sie – einfach gesagt – in die Tat umsetzt, ohne Rücksicht darauf, ob die jeweilige Regierung durch die Opposition daran gehindert wird oder nicht. Permanente vordergründige und gegenseitige Schuldzuweisungen der Oppositionen und Regierungen sind an der Tagesordnung, ohne nach den tieferliegenden Gründen zu fragen. Es wird in der politischen Diskussion und Meinungsbildung geradezu sensibel darauf geachtet, historische Ursachen für die lahmende Deutsche Demokratie öffentlich von den politisch Verantwortlichen in parlamentarischen Auseinandersetzungen NICHT aufklärend einzubringen. Die Angst vor einer politischen Machtkonzentration steckt so tief in der deutschen Volksseele, dass bei dem geringsten Verdacht einer politischen Machtballung, alle aktuellen Ziele unbemerkt zweitrangig behandelt werden.
Die Deutsche Demokratie hat erfolgreich innen- und außenpolitisch bewiesen, zu keinem Zeitpunkt ihres Bestehens in eine neuerliche Diktatur zu verfallen und hat somit den historischen Auftrag der Verfassung vollständig bisher erfüllt. Dieser Verfassungstreue zuliebe wurden viele politische Ziele geopfert, die nicht zweifelsfrei eine Machtkonzentration ausschließen konnten.
Der Deutschen Demokratie fehlt geradezu eine unternehmerische Risikobereitschaft, neue Wege zu gehen und dennoch gleichzeitig demokratische Grundsätze unbeschwert im Auge zu behalten. Bei jedem Regierungswechsel formt sich wie in einem „Waschzwang“ eine neue erstarkende Opposition, die angeblich Schlimmeres verhindern will, ohne dabei sachlich begründete Gefahren für die Demokratie aufzeigen zu können.

Wenn dieser Teufelskreis einer extrem oppositionell gefährdeten Demokratie nicht durchbrochen wird, kann eine gesellschaftspolitische Weiterentwicklung zum Wohle des deutschen Volkes nicht gelingen. Opposition ist notwendig, aber nicht bis zur Handlungsunfähigkeit einer Regierung.
Politikverdrossenheit und die große Zahl der Nichtwähler sind Symptome für eine zwiespältige und kranke Demokratie, deren Ursachen von den verantwortlichen Politikern nicht erkannt oder einfach nicht für eine politische Gesamtlösung beachtet werden.

Eine Frage bleibt schließlich offen: Was muss geschehen, damit alle Verantwortlichen und das deutsche Volk aus dieser lethargischen Zwangssituation erwachen?


trux antwortete am 19.05.04 (20:10):

Wir kennen alle unsere Lage, wichtig nur: „Was ist zu tun“? Da gibt es vielerlei. Nicht nur die Gesellschaft, auch die Politik muss Lebensleitlinien vorgeben, wie z.B. in der Familienpolitik. Man sollte mal wieder über das Leben nachdenken, was man erwartet und anstrebt. Ist es heute nicht so, dass man der Größte sein möchte, der Reichste, die/der Schönste, der Einflussreichste, der Klügste? Welche Absichten verfolgt einer, der heute in die Politik geht? Will er da was werden oder geht er aus Idealismus? Wozu braucht man eigentlich Millionen auf seinem Konto? Kann man nicht mal sagen: “Nein danke, es ist genug“? Werden Gesetze hinreichend befolgt, läßt sich z.B. die verfassungsrechtliche Schulpflicht so umsetzen, wie man es erwartet? Das von Politikern gesprochene Wort muß gelten, zumal dann, wenn es sich um Versprechen handelt. Es gibt sehr viel zu Deiner abschließenden Frage zu sagen, philos60.


ricardo antwortete am 20.05.04 (08:14):

Ich glaube nicht, daß es nur eine Frage unserer Verfassung ist wenn zur Zeit wenig Bewegung in der deutschen Politik zu sehen ist.
Eine Absicherung gegenüber früheren Verhältnissen ist nicht das Schlechteste.
Deutschland, ein wirtschaftlicher Riese
und ein politischer Zwerg?
besser sicher als umgekehrt!
Es wird noch geraume Zeit dauern, bis wir aus unserer eigenen Vergangenheit in eine normale Zukuft gefunden haben.
Die Wunden sind noch nicht verheilt,, weder die des Nazismus noch die des Sozialismus.


HariS antwortete am 20.05.04 (10:14):

Anmerkungen zum Erstartikel

Zur Betroffenheit der enttäuschten „Demokraten“

Die Betroffenheit wird aber auch noch aus einer anderen historisch bedingten Quelle gespeist. Das ist eine allgemein verbreitete Vorstellung über das Funktionieren der Demokratie, von der viele Deutsche annehmen, dass sie eine Art Harmonieveranstaltung seien, in der jeder seine Vorstellungen einbringt und dass dann anschließend durch eine Art höhere Gewalt der Konsens herbeigeführt wird. Dementsprechend wird noch heute das Parlament wie zu Weimarer Zeiten als eine Art Schwatzbude gesehen.
Dementsprechend wird den Volksvertretern verübelt, wenn sie nicht schnell genug zu einer einheitlichen Meinung kommen und ihre divergierenden Meinungen in längeren für die Öffentlichkeit oftmals auch unverständlichen Diskussionen äußern
Zum großen Teil wird durch eine solche Vorstellung (die sich übrigens so auch vielfach im Privaten äußert) verdrängt, dass die in den Parlamenten gewählten Volksvertreter zum größten Teil Vertreter von Interessengruppen sind, denen es in sehr hohem Maßen nur auf die Realisierung dieser Interessen ankommt. Dazu kommt noch eine sehr ungünstige soziale Repräsentanz, beispielsweise dadurch, dass ein hoher Prozentsatz der Parlamentarier Beamte oder Staatsangestellte sind, ein Umstand, der vorwiegend durch die materielle Versorgung beim Ausscheiden bedingt ist, der aber zur Folge hat, dass viele Entscheidungen des Parlaments durch Überlegungen zur Besitzstandswahrung dieser Gruppen bedingt sind.
In anderen Ländern (USA/UK) bringen diese Interessenvertreter ihre Ansichten im Parlament mehr oder weniger offen vor und niemand findet dabei etwas. Der jeweilige Konsens im Parlament wird durch die Art der Wahl (Mehrheitswahl) stark erleichtert.
Bei uns werden solche Interessen fast ausschließlich in den Lobbys deutlich, die versteckt in den Parlamentsausschüssen tätig sind und dort das „Kleingedruckte“
Weil das Volk aber diese Erwartungshaltung hat, schielen die Machtträger und die Parlamentarier unablässig nach der weiteren Machterhaltung und versuchen sich nicht so öffentlich zu äußern, dass sie gegen die „verfassten“ weitgehend durch die Medien und deren Besitzverhältnisse geprägten Meinungen verstoßen.
Es kommt noch eine weitere ebenfalls historisch bedingte Ursache hinzu. Jede Diskussion wird (auch im Privaten) sehr stark von weltanschaulichen und ideologischen Urteilen und Vorurteilen beeinflusst und weniger von praktischen Überlegungen, wie sie weitgehend in den angelsächsisch beeinflussten Demokratien seit Jahrhunderten praktiziert werden.

Auswege aus der Zwangssituation

Mehrheitswahlrecht, Verfassungsänderung hinsichtlich der Gewaltenteilung zwischen Bundestag und Bundesrat.

Diese Wege aus der Blockierung werde ich in einem weiteren Beitrag begründen.


philos60 antwortete am 20.05.04 (11:28):

@HariS
Eine sehr aufschlussreiche Ergänzung!
Bin an dem Beitrag "Wege aus der Blockierung" sehr interessiert.


ricardo antwortete am 20.05.04 (15:21):

Wie gut,
dass es in absehbarer Zeit keine Mehrheit für Experimente dieser Art geben wird.
Unsere Verfassung ist soweit schon ok.
Wohlgemerk:t nach Churchill ist die Demokratie unter den schlechten Staatsformen immer noch die Beste.

Und Vorsicht: wir sind noch in der Grundstufe!


philos60 antwortete am 20.05.04 (15:44):

@ricardo, Zitat: "Und Vorsicht: wir sind noch in der Grundstufe!"
Den Eindruck hab' ich allerdings auch.
Wenn die Grundstufe schon >50 Jahre dauert...
dann ist also der Abschluss noch in weiter Ferne?


HariS antwortete am 20.05.04 (16:39):

Wenn wir laut Ricardo noch in der Grundstufe der Demokratie sind, dann lautet mein Facit: Wir kommen nie daraus oder fallen wieder in eine Diktatur zurück.

Nach mehr als 50 Jahren Grundgesetz der BR Deutschland wird es Zeit sich zu überlegen, ob uns das GG in seiner Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern und das gegenwärtige Wahlrecht aus den ewigen Blockadesituationen herausführen können. Schliesslich haben die Angelsachsen auch andere Grundsätze. Oder sind wir etwa schlechter oder unreifer??

HariS


ricardo antwortete am 20.05.04 (16:49):

Keine Änderung ohne Not.
Mißtrauen gegenüber Veränderungen einer insgesamt bewährten Verfassung ist in dem Fall besser als Experimentieren.
Und wer bitte schön soll denn diese Änderung einbringen?
Etwa die jetzige Regierung?
Lieber nicht!