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THEMA:   Samuel Huntington: Die "Gründungskultur" Amerikas ist gefährdet...

 30 Antwort(en).

BarbaraH begann die Diskussion am 12.03.04 (01:35) mit folgendem Beitrag:

Acht Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches „The Clash of Civilisations“ (Kampf der Kulturen) hat der Politikwissenschaftler Samuel Huntington erneut zugeschlagen:

In seinem neuen Buch geht es wieder um den Kampf der Kulturen. Diesmal wird jedoch der Feind innerhalb Amerikas ausgemacht: Huntington sieht die anglo-protestantische "Gründungskultur“ durch die Zuwanderung der Hispanics, vorwiegend aus Mexiko, gefährdet. Diese Gruppe von Immigranten widersteht der Integration, durch sie bildet sich Huntingtons Meinung nach ein "autonomer, kulturell und sprachlich verschiedener und ökonomisch selbständiger Block" heraus. Die USA drohten zu einem Land mit zwei Sprachen, zwei Kulturen und zwei Völkern zu werden.

Aber Huntington weiß auch schon die Lösung:

>>ein abrupter Zuwanderungsstopp....: Alle Probleme würden verschwinden. Auch sonst ist der Autor nicht eben subtil, die Überfremdungsängste des weißen Amerika zu bedienen....... Er warnt vor dem sozialen Abstieg all jener, die nur Englisch sprechen könnten. Er ordnet der "anglo-protestantischen Kultur" positive Begriffe wie Religiosität, Herrschaft des Rechts, Individualismus zu - während die angeblichen hispanischen Wesensmerkmale durchweg negativ klingen: Misstrauen, fehlende Initiative und Ambitionen, kaum Interesse an Bildung.<<

Samuel Huntington ist Professor der Harvard Universität, zählt zur Elite Amerikas....
Sein neues Buch könnte zu einem weiteren Sprengsatz werden, der Menschen verschiedener Kulturen und Herkunft entzweit.

Internet-Tipp:
Frankfurter Rundschau vom 12.03.04
BUCHVERÖFFENTLICHUNG IN DEN USA
"Kampf der Kulturen" - diesmal unter US-Amerikanern
VON DIETMAR OSTERMANN (WASHINGTON)
https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/international/?cnt=403049

Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/international/?cnt=403049


julchen antwortete am 12.03.04 (06:58):

barbara......

traurig wie's ist Samuel Huntington hat recht.

Abgesehen von dem Fakt dass ich dieses "widerstehen der Integration" via meines Angetrauten
Mexikanischen Mannes 20 jahre gelebt hat, so habe
ich auch lernen muessen dass
"Misstrauen, fehlende Initiative und Ambitionen, kaum Interesse an Bildung" leider GAR NICHT unueblich
ist in hispanic culture.

Es ist absolut NICHTS was "Elite Amerika" sich ausgedacht haben um anderen auf der Stirn rumzutanzen, es ist leider fuer einen grossen Prozentsatz Mexikanischer Einwanderer ein Fakt.


mart antwortete am 12.03.04 (09:24):

<<ein "autonomer, kulturell und sprachlich verschiedener und ökonomisch selbständiger Block" heraus. Die USA drohten zu einem Land mit zwei Sprachen, zwei Kulturen und zwei Völkern zu werden.<<

Nun genau dasselbe hat mein Bruder, der schon jahrzehntelang in Californien lebt - übrigens natürlich fast perfekt spanisch spricht - , und dort als theoretischer Physiker und Internist arbeitet, schon vor Jahren gesagt. Er brauchte dazu keinen Huntington - und keinen Think Tank. -

Daher erscheint mir die Huntingtons Feststellung nicht aus den Fingern gesogen zu sein bzw. ersonnen zu sein. --
Über Konsequenzen zu sprechen, denke ich daher, ist nicht schon von vornherein und per se rassistisch sondern einfach vernünftig.


schorsch antwortete am 12.03.04 (09:33):

Ist es eigentlich nicht erstaunlich, dass Menschen wie die Hispanos Jahrhunderte lang existieren konnten, trotz ihrer "Untermenschen-Mentalität"!

Und ist es nicht erstaunlich, dass sie sich standhaft weigern, in den States vom Unter- zum Übermenschen zu mutieren?


Wolfgang antwortete am 12.03.04 (10:31):

Wer Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe etc. negative oder positive Eigenschaften zuschreibt, ist ein Rassist. SAMUEL P. HUNTINGTON ist ein Rassist. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft betriebt er seit Jahren den 'Krieg der Kulturen'. Diese Ideologie ist die passende Ideologie des Krieges der NeoCons und ihrer BUSH-Krieger um die Weltherrschaft.

Solche Ideologen brauchen in der Tat 'Untermenschen' (die sie als solche definieren) und 'Uebermenschen' (die sie ebenfalls als solche definieren).

HUNTINGTON bedient weisse Menschen, die um ihre sozialen Standards fuerchten, mit einem Bedrohungsszenario. Mit diesem Bedrohungsszenario und den daraus resultierenden Aengsten wird dann Politik gemacht... Kriegspolitik... Kriegspolitik im Interesse der Maechtigen.

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Rassismus


Wolfgang antwortete am 12.03.04 (10:36):

Hier ist der Link zu HUNTINGTON's Pamphlet, um das es hier geht:

Foreign Policy - March/April 2004
The Hispanic Challenge (by SAMUEL P. HUNTINGTON)
https://www.foreignpolicy.com/story/cms.php?story_id=2495

Internet-Tipp: https://www.foreignpolicy.com/story/cms.php?story_id=2495


Titus antwortete am 12.03.04 (11:38):

@Wolfgang,

ich habe keine Ahnung, wie die Verhältnisse in den USA bezüglich der geschilderten Einwanderergruppen sind.

Ich vertraue voll ganz demn, was Julchen hier aus eigener Erfahrung und eigenem Wissen schreibt.

Legitim wäre es darüber nachzudenken, ob diese Situation positiv zu ändern ist. Das muß allein vor Ort in den USA geschehen.

Pack´Deine Rassismuskeule wieder ein, die ist hier nun wirklich fehl am Platz (so wie auch sonst).


BarbaraH antwortete am 12.03.04 (12:19):

Titus,

wieviel Hispanics mag es in den USA wohl geben? Meinst Du wirklich, dass die eigenen Erfahrungen mit ein/zwei oder lass es zwanzig Menschen dieser Herkunft sein, auf die gesamte Gruppe projiziert werden können und dürfen?

Wenn Du schon von der Rassismuskeule sprechen möchtest:
mir ist eine Keule im Verteidigungseinsatz zu Gunsten einer Gruppe von Menschen einer bestimmten Herkunft allemal lieber als zum Draufschlagen auf eben diese....

Zum Glück scheinen das verantwortungsbewusste US-Bürger ähnlich zu sehen, wie der letzte Absatz des von mir genannten Artikels besagt:

>>In ersten Reaktionen haben sowohl rechte wie linke Intellektuelle Huntingtons neue Kulturkampfthese scharf zurückgewiesen. Der konservative Kolumnist David Brooks betont, Hispanics würden sich sehr wohl in die US-Gesellschaft integrieren. Der Latino-Experte Gregory Rodriguez wirft Huntington "engstirnigen Nationalismus" vor.<<

Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/international/?cnt=403049


mart antwortete am 12.03.04 (13:32):

Interessant ist folgende Kritik:

"Der mexikanische Politologe und frühere UN-Botschafter Adolfo Aguilar Zinser schrieb in «Reforma», dass Huntington mit seiner Befürchtung, die USA könnten in «zwei Völker, zwei Kulturen und zwei Sprachen» zerfallen sicherlich ein weit verbreitetes Denken im Nachbarland wiedergebe.

"«Die nordamerikanische Gesellschaft ist aber schon jetzt keine vorwiegend anglo-protestantische nationale Gemeinschaft mehr, auch wenn die Nostalgie Huntingtons und vieler anderer dies nicht akzeptieren mag», fügte er hinzu.

"Selbst Präsident George W. Bush habe dies erkannt und Wahlkampfspots auf Englisch und auf Spanisch produzieren lassen."


Da wird aber Bush und Co und Think Tank keine Freude mit dem Auftragsschreiber Huntington haben:-(

Internet-Tipp: https://portale.web.de/Kultur/?msg_id=4475734


Titus antwortete am 12.03.04 (14:01):

Nein, Barbara, die sogenannten Schreibtisch-Experten sind für mich nicht aussagekräftig.

Ein Mensch wie Julchen, die seit vielen Jahren unter diesen Einwanderern lebt und sicherlich viele kennt, kann die Problematik besser beurteilen.

Erinnere Dich an unsere, deutschen "Experten", die uns mit Statistiken bombardieren, über die RentnerInnen, über den EURO, der angeblich nicht zu Teuerungen geführt hat etc.
Glaubst Du, daß jemals einer dieser "Experten" im Supermarkt zum Einkaufen war? Aber, Sie meinen zu wissen, was Sache ist.

Und Wolfgang holt mit seiner Rassismuskeule ungezielt zum Rundumschlag aus, und weiß auch nicht, was sachlich richtig ist. Woher auch - also weg mit der Keule.


schorsch antwortete am 12.03.04 (18:01):

@ mart: "...die USA könnten in «zwei Völker, zwei Kulturen und zwei Sprachen» zerfallen..."

Mir schwant Unheil, wenn ich an die ein paar Dutzend Sprachen denke, die im Euroland bald gesprochen werden werden....

....da müssen wir uns vielleicht doch noch auf Esperanto umstellen?


mart antwortete am 12.03.04 (20:00):

Ich glaube, es wäre wirklich eine gute Idee Esperanto in die EU-Sprachen aufzunehmen - und zwar als 5. Hauptsprache - auf eine Sprache mehr oder weniger kommt es wohl auch nicht mehr an.

Ich glaube, das wäre eine gute Möglichkeit eine Identität zu schaffen.


swiss antwortete am 12.03.04 (22:38):

Zu dem Thema Amerika - Mexico möchte ich ein Buch empfehlen, welches ich vor einigen Jahren gelesen habe: ein Roman, sehr eindrucksvoll und realistisch beschrieben.
Lesenswert!

T.C.Boyle: America

Internet-Tipp: https://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3423125195/qid=1079126609/sr=1-1/ref=sr_1_2_1/028-1824727-8098139


julchen antwortete am 13.03.04 (07:27):

Hallo Mart,

auch ich spreche halbwegs passables Spanish, spraeche
es aber wesentlich besser, haette ich das Lernen nicht
aufgegeben zu Gunsten Meines Mannes, der an der
Arbeit, mit Freunden und zu Hause NUR spanish sprach.
Damals glaubte ich noch an die Maehr dass er eben
ja "keine gelegenheit" habe english zu lernen.
Auch an die Maehr dass es allen ander Mexikanern in
USA genauso ging!

Texas hat Millionen von Mexikanischen Buergern.
Staatsbuerger - eingewanderte-...was immer (Runde 40% aller Einwohner).
So wie "China Town" in San Francisco, gibt es ganze
Stadtteile, wo alle Beschilderungen NUR in Spanish
aushaengen.
ALLE staatlichen Dokument sind 2-sprachig gedruckt
um nicht-english-bewandten das Ausfuellen
leichter zu machen.
Mit anderen Worten: Texas ist sowieso bereits ein
2-Voelker-2-Kulturen Land.
Egal was in Washington oder in der Zeitung gedroht oder beschieden wird - fuer Texas aendert sich da nichts.

Meine Erfahrung nach fast 24 Jahren ist, dass DER/DIE lernt wer lernen will und dass der Rest nicht lernt weil ER/SIE eben ganz einfach nicht will!
Leider ist dieser Rest nicht klein.

Mart's Bruder lebt in einem Staat der ungefaehr den
gleichen prozentsatz and "Hispanics" vorzuweisen
hat und der weiss auch um was es geht.

Mein Sohn spricht 3 Sprachen! - Das tut er nicht weil
er seinem Vater nacheiferte, sondern weil seine Mutter
ihm klarmachte wie wichtig das ist und was fuer ein
offenes Tor seine multi-kulturelle Familie ihm da bot.

Titus, fuer Deine Unterstuetzung danke ich Dir da.
Ich glaube DU weisst, dass mir Rassismus unterkrempeln zu wollen ziemlich bloed ist von Leuten,
die ueberhaupt nicht wissen um was es geht.

Schorsch,
Was Du sagst ist ueber Hispano-Kulturen ist absolut
nullwertig. Das wuesstest Du wenn Du "den kleinen
Mexikaner von der Strasse" kennen wuerdest.

Was Nationalstolz - Patriosmus und Landestreue betrifft - da ist die US ein Dreck dagegen.:))
Sollte Mexico jemals eine nicht-korrupte Regierung haben und Wert darauf legen seine Buerger zu edukieren, informieren, den Reichtum des Landes
an die Buerger runter zu delegieren - dann koennte
Mexico eine Weltmacht sein.
Aber selbst wenn, hiesse es immer noch die Lethargie
und den Fatalismus zu ueberkommen. - und DER
ist weitverbreitet.

@ Mart
Die Wahlkraft der Hispanics ist nicht zu unterschaetzen
in Texas und allen anderen Staaten, die mit Mexico
eine Grenze teilen.
Es muss aber auch dazu gesagt werden, dass Bush
passables spanish spricht und dass vor allem seine
Frau of hispanic descent ist. M.a.W. Laura Bush ist Hispanic-American.


Wolfgang antwortete am 13.03.04 (14:18):

"Das Gefaehrliche an diesen Thesen von Herrn Huntington ist natuerlich die Tatsache, dass sie einem grossen Teil der Amerikaner aus der Seele sprechen.", sagt MATTHIAS REICHE, Auslandskorrespondent im ARD-Buero Mexico-City.

Das Interview mit Herrn REICHE kann hier gelesen werden:

Deutschlandfunk - Kultur Heute - 11.03.2004
Huntingtons neue Kulturkampfthesen und die mexikanische Realitaet
MATTHIAS REICHE im Gespraech
https://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/246435/

Internet-Tipp: https://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/246435/


Wolfgang antwortete am 14.03.04 (11:42):

Noch ein Wort zum Rassismus (das nicht fehlen darf, wenn ueber SAMUEL P. HUNTINGTON's gefaehrliche Thesen diskutiert wird). Rassismus hat individual- und kollektiv-psychologische Funktionen. Zum Beispiel sollen mit rassistischen 'Erklaerungen' der Wirklichkeit bestehende Ungleichheiten als natuerlich und damit als 'gut' und vor allem als nicht veraenderbar definiert werden.

HUNTINGTON ist ein Meister darin, der bestehenden skandaloesen Ungleichheit zwischen der sogenannten 'entwickelten' Welt und der sogenannten 'unterentwickelten' Welt die rassistische 'Erklaerung' zu liefern.

Rassisten wollen den Krieg. HUNTINGTON liefert den Rassisten dieser Welt die psychische Entlastung, dass diese ihren Krieg mit noch weniger Skrupeln fuehren koennen, als ihnen ohnehin schon zu eigen ist. Das 'Gute' und das 'Boese' wird so konstruiert. Selbstredend stehen HUNTINGTON und seine AnhaengerInnen fuer das 'Gute' (das glauben sie jedenfalls). Sie taeuschen sich und andere. Unter Rassisten ist das aber gaengige Parxis - sonst waeren sie keine Rassisten. ;-)

Internet-Tipp: https://www.dir-info.de/dokumente/def_rass_memmi.shtml


mart antwortete am 14.03.04 (11:48):

Antirassisten haben so wie echte Rassisten sehr einfache Welterklärungsmodelle:-((


mart antwortete am 14.03.04 (11:51):

Pardon Korrektur:

Antirassisten haben OFT so wie ...........


Wolfgang antwortete am 15.03.04 (10:52):

Ueber die unselige Rolle von Schreibtischtaetern ist von CHRISTOPH BUTTERWEGE - Professor für Politikwissenschaft und Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) am Seminar fuer Sozialwissenschaften der Universitaet in Koeln - zu lesen:

"Rueckt die Konkurrenz in den Mittelpunkt zwischenstaatlicher und -menschlicher Beziehungen, so laesst sich die ethnische bzw. Kulturdifferenz relativ leicht politisch aufladen. Wenn international renommierte Wissenschaftler von einem 'Kampf der Kulturen' (siehe Huntington 1996) oder einem 'Krieg der Zivilisationen' (siehe Tibi 1995) sprechen, wundert es nicht, dass deutsche Jugendliche zur Gewalt gegenueber Fremden greifen, die sie als Konkurrenten um Arbeitsplaetze, Lehrstellen, Wohnungen und Sexualpartnerinnen empfinden."

Quelle des Zitats... "Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus im Zeitalter der Globalisierung" (von CHRISTOPH BUTTERWEGE), Rosa-Luxemburg-Clubs Aktuell (RLC), https://www.rosa-luxemburg-club.de/index.htm, s. Link

Internet-Tipp: https://www.rosa-luxemburg-club.de/index.htm


mart antwortete am 15.03.04 (11:01):

Ich würde die Schriftsteller aus dem arabischen Raum, die schon Jahrzehnte vor Huntington und Tibi den Krieg gegen den Westen und den Kapitalismus propagiert haben, hier einmal an erster Stelle erwähnen.
Sie lieferten und liefern den Mörderbanden die Rechtfertigungen für ihr Handeln.


Warum vergißt man diejenigen, deren Aufrufe zum Kampf man vielleicht als gerechtfertigt empfindet, ebenfalls als Wegbereiter für Intoleranz zu nennen und zu brandmarken?


Wolfgang antwortete am 15.03.04 (11:24):

Die Erklaerung liegt auf der Hand: In 'unserer' westlichen Kultur dominieren 'unsere' Kulturkrieger die politische Auseinandersetzung. In anderen Kulturen dominieren deren Kulturkrieger die politische Auseinandersetzung. Nur Dumme glauben, dass es Kulturkrieger (manchmal nennen sie sich auch 'Gotteskrieger', was aber nicht dasselbe ist) nur in einer Kultur gibt. Kulturkrieger und Anhaenger ihrer Ideologien gibt es viele; sie schaukeln sich in Sachen Intoleranz und Machtstreben und Bereitschaft zur Gewalt gegenseitig hoch.

Das Ergebnis ihrer Bestrebungen ist der Krieg... Wohlgemerkt: Der wirkliche Krieg... Der Kulturkrieg ist nur der ideologische Schein dazu.


Wolfgang antwortete am 15.03.04 (11:48):

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf einen meiner Beitraege (den vom 27.01.04 (14:11) im archivierten Thema 'Ein friedlicher Blick zurueck...', s. Link)... Damals habe ich auf folgenden taz-Artikel hingewiesen:

taz - 27.01.2004
Die Freiheit, die in der Unterwerfung liegt
Vor vierzig Jahren verfasste der aegyptische Denker SAYYID QUTB 'Meilensteine', eines der philosophischen Urdokumente des islamistischen Terrorismus. Seine Doktrin ueberrascht durch das antiautoritaere Freiheitspathos, mit der sie sich als Alternative zu Kommerz, Goetzendienst und innerer Leere praesentiert
https://www.taz.de/pt/2004/01/27/a0128.nf/text
https://www.taz.de/pt/2004/01/27/a0137.nf/text

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv1/a1781.html


mart antwortete am 15.03.04 (11:59):

Dann würde ich dich ersuchen, nicht allein die letzten in der Reihe derjenigen, die auf die Gefahr des Kampfes von Kulturen hinweisen, zu brandmarken --- und es ist einfach lächerlich Bassam Tibi in die Reihe der Kriegstreiber einzuordnen --
sondern einfach ehrlich sagen, daß die Vordenker der heutigen Bombenleger schon vor vielen Jahrzehnten den Krieg gegen Andersdenkende theoretisch begründet, mit praktischen Anleitungen versehen und ausgerufen haben.

Die Andersdenkenden - der "verdorbene und gottlose" Westen haben nun die Toleranz und die Gleichheit als Grundwerte festgeschrieben - und da ergibt sich eben die Frage, ob dieser Wettbewerb "Toleranz" versus "Nichttoleranz" nicht von vornherein aus der diesem Begriff "Toleranz" innewohnenden Schwäche verloren ist.

Aber es könnte ja sein, daß das im Sinne deines Kampfes gegen den Imperialismus und Kapitalismus ist?


Wolfgang antwortete am 15.03.04 (12:08):

So einseitig und - vorsichtig ausgedrueckt - schlicht denken wie die KulturkriegerInnen jeglicher Couleur (auch die hier in den Foren) moechte ich eben nicht... Und deshalb werde ich hier weiter so schreiben, wie ich es vor mir selbst verantworten kann. ;-)


mart antwortete am 15.03.04 (12:23):

"Meilensteine" von Qutb dürfte für den islamischen Fundamentalismus in etwa das darstellen, was das Manifest von Karl Marx einst für den Kommunismus bedeutete.

Und die Konsequenzen dürften diegleichen sein. - Was Terror, Mord, Gulag, Diktatoren, Meinungsfreiheit und eine geschundene Bevölkerung betrifft.

So wie das kommunistische Manifest große Attraktivität für viele Menschen hatte und wohl immer haben wird, so haben die "Meilensteine" von Qutb viele meiner Meinung nach richtige Überlegungen.

Genauso aber wie das Kommunistische Manifest im Terror und im Gulag endete - (übrigens mit wesentlich mehr Toten als Hitler das zustandebrachte - ich weiß, ein heutzutage nicht zulässiger Vergleich), sind auch die "Meilensteine" das Fundament für die heutigen islamistischen Terroristen.

Es ist wahr, Lehre Qutbs tritt mit einem großen Freiheitspathos auf. Der Begriff der Freiheit ist ihr zentral:
die Freiheit von der Unterwerfung unter die Gesetze Pharaos (womit jeder weltliche Herrscher gemeint ist).

Unterwerfung unter die Scharia ist Freiheit, denn die Scharia kommt von Gott.

Unterwerfung unter weltliche Gesetze, und seien sie von frei gewählten Parlamenten beschlossen, ist Unfreiheit, denn diese Gesetze wurden von Menschen gemacht.

Indem er sich dem Gott Mohammeds unterstellt, wirft der Mensch die Ketten weltlicher Knechtschaft ab.

----

Das ist nicht die Freiheit, die ich verstehe, und eine Vermengung von Staat und Religion, die seit der Aufklärung im zunehmenden Ausmaß vollzogen wurde. Diese ermöglicht mir die Freiheit zu leben, wie ich will und nicht so wie es von irgendeinem religiösen Buch vorgeschrieben wird oder von irgendwelchen Religionsgelehrten ausgelegt wird.

Der Anspruch irgendeiner Ideologie und irgendeiner Religion, die einzige Wahrheit zu verkünden, war in der bisherigen Menschheitsgeschichte immer mit Unmenschlichkeiten verbunden.


Wolfgang antwortete am 16.03.04 (07:18):

In der Tat: Gotteskrieger, 'christliche', 'islamische', 'juedische' Gotteskrieger sind verantwortlich dafuer, dass die Welt an den Rand eines Weltkrieges gebracht wurde. Ich verachte alle Gotteskrieger... GEORGE W. BUSH, wie OSAMA BIN LADEN gleichermassen... Die ekelhaften 'Monster-Zwillinge' (A. ROY). Man muss ihnen und ihren Ideologen und ihrem Mob eine friedliche Politik entgegen setzen. Eine Politik, die auf wirtschaftlichen Ausgleich aus ist... Eine Politik, die auf erneuerbare Energien setzt...


mart antwortete am 16.03.04 (21:12):

Gotteskrieger wie Bin Laden gingen bei Qutb in die Schule und möchten die Ideologie des radikalen Islamismus umsetzen. Arabische Biografen preisen Qutb als die «berühmteste und einflussreichste Persönlichkeit in der muslimischen Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts».


Den Krieg der Kulturen hat keineswegs Huntington ausgerufen, sondern dieser Qutb 1950, der zum heiligen Krieg und zur Verteidigung des Islam aufruft.


Die «Ignoranz des 20. Jahrhunderts», so der Titel von Qutbs letztem Pamphlet, widerspreche dem göttlichen Willen. Nur mit Gewalt lasse sich die göttliche Ordnung wiederherstellen. «Sei der Prinz der Gläubigen, nimm deine Mission an und zerstöre das Böse in der Welt im Namen Allahs!», heisst es dort.

Der radikale Islamismus ist selbstverständlich nicht identisch mit dem Islam, von dem es durchaus friedliebende, antiradikale und sogar liberale Ausformungen gibt.

----
Aus DIE ZEIT
32/2003
Der dritte Totalitarismus

Radikale Islamisten kämpfen um die Weltherrschaft. Das haben sie mit Hitler und Stalin gemein Von Yehuda Bauer


„Was will der radikale Islamismus?


„Erstens
nichts weniger als die Weltherrschaft.
Das sagt er klipp und klar, schwarz auf weiß. Der Islam soll überall durchgesetzt werden, wenn möglich durch friedliche Überzeugung, wenn nicht, dann eben auf andere Art.

"Zweitens
fordert der Islamismus die Abschaffung des Staates und seiner gesetzlichen Normen. Gott ist für ihn der alleinige Gesetzgeber, zusätzliche menschliche Gesetzgebung hält er nicht nur für überflüssig, sondern sogar für lästerlich. Ein islamistischer staatlicher Apparat ist deshalb nur als eine rein technische Einrichtung vorstellbar, die von Priestern beherrscht wird. für das nationale Moment von Staatlichkeit ist in der Glaubensgemeinschaft der Muslime nach islamistischer Lesart kein Platz. Parlamente und Demokratie seien das Produkt irregeleiteter Ideen von Ungläubigen. Die schiitische Revolution des Ajatollah Chomeini im Iran sah diesen Punkt freilich etwas anders; dort war man von Anfang an bereit, den Bürgern zumindest ein minimales Rederecht zuzugestehen, natürlich unter strikter religiöser Aufsicht.


"Drittens
will der radikale Islamismus die Vernichtung der Juden und an erster Stelle Israels. Dies soll das Vorspiel zum Sieg über den Westen insgesamt und über Amerika im Besonderen sein“



„Der radikale Islamismus verbreitet die Utopie einer friedlichen, von Gott mittels der Herrschaft von „Weisen“ regierten Welt.
Weil in dieser Sicht nach dem Sieg über die Ungläubigen die menschliche Geschichte abgeschlossen sei, kann man von einer universellen, apokalyptischen Utopie sprechen.
Wir müssen uns keine Illusionen darüber machen, dass jede radikale, universelle, apokalyptische Utopie absolut mörderisch ist.“


„Der erste Schritt im Kampf gegen den radikalen Islamismus ist aber die Erkenntnis, dass die zivilisierte Welt in großer Gefahr schwebt – Globalisierungsfreunde wie Globalisierungsgegner, Linke wie Rechte, Sozialdemokraten, Liberale und Konservative sollten sich darin einig sein.

"Besonders in Europa wiederholt sich derzeit eine Entwicklung, die aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt ist. Wohlmeinende Liberale, Konservative und Sozialisten glaubten damals, dass Hitler nur das Unrecht von Versailles tilgen wolle und Stalin die friedliebende Sowjetunion zur Demokratie führen werde. Letzteres wurde uns auch in den fünfziger und sechziger Jahren immer wieder von liberalen Menschenfreunden gepredigt.

"Heute wird das Verständnis für die Motive der Terroristen damit begründet, dass man es sich nicht mit dem Islam verderben dürfe. Diese Naivität müssen wir zurückweisen, wenn wir gegen die Bedrohung durch den radikalen Islamismus gewappnet sein wollen.“

Internet-Tipp: https://zeus.zeit.de/text/2003/32/Essay_Bauer


Wolfgang antwortete am 16.03.04 (21:45):

Natuerlich bedroht uns nicht nur der islamistische Fundamentalismus, sondern auch der westliche Fundamentalismus, der sich als moderner Kreuzzug (gelegentlich im christlichen und juedischen Gewand) gegen die Muslime geriert. Der ist sogar gefaehrlicher, weil ihre ProtagonistInnen ueber die zerstoererischeren Waffen verfuegen.

Beide Fundamentalismen sind zwei Seiten derselben Medaille.

Viele Menschen schlagen sich auf die eine oder auf die andere Seite 'ihres' Fundamentalismus. Als KulturkriegerInnen fuehlen sie sich geborgen und wohl. Die Gewalt der jeweils anderen Seite verurteilen sie, um im gleichen Atemzug nach noch mehr Gewalt gegen die jeweils andere Seite zu rufen. Um die 'eigenen' Toten weinen sie (so sagen sie jedenfalls). Fuer die Toten der 'Anderen' haben sie den Begriff des 'Kollateralschadens' gepraegt, der nun einmal, leider, leider, bezahlt werden muesse.

So schaukeln sich die FundamentalistInnen jeglicher Couleur gegenseitig hoch. Das Recht, die Toleranz, die Gelassenheit, die Demut, die Fairnis, das Nachdenken ueber eigene Fehler, der Dialog... all diese Werte bleiben zunehmend auf der Strecke.

Der Kulturkrieg ist in vollem Gange und wird viele Opfer (auch bei uns) fordern. Eine neue Jagdsaison fuer Kulturkrieger ist eroeffnet.

Es ist, als grassiere ein Virus, ein kollektiver Wahnsinn, der immer mehr ansteckt und wahnsinnig macht.

Ist es moeglich, dass das abgelaufene schreckliche 20. Jahrhundert nur ein kleiner Vorgeschmack dessen war, was uns in diesem 21. Jahrhundert droht ?


mart antwortete am 16.03.04 (22:09):

Dann bitte nicht Huntington als denjenigen nennen, der im Zuge einer geplanten Kampagne in einem "Think Tank" den Krieg der Kulturen ausgerufen hat.

Das war jemand anderer in einem anderen Erdteil.

Bei den Mitteln, die bei diesem Krieg gegen die ungläubigen Teufeln ergriffen werden dürften, war man in diesem islamistischen "Think Tank" nicht gerade zimperlich.

Es kann keine Demutsbezeugung und kein Bekenntnis zum Pazifismus zielführend sein, wenn man die Ideologie, die die islamistischen Kreuzzügler antreibt und die die Jagdsaison eingeläutet haben, außer acht läßt.


Wolfgang antwortete am 16.03.04 (22:49):

Nein... Was die moderne Geschichte betrifft, waren es nicht die Islamisten, die die Jagdsaison eroeffnet haben. Der 'Krieg der Kulturen' (SAMUEL P: HUNTINGTON) - die passende Ideologie zum Krieg ums Oel - wurde in amerikanischen Think Tanks unter diesem Namen ausgebruetet.

Der Krieg ums Oel (Synonym fuer die von den westlichen entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften so dringend benoetigten Ressourcen, die in der sogenannten 3. Welt lagern), der moderne (nur oeberflaechlich sich christlich oder juedisch gerierende) Kreuzzug, dauert schon sehr lange - sagen wir ein paar hundert Jahre lang. Das ist ein imperialistischer Krieg der Eliten der 1. und 2. Welt gegen die 'eigenen' Menschen und vor allem gegen die Menschen der 3. Welt.

Eine der Reaktionen: Der wachsende militaerische Widerstand dort, wo besonders heftig um den wichtigsten Schmierstoff der westlichen kapitalistischen Welt gekaempft wird.

Die Ideologien aller Kulturkrieger sind austauschbar. Sie sind der fuer viele allzu schoene Schein um die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist das Oel.


mart antwortete am 16.03.04 (23:27):

Auch Wiederholungen machen eine falsche Feststellung nicht richtiger.

Auch wenn die Wahrheit unbequem, weil nicht in die gegenwärtige Erklärungsmodelle passend,

der Begriff "islamische Weltrevolution" stammt nicht von dem Harvard-Professor Samuel P. Huntington,
der die Formel vom „Clash of Civilizations/Zusammenprall der Zivilisationen" geprägt hat, die man in Deutschland verfälschend, sozusagen in der Tradition von „Klassenkampf" und „Mein Kampf" mit dem neuen Begriff „Kampf der Kulturen" übersetzte.

Nein, die Formel „islamische Weltrevolution" stammt vom geistigen Vater des politischen Islam, dem Ägypter Sayyid Qutb, der auch zu den geistigen Vätern von Usama Bin Laden gehört.