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Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"

THEMA:   Was habt Ihr gewusst?

 15 Antwort(en).

jo begann die Diskussion am 29.04.04 (09:40) mit folgendem Beitrag:

Die Diskussion über eine Hitlerbiographie hier veranlasst mich, ein mich seit Langem beschäftigendes Thema zur Diskussion zu stellen oder als Frage an die Leser zu formulieren.

Viele, die hier diskutieren, kennen das Nazireich sicherlich nur aus Büchern, Erzählungen, Ausstellungen, Gedenkstätten. Aber Einige haben es auch noch erlebt, und sei es als Kinder.

Ich sage meine Erinnerungen:

Unweit eines KLV-Lagers, in dem ich 1944 war –als Ausweichen vor Gefährdungen durch den alliierten Bombenkrieg – war eine Außenstelle des KZ Dora Mittelbau. An uns vorbei marschierten täglich morgens von bewaffneten Aufsehern umstellte Gruppen von Menschen, die wir wegen ihrer Kleidung Zebras nannten, schon von weitem hörbar an dem Geklapper ihrer Holzpantinen.

Über die Behandlung dieser Menschen wurde uns von unseren politischen Führern unverblümt erzählt. Wir haben erlebt, wie sie von SS-Leuten bei einem Waldbrand mit Gewehrkolben für Löscharbeiten in die Flammen getrieben wurden. Einmal war anscheinend ein Gefangener entsprungen, und wir Kinder – meine Klassenkameraden und ich waren damals 13 Jahre alt – sollten bei der Suche und Gefangennahme helfen. Wir hatten Angst, ihn zu finden, wohl zu recht, denn der Mann hätte nichts zu verlieren gehabt.

Ich erinnere mich, eine verbrannte Synagoge gesehen zu haben, Juden mit Stern in meiner Heimatstadt, Dachau hieß mit einem bagatellisierenden Unterton gemeinhin „Konzertlager“. Nun frage ich mich, wenn wir Kinder schon so viel mitbekommen haben, wie sah es denn dann wohl um die Erwachsenen aus?

Es wäre schön, hier einmal von Altersgenossen zu hören, welche Erfahrungen sie damals gemacht haben und welche Erinnerungen sie mitgenommen haben. Daß die politische Propaganda damals bei bis zu 12-14jährigen Kindern Hitlergläubigkeit und – zumindest bei Jungen - auch Kriegsbegeisterung ausgelöst hat, bedarf wohl weder der Erwähnung noch einer Entschuldigung.

(PS: KLV = Kinderlandverschickung)


Irina antwortete am 29.04.04 (10:09):

Ich denke, es lag an den Eltern, wie weit zu uns Kindern 'herab' die Propaganda drang und/oder uns beeinflußte, - wie weit in uns Kindern eine "Kriegsbegeisterung" hätte ausgelöst werden können.

Es kam ganz darauf an, wie man uns z.B. die Plakat-Slogans an den Häuserwänden erklärte (z.B. "Kohlenklau" oder "Pssst, Feind hört mit"). Wie man zu Hause die über den Volksempfänger gehörten Reden Hitlers "an mein Volk" diskutierte. Wie die Mutter ihre Meinung begründete: 'ich hoffe, daß alles vorbei ist, wenn mein Sohn zur Hitlerjugend müßte'. Wie der Vater während der Fliegerangriffe den Krieg begründete, vor dem das Kind eine entsetzliche Angst hatte.

In mir persönlich ist damals keine "Hitlergläubigkeit" entstanden.
Im günstigen Falle sieht das Kind allenfalls einen "bösen Buben", und insofern hätte Hitler auch der Sohn vom Nachbarn sein können.

für mich gab es keine "Person Htler" -, für mich gab es lediglich den Krieg.


Irina


Irina antwortete am 29.04.04 (11:02):

Nachtrag:

"Gewußt" haben wir viel.
"Verstanden" wahrscheinlich wenig.

Irina


schorsch antwortete am 29.04.04 (11:13):

Die meisten Mitläufer der Nazis waren wohl jene, die aus der Vertreibung der Juden Kapital schlagen konnten - und sei es auch nur, dass sie nach der Vertreibung sich Eigentum der Vertriebenen unter den Nagel rissen.....


Titus antwortete am 29.04.04 (11:18):

Hallo Jo,

ich denke, da kann ich auch Einiges berichten, ich war zwei Jahre Schüler einer AHS und der Zusammenbruch 1945 steckt mir heute noch in den Knochen.

In den nächsten Tagen komme ich darauf zurück, ich muß zum Dienst - sorry.

Gruß von Titus(WolfgangM)


Mulde antwortete am 29.04.04 (18:27):

Zu dem Thema was Jo hier erwähnt haben wir das nicht früher schon mal behandelt?

Ich gehe mal von meinen wissen und erleben aus.
Jo wir sind ja bekannter weise ein Jahrgang
Vater war ein en bekannter Gewerkschaftler –er und Mutter beide SPD Mitglieder.

Was wusste ich!?
Eine Menge und doch so gut wie nichts.
Kam abends Besuch von Fremden Leuten ging Mutter mit mir spazieren
Was da in etwa besprochen wurde – das erfuhr ich erst genau in den Apriltagen 1945.
Ob wohl die Gestapo bei mir es versucht hatte etwas mit Tritten in den ööö! heraus zuholen.
Nun ich war in dem Alter wahrlich kein Held nur ich wusste von nichts.
Im Prinzip haben die Eltern uns die Kindheit gelassen.
Sie haben uns nicht mit ihren politischen Problemen belastet- wir waren Kinder wie alle anderen.Ja in der Schule wurde von den Lehrern wiederholt auf meine negative Herkunft hingewiesen so wie „Na Du Sozie-Bastard“ das kam vor.
durfte auch des öfteren den Lebenslauf des ach so geliebten
AH schreiben -- jedenfalls mehr als die anderen!
Auch als 11-12 jähriger lernt man vorsichtig zu sein.
1938 November Da nahm mich Vater an die Hand -wir gingen zur jüdischen Synagoge
(die gleiche wo der Komponist der 3Groschen Oper mal Organist war)
Er wohl wissend was da und warum diese brannte- für mich al s 7 jährigen war es nur ein
Riesenfeuer!
Weiß nur ich durfte anfangs nicht am Dienst beim Jungvolk teilnehmen bis er von der Gestapo
„höflich“ aber bestimmt dazu aufgefordert wurde.
Die Uniform , da wurde jede Woche aus der Lohntüte 50 Rpfg entnommen und damit bezahlt.
1942 kam auch bei uns die KLV wir hatten jedoch ein offenes Lager d,h. wir waren privat
untergebracht nur die Schule ging im alten Klassenverband weiter.
Weil ich dort mal schwarz nach hause fuhr und von HJ Streife in Köthen auf dem Bahnhof
Erwischt wurde kam ich der Eltern wegen zur Gestapo nach ein paar sehr kräftigen tritten
In den ööö musste ich beim HJ Bann 14 Tage Holzhacken da ich 13 Jahre alt.
Diese Erfahrungen prägten sich ein bis heute und man wurde vorsichtig , noch dazu
Wenn man einen Polen der zwangsverpflichtet war als Freund hatte.
Ein Ähnliches Erlebnis wie Jo hatte ich auch.
Leau ein Dorf im heutigen Krs Bernburg mit einer Grossen Kiesgrube tauchte plötzlich SS auf
Und wie Jo schon sagte „Zebras“ die bauten Baracken auf.
Jungs sind wie Mädchen Neugierig was ist da los.
Die Lehrer Kinder geht da nicht hin das sind „böse Verbrecher“
Bis eines Tages ein Dorfjunge sagte „Nee die bauen was in Plömnitz“ das war ein Kalischacht
In der Nähe.
Wir haben dann ab und zu Schüsse in der Kiesgrube gehört- warum , das erfuhren wir erst Jahre
Später.
Bemerkenswert ist der Bauherr dieses Lagers wurde später Bundespräsident der BRD
Man könnte hierzu noch viel mehr schreiben -
für mich ist das erlebte Geschichte und abgehakt
Nur wie hier durch Jo - da kommt das mal wieder hoch.


ricardo antwortete am 29.04.04 (22:44):

ricardo antwortete am 29.04.04 (22:36):

Ich denke auch,
viel gewußt
und wenig verstanden.
Aber Jo, ich muß dir zustimmen, wenn schon die Kinder sich heimlich Dinge erzählten, wieso haben dann die Erwachsenen immer behauptet sie hätten nichts gewußt?
Als ich 12 Jahre alt war, hat mein bester Freund(Vater Oberst) mir von Polen erzählt, von seinem Vater hatte er gehört, daß dort Polen und Juden ihre eigenen Gräber ausheben mußten und da wurden sie dann reingeschossen.
Unsere Spiele bezogen sich auch auf den Krieg, in dem schweren Winter 41 bauten wir Kinder einen Unterstand aus Schnee, sogar mit Ofen!
Meine Eltern hörten regelmässig "Feindsender" und ich habe mich einige male verplappert und was davon gesagt,wir hatten aber keine Probleme deswegen.Wie die Greuel auf uns Kinder gewirkt haben, kann ich nicht mehr sagen, es war eine allgemeine Abstumpfung mit großer Angst und Mißtrauen.

In meiner Schule wurde Tagespolitik kaum erwähnt, wir lernten die gleichen Fächer wie im Frieden. Nur einmal hat ein Freund von mir gesagt: Der Krieg ist verloren (43), der wäre beinahe angezeigt worden, hatte Glück.
Vieles kommt mir jetzt im Alter wieder ins Gedächtnis, aber meine Gefühle von damals kann ich mir nicht mehr zurückrufen.

(Bitte den obigen Beitrag löschen, wurde auf einem englischen Browser geschrieben)


ricardo antwortete am 01.05.04 (18:33):

Mir ist noch eingefallen:
Im Sommer 43 kam ein leibhaftiger General der Luftwaffe, früher Zahnarzt der Familie und Freund des Vaters, zum Kaffee-Besuch.
Der wußte, dass wir nichts weitersagen und hat ganz offen von dem bereits verlorenen Krieg gesprochen.
Wir waren schon sehr beeindruckt.


utelo antwortete am 02.05.04 (08:18):

Ich bin Jahrgang 1941 und habe vom Krieg nur die Bunker, die heulenden Flieger, betende und strickende Frauen, Panzer, furchtbaren Krach, Durchschlüpfe von Haus zu Haus in Erinnerung. Besuch kam natürlich auch, das waren aber meistens Verwandte. An andere Sachen kann ich mich nicht erinnern. Die kamen erst als ich ca. 13-15 Jahre war zur Sprache und dann auch nur sehr zaghaft. Aufgeklärt über die furchtbaren Dinge wurden wir erst durch Bücher.


ricardo antwortete am 02.05.04 (08:34):

Stimmt Utelo
Ich habe einen Bruder Jahrgang 1941, der hat bewußt nur das Leben nach dem Krieg mitbekommen und dadurch auch eine andere Beziehung, zu dem was war.
Ich hatte ihn an der Hand bei dem Angriff auf Dresden, der Feuersturm hat ihn einfach umgerissen, aber er weiß nichts mehr davon.


jeanny antwortete am 02.05.04 (09:02):

ich bin januar 1942 geboren

kann mich noch recht gut an meine grosseltern erinnern,
die nach dem krieg andauernd radio hörten.
jahrelang gaben sie die hoffnung nicht auf,dass ihre
söhne noch lebten,und aus der gefangenschaft entlassen
gemeldet werden.

leider vergebens,sie waren zwangsrekrutiert worden,
und kamen nie mehr zurück.


Tobias antwortete am 02.05.04 (11:16):

Ich bin jahrgang 32 und erlebe den krieg in vielen nächten immer wieder. Jedesmal wenn ich darüber schreibe wird es meist eine unruhige nacht. Es sind bilder von menschen die als phosphorfackeln durch die strassen rennen. Die schreie unvergessen, höre ich heute noch. Entstellte und zerfetzte leiber unter wellblech und ich suchte meinen vater tagelang, dazwischen immer wieder bombenangriffe.

Krieg ist das unmenschlichste überhaupt. Zum teufel mit denen, die Kriege befürworten.


ricardo antwortete am 02.05.04 (14:10):

Jeanny
Das Radio war damals oft die einzige Möglichkeit, etwas zu erfahren über die allgemeine Lage und auch die Meldungen über herannahende Flugzeuge kamen über den Rundfunk.

Ausländische Sender zu hören war strengstens verboten, aber fast alle haben es getan, daher wußten auch alle viel mehr als zugegeben wurde.


guenterpaul antwortete am 07.05.04 (11:58):

Ich möchte daran erinnern, dass den mörderischen Überfällen auf die Nachbarvölker und dem aller Menschlichkeit hohnsprechenden Holocaust der brutale, schonungslose Terror der Nazis gegen das eigene Volk vorausging. Nur dadurch war es möglich, seinen Widerstand zu brechen und grosse Teile der Bevölkerung für die Unterstützung dieser verbrecherischen Politik zu rekrutieren.

Ich erinnere mich an Hausssuchungen und Verhöre meines Grossvaters durch die Gestapo. Er war bekannt als Gewerkschafter, Bibelforscher und Antifaschist. 1921 hatte er an der Verteidigung des Leipziger Volkshauses gegen die Kapp-Putschisten teilgenommen und war – schon damals, lange vor Hitlers Machtübernahme – auf die schwarze Liste gesetzt worden. Bis Ende 1944 fand er keine Arbeit mehr – 23 Jahre Sozialfürsorge (und heimliche Schwarzarbeit im Keller, um überhaupt überleben zu können). Anfang 1934 wurde ihm die Wohnung gekündigt, weil der benachbarte Nazi-”Amtswalter” keinen “Kommunisten” neben sich duldete. Danach mühsame Suche nach einer neuen Wohnung. Auch andere Vermieter scheuten sich, eine Familie aufzunehmen, die die neuen Machthaber im Visier hatten. Mein Onkel Hans, Mitglied des Arbeitersamariterbundes, musste oft bei Freunden übernachten, weil vor dem Haus faschistische Schläger auf ihn lauerten.

Vergessen wir nicht den Psychoterror der “Rassenpolitik”. Meine Grossmutter war ein aussereheliches Kind, Vater unbekannt. ... Konnte er nicht Jude gewesen sein? Schliesslich hatte sich seinerzeit in dem Dorf, aus dem sie stammte, ein jüdischer Hausierer herumgetrieben. ... Ich erinnere mich, daß ein Lehrer im “nationalpolitischen Unterricht” meine – nach seiner Ansicht - “ostische” (sprich slawische) Schädelform bemängelte. Wer einen solchen Kopf habe, könne nichts taugen. ... Als 15-/16-Jährigem wurde mir zweimal aus nichtigem Anlass mit Kriegsgericht gedroht wurde. Einmal wegen angeblichem Geheimnisverrat. Ich hatte meinen Eltern eine Grusskarte vom Schiessplatz an der Ostsee geschickt. Das andere mal kurz vor Kriegsende wegen “Selbstverstümmelung”. Der Sanitäter der Arbeitsdiensteinheit hatte die Behandlung einer Wunde am Fuss wegen “Geringfügigkeit” abgelehnt und ich bekam Wundrose.

Ähnliche Erfahrungen sind mir aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis bekannt. Auch wenn es sich angesichts von Kriegsverbrechen und Judenverfolgung um Geringfügigkeiten handelt. Sie schüchterten die Mehrheit der Bevölkerung ein.

Ich versuche das Geschehen zu erklären – nicht zu rechtfertigen. Viele Deutsche widerstanden trotz alledem den Faschisten. Mein Grossvater machte aus seiner antifaschistischen Gesinnung nie einen Hehl, trennte sich sogar von seiner Glaubensgemeinschaft, als deren amerikanische Führung sich mit den Nazis anzubiedern versuchte. Ich selbst begann als 14-/16 jähriger Sanitäter, Luftwaffenhelfer und Arbeitsdienstsoldat zu begreifen, was um mich her geschah, und mich im bescheidenen Mass an antifaschistischen Handlungen zu beteiligen. Mein Vater, der zum Mitläufer der Nazis geworden war, fasste kurz vor Kriegsende Mut, schickte trotz SS und Feldgendarmerie, die ihm unterstellten Volkssturmleute nach Hause. ....

Gruss Günter


Titus antwortete am 07.05.04 (16:45):

Hallo Jo,

ich schrieb am 29.04., daß ich auch einiges erlebt habe. Nur, ich denke ich schweige lieber, weil meine Erlebnisse überhaupt nicht hier reinpassen - ich kann nicht von Widerstand oder Ablehnung bis 1945 berichten, also,lasse ich es lieber, ich will keinen falschen Eindruck erwecken.


werner antwortete am 08.05.04 (10:52):

Leider kommt dieser Thread einige Jahre zu spät um eine Frage zu klären welche mich schon lange beschäftigt. Es geht mir um die schweigende Mehrheit und die Befürworter des Regimes der Nazis. Diese Bevölkerungsgruppen dürften zusammen wohl die Mehrheit des deutschen Volkes dargestellt haben. Mich beschäftigt ob nicht die Frage der Arroganz dabei die wesentliche Rolle gespielt hat. War es nicht Honig auf die Seele plötzlich eine Partei zu finden welche nicht nur behauptete 'Ihr seid so gut wie die Anderen' sondern sogar behauptete 'Ihr seid besser als die Anderen oder besser, die Besten'? Hätte es nicht genügt so gut wie die anderen zu sein? Ich werde den Verdacht nicht los, dass Arroganz im Volk den Nazis zur Macht verholfen haben. Wie denkt Ihr darüber?