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THEMA:   Taxi nach Bagdad II

 14 Antwort(en).

ricardo begann die Diskussion am 13.03.04 (18:13) mit folgendem Beitrag:

"Bürgerkrieg wird es nie geben"

Aus einem Artikel der Freiburger Sonntagszeitung
Von Toni Nachbar (März 2004)

...Die Freiburger Exil-Iraker Sadik Hassan und Abbas Barzingi
erkennen im Bild der Medien ihr Land nicht wieder
nach dem Attentat auf den Schiitenführer Bakr al-Hakim, bei dem mehr
als 100 Gläubige ums Leben kamen, ist überall die Rede von
einem drohenden Bürgerkrieg. Scheitert nach dem Sturz des
Diktators der Wiederaufbau des Landes?
Nein, sagen die in Freiburg lebenden Iraker Sadik Hassan und Abbas Barzingi.
Sie begrüßen die US-Präsenz in ihrem Heimatland nach wie
vor und beklagen eine falsche Berichterstattung vieler
Medien.
für viele Mitglieder der irakischen Gemeinde in Freiburg
war der 9. April, der Tag der Einnahme von Bagdad, ein
Feiertag. Innerhalb nur einer Stunde hatten sich mehr als
200 Menschen telefonisch zu einem Fest auf einem Grillplatz
in Betzenhausen verabredet. Es wurde gegessen und getanzt,
sogar ein Autokorso der Freude war geplant durch das
Zentrum einer Stadt, in der in den Wochen zuvor große
Demonstrationen gegen die von den USA angeführte Invasion
des Irak stattgefunden hatten. Doch diese politische
Kundgebung wusste die Freiburger Polizei zu verhindern.
"Wenn ich die deutschen Medien betrachte, habe ich nur noch
Mitleid", spottet Sadik Hassan und nimmt unter anderem
Bezug auf den letzten Spiegel-Titel "Die Schiiten". Da
werde aufgrund von oberflächlichen Betrachtungen ein
"lächerliches Bild" vom Irak gezeichnet, urteilt der Mann,
der im Freiburger Regierungspräsidium arbeitet. Sämtliche
Befürchtungen, die von Medien und deutscher Regierung vor
der Invasion der US-Truppen geäußert worden seien, hätten
sich nicht bewahrheitet. Weder habe der Krieg lange
gedauert, noch habe er massenhaft Opfer gefordert oder
einen Flächenbrand im Nahen Osten ausgelöst. Auch gab es
keinen Bürgerkrieg, und "es wird auch keinen geben", sagt
der Schiit, der sich selbst "in erster Linie als Iraker,
als Kind von Babylon und Mesopotamien" sieht.

Der ganze Artikel ist nachzulesen in “die Zeit”
https://blogg.zeit.de/herzinger/


Karl antwortete am 13.03.04 (18:28):

"Bürgerkrieg wird es nie geben"

Hoffen wir, dass er recht behält!


York65 antwortete am 13.03.04 (20:23):

Auf die Meinung derjenigen,die im Exil leben und denen es hier gut geht,gebe ich garnichts.
Ich hoffe natürlich auch,wie Karl,dass es keinen Bürgerkrieg
gibt.Auf dem Balkan hatten wir es ja,wo drei Völker um ihre Unabhängigkeit und Freiheit kämpften.
Aber die Amerikaner verfolgen ja im Irak andere Ziele(Erdöl),und da ist Ruhe erste Bürgerpflicht wie sie es in der Übergangsverfassung festgeschrieben haben.


mart antwortete am 13.03.04 (20:49):

Die Exil-Iraker Sadik Hassan und Segvan Bammerni über die Zeit nach Saddam Hussein


Interview


„Der Krieg gegen den Irak ist vorbei, Saddam Hussein und sein Regime sind entmachtet, nun gilt es, den Wiederaufbau zu organisieren.
Eine wichtige Rolle dabei werden die oppositionellen Exil-Iraker spielen.
Welche Ziele aber verfolgen diese?
Gibt es eine gemeinsame Linie?
Kann die Opposition einen föderalen Irak aufbauen oder wird der Staat zerfallen?"

Der Volks- und Islamwissenschaftler Sadik Hassan, der 1982 aus dem Südirak nach Deutschland geflohen ist, und der Soziologe Segvan Bammerni, Sprecher der irakisch-kurdischen Organisationen Süddeutschlands, sehen die weitere Entwicklung optimistisch.

Aus diesem Interview einige Auszüge, es lohnt sich aber den Link aufzurufen:

--------------------------
"Welche Rolle sollen die westlichen Staaten – Deutschland, Europa, die USA – beim Wiederaufbau spielen?

Hassan:
Wenn man sich die Rolle Frankreichs, Rußlands und Deutschlands anschaut, dann wird klar, daß sie nicht aus Friedensliebe, sondern aus ökonomischen Interessen gegen den Krieg waren. Das sieht man sehr deutlich am Kosovo-Krieg. Die Aktion war völkerrechtlich ebenso wenig gedeckt wie der Irak-Krieg, und das Regime war nicht annähernd so brutal wie das im Irak. Daß die Bundesregierung damals für den Kosovo-Krieg und heute gegen den Irak-Krieg ist, das ist nur wirtschaftlich zu erklären – man weiß, wie viele deutsche, französische und russische Firmen im Irak Geschäfte gemacht haben. Und US-amerikanische Unternehmen auch, das wollen wir nicht verschweigen."

Die UNO hat in der Regel keine ökonomischen Interessen. Welche Rolle hat sie gespielt und welche wird sie nach dem Krieg spielen?

Bammerni:
"Der ganze Prozeß im Sicherheitsrat hat dazu geführt, dass Saddam sagen konnte:
Seht her, die ganze Welt ist auf meiner Seite, die USA sind im Unrecht. Die UNO hat damit nicht nur gegen den Krieg, sondern auch für das Saddam-Regime Stellung bezogen – bewußt oder unbewußt."

Hassan:
"Wenn die UNO ihre eigene Resolution 688 von 1991 so konsequent verfolgt hätte wie die Resolution 1441, dann wäre es nicht zum Krieg gekommen.
Die UNO hat sich damals verpflichtet, die Menschenrechte im Irak zu schützen. Hätte die Welt Saddam massiv und deutlich klar gemacht, daß er für die Verletzung der Menschenrechte zur Verantwortung gezogen wird, dann hätte das ganze System nicht lange existiert.
Das heißt, die UNO hat ihre Aufgabe ignoriert und sich nur auf die Entwaffnung konzentriert."

Wenn man die Reaktionen in der arabischen Welt sieht, dann wird es ein neuer, demokratischer Irak schwer haben. Droht die irakische Opposition nicht isoliert zu werden, weil sie als Verbündete der verhaßten USA angesehen wird?

Bammerni:
"Sicherlich gibt es diese Stimmen. Man muß aber sehen, daß sich viele Menschen in der arabischen Welt fälschlicherweise auf die Seite Saddams geschlagen haben, weil sie gegen die USA sind. Wenn Palästinenser Prämien von Saddam bekommen, weil sie Selbstmordattentate begehen, dann ist das nicht nur unmenschlich, es schadet auch ihrer Sache – der Lösung des Palästina-Problems."

Hassan:
"Es ist eine paradoxe Situation im Nahen Osten. Auf der einen Seite sind die Amerikaner dort verhaßt. Auf der anderen Seite weiß jeder, daß es ohne die Amerikaner keine Lösung des Palästina-Problems gibt. Genauso wie eine Veränderung im Irak nur mit Hilfe der USA möglich war. Wichtig ist jetzt, daß man den USA klar macht: Ihr könnt uns zwar helfen, aber ihr könnt uns nicht regieren."


Das Interview führte Stephan Günther, Mitarbeiter des iz3w.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 269 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.

Internet-Tipp: https://www.sopos.org/aufsaetze/3eda3f208dc98/1.html


ricardo antwortete am 13.03.04 (22:12):

@York
Du hast kein Vertrauen zu dem was hier eine große Gruppe von Irakern zu sagen haben?
Diese sind fast täglich mit ihren Angehörigen im Irak verbunden und waren zum Teil auch schon dort.
Man ist hier im Forum doch sonst nicht so mißtrauisch, wenn es um Gerüchte geht, daß Amerikaner in dunkle Geschäfte im Irak verwickelt sein sollen. Das wird sofort und aufs Wort geglaubt.
Bis jetzt hat man Iraker hier kaum zu Wort kommen lassen.
Die Freiburger Sonntagszeitung ist auch für unsere Stadt eine Ausnahme.
Ich habe bis heute garnichts gewußt von den Irakischen Flüchtlingen hier und ihren Ansichten
Bitte um etwas weniger rigorose Beurteilung.


Karl antwortete am 13.03.04 (23:08):

"Man ist hier im Forum doch sonst nicht so mißtrauisch"
Wir sollten doch Einzelmeinungen nicht zur Meinung "des" Seniorentreffs oder "der" Foren machen. In den Foren gibt es viele Meinungen.


ricardo antwortete am 13.03.04 (23:10):

Karl
Muß man das extra betonen?


BarbaraH antwortete am 14.03.04 (00:32):

>>Weder habe der Krieg lange gedauert, noch habe er massenhaft Opfer gefordert<<

Sollte man Menschen Glauben schenken , die derartiges von sich geben? Ich wüsste gern, ab wieviel Tausend Opfer diese wahrgenommen und betrauert werden.

Die ganze Welt reagierte über die ca. 3000 Toten des 11. Septembers mit blankem Entsetzen.... noch immer spüren wir den Schock in unseren Gliedern.

Etwa 10 000 Tote allein unter der zivilen Bevölkerung des Iraks hingegen zählen als wenige Opfer.

Worin mag diese unterschiedliche Empfindung begründet sein? Fehlen entsprechend spektakuläre Bilder, die sich in unsere Hirne einprägen oder zählen irakische Menschen weniger als Menschen in Amerika?


mart antwortete am 14.03.04 (10:30):

Dann lassen wir zur Abwechslung wieder einmal einen Iraker zu Wort kommen:

Ein irakischer Flüchtling, der 22-jährig desertierte, beschreibt eine Praxis unter Saddam sehr bildhaft (auf War Resisters' International)


"Da Stadtteile systematisch von Parteimitgliedern durchkämmt werden, wurde ich verhaftet und ungefähr zwei Wochen später zum Militärhospital gebracht.

"Wir waren an dem Tag ungefähr 200, nicht nur Deserteure. Es waren auch welche dabei, die nach Angaben von Parteimitgliedern "falsche Behauptungen" aufgestellt hatten.
Wir wurden in einer Reihe aufgestellt, und mußten warten, bis wir an der Reihe waren. Sie fesselten uns die Hände hinter dem Rücken und führten uns in einen leeren Raum mit nur einem Bett.
Ich werde niemals die Schreie vergessen, wenn das Ohr mit einem Skalpell abgeschnitten wurde. Es gab keine Betäubung, keine Vernehmung. Sie schnitten das Ohr ab, deckten die Wunde mit einem Stück Baumwolle ab, und wandten sich dann dem nächsten zu. Das passierte im Militärhospital in El Qadissiyah.
Wir waren wie Vieh; wir wurden einer nach dem anderen aufgerufen. Sie mußten das Ohr komplett abschneiden, so dass es sichtbar war. Ich sah einen jungen Mann, dem das Blut aus der Nase lief, und der vor Schmerz schrie: er sprang herum wie ein Huhn, dem der Hals durchgeschnitten worden war, und niemand nahm Notiz von ihm. Einigen wurden beide Ohren abgeschnitten." (4)



"1998 wurde für Desertion die Todesstrafe wieder eingeführt. Das deutet darauf hin, dass trotz harter Strafen Desertion kaum in den Griff zu bekommen war. Da Städte kein sicheres Versteck bieten, fliehen viele aufs Land oder - was die sicherste Option ist - in den kurdisch kontrollierten Norden Iraks. Aber auch dort agieren die Sicherheitskräfte Saddam Husseins.

"Mit der erneuten Drohung eines Krieges scheinen die Zahlen erneut rapide zu steigen. Im März 2002 berichtete Iraq Press, dass die Zahl der Desertionen alarmierende Höhen erreicht hat - bis zu 40% der Einberufenen melden sich nicht beim Militär (5). Dies führte dazu, dass den Soldaten der Urlaub gestrichen wurde, und die Suche nach Deserteuren erneut intensiviert wurde (6).
Mittlerweile wurde Mitgliedern der Ba'ath-Partei, die von Verwandten wissen, die desertiert sind, ebenfalls Strafe angedroht, wenn sie diese Verwandten nicht ausliefern..."

Internet-Tipp: https://www.wri-irg.org/de/irak0301.htm


BarbaraH antwortete am 15.03.04 (00:51):

Eine weitere Stimme aus dem Irak, derer von Karl A. Ammann, dem Irak-Koordinator von Caritas international:

>>Große Teile der Bevölkerung verarmen, die Energie- und Wasserversorgung sind mangelhaft, die alltägliche Gewalt nimmt zu - die Not der Irakerinnen und Iraker ist größer denn je.
(....)

95 Prozent der städtischen und 75 Prozent der ländlichen irakischen Familien hatten 1990 einen Wasserhahn im Haus. Der war Garant für gutes Trinkwasser. Dieses irakische Trink- und Abwassersystem aber war auf ununterbrochene Stromzufuhr für die Pumpsysteme angewiesen. Fatalerweise legten die USA ihren Angriff 1991 so an, dass die gesamte Energieversorgung des Landes lahm gelegt wurde. Erschwerend kam hinzu, dass die internationalen Sanktionen Reparaturen verzögerten. Zudem wurden bei Ende des Krieges 2003 die Ersatzteillager für die Wartung der Trinkwasseranlagen geplündert. Wo wiederum Ersatzteile vorhanden sind, verhindert all zu oft die prekäre Sicherheitslage, dass die Anlagen repariert werden können.<<

Frankfurter Rundschau vom 15.03.04
Der schleichende Krieg
Ein Jahr nach Ende des Waffengangs in Irak haben Not und Elend der Bevölkerung noch lange kein Ende / Von Karl A. Ammann
https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/dokumentation/?cnt=404361

Internet-Tipp: https://makeashorterlink.com/?V233258B7


ricardo antwortete am 15.03.04 (22:13):

Nicht umsonst pfeift die Frankfurter Rundschau auf dem letzten
Loch, ihr droht Insolvenz
Die SPD will sie zunächst durch Kredit retten aber die Zeitung ist nun mal nicht besonders.
Und mich wundert es nicht, daß sie derartige Berichte bevorzugt.
Es gibt eine Menge anderer, je nach Couleur.
Und ich würde schon irakische Berichte bevorzugen!


BarbaraH antwortete am 15.03.04 (22:58):

ricardo,

willst Du Herrn Amann der Lüge bezichtigen?
Willst Du uns glauben machen, ein in Deutschland lebender irakischer Taxifahrer habe den größeren Durchblick?

>>Karl A. Ammann ist Berater von Caritas international. Als Koordinator der internationalen Caritas-Hilfe in Irak hat der 61-Jährige am Wiederaufbau nach dem ersten und dem zweiten Golfkrieg mitgewirkt. Er lebte und arbeitete 15 Jahre in Libanon.<<

Internet-Tipp: https://makeashorterlink.com/?V233258B7


ricardo antwortete am 15.03.04 (23:08):

Ich bezichtige garnichts
Aber meine Berichte stehen dagegen und die gelten nicht weniger
Man kann eben sagen:
Das Glas ist halbleer (FR, Die Kasse ist ganz leer)
oder das Glas ist halbvoll( u.a. Die Zeit Richard Herzinger)
Beides ist richtig, eben verschiedene Sichtweisen!
ok?


BarbaraH antwortete am 16.03.04 (00:08):

ricardo,

Deine verzweifelten Ablenkungsversuche zeigen, dass Du an einer ernsthaften Diskussion nicht interessiert bist. Oder kannst Du mir vielleicht erklären, was finanzielle Probleme der Frankfurter Rundschau mit den Zuständen im Irak zu tun haben?


ricardo antwortete am 16.03.04 (14:20):

Fragt sich
wer hier ablenkt.
Und verzweifelt ist schon eine Zeitung, die am Abschnappen ist.
Da kann man sich keine Artikel leisten, die den Lesern wegen einer etwaigen kritischen Haltung anderer Art nicht gefallen.
Lies mal die FAZ, die ist bissel besser dran und i weniger einseitig.