Übersicht Archiv "Politik und Gesellschaft"
THEMA: Gedanken zur "Umkehr der Beweislast"
6 Antwort(en).
Jürgen Peters
begann die Diskussion am 17.10.01 (11:06) mit folgendem Beitrag:
Gedanken zur "Umkehr der Beweislast" In Veröffentlichungen zum Geldwäschegesetz aber auch in anderen Zusammenhängen wird dieser Begriff häufig benutzt. Die Leichtfertigkeit, mit welcher fundamentale Rechtssätze ausgehebelt werden sollen, ist beunruhigend. Die "Umkehr der Beweislast" lässt sich nicht als isolierte Maßnahme durchführen, sondern bringt das gesamte Gefüge unserer Rechtsprechung und endlich das der Gesellschaft in Gefahr. Denn eine Vielzahl von derartigen Rechtssätzen (z.B. "Keine Strafe ohne Gesetz", "Jemand ist unschuldig, solange ihm nicht das Gegenteil nachgewiesen wird" und eben "Wer klagt, hat den Nachweis der Schuld zu führen") sind in einem logischen System verknüpft. Es würde zusammenbrechen sobald ein Teil davon fehlte. Wenn es möglich ist, jeden beliebigen Menschen eines Vergehens anzuklagen ohne dass der Kläger das Risiko des Beweises eingehen muss, im Gegenteil der Beklagte plötzlich und unvorbereitet die Mittel aufzuwenden hat, um seine Unschuld zu beweisen, dann bringt dies eine unerträgliche Lebensunsicherheit in die Gesellschaft. Die Aufgabe des Satzes würde zu einem allgemeinen Denunziantentum führen. Es ist nur etwas über 50 Jahre her, dass wir dieses System in Deutschland hatten (Freisler hiess dieses Ungeheuer) und schon ist es ins Unterbewusstsein der Zeitgenossen abgetaucht. Ein Staat, ein Volk braucht Rechtssicherheit und die wird durch die Aushöhlung der fundamentalen Rechtssätze wie z.B. dem von der Beweislast aufgeweicht und in Frage gestellt. Haben sich maßgebliche Juristen und Rechtstheoretiker, die Bundesgerichte oder juristischen Fakultäten der Universitäten dazu jemals geäußert? Wer kann Auskunft geben? Wehret den Anfängen! Jürgen Peters, Aalen
|
Johannes Michalowsky
antwortete am 17.10.01 (12:19):
Danke für den hervorragenden Beitrag. Ein Fallbeispiel ist unter der unten angegebenen URL zu finden, aus dem ich zitiere:
"Läßt sich die Gesetzgebung aber von tagespolitischer Opportunität leiten, werden Sondergesetze erlassen, denen die Rechtssprechung folgen muß, dann wird diese zum Werkzeug der Politik. Die im Grunde so segensreiche Gewaltenteilung kann dann von den Gesetzgebern als Alibi mißbraucht werden, um die Verantwortung für die Folgen schlechter Gesetze von sich abzuschieben."
Die sogenannten "Ereignisse" sind für viele ein willkommener Vorwand . . .
(Internet-Tipp: https://codoh.com/inter/intgrunpolitik.html)
|
Karl
antwortete am 18.10.01 (09:38):
In Großbritannien sollen jetzt "Verdächtige" festgesetzt werden können ohne Gerichtsverfahren. Begründet wird dies mit der aktuellen Notstandssituation. ähnliches wurde vor Jahren schon einmal wegen der Nordirlandkrise praktiziert. Ein Ergebnis war deren Verschärfung.
Wenn das Festsetzen von Personen allein aus Verdachtsgründen möglich wird, was ist dann, wenn ich meinen Nachbarn anschwärze? Die Bedenken von Jürgen Peters, dass die Umkehrung der Beweislast das Denunziantentum fördert, sind ernstzunehmen.
|
Georg Segessenmann
antwortete am 18.10.01 (11:01):
Die andere Seite: Wenn ein Mensch offensichtlich von jemandem an Leib und Leben bedroht wird und dies der Polizei mitteilt, heisst es: "Wir können nichts unternehmen!" Wäre es denn da nicht gut, man könnte etwas unternehmen bevor etwas passiert? Der Unterschied zwischen Information der Behörden und Denunziantentum ist auf einem sehr schmalen Grat angesiedelt. Macht der Staat etwas, heisst es bald einmal: "Der Staat hat sich nicht in alles zu mischen!" Macht der Staat nichts, heisst es: "Die habens doch gewusst, warum musste man warten bis.....!"
Ich selber bin bin auch nicht für Spitzeltum und das, was zu Ulbrichts Zeiten die Bürger zu angesehenen "Mitdenkern" gemacht hat. Aber ich bin mir auch bewusst, dass ich selber froh wäre, wenn ich bedroht würde und die Polzei täte mich vorsorglich beschützen.
Schorsch
Schorsch
|
Karl
antwortete am 18.10.01 (11:23):
Ja, Schorsch, auch Du hast Recht. Das zeigt wie delikat das Thema ist und wie sensibel Politiker das handhaben müssen. Es gilt einen Weg zu finden, der Schutz bietet, aber nicht nur vor der momentan drohenden Gefahr, sondern auch vor einem Mißbrauch des Instrumentariums.
|
Jürgen Peters
antwortete am 25.10.01 (16:06):
Zur Antwort von Herrn Segessenmann: Das Argument läuft darauf hinaus, dass auf den bloßen Verdacht hin und ohne Beweis jemand in vorsorglichen Gewahrsam genommen werden soll. Die Polizei repräsentiert in unserem Staat die Exekutive mit dem Gewaltmonopol. Die Justizverwaltung als Jurisdiktive ist davon unabhängig. Sie kann logischerweise erst dann tätig werden, wenn ein TATbestand vorliegt. Volkstümlich ausgedrückt: Es muß erst etwas passieren, bevor etwas passiert! Wenn dem nicht so wäre, würde jeder Willkür Tür und Tor geöffnet sein. Wir wollen nicht vergessen: Der Staat sind wir!
Zur Antwort von Karl: Sowohl in Großbritannien als auch in den USA wird das sog. Römische Recht als „fremdes“ Recht empfunden und daher abgelehnt! Die fundamentalen Rechtssätze, auf die ich mich bezog, gehören dem römischen Recht an. Dieses wurde im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zwar erst in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert übernommen, in Großbritannien aber nie. Kein Wunder, dass in England solcherlei Vorstellungen, wie von Ihnen angedeutet, möglich sind. Im Übrigen ist die Rechtsprechung neben der Theologie das am meisten konservative Feld menschlicher Betätigung. Ein Wandel konnte Jahrhunderte dauern!
Was mich an dem ganzen Thema so entsetzt, ist die Leichtfertigkeit mit der eine politische Partei (immerhin diejenigen, welche Gesetze machen!) aus einer Paniksituation heraus solche grundlegenden Sicherheitspfeiler kippen wollen. Leider hat sich noch kein Jurist oder Rechtstheoretiker bisher geäußert. Man würde erwarten, dass sie sofort auf die Barrikaden gingen.
|
Johannes Michalowsky
antwortete am 25.10.01 (17:11):
Das ist keine panische Reaktion einer politischen Partei, sondern eine passende Gelegenheit, etwas, was vorbereitet in der Schublade liegt, herauszuholen und in die Tat umzusetzen, in dem Gefühl, daß es entweder keiner merkt oder wenn, dann immerhin hingenommen wird. Wer wird denn im Augenblick etwas gegen Terroristenjagd wagen zu sagen? Eine bessere Gelegenheit kann es für Schily und Konsorten ja wohl nicht geben.
Gerhard Baum, früherer Bundesinnenminister, hat in einem Interview des Deutschlandfunkes darauf hingewiesen, daß schon in den 90er Jahren nicht weniger als dreißig Gesetzesänderungen vorgenommen oder neue Gesetze erlassen wurden, die auf eine Demontage der Rechtsstaatlichkeit in unserem Lande hinauslaufen. Da brauchen wir also gar keine radikale Partei zu, weder links noch rechts, das machen unsere gestandenen Demokraten schon selber.
(Internet-Tipp: /seniorentreff/de/my/)
|
|