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THEMA:   Ende der Gleichberechtigung der Frau im Irak

 38 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 16.01.04 (09:08) mit folgendem Beitrag:

Es ging nicht um Menschenrechte oder "westliche Werte", es ging nur ums Öl.

Mit amerikanischem Segen hat der Übergangsrat im Irak das unter Saddam Hussein geltende säkulare Rechtssystem außer Kraft gesetzt. Das herkömmliche religiöse Recht gilt nun. Damit ist die Gleichberechtigung der Frauen im Irak dahin und ein erster Schritt in Richtung "Gottesstaat" getan.

War dies ein erklärtes Ziel der Bush-Administration? Nein, es war die Befürchtung von Senioren hier bereits vor dem Krieg!

Jutta wird uns dieses Ergebnis des Krieges als Erfolg noch umdeuten müssen. Meine unmaßgebliche Meinung ist: Der Irak-Krieg einer ölverschmierten und geldgierigen US-Administration hat das Ansehen des "Westens" in der islamischen Welt vollends zerstört, und die Vorraussetzungen verschlechtert, dass sich die "westlichen Werte" weltweit durchsetzen.


Medea. antwortete am 16.01.04 (10:35):

Was hat das verdammte Öl nicht alles auf seinem Gewissen ....
nun sind auch noch die Frauen dran. :-((


Titus antwortete am 16.01.04 (13:02):

Die Frage ist nur, lassen sich die Frauen im Irak wieder unterdrücken oder sind sie inzwischen stark genug, um ihre durch den bösen Diktator Saddam Hussein eingeräumten Rechte
zu verteidigen - zum Wohle des neuen Irak (der sonst einen fürchterlichen Rückfall ins Mittelalter erleben würde)?


schorsch antwortete am 16.01.04 (13:24):

Erfahrungen in andere Ländern zeigen leider, dass die Fundamentalisten immer Oberhand bekommen.....


ricardo antwortete am 16.01.04 (15:20):

@ schorsch
Wo?¿
mir nix bekannt!


hugo1 antwortete am 16.01.04 (17:38):

@ ricardo ,,wenn mich nicht alles täuscht dann durften in den 60iger Jahren die Frauen in Afghanistan studieren, schleierlos umherspatzieren, Geschäfte betreiben ,,, ob das noch so bzw schon wieder so ist ? das bezweifle ich sehr.


ricardo antwortete am 16.01.04 (18:21):

@hugo
Das ist aber mehr als schwach, man sollte den jetzigen Zustand mit dem des Talibanregimes vergleichen!
Im übrigen würde mich interessieren, ob man den Mißerfolg vielleicht eher bissel erhofft so wie ich ein Gefühl habe!


Medea. antwortete am 16.01.04 (20:56):

Hugo - es stimmt: meine afghanische Freundin wurde von ihrem Vater mit ihren Brüdern in den frühen 70er Jahren zur Ausbildung bzw. Studium nach Deutschland geschickt - sie kam aus einem wohlhabenden paschtunischen Elternhaus. Es war absolut üblich damals, daß diese Töchter westlich gefördert wurden. Das änderte sich nach dem Einmarsch der Russen und der späteren Machtübernahme der Taliban gravierend zum Nachteil der Frauen und Mädchen.

Nach dem neuesten Stand der Entwicklung in Afganistan
wurde die Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung aufgenommen, die Zukunft wird zeigen, wie sich das auswirkt.

Den Frauen im Irak hingegen scheint ein dornenvoller Weg bevorzustehen.....


mart antwortete am 16.01.04 (23:03):

Zur Situation der Frauen in Afghanistan gab es (heute ?) eine Reportage im ZDF:



Frauen in der afghanischen Provinz

Keine Spur von Gleichberechtigung



„...Tangi Tarachel in der Provinz Kabul ist ein normales afghanisches Dorf, in dem die Männer das Sagen haben. Hier lebt Saida Samad, 28 Jahre alt, von Beruf Lehrerin.

............

Das Hauptproblem der muslimischen Frauen in Afghanistan sei nicht die Burka, sondern das rückständige Denken der Männer, erklärt Saida. Und das habe sich seit dem Ende der Taliban Zeit kaum verändert. für viele Männer sei eine Frau immer noch nicht mehr als ein Stück Vieh.......“

Die Frauen müssen noch viel Geduld haben, sagt Saida: "Nach 20 Jahren Krieg brauchen die Frauen Afghanistans noch 20 Jahre Frieden, bis es ihnen wirklich gut gehen wird und sie die Burka ablegen können."

Internet-Tipp: https://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/19/0,1872,1021875,00.html


ricardo antwortete am 17.01.04 (08:35):

aber immerhin
Hoffnung!


schorsch antwortete am 17.01.04 (10:08):

ricardo

Scheuklappen-Syndrom?


BarbaraH antwortete am 17.01.04 (11:01):

In der Frankfurter Rundschau heute zu lesen:

>>.......Dass die von den USA eingesetzten, im Lande selbst wenig angesehenen Herren die weibliche Hälfte der irakischen Bevölkerung nun zu degradieren belieben, ist mit den schönen Reden der Washingtoner betreffend Demokratie und Freiheit nicht zu vereinbaren; es ist aber die unausweichliche Folge ihrer Herrschaft. Die in irakischen Medien geäußerte Vermutung ist schwer zu widerlegen, der Rat der sechzehn habe den Fundamentalisten beider islamischer Richtungen eine Konzession machen wollen, um den allgemein politischen Protesten gegen die Pläne eines Verfassungsdiktats die Spitze zu nehmen. Es ist der Gipfel des Opportunismus und - schlimmer - exzessiv dumm.

Man sollte meinen, eine aufgeklärte US-Öffentlichkeit stieße die Verursacher mit der Nase in das, was sie da hinterlassen. Das geschieht nicht; an der Rechtlosigkeit irakischer Frauen sterben ja keine Besatzungssoldaten.<<

https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und
_politik/die_seite_3/?sid=e6aa126eafd5bf3203861720d3862f1f&cnt=372337

Internet-Tipp: https://makeashorterlink.com/?S63731817


mart antwortete am 17.01.04 (11:42):

Ja, das zeigt wiederum ein sehr deutlich die Probleme von Menschen, die in der Welt des Islams verhaftet sind, mit den Frauenrechten --

Da die Frauenrechte offenbar unter Saddam besser gewahrt wurden, könnte man also empfehlen, Saddam wieder mit Macht und Würde einzusetzen.:-((

Dann gebe es auch - mit Sicherheit - keine Probleme mit den Verletzungen von Menschenrechten durch schiitischen "Fundamentalisten". :-((


Karl antwortete am 17.01.04 (15:39):

@ Mart

niemand hier will Saddam wieder haben. Ich hätte mir aber sehr gewünscht, der Irak wäre ein säkularer Staat geblieben. Dass er durch diesen Krieg zum religiös dominierten Gebilde mutieren würde, hatte ich befürchtet. Wenn der Westen seine eigenen Werte mit Füßen tritt, wie dürfen wir erwarten, dass andere diese respektieren?


ricardo antwortete am 17.01.04 (16:05):

@schorsch
Was hat denn Hoffnung mit Scheuklappen zum tun?

Und was den Irak anbetrifft:
Abwarten und Tee trinken!

Wie sah es denn bei uns aus wenige Monate nach Kriegsende?
Da hieß es: Wir werden alle Hungers sterben!
Aber ick lebe immer noch! Mitsamt den Scheuklappen :-))))


julchen antwortete am 18.01.04 (07:24):

Hier lese ich staendig, wie wie ueber 50-jaehrige
deutsche "Vergangenheit" immer noch ihr uebles
Spiel treibt mit Deutschen die es damals noch
gar nicht gab............

.....aber die Amis sind schuld wenn die Irakis nach
30 Jahren Saddam nicht auf der Stelle, jetzt sofort und total umdenken koennen................

That is what I call the Pot calling the Cattle black!

- was soviel heisst wie der guss-eiserne Topf die
Guss-eiserne Pfanne schwarz geschimpft!


Wolfgang antwortete am 22.01.04 (21:50):

Es geht darum, dass dieser Krieg von den BUSH-Kriegern mit dem Argument gefuehrt wird, dass westliche Standards, was das Recht betrifft, im Irak eingefuehrt werden sollen.

Jetzt aber wurde vom amerikanisch eingesetzten, dominierten und kontrollierten 'Iraqi Governing Council' mehrheitlich die Einfuehrung frauendiskriminierenden Rechts beschlossen...

L. PAUL BREMER - BUSH's Statthalter in Bagdad - sieht dem fundamentalistischen Treiben des 'Iraqi Governing Council' gelassen zu. Ist er doch angewiesen auf die schiitischen islamistischen Fundamentalisten (die unter SADDAM's Schreckensregime blutig unterdrueckt wurden). Ohne die schiitischen Fundamentalisten kann BREMER sofort seine Koffer packen.

Die irakischen Frauen sind die Leidtragenden. Aber es ging ja auch gar nicht um sie... Es ging ums Oel. Und dafuer werden sich die BUSH-Krieger arrangieren. Wie schon vorher andere US-Administrationen mit dem Schah und den Taliban und SADDAM HUSSEIN und mit anderen Schurken. Es geht ums Oel. Nicht etwa ums Recht oder um Frieden oder um Freiheit.


mart antwortete am 23.01.04 (00:04):

Wie in Kandada für moslemische Frauen wurden nun im Irak die bürgerlichen Rechte der Frauen beschnitten:

Aus:
https://www.tagblatt.ch/ausland.cfm?


"Religiöses- statt Bürgerrecht

"Frauen demonstrieren gegen Angriff des irakischen Übergangsrats auf ihre Gleichstellung

"In irakischen Städten haben in den vergangenen Tagen Tausende Frauen gegen die Abschaffung von weltlichen Bürgerrechten zugunsten herkömmlichen religiösen Rechts demonstriert.

Michael Wrase/Limassol

"Der von den amerikanischen Besatzungsbehörde eingesetzte irakische Übergangsregierungsrat habe am vergangenen Wochenende die unter Saddam Hussein geltenden säkularen bürgerlichen Rechte ausser Kraft gesetzt. Dies berichtete die als liberal geltende irakische Tageszeitung «As Zaman»gestern.

An Stelle der bürgerlichen Rechte trete «herkömmliches religiöses Recht», das von den Geistlichen der grossen Religionsgemeinschaften angewendet werden solle, heisst es in der «Verordnung 13760». Die Verfügung des Rates bedeutet nichts anderes als die Abschaffung der in Irak seit fast 40 Jahren geltenden Gleichstellung von Mann und Frau.

Polygamie und halber Erbteil
Geistliche Würdenträger haben nun - wie in den meisten arabischen Staaten - wieder das Recht, in Heirats-, Scheidungs- und Erbschaftsangelegenheiten zu entscheiden. Ausserdem können sich Männer nun wieder bis zu vier Frauen nehmen, schreibt «As Zaman» weiter. Geschiedene Frauen bekämen nur noch drei Monate Alimente (zur Feststellung einer möglichen Schwangerschaft). Die Erbteile von Mädchen betrügen fortan nur noch die Hälfte von denen der Knaben..."

Internet-Tipp: https://www.tagblatt.ch/ausland.cfm?pass_id=864809&liste=864806,864807,864809,864802,864810,864803,864804,864805


Wolfgang antwortete am 23.01.04 (00:28):

Auch in den USA wird ueber das fundamentalistische Treiben des von den BUSH-Kriegern eingesetzten, dominierten und kontrollierten 'Iraqi Governing Council' berichtet:

WP - 16.10.2004
Women in Iraq Decry Decision To Curb Rights
Council Backs Islamic Law on Families
By PAMELA CONSTABLE
https://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A21321-2004Jan15.html

Internet-Tipp: https://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A21321-2004Jan15.html


Wolfgang antwortete am 23.01.04 (00:37):

Der Vergleich mit Kanada ist uebrigens nicht richtig... Das Recht, das jetzt im Irak gesetzt wird, ist fuer alle verbindlich. In Kanada werden keine Rechte beschnitten, sondern zusaetzliche, freiwillige Rechte angeboten (im Rahmen der freiwilligen Schiedsgerichtsbarkeit).

Ich habe an anderer Stelle gesagt, dass mir das schon zu weit geht... Aber es steht ausser Frage, dass Kanada nach wie vor ein saekularer Rechtsstaat ist, wenn auch mit der Erweiterung um islamisches Recht in bestimmten Faellen.

Dagegen wird im Irak ein islamisches Rechtssystem eingefuehrt, das das bislang geltende saekulare System abloesen soll. L. PAUL BREMER - BUSH's Statthalter in Bagdad - schaut dabei gelassen zu. Er ist wegen des Oels und wegen der Kontrolle darueber hier und will sich gut stellen mit den fundamentalistischen Schiiten. Die Rechte der irakischen Frauen interessieren ihn und seine Auftraggeber nicht im grossen Spiel ums Oel.


mart antwortete am 23.01.04 (00:38):

Da werden sich aber einige - viele moslemische Männer aber freuen, endlich ist die Welt wieder so, wie sie sein soll:-)


Wolfgang antwortete am 23.01.04 (00:44):

Was schlaegst Du vor, was gegen diese Entwicklung getan werden soll ?


mart antwortete am 23.01.04 (01:14):

Vielleicht sich langfristig einsetzen für eine Aufklärung im Islam, eine Entwicklung, die es schon viel früher gegeben hat, aber leider untergegangen ist.

Sich einsetzen für eine Trennung von Staat und Kirche - und die Entwicklung in Kanada als ebenso gefährlich brandmarken wie die im Irak.

Und sich endlich mit den Menschenrechten, wie sie auf den islamischen Weltkonferenzen beschlossen worden sind, auseinanderzusetzen - und zu überlegen, wo die Differenzen zu den Menschenrechtserklärungen der UNO liegen.


Wolfgang antwortete am 23.01.04 (01:36):

Das sind Vorschlaege, die ich teile... Nur was Kanada betrifft nehme ich eine moderate Haltung ein (ich halte die Entwicklung fuer nicht gut, aber auch fuer nicht gefaehrlich fuer die Frauen, schon gar nicht fuer so gefaehrlich wie die Entwicklung im Irak).

Dort ist das Problem, dass es praktisch keine Macht gibt, die dem aktuellen islamistischen Fundamentalismus irgendetwas entgegensetzen koennte.

Die Position des armen Mr. BREMER ist aussichtslos: Selbst wenn er einschreiten wuerde (wozu er die Befugnis hat), wuerde das nichts nuetzen. Die amerikanische Besatzungsmacht ist auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen der schiitischen Fundamentalisten abhaengig geworden. Ohne deren Unterstuetzung koennte Mr. BREMER keinen Tag dort weiter regieren. Also haelt er still (weil er ja auch ganz andere Interessen zu vertreten hat). Derweil wird Irak unter Stillschweigen und Stillhalten der BUSH-Krieger zu einem islamischen Gottesstaat umgebaut.

Die Frauen haben das Nachsehen und schauen wieder einmal in die Roehre. Das bestaetigt meine These, dass es falsch ist, auf irgendwelche staatliche oder religioese Maechtige zu setzen. Die irakischen Frauen werden sich ihre Rechte erkaempfen muessen. Erste Demonstrationen gab es ja schon, wie Du berichtest.

Es liegt an uns, diese kaempfenden Frauen in irgendeiner Form zu unterstuetzen.


Medea. antwortete am 23.01.04 (08:40):

Das Augenmerk auf die "Menschenrechte", wie sie auf islamischen Weltkonferenzen beschlossen werden, verstärkt richten - da werden nämlich die "Frauenrechte" höchst eigenartig behandelt.

Mart, könntest Du bitte noch einmal den betreffenden Link hier einsetzen? Ich finde ihn nicht so schnell .....


Wolfgang antwortete am 23.01.04 (12:26):

Ich empfehle die Lektuere eines Vortrages, den Frau KRAEMER (die Islamwissenschaftlerin ist mit einer Professur an der Freien Universitaet Berlin) im Rahmen einer Bertha-Benz-Vorlesung am 10. Juli 2003 in Ladenburg gehalten hat. Das Dokument wird Online von der Daimler-Benz-Stiftung angeboten (PDF, Acrobat Reader erforderlich):

Islam, Menschenrechte und Demokratie: Anmerkungen zu einem schwierigen Verhaeltnis (von GUDRUN KRAEMER)
https://www.daimler-benz-stiftung.de/home/events/lecture/all/bbv20_kraemer.pdf

Wie stellen sich "[...] Islamisten eine den modernen Lebensverhaeltnissen adaequate 'islamische Ordnung' vor? Lassen sich in ihr Elemente einer freiheitlich-demokratischen Verfassung ausmachen, selbst wenn der Begriff der Demokratie nicht faellt, vielleicht sogar als 'unislamisch' abgelehnt wird?", fragt die Autorin.

Eine ihrer unspektakularen, aber nicht weniger gehaltvollen Antworten: "Islam ist ganz offensichtlich nicht gleich Islam, und das gilt fuer die Lehre ebenso wie fuer die Praxis. Und wie immer er gelebt und verstanden wird – das soll an dieser Stelle gleich gesagt werden – kann der Islam allein die bestehenden Verhaeltnisse in den verschiedenen muslimischen Gesellschaften nicht erklaeren; er stellt bestenfalls ein Bestimmungsmoment unter mehreren dar."

Die Autorin legt Wert auf die voellig unterschiedlichen Glaubenden, naemlich die, "[...] die ausdruecklich auf eine 'islamische Ordnung' hinwirken und die man daher als 'Islamisten' bezeichnet, um sie von der Mehrheit derjenigen Muslime zu unterscheiden, die sich zwar im Grossen und Ganzen an islamischen Normen und Werten orientieren, aber nicht unbedingt einen islamischen Staat errichtet sehen wollen."

Die 'Islamisten' gaeben seit Jahren in der innermuslimischen Diskussion den Ton an und wuerden in vielen Staaten das gesellschaftliche Leben bestimmen, sagt sie. Nur wenige 'Islamisten' seien Terroristen... Die Mehrheit auch der fundamentalistischsten 'Islamisten' versuche, mit friedlichen Mitteln zu missionieren.

Insgesamt gesehen seien die 'Islamisten' aber keine mehrheitlich akzeptierten Vertreter der islamischen Umma (Gemeinschaft): "Die Islamische Republik Iran ist für die meisten Muslime (und das gilt selbst für Schiiten) kein Vorbild, das Koenigreich Saudi-Arabien noch weniger; Sudan, Pakistan oder Mauretanien, die sich gleichfalls als islamische Staaten praesentieren, stehen gar nicht erst zur Debatte. [...] 'Den Islam' vertreten sie auf keinen Fall – selbst wenn sie dies dezidiert fuer sich in Anspruch nehmen."

Ihr Schlusswort: "Sie alle [die Muslime, W. M.] leben unter autoritaeren Regimen, die – selbst wenn sie oekonomisch, aussen- und sicherheitspolitisch mit dem Westen zusammenarbeiten – ihren Buergern rechtsstaatlichen Schutz nur bedingt gewaehren und politische Mitsprache vielfach verweigern. Der Kampf gegen den Terrorismus, der derzeit so intensiv gefuehrt wird, steht tendenziell in einem Spannungsverhaeltnis zu freiheitlich-rechtsstaatlichen Grundsaetzen, und dies bekanntlich nicht nur in der muslimischen Welt. Da haben es die Kaempfer für Demokratie und Menschenrechte schwer – nicht nur 'im Islam'."

Es lohnt sich, den Vortrag von Frau KRAEMER ganz zu lesen.

Internet-Tipp: https://www.daimler-benz-stiftung.de/home/events/lecture/all/bbv20_kraemer.pdf


hugo1 antwortete am 23.01.04 (12:31):

@ wolfgang du fragst welche vorschläge es gibt,für die gleichbehandlung moslemischer frauen, bist jedoch im gleichen atemzuge gegen eine baldige aufnahme von über 20 millionen türkischer frauen in die EU. Wäre das nicht die gelegenheit, für diese frauen noch mehr rechte, noch mehr freiheiten noch mehr selbstbewustsein zu schaffen ( die freiheit ohne kopftuch aus dem hause zu gehen, haben sie ja schon z.T.) damit diese fortschrittlichen "Tugenden" auch den frauen in angrenzenden und naheliegenden ländern wie irak, iran ,den saudies usw begehrenswert und erreichbar als vorbild wirken könnten ? Ich bin mit der aus meiner Sicht französisch-portugiesischen (und auch deutschen) EU-bauernmentalität des einhamstern auf kosten aller anderer, nicht so sehr im gleichklang. Aber die morgenländischen frauen sind ja seit jahrtausenden kummer gewöhnt,,scheinen einige zu denken und das nicht nur muselmanen sondern leider auch bei uns verstärkt "sich christlich orientiert einstufende" mitmenschen bis in die höchsten politischen ämter.


mart antwortete am 23.01.04 (19:29):

Der gegebene Link von Kramer ist wirklich sehr empfehlenswert zu studieren.

Hier ergeben sich sehr klar die Schwierigkeiten der moslemischen Welt mit den Menschenrechten, so wie sie von der UNO verabschiedet worden sind

und eine winzige Hoffnung für die Zukunft.

Internet-Tipp: https://www.daimler-benz-stiftung.de/home/events/lecture/all/bbv20_kraemer.pdf


Wolfgang antwortete am 24.01.04 (02:18):

Wenn Du mir jetzt noch Deinen Beitrag erklaeren wuerdest, Hugo, damit ich weiss, was Du meinst, waere ich Dir wirklich dankbar.


Medea. antwortete am 24.01.04 (08:31):

Der Vortrag von Frau Prof. Dr. Gudrun Kramer ist interressant und aufschlußreich. Er gibt tiefen Einblick in die verschiedenen muslimischen Gesellschaften. für Islamisten bildet auf jeden Fall der Islam den Maßstab, an dem sich alles messen lassen muß - nicht umgekehrt. Darin liegt auch die Schwierigkeit, eine freiheitlich-demokratische Verfassung zuzulassen.


Wolfgang antwortete am 24.01.04 (09:13):

Aber, Medea, bitte nicht die Kernaussage von Frau Kraemer vergessen... Die lautet naemlich: Die sogenannten Islamisten seien nur eine winzige (wenn auch eine lautstarke und in manchen Laendern maechtige) Minderheit unter den Muslimen und repraesentierten beileibe nicht die Mehrheit der Muslime.

Ich meine: Es waere fuer den Dialog der Kulturen gut, wenn die Muslime und der Islam nicht staendig mit den Islamisten und ihren politischen Ambitionen gleichgesetzt wuerden.

Es ist bekannt, dass es Fundamentalisten jeder Glaubensrichtung gibt (nicht nur religioese, sondern z. B. auch Markt- und Wissenschaftsfundamentalisten). Das Uebel ist nicht der Islam, denn das ist eine Religion, die sich nicht wesentlich von der juedischen und christlichen Religion unterscheidet (sie haben ja alle auch gemeinsame Wurzeln). Das Uebel ist der islamische Fundamentalismus, der sich, was seine Intoleranz und Gewaltbereitschaft betrifft, auch nicht wesentlich vom juedischen oder christlichen Fundamentalismus unterscheidet.

Die meisten Muslime, denke ich, wollen die Freiheit und lehnen die Bevormundung ab. Im Iran z. B. ist das deutlich festzustellen. SHIRIN EBADI - die aktuelle Friedensnobelpreistraegerin - ist Muslimin und kaempft fuer die Menschenrechte und fuer die Freiheit, besonders fuer einen freien Iran. Muslime, die das tun, gilt es zu unterstuetzen.


mart antwortete am 24.01.04 (11:24):

Du sollst nicht ständig vernebeln, Wolfgang.

Rechte und Rechtssprechung sind nur in Übereinstimmung mit dem Koran und den Überlieferungen möglich, gleich welche Richtung vertreten wird. Die Überlieferungen sind natürlich einer bestimmten Interpretation unterworfen und nicht im dem Maße unabdingbar wie der Koran, bei dem praktisch jedes Wort als göttliches Wort geachtet werden muß.

Auch hiebei gibt es natürlich Moslems, die durch eine Exegese ein differenziertes Bild des Korans zeichenen -neben Bassam Tibi gibt es nur wenige, die diese Aufklärung in Gang bringen wollen - und sie sind nicht besonders geschätzt - nicht einmal von praktizierenden und erst recht nicht den fundamentalistischen Christen. In der moslemischen Welt müssen sie eine Balanceakt vollführen, um nicht als vom Glauben abgefallenen bezeichnet zu werden.


Es ist einfach so, daß ein Staat, Recht, Menschenrechte, Rechtsprechung nur in Übereinstimmung mit dem Koran gesehen werden kann. Wieviel Staaten mit einem Moslemanteil über 50% gibt es, indem die Gesetze nicht mit den Prinzipien der Sharia übereinstimmen müssen?

Nun auch von der Sharia gibt es verschiedenste Interpretationen, es ist ja wie im anglikanischen Recht eine immense Sammlung von Rechtssprüchen und kein ß Buch.

Zum Beispiel wird der Zeitpunkt, bei dem ein vom wahren Glauben abgefallener als Ungläubiger angesehen (und bestraft werden muß) sogar schon bis zum Tod desselben ausgedehnt. - Aber auch hier ist die Anerkennung dieser Interpretation in islamischen Ländern sehr gering.


Zeig mir das moslemische Land, in dem die Frauen ohne Einwilligung ihrer Männer arbeiten, reisen dürften bzw. über ihre größeren Kinder ein Mitbestimmungsrecht hätten?

Zeig mir das moslemische Land, in dem eine moslemische Frau einen Nichtmoslemischen Mann heiraten dürfte?

Wenn immer betont wird, wie die Menschenrechte in moslemischen Ländern beachtet werden, muß natürlich beachtet werden, was unter demselben Wort verstanden wird. - und da gibt es einfach kleinere Unterschiede, die für mich so wie die Situation ist, unerträglich sind.

Warum gibt es keinen einzigen Schiedsspruch, der sagt, daß ein Erbe gleichmäßig zw. Mann und Frau aufgeteilt werden soll, sondern nur das Argument, es sei so gerecht wie es sei, da der Mann ja die Familie erhalten muß.

Viele weitere Beispiele können hier gegeben werden.


Zeig mir das moslemische Land, indem die Frau nach der Scheidung Anspruch auf Unterhalt hätte?


Nochmals, für die Machos sehr bequem und offensichtlich auch bei uns nicht ohne Attraktivität.


Wolfgang antwortete am 24.01.04 (11:40):

Ich moechte auf eine Rede von Frau EBADI aufmerksam machen. Auf die Dankesrede, die sie gehalten hat anlaesslich des Erhalts des Friedensnobelpreises.

Frau EBADI meint, dass die Frauen-Diskriminierung in islamischen Staaten "[...] seine Wurzeln nicht im Islam [hat], sondern in der patriarchalischen und maennerdominierten Kultur, die in diesen Gesellschaften vorherrscht."

Interessant ist auch, was sie zu Islam und Freiheit sagt:

"Der Islam ist eine Religion, deren erstes Gebot an den Propheten mit den Worten beginnt: 'Sprich!'

Der Koran haelt die Feder und das, was sie schreibt, hoch in Ehren. Ein solches Gebot, eine solche Botschaft, kann nicht unvereinbar sein mit Wissen und Einsicht, mit Weisheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit und kultureller Vielfalt."

Webtipp...

"Das Elend der Frauen-Diskriminierung hat seine Wurzeln nicht im Islam"
Dankesrede der Friedensnobelpreistraegerin 2003 SHIRIN EBADI in Oslo
https://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Friedenspreise/nobel2003c.html

Internet-Tipp: https://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Friedenspreise/nobel2003c.html


Medea. antwortete am 24.01.04 (11:46):

Unterstützung ist dringend angesagt, wie der jetzt offen ausgetragene Machtkampf im Iran zeigt. Iranische Parlamentarier verschärfen den Protest gegen die Nichtzulassung zur Wahl mit Sitzstreiks im Parlament.
Die am 20. Februar bevorstehende Parlamentswahl zwischen den beiden großen politischen Lagern, den Reformern und den Konservativen, wird zum Meilenstein werden. Der islamische Wächterrat hatte beschlossen, etwa die Häfte der 8.200 Kandidaten nicht zu den Wahlen zuzulassen. Davon sind auch 80 Abgeordnete der 290 Abgeordneten des jetzigen Parlaments betroffen, darunter viele Anhänger von Präsident Mohammad Chatami. Das geistliche Oberhaupt des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, hat zwar den Wächterrat aufgefordert, seine Entscheidung nochmals zu überdenken, denn die erste Auswahl der Parlamentskandidaten muß bis zum 30. Januar getroffen worden sein.
Inzwischen reichen Regierungsmitglieder bereits Rücktritsgesuche ein und auch Präsident Chatami erwägt Demission. Die Rücktrittsabsichten der Chatami-Treuen sind als Drohgebärde zu verstehen, um den Druck auf die Konservativen aufrechtzuerhalten.

(lt. Korrespondentin Birgit Svensson)


Wolfgang antwortete am 24.01.04 (11:57):

Ich denke auch, Medea, dass wir den um Toleranz und Freiheit kaempfenden Muslimen den Ruecken staerken muessen. Sie abzuschreiben, nach dem Motto, es habe ja doch alles keinen Zweck, der Islam sei eben nicht reformierbar und Muslime seien grundsaetzlich gegen die Menschenrechte eingestellt, halte ich fuer dumm und verheerend in seinen politischen Auswirkungen.

Solch eine Fundamentalopposition gegen ALLE Muslime und gegen den Islam staerkt die Islamisten.


hugo1 antwortete am 24.01.04 (16:28):

@ wolfgang,,,,,damit wollte ich zum Ausdruck bringen, das ich mich wundere, daß Du in Deinen Beiträgen einerseits die Unterdrückung der muslimischen Frauen anprangerst und andererseits gegen den Beitritt der Türkei zur EU bist. Aus meiner Sicht wär das jedoch auch für (und da hab ich mich mit den ca 20 Millionen getäuscht) über 30 Millionen türkische Frauen die einmalige Gelegenheit der "Segnungen" des Abendlandes teilhaftig zu werden mit der Aussicht einer Ausstrahlung dieser Erfahrungen auf die Frauen in den noch sehr frauenfeindlich geführten südöstlichen türkischen Nachbarländern. Ich persönlich hege absolut keine Befürchtungen vor einer Aufnahme dieser fleißigen, friedliebenden,(bis auf wenige Ausnahmen) toleranten netten Menschen,,,es könnte eher eine Bereicherung unseres Lebens werden..


Wolfgang antwortete am 24.01.04 (16:43):

Nun, Hugo, ich bin ja aus einem ganz anderen Grund gegen den Beitritt der Tuerkei... Selbstverstaendlich freut es mich, dass es in der Tuerkei Frauenrechte entsprechend UN- und EU-Standards gibt. Auch die tuerkischen Menschen, die ich in aller Regel als tolerant und fleissig erlebe, fuerchte ich nicht. Im Gegenteil: Wie Du bin ich der Meinung, dass sie dann noch mehr unser alltaegliches Leben bereichern, als sie es jetzt schon tun. Ich bin zum Beispiel Stammkunde in einem tuerkischen Geschaeft, das sagenhafte Qualitaeten liefert zu einem guenstigen Preis und mit einem Top-Service.

Ich bin gegen den Beitritt aus einem einzigen Grund: Der tuerkische Staat garantiert bislang nicht die Menschenrechte. Es wird von staatlichen Organisationen getoetet und gefoltert. Das Schicksal der tuerkischen Kurden wurde schon angesprochen.

Wenn das ueber einen zu definierenden Zeitraum abgestellt wird, dann steht einem Beitritt doch nichts mehr im Wege. Oder ?


hugo1 antwortete am 24.01.04 (17:08):

hallo wolfgang,,das sieht ja schon ganz anders aus, mit dieser meinung kann ich mich gut anfreunden. fehlen von den zuständigen nur noch die richtigen auflagen und bedingungen inerhalb eines festen zeitrahmens, die durch die türkei zu erfüllen sind. Wer natürlich gegen einen beitritt ist wird unerfüllbare, unzumutbare forderungen stellen und im vorfeld ängste schüren. Sicher wird es für beide seiten ein gewisses wagnis werden jedoch mit ungeheuren chancen bei beiderseits gutem willen und erstmals die möglichkeit eines freiwillig zusammengefügten staatenbündnisses zwischen asien und der atlantikküste


Wolfgang antwortete am 24.01.04 (17:37):

So ist es, Hugo. Die tuerkischen Menschen gehoeren zu uns und werden - da bin ich fest von ueberzeugt - eine ausgleichende Rolle zwischen den Kulturen des Morgenlandes und denen des Abendlandes spielen.

Man kann und soll fair mit den Verantwortlichen in der Tuerkei umgehen, ohne auch nur den geringsten Abstrich an den geltenden UN- und EU-Rechtssstandards machen zu muessen.

Den Fundamentalisten bei uns, die die Tuerkei ueberhaupt nicht und nie dabeihaben wollen, zeige ich (und hoffentlich viele andere Menschen auch) die Rote Karte. ;-)