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THEMA: Spaßgesellschaft oder was?
8 Antwort(en).
philos60
begann die Diskussion am 22.04.04 (15:25) mit folgendem Beitrag:
Je ernster die gesellschaftliche und politische Situation, um so mehr der Hang zum Spaßigen und "Ketzerischen" insbesondere bei jungen Menschen, die das Leben noch vor sich haben. Humor, Satire, Zynismus und Sarkasmus sind neben "Wehklagen", Proteste, Bürgerinitiativen, Demonstrationen alternative Reaktionen auf missliche Zustände in unserer zivilisierten Gesellschaft. Der "Spaßvogel" und "Ketzer" will sich in seinem Lebensgefühl als Bürger und Tätiger von den gesellschaftlichen Umständen zumindest nicht in seinem Selbstbewusstsein unterkriegen lassen. Seine "Witze" über Schadenfreude bis hin zum "Galgenhumor" über Missstände geben ihm das trügerische Gefühl, nicht "Opfer und Zielscheibe" zu sein. Unerfreuliches, das "durch den Kakao gezogen wird", soll verniedlicht und verharmlost werden, damit der Betrachter und Betroffene "Herr der Lage" sein kann. Harald Schmidt, Anke Engelke, Stefan Raab, Daniel Küblböck und Dieter Bohlen sind einige Repräsentanten unserer Spaßgesellschaft. Shows wie «Ladykracher», «Die Wochenshow», «TV-Total» und auch die am 17. Mai startende Schmidt-Show-Nachfolge «Anke Late Night-Show» täuschen über den „Ernst der Lage“ hinweg. Den „Ernst der Lage“ brauche ich hier wohl nicht näher zu beschreiben: 4,6 Mio. Arbeitslose, fehlende Ausbildungsplätze, Staats-/Länder-Verschuldung, flaue Wirtschaft, „Teuro“, Terrorismus, unser „krankes“ Gesundheitssystem, gescheiterte Reformversuche, Renten-Zukunft und bei allem kein Ende in Sicht, oder? Da hilft kein Jammern und Wehklagen, und mangels Lösungen und fehlender besserer Aussichten flüchtet ein Großteil unserer studierenden und arbeitenden Bevölkerung in die „Welt des Vergnügens“, nach dem Motto: „Spaß muss sein!“... „Augen zu und durch!“
Es ist schon ein sehr ernst zu nehmendes „Zeichen unserer Zeit“, wenn die „Jugend von heute“ sich über Staat, Politik und Gesellschaft mangels Zukunftsaussichten „lustig macht“. So paradox es auch klingen mag: die Verantwortlichen und wir alle sollten unsere Spaßgesellschaft ernst nehmen und das, was sie „auf die Schippe nimmt“ ändern...
Volker Zdunnek a.k.a. Philos60
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maedel
antwortete am 22.04.04 (16:38):
@philos
Ich glaube es ist noch nicht allzu lange her, dass sich unsere Eltern und Grosseltern darüber aufregten, dass wir in Petticoats und Stöckelschuhen die wildesten Tänze aufführten, wir uns die Haare toupierten bis zu einer Höhe X, die Jungmänner sich die Haare wachsen liessen sehr zum Entsetzen vieler; dann kam die Zeit der Mini-Röcke und Plateauschuhe, Hosen mit Schlag und Flower-Power. Fernsehprogramme mit dieser Auswahl wie sie heute zur Verfügung stehen gab es für viele nicht.
Und dann ! Denk zurück an APO, die wilden 68er, etc. - einige derer, die damals auf die Strasse gegangen sind und die grossen Revoluzzer gemimt haben, hocken heute auf hochrangigen Manager- und Politikersesseln.
Lass der Jugend ihren Spass, die Zeiten sind traurig genug. Kleinkariertes Denken ist nicht angesagt, damit stösst man eh auf Widerstand.
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werner
antwortete am 22.04.04 (18:44):
@philos - erzähl mir was Neues. Blütezeit des Vergnügens in den 20er Jahren, jüdischer Humor, der herrliche Humor in der DDR. Sollen alle griesgrämig durch die Gegend laufen? Probleme hat es schon immer gegeben und uns geht es in Deutschland noch hervorragend im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern. Also was solls?
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julchen
antwortete am 23.04.04 (08:09):
Humor ist ein Stressablass, den nur wir Menschen unser eigen nennen koennen. Gottseidank gibt es ihn!
Humor ist wenn man trotzdem lacht und und ein Lachen kann eine ueberwaltigente Sache auf einverleibbare groesse stutzen.
GOTTSEIDANK, gibt es auch Humor in den allertiefsten Graeben der "human condition".
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philos60
antwortete am 23.04.04 (09:19):
Wie leicht wird man doch missverstanden: Lachen ist gesund und mit Humor lässt sich so manches leichter nehmen, so lange man den Ernst der Lage nicht verkennt und ins Lächerliche zieht. Lebensfreude, Fröhlichkeit, Lachen und Witzeln ist lebensnotwendig. Aber der "Spaß" hört bei Zynismus und Sarkasmus auf, meine ich. Beispiel: "Wie, du bist arbeitslos? Haste wohl die Portokasse geplündert."... Kann ein arbeitsloser Familienvater mit fünf Kindern darüber lachen? Auch der Humor hat seine Grenzen.
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julchen
antwortete am 24.04.04 (07:07):
Zynismus kann lebensnotwendig sein - fuer Solche die ihn als als Ihr eigenes Ventil benutzen.
Manche Menschen koennen sich selber sehr zynisch ins Gedaechtnis rufen wo sie den Ball fallen gelassen haben.
Unbedacht zynisch gegenueber Anderen zu sein, ist keine Gute Idee und hat auch mit Galgen-Humor nichts mehr zu tun, da gebe ich Dir recht
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ricardo
antwortete am 24.04.04 (08:32):
Da gibt es das schöne Poem von W. Busch:
Der Philosoph
Ein Philosoph von ernster Art, Der sprach und strich sich seinen Bart: »Ich lache nie. Ich lieb' es nicht, Mein ehrenwertes Angesicht Durch Zähnefletschen zu entstellen Und närrisch wie ein Hund zu bellen; Ich lieb' es nicht, durch ein Gemecker Zu zeigen, daß ich Witzentdecker; Ich brauche nicht durch Wertvergleichen Mit andern mich herauszustreichen, Um zu ermessen, was ich bin, Denn dieses weiß ich ohnehin. Das Lachen will ich überlassen Den minder hochbegabten Klassen. Ist einer ohne Selbstvertraun In Gegenwart von schönen Fraun, So daß sie ihn als faden Gecken Abfahren lassen oder necken, Und fühlt er drob geheimen Groll Und weiß nicht, was er sagen soll, Dann schwebt mit Recht auf seinen Zügen Ein unaussprechliches Vergnügen. Und hat er Kursverlust erlitten, Ist er moralisch ausgeglitten, So gibt es Leute, die doch immer Noch dümmer sind als er und schlimmer. Und hat er etwa krumme Beine, So gibt's noch krümmere als seine. Und tröstet sich und lacht darüber Und denkt: Da bin ich mir doch lieber. Den Teufel lass' ich aus dem Spiele. Auch sonst noch lachen ihrer viele, Besonders jene ewig Heitern, Die unbewußt den Mund erweitern, Die, sozusagen, auserkoren Zum Lachen bis an beide Ohren. Sie freuen sich mit Weib und Kind Schon bloß, weil sie vorhanden sind. Ich dahingegen, der ich sitze Auf der Betrachtung höchster Spitze, Weit über allem Was und Wie, Ich bin für mich und lache nie.«
Das ging hier aber nicht gegen philos 60 :-)))) Du lachst ja gerne!
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schorsch
antwortete am 24.04.04 (16:00):
Und schon ist Meister Busch von hinnen; ich lache auch - wenn auch nur innen (;--))))
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philos60
antwortete am 24.04.04 (16:15):
Wenn Meister Busch nicht wär', da käm' der "schorsch" daher, und Meister Busch wär' er! Das freut mich sehr...mien Heeer.;-)))
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