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THEMA:   Verursacherprinzip in der Arbeitslosenversicherung

 15 Antwort(en).

radefeld begann die Diskussion am 02.01.04 (07:08) mit folgendem Beitrag:

Was haltet ihr von folgender Idee?
-Feststellung der tatsächlichen Arbeitsleistung, daraus Festlegung der zulässigen Wochenarbeitszeit. Dürfte derzeit bei etwa 30 Std./Woche liegen.
-In die Arbeitslosenversicherung zahlen NUR diejenigen ein, die sie verursachen, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die die vorgegebene Wochenarbeitszeit überschreiten bzw. das fordern oder zulassen. Natürlich in der erforderlichen
Höhe, um wenigstens die ArbeitslosenGELDzahlungen auch wirklich abzudecken (das wäre vermutlich wesentlich mehr als jetzt!): Verursacherprinzip auch auf diesem
Gebiet- warum eigentlich nicht?.
-für den "Normalarbeitnehmer" ergäbe sich schon aus dem Wegfall der Prämien zur Arbeitslosenversicherung (einschl. des Arbeitgeberanteils wohl derzeit um die 8%) ein Ausgleich für den Verdienstausfall.
-Aus den für Arbeitslosenhilfe einsparbaren Steuermitteln könnten die erforderlichen höheren Ausbildungsaufwendungen leicht abgedeckt werden. (Weil dann mehr Ausgebildete
Leute notwendig wären- ein positiver "Nebeneffekt")

Diese "Ideen" entstammen der Erkenntnis, dass selbst ein Wirtschaftswachstum von 2%/Jahr locker durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität aufgefangen wird, also keine neuen Arbeitsplätze schafft. Der soviel besungene Dienstleistungssektor allein kann auch keine große Lösung bringen, da die immer größer werdende Freizeit gepaart mit einer weiteren Rationalisierung auch im Freizeitbereich dem absolut entgegen wirkt.

Vor einiger Zeit hatte sich ein gewisser Mohssen Massarrat dazu sehr ausführlich in der Frankfurter Rundschau
geäußert. Hier der
LINK, ist sonst zu lang:
https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/dokumentation/?cnt=358068&


schorsch antwortete am 04.01.04 (12:46):

Und als Ergänzung: In die Krankenkassen zahlen nur diejenigen ein, die im Moment gerade das Pech haben, krank zu sein?


navallo antwortete am 04.01.04 (15:00):

@radefeld
Dein Modell setzt voraus, daß zunächst eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden gesetzlich vorgeschrieben würde. Aus meiner Sicht wäre die Reduktion der Arbeitszeit tatsächlich eine der wenigen Möglichkeiten, Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Das geht jedoch nicht mit einer generell für alle geltenden pauschalen Stundenzahl. Beispielsweise würde das Gesundheitssystem dann zusammenbrechen, weil Nacht-, Bereitschafts- und Notdienste nicht mehr ausreichend zu bestücken wären. Die Arbeitslosenversicherung als Regulativ einzusetzen halte ich für absolut unzureichend. Hierfür wären eine Vielzahl von ineinander greifenden Maßnahmen notwendig, die längere Arbeitszeiten bestrafen und kürzere belohnen. Steuerliche Regelungen wären hier z. B. hilfreicher als versicherungsrechtliche.

Solange es jedoch noch Politiker gibt, die ungestraft nach LÄNGEREN Arbeitszeiten krähen, und Gewerkschaften, die nur Arbeitszeitverkürung bei vollem Lohnausgleich akzeptieren, besteht eh keine Aussicht, zu einer vertretbaren solidarischen Lösung zu gelangen.


radefeld antwortete am 07.01.04 (06:28):

Wenn, wie es mir scheint, offenbar keine der drei Parteien, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Politik ein
Interesse daran haben (können?), das Problem unter Anerkennung der Tatsache der geringer werdenden
notwendigen Arbeitsmenge zu lösen, wird sich von selbst eine Lösung einpegeln.
Ich sehe es so: Da immer neue, frische Arbeitskräfte zum überfülltem Arbeitsmarkt drängen liegt es nahe,
sich der "verbrauchten" Jahrgänge zu entledigen. Völliger Unsinn sind deshalb Vorstellungen über ein
erhöhtes Renteneintrittsalter, wie es die Arbeitgeberseite vorschlägt- nur um ihren Anteil an der
Rentenversicherung möglichst absenken zu können. Tatsache ist doch, dass schon jetzt sogar 50-Jährige
kaum noch eine Anstellung finden. Da hilft nur, eigenes Erspartes zu besitzen. Zusätzliche
Rentenversicherungen helfen nur bedingt, weil auch sie das Eintritts- und Auszahlungsalter möglichst hoch
ansetzen.
Sinnvoll wären allenfalls Versicherungen, die ein frei gewähltes Eintrittsalter vorsehen. Ich, glaube, so
etwas gibt es (?) . Vielleicht kann mir jemand dazu einen Tipp geben?
Auf alle Fälle wird es zu einer Absenkung und Angleichung der (Lebens-)Arbeitszeiten und des
Gesamteinkommens- ob geregelt oder nicht, kommen. Und das unabhängig vom Erkenntnis- und
Einsichtstand der Beteiligten..


hugo1 antwortete am 07.01.04 (11:33):

@ radefeld,,sicher gibts sowas -versicherungen oder banken die dein angespartes kapital so pö,a pö an dich auszahlen- aber dafür mußte im vorfeld natürlich gut angespart bzw geerbt haben oder sonstwie zu diesem vermögen gekommen sein.
Die bank legt dann dieses geld für sich und wenn du glück hast auch für dich gewinnbringend (damit meine ich zinsen weit über der inflationsrate) an und zahlt es als regelmäßige kapitalerhaltende oder kapitalverzehrende -das ist die schlechtere variante- rente an dich aus. Aus finanzpolitischen sicherungsmotiven heraus wär aber eine splittung deines vermögens angebracht.z.B teilweise in eigenheim und immobilien investieren und wenns reicht, die ausbildung der kinder und enkel nicht vergessen.


Wolfgang antwortete am 09.01.04 (11:40):

Wer meint, dass die Arbeitslosigkeit in einer kapitalistisch organisierten Volkswirtschaft nur ein Problem fuer diese ist, der taeuscht sich... Ein Problem ist die Arbeitslosigkeit nur fuer die betroffenen Arbeitslosen und natuerlich fuer den Staat (respektive die quasi-staatlichen Sozialsysteme).

Fuer die 'Wirtschaft' (sprich: fuer die EigentuemerInnen von Kapital, die sich das zweite Prduktionsmittel - die menschliche Arbeitskraft - kaufen koennen) ist die Arbeitslosigkeit ein Segen, drueckt sie doch die Arbeitskosten und erhoeht - ceteris paribus - die Gewinne.

Ein Beispiel: Die amerikanische Bank Merrill Lynch geriet in den letzten Jahren in ziemliche Schwierigkeiten, weil die Rendite nicht mehr stimmte. Ihr Boss - Stanley ONeal - verordnete der Bank eine drastische 'Schlankheitskur' und schmiss binnen drei Jahren 20.000 Mitarbeiter raus. Ergebnis: Die Rendite stimmt wieder... In den ersten neun Monaten des letzten Jahres zeigte Merrill Lynch einen Gewinn von 2,7 Milliarden Dollar - das sind 40 Prozent mehr als zur gleichen Zeit im Vorjahr.

Die EigentuemerInnen honorieren das. Zur Belohnung darf sich ONeal einen (Aktien-)Bonus in der Hoehe von 15 Millionen Dollar mit nach Hause nehmen.

So gesehen ist Arbeitslosigkeit ein Gradmesser dafuer, wie erfolgreich eine Volkswirtschaft war. Je hoeher die Arbeitslosigkeit, umso erfolgreicher wurde (nach kapitalistischer Logik) gewirtschaftet. Nur laut aussprechen moegen das die nicht, die von dieser Logik profitieren. Denn allzuweit hat sich die kapitalistische Logik vom Verstand und von den Interessen der meisten Menschen entfernt. ;-)


schorsch antwortete am 09.01.04 (16:03):

Was, nur 15 Millionen für das Entsorgen von 20`000 Kreaturen, pardon: Mitarbeitern?


Mechtild antwortete am 09.01.04 (17:12):

Richtig, der Wirtschaft geht es gut. Nur den meisten Menschen geht es nicht so gut und wird es bald noch schlechter gehen. Es lebe die freie Marktwirtschaft und der Wettbewerb.


navallo antwortete am 11.01.04 (13:51):

@radefeld
Du hast recht; es wird sich von selbst eine Lösung einpegeln, falls sich nicht menschliche Vernunft doch noch einer solidarischen und weniger opferreichen Variante zuwendet. Die Zeichen der Zeit aber stehen auf Sturm, wie uns die jüngsten sogenannten "Reformen" zeigen, in denen die Kranken , die Alten und Armen geschröpft werden, und Priviligierte sich von den verheerenden Auswirkungen ihrer undurchdachten Gesetzgebung freihalten und weiterhin ihre Diäten und Zusatzeinkünfte erhöhen.

@Mechthild
Freie Marktwirtschaft und Wettbewerb, worin die Politik adäquate Rehmenbedingungen und Grenzen setzt, sind m. E. die einzige akzeptable Alternative zu gescheiterten Sozialismusexperimenten. Nur werden die Politiker dieser ihrer Aufgabe nicht gerecht. Sie sind halt auch nur wie viele andere, denen von Natur aus ihre eigene Pfründe wichtiger sind, als das Elend ihrer Zeitgenossen.


Wolfgang antwortete am 11.01.04 (14:06):

Nein, die Arbeitslosigkeit ist nicht zurueckzufuehren auf versagende PolitikerInnen. Rationalisierung (genauer: Erhoehung der Arbeitsproduktivitaet) ist das A und O in kapitalistischen Volkswirtschaften... Sie ist nicht Ausdruck boesen Willens oder Versagens, sondern, im Gegenteil, eine Notwendigkeit bei Strafe des Untergangs des Unternehmens, das sich diesem wirtschaftlichen Zwang verweigert.

Warum gab es im Nachkriegs-Deutschland in frueheren Jahrzehnten die (Quasi-)Vollbeschaeftigung und eine entsprechend geringe Zahl von Arbeitslosen ? Drei Bedingungen waren dafuer verantwortlich:

1.) Deutschland war ein zerstoertes Land.
2.) Die Arbeitsproduktivitaet war extrem niedrig.
3.) Die Rate des Wirtschaftswachstums war hoch.

Warum steigt die Arbeitslosenrate in Deutschland seit ein, zwei Jahrzehnten ? - Alle drei obengenannten Bedingungen haben sich in ihr Gegenteil verkehrt. Menschliche Arbeit wird zunehmend obsoleter.


navallo antwortete am 11.01.04 (15:33):

@Wolfgang
Politiker haben schon eine Verantwortung für die Arbeitslosigkeit. Wer sonst, wenn nicht sie, sollte hierfür Rahmenbedingungen und Gesetze festlegen?

Neben den drei von Dir richtig genannten Nachkriegsbedingungen steht heutigentags eine andere von diesen unabhängige eigentliche Ursache der Arbeitslosigkeit: Der unaufhaltsame wissenschaftlich-technische Fortschritt führt dazu, daß immer weniger Menschen immer mehr und besser produzieren. Damit werden Arbeitskräfte "freigesetzt", die nicht mehr gebraucht werden. Deshalb wäre es schon Aufgabe der Politiker, dafür zu sorgen, daß die kontinuierlich schwindende Menge an Arbeit gerechter verteilt würde, anstatt Alibiaktionen mit nichtsbringenden kostenintensiven Beraterkommisssionen zu starten. Die Reduktion der Arbeitszeit ware eine solche Möglichkeit, wofern sie durchdacht und z. B. zunächst in kleineren Modellen erprobt würde. Meines Wissens gibt es im Ansatz solche Modelle in Autoherstellerfirmen schon.


Wolfgang antwortete am 11.01.04 (16:53):

Diese Arbeitszeitmodelle gibt es, aber nur in wenigen Grossunternehmen und verbunden mit Einkommensverlusten (die die dort Beschaeftigten relativ leicht tragen koennen, weil sie bis dahin hohe Loehne bezogen haben).

In anderen Bereichen ist mir kein Fall bekannt, dass solche Arbeitszeitmodelle nachgefragt wuerden.

Dazu kommt, dass Arbeitszeitreduzierungen bei den sogenannten Hochqualifizierten ein Unfug waeren... Wir haben ja, das wird oft uebersehen, Mangel an z. B. IngenieurInnen und anderen wissenschaftlich Gebildeten. Woran kein Mangel besteht, sind nicht so gut ausgebildete Menschen. Es ist die Frage, ob diese besser ausgebildet werden koennten.

Es ist gerade die 'einfache' (die intellektuell nicht so anspruchsvolle) Arbeit, die wegrationalisiert wird. Das Tempo dieser Rationalierungen ist enorm. Ich denke, dass den meisten Menschen nicht bewusst ist, dass in den naechsten Jahrzehnten gut 80 Prozent aller Arbeitsplaetze (so z. B. die Schaetzungen des Club of Rome) ersatzlos wegfallen werden.

Menschliche Arbeit ist in weiten Bereichen ein auslaufendes Modell. Die Rahmenbedingungen dafuer setzen nicht die PolitikerInnen. Wie sollten sie auch: Im Gegensatz zu den gescheiterten sozialistischen Staaten hat bei uns die Politik (was die Wirtschaft betrifft) praktisch nichts zu sagen.


navallo antwortete am 11.01.04 (21:29):

Wenn Du der Meinung bist, Wolfgang, daß die Politik keinerlei Einfluß auf die ansteigende Arbeitslosigkeit nehmen kann, welche Lösung würdest Du vorschlagen?


BarbaraH antwortete am 11.01.04 (23:28):

Eine Umverteilung der Arbeit setzt außerdem eine Solidarität unter den Arbeitnehmern voraus. Leider ist diese so gut wie nicht vorhanden. Jeder hofft, dass er nicht zu denen gehören wird, die ihren Job verlieren.

In den letzten Jahren wurden Tausende von Bankkaufleuten "abgebaut". In dieser Sparte sind nur wenige gewerkschaftlich organisiert. Eine organisierte solidarische Arbeitnehmerschaft hätte durch eine Umverteilung (Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverzicht) viele Menschen vor der Arbeitslosigkeit retten können. 14 1/2 gekürzte Monatsgehälter hätte man in 12 gleichen Monatsraten auszahlen können, sodass sich die mtl. Bezüge nicht einmal verändert hätten. Leider ist das dazu notwendige solidarische Verhalten nicht vorhanden.

Die Arbeitgeber (hier die Banken) wird man kaum zu einem Verzicht auf weitere Technisierung und Erhaltung von teuren Arbeitsplätzen zwingen können. Wie Wolfgang bereits ausgeführt hat, wäre das unternehmerisch unklug und riskant.


Wolfgang antwortete am 12.01.04 (02:44):

Ich habe keine Loesung anzubieten, navallo. Die Arbeitslosigkeit wird unter den gegebenen Bedingungen weiter zunehmen mit allen Folgen fuer die staatlichen Versicherungssysteme.


radefeld antwortete am 12.01.04 (07:13):

Jede der drei Parteien, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Politik wissen ganz genau, was die beiden anderen tun
müssten. Aber m.E, müsste schon die Politik hier regelnd eingreifen, denn FREIWILLIG ist kaum jemand
bereit, SEINE Aufgabe zu erfüllen, solange kein unmittelbarer PERSÖNLICHER Nutzen absehbar ist. Daher
stammte ja der Vorschlag zur der Anwendung des Verursacherprinzis. Dann wäre ein sichtbarer Nutzen für
diejenigen vorhanden, die NICHT zum weiterem Anstieg der Arbeitslosigkeit beitragen.
Sollte eine Regelung nicht gefunden (oder gewollt!) werden, wird sich die Frage von ganz allein lösen, z.B. mit
einem ständigen Ansteigen der Minijobs und der modernen Tagelöhnerei- sprich "Ich-AGs". Damit auch
verbunden: Eine weiteres Öffnen der Spanne zwischen "Reichen"- also gutbezahlten, voll, gar mit Überstunden
Arbeitenden und "Armen", die nur ganz gering beschäftigt sind.