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THEMA: Alle im Takt tanzen!
5 Antwort(en).
emilwachkopp
begann die Diskussion am 03.04.04 (01:25) mit folgendem Beitrag:
Ich war damals schon, lange noch vor den ersten Weltkrieg, war ich schon Diskjokki. Das war noch lange bevor das so was gab. Ich mein, das gab das, aber den Ausdruck gab das nich. Das war auf’s Dorf, gleich bei Neumünster. Eigenlich war ich bloß Aushilfe. Das sollte doch früher immer eine richtige Kapelle sein und nich bloß ein, der Grammofonplatten auflegt und die abnudeln. Weil nudeln, das konnt ja jeder auch zu Hause. Eigenlich war ich nich mal richtige Aushilfe, sondern bloß Gast, den man zu kommerzielle Zwecke missbraucht hat. Wegen den Profit. Jeden Sonnabend von halb sieben Uhr abends bis zun nich immer präzise vorausbestimmbaren Gingnichmehr spielte die Kapelle. Ein Akkordeon, ein Kontrabass und ein Trommler. Das waren immer dieselben, weil mehr hatten wir nich, die spielen konnten. Musik, mein ich. Zuerst ging das auch immer gut. Das hörte sich nich immer astrein an und Patzer wurden auch mal verzapft. Aber man konnt immer noch erraten, welches Stück graad gespielt wurde und das floss immer gut weg und man konnt einigermaßen nach tanzen. Aber denn war das immer dasselbe. Und das war, weil die Menschen damals schon nich auf Emil hören wollten. Und denn braucht sich auch kein über wundern. Ich hab damals gleich gesagt: „Ein geheimen Tipp gib ich euch: Gib die nichs zu trinken. Und wenn, nur Brause ohne was in.“
Aber die Dussels hörten nich auf mir und deswegen war das immer dasselbe. Das ging damit los, der der Bassist immer an sein Bass runtergerutscht is. Ich kann heut noch ein Schauder von kriegen, wenn ich an die abblubbernden Brummtöne denk. Du bist immer mitten in die Tanzbewegung erstarrt. Jedenfalls die Musikalischen unter uns. Und denn ging das damit weiter, dass der mit das Akkordeon sich immer mit die Tasten vergrabbelt hat. Wenn das denn zufällig synchronisiert geschah – der Rutschbass und das Akkordeon – denn wusste man nie genau, ob die zwei verschiedene Stücke an Wickel hatten oder ob die ein krummes Thema kontrapunktisch zerzausten. Ist aber eigenlich auch egal, weil das beis Tanzen so und so gestört hat. Aber als der Trommler denn als letzter auch noch anfing schlapp zu machen, da haben wir die Musik nur noch als Zirkus aufgefasst. Der hat immer wahlloses auf alles losgeholzt, die Trommeln kippten ihn weg und der Höhepunkt war immer erreicht, wenn der unter die große Pauke begraben lag. Denn kam der Wirt: „So Jungs, nu macht man Feierabend.“ Die drei erhielten ihren wohl verdienten Lohn an die Theke und in Saal herrschte eine gespenstische Grabesstille. Aber das war die Stille vor den großen Orkan. Denn ging das nümlich los: „Emil, Emil, Emil!“ (Die Fraun an lautesten, weil die damals noch weniger tranken.)
Das war das Zeichen und Emil Wachkopp wusste, was zu machen war. Das Grammofon hab ich ausgepackt, eine Platte aufgelegt und genudelt. Manuell. Das geriet nich immer ganz gleichmäßig, weil ich ja keine genormte Präzisionsmaschine bin. Wer jetzt noch sauber tanzen wollte, der musste flexibel zwischen Foxtrott, Slowfox und sechsneuntel Takt hin und her variieren können. Aber die meisten haben sich an gewöhnt, die Musik nich mehr so ernst genommen und ihren eigenen Trott gefunden. Aber nichs is seelisch so entleerend wie monotone manuelle Nudelei. Und der Anreiz zu solch eine Arbeit is wie ein Igel ohne Stacheln, wenn man sein Gehalt schon als Vorschuss an die Theke verballert hat. Ich bin darum von mein eignes Genudel ümmer slööprig worrn und hab mir so alle zehn Minuten selbst in den Schlaf genudelt. Denn kam der Wirt an, hat mir ein an Baffi gehaun und das Genudel ging weiter. „Bi de Arbeit ward nich slapen, Slaapmütz!“
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emilwachkopp
antwortete am 03.04.04 (01:28):
Manchmal ließ der Wirt das gar nich erst so weit kommen. Schon wenn die Musik ins Stolpern geriet und immer mehr ins Nichts absackte, kam er angelaufen und hat die Katastrophe abgewehrt, indem er mir angetrieben hat. Das kann natürlich bloß Einbildung gewesen sein. Aber mir kam das so vor, als wie wenn die Musik der Puls der Welt war. In gespenstischer Weise waren alle Bewegungen mit diesem Puls synchronisiert. Wenn der absackte, verlangsamten sich alle Bewegungen auf der Tanzfläche und wenn er erstarrte, erstarrten diese ebenfalls. Und dabei spielte das gar keine Rolle, ob jemand glaubte, seinem eigenen Willen folgend sich seinen eigenen Takt anzugeben. In Wirklichkeit bestimmte der Weltpuls über jede Bewegung und mit jeder individuellen Abweichung war bloß der Vergangenheit ein Schabernack gespielt.
Zum Glück weiß ich nich mehr, wo das alles endete. Ich weiß ja nich mal mehr, wie ich selbst nach Haus gekommen bin. Wahrscheinlich wusste ich das auch damals schon nicht.
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trux
antwortete am 03.04.04 (14:56):
Deine Beiträge, Emil, holen Unterbewusstes ans Tageslicht. Was da alles in mir wieder hochkommt? Nee, das nun wieder nicht. Bei Neumünster, na ja, da hatten die Geestbauern schwer fürs tägliche Brot zu kämpfen, da aß man Steckrüben und Bookweetenklümp (Klöße aus Buchweizen). De Klümp gabs auch zum zweiten Frühstück, gebraten mit Speck in der großen Pfanne, sagt meine Mutter. Wir von der Marsch wussten, daß Eure Musik von Trommlern und Pfeifern gemacht wurde, vorneweg mit Tambourmajor. Laß man, war schmissig, hinterher gabs Keile, das gehörte dazu, sagt man.
Im Hagelkrug übte die Feuerwehrkapelle. Blasinstrumente hatten sie jede Menge, aber keinen, der sie blasen konnte. Wenn die übten, nahm alles Getier reißaus. Nur am Horizont jaulte ab und an noch ein ängstlicher Hund. Man wusste es schon vorher, wenn nämlich die Hunde mit eingezogenem Schwanz und gesenktem Kopf das Dorf verließen. Sollte ich Lachen oder Heulen? Keine Gefühle zeigen, hieß es bei uns zu Hause. Wenn sie einzeln übten und vorspielten, ließ es sich noch eben ertragen, doch wenn der Kapellmeister aufforderte, zusammen zu spielen, ja was soll ich sagen: Auf dem Rangierbahnhof am Ablaufberg kam mir das Gequitsche und Gebremse dagegen harmonisch vor. Die Instrumente flogen zwar auf Befehl zackig zum Munde, doch was dann kam----reines Blechgetöse, dazwischen das tiefe, stoßweise Grunzen vom dicken Feuerwehrmann mit der Bass-Tuba. Doch ich musste bleiben, hatte ja oben unterm Dach mein Bett. Ich, der vornehme Trux----.
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emilwachkopp
antwortete am 03.04.04 (20:34):
"Deine Beiträge, Emil, holen Unterbewusstes ans Tageslicht."
Dat glööv ik nu ook, mien leeven Trux. Aver ik mark sowat ümmer eerst denn, wenn ik se alreets schreven heff. Vörher goor nich. Wenn ik schrieven do, denn föhlt sik dat so an, as wenn mi bloot Tüünkraam un Vergnöögtes in'n Kopp kümmt. Aver wenn ik dat denn achterher lesen do, denn seh ik ook, dat ik veel seggt heff, wat ik goornich seggen wullt.
Neumünster kenn ik goot. Ik bün nömlich veel dor west. "Rangierbahnhof und Ablaufberg", dat kenn ik allens noch. Aver ik weet nich, of ik dat hüüt wedderkennen wörd. För den Fall, dat sik dat verännert hett, meen ik. Dunntomaal hett dat noch keene Autobahn vun Hamburg na Neumünster hen geven. Ik bün op een smaale Landstraat bün ik föhrt. Eerst mit'n Peerwagen un later mit dat Auto. Dörch jeedeen Dörp büst domaals noch kamen. Un de Dörpskröög, de heff ik woll ook al kannt. Un denn denk ik ook graad noch an: VFR (or wier dat VFL) Neumünster is een sehr goote Footballmannschaft west. Sogoor gegen den HSV hebbt se speelt. Dat kann een sik hüdigendaags goor nich mehr vörstellen. Amateurfootball is veel schöner west, segg ik ümmer.
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funk
antwortete am 03.04.04 (21:06):
emilwachkopp, es isch scho echli schwierig für miich, dis Plattdütsch zverschta. Mängmal mein ich, es heb änglische Wörter drin. Aber alles gfallt mer guet, es hätt e bsunderi Schtimmig drin, wie wämmer dur es Museum wür lauffe und en uralte, heitere Füerer wür rede. - Ich ha sälber als junge Purscht amene Klässefäscht de Grammofon bedient, will ich zschüüch gsi bin zum Tanze. Und ich weiss na guet, won ich mit em Velo früe am Morge die 40 Kilometer heigfahre bi und über en Berg ha müesse stoosse, bin i vor Müedi eifach in en Straassegrabe gläge und han es Stündli gschlafe.
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emilwachkopp
antwortete am 03.04.04 (23:16):
...bin i vor Müedi eifach in en Straassegrabe gläge und han es Stündli gschlafe.
Denn war das bei Euch in die Schweiz wull damals schon büschen freier als wie bei uns. Bei uns durfte man das nich. Heute machen das alle so, damals aber nich. Höchstens mal ins Heu. Aber in Graben nur, wenn man nich adelig war. So hab ich das jedenfalls gelernt. Aber die Schweizer sind uns immer schon büschen voraus gewesen.
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