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THEMA:   Bassam Tibi, ein einsamer Rufer?

 6 Antwort(en).

mart begann die Diskussion am 16.03.04 (22:39) mit folgendem Beitrag:

Bassam Tibi, als unermüdlicher Vertreter für die Notwendigkeit eines aufgeklärten Islams, wird ja von vielen als Verräter an der Sache des Islams gesehen:

Die Kritik an ihm geht in diese Richtung:

Euro-Islam sei vergleichbar mit dem Herausnehmen der Seele aus dem Menschen. Es sei dann nur noch die leere Formhülle vorhanden, der Mensch aber sei tot.
Wenn das geschieht wird die Lebendigkeit und Lebensrichtigkeit geopfert werden, das sei der Preis, der zu bezahlen ist.
Ein Islam, ohne sein Wesen, zur leeren Form erstarrt, müßte unweigerlich sterben. Es wird das Schicksal der christlichen Kirchen in Europa als Schreckgespenst angesprochen. Durch Säkularisierung und Laizismus ins Private verbannt, friste sie ein kümmerliches, leeres Dasein, vorbei am Leben, nur noch mit sich selbst befaßt und der Zeit immer hinterher rennend. Die Kirchenaustritte und die Doppelmoral vieler ihrer Mitglieder würden das sehr deutlich zeigen.
Es müßte daher von einem gläubigen Moslem immer die Frage gestellt werden: Was hätte der Prophet zu einer Verbannung der Religion ins Private und Unpolitische gesagt? War nicht immer sein ganzes Besteben auf die Erreichung der Einheit in der Transzendenz gerichtet?


Ist die verbreitete Einstellung im Westen Gott und Glauben nur noch als Privatsache zu betrachten, nicht eine Einladung für viele Glaubensgruppierungen Einfluß und Macht zu gewinnen?


radefeld antwortete am 17.03.04 (06:28):

Das ist sie sicher. Aber warum darf es keine Vielfalt in Glaubensdingen geben? Solange jeder an seine Religion glaubt und versucht danach zu leben, wohlgemerkt OHNE den Drang, diese Glaubens- und Lebensweise anderen aufzuzwingen, ist das doch in Ordnung. Sobald jedoch ein missionarischer Eifer hinzukommt, wird es schon gefährlich.
Dann wird die Demokratie ausgehöhlt, die u.a. auch darin besteht, dass jeder SEINE Gedanken haben darf.


iustitia antwortete am 17.03.04 (07:28):

R e l i g i o n - war immer Einheit, d.h. Angriff in der Politik. Engel, Gottchen usw. waren Vorwand.
Such Dir mal raus, was Konstantin (der Un-Große) aus dem Christentum gemacht hat. (Erst, nachdem er das Kreuz als Siegesmal und -kapital mißbraucht hatte, musste er noch Vater und einen Bruder besiegen - alles unter dem Kreuz.
Nein - es gibt nur Menschenrechte (sechs Milliarden mal für jeden einzelnen Menschen), denen sich auch religiöse Angebote unterordnen müssen. Sie wollen aber lieber herrschen, die Priester, nach ihren Billiggefühlen und Verdrängungen. Sie tun's dann ja auch, sich zu entwickeln - nach Jahrhunderten.
Der Papst spricht schon von Menschenrechten und Naturschutz. Und überläßt seinen christlichen Kapitalisten und Mitbrüdern die Banken, die Märkte, die Familienstrukturen, die Subventionierung seiner Priester und Kirchenverwaltungen. - Nur nicht die Wissenschaften; die bekämpft er weiter. Da ist er kleinmütig und phantasielos.
Der Islam ist viel, viel weniger aggressiv gewesen - über Jahrhunderte - als das Heilige Christentum mit seiner NächstenHiebe.
Ja, es gibt noch den Akut-Terrorismus - den des Geldes - und - drastischer, brutaler, menschenfeindlicher: den des Dynamits, der Kampfhubschrauber, der Mauerbauer.


ricardo antwortete am 17.03.04 (08:39):

Es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß Atheisten die Menschenrechte besser achten als Christen oder Menschen anderer Religionen.
Man könnte sogar sagen, daß die heutigen atheistischen Staaten China, Kuba und Nordkorea in ihrem Fundamentalismus schlimmer sind als Länder mit einer Staatsreligion.


Karl antwortete am 17.03.04 (08:46):

Ich stimme Dir da zu Ricardo. Die Abwesenheit einer Religion macht Menschen und Staaten nicht menschlicher, s. auch die Sowjetunion. Nur, wenn man so will, ist ja eine andere Ideologie, z. B. der Kommunismus an die Stelle der Religion getreten. Ich persönlich kann mich noch an "überzeugte" Kommunisten in meinem Dorf erinnern. Die Diskussionen verliefen ähnlich wie mit religiösen Fanatikern: Ab einer bestimmten Grenze wurde nicht mehr diskutiert, da war ein Strich gezogen. Wurden die Grundfesten in Frage gestellt war das wie eine Gotteslästerung.


radefeld antwortete am 18.03.04 (06:37):

Ihr habt ja alle so Recht. Die Religionen, auch die Ersatzreligionen, wie der Kommunismus etwa, wurden von den Herrschenden immer und zu allererst zur Disziplinierung der Massen gebraucht und schamlos genutzt. Im Kommunismus gab es sogar die "Zehn Gebote der sozialistischen Ethik und Moral" in Anlehnung an christliche Wertevorstellungen.
Ganz besonders schlimm finde ich es, wenn der Glaube dazu missbraucht wird, GEGEN elementare Lebensbedürfnisse der Gläubigen oder der Ungläubigen vorzugehen. Diese Auswüchse sollten der EINZIGE Grund sein, gegen Religionen oder Religionsgemeinschaften vorzugehen. NICHTS ANDERES.


ricardo antwortete am 18.03.04 (08:22):

Es mag sein, daß der Kommunismus eine Art "Ersatzreligion" war.
Aber auch die "vernünftigen" Atheisten sind gemeint, die in ihrem persönlichen Leben die Ansprüche der Menschlichkeit nicht besser erfüllen.Ich denke auch an Philosophen wie Kant, Hegel und Fichte oder in unseren Tagen Heidegger und Sartre.
Es handelt sich um verkappte Gnostiker, die meinen, den Glauben verlassen zu können und sich auf das Wissen berufen.

Der Mensch kann sich auf die Zehenspitzen stellen, aber er wird nicht viel größer.