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THEMA:   Wirtschaftswachstum + Arbeitslosigkeit

 8 Antwort(en).

Mechtild begann die Diskussion am 16.11.03 (13:10) mit folgendem Beitrag:

Die Industrie in Ostdeutschland kommt mit der Krise besser zurecht als die im Westen. Mancherorts sei die Stimmung fast unanständig gut. Ob Konzernmanager oder Mittelständler – sie platzen fast vor Optimismus und investieren wie die Weltmeister. Ihre Auftragslage ist bestens, die Perspektive verheißungsvoll. Sie expandieren und suchen dringend qualifizierte Mitarbeiter. Voll des Lobes sind sie über fixe Behörden, engagierte Mitarbeiter und willige Gewerkschaften.
Der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle Rüdiger Pohl sagt: „Hier kann man den Umgang mit der Krise lernen.“
Sind hohe Arbeitslosigkeit und gleichzeitig Wirtschaftswachstum Realitäten an die wir uns gewöhnen müssen?

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2003/47/Ossis


Wolfgang antwortete am 16.11.03 (13:24):

Ja, Mechtild, davon bin ich ueberzeugt. Der Grund ist einfach: Das allgemeine Wirtschaftswachstum ist seit ein, zwei Jahrzehnten niedriger als das Wachstum der Arbeitsproduktivitaet. Das ist nicht aussergewoehnlich in einer voll entwickelten hochproduktiven Volkswirtschaft. Die Zeiten der 50er, 60er Jahre sind vorbei... Damals war das Wirtschaftswachstum weit hoeher als die niedrige Arbeitsproduktivitaet. Folge: Man brauchte (im Gegensatz zu heute) viele Arbeitskraefte.

Die werden heutzutage nicht mehr in dem Mass gebraucht. Vor allem schlecht oder gar nicht ausgebildete Menschen werden es schwer haben, ueberhaupt noch einen Arbeitsplatz zu finden. Trotz Wirtschaftswachstum wird es (sogar zunehmende) Arbeitslosigkeit geben.


schorsch antwortete am 16.11.03 (16:31):

Das Wirtschaftswunder Ost, mit ein paar Jahrzehnten Verspätung?

Ich denke, es ist leichter, aus nichts etwas zu machen, oder das bisschen, das man hat, zu verdoppeln. Wenn dann einmal ein gewisses Niveau erreicht ist, sind die Möglichkeiten "Stagnation" oder gar "Absturz in die Normalität" grösser als ein weiterer Anstieg....


hugo1 antwortete am 16.11.03 (17:41):

@ mechthild ,,wer nur 30 Cent in der Tasche hat, braucht nur 2 leere Bierflaschen zu verkaufen um sein "Vermögen" zu verdoppeln. Hat aber jemand 1 Million ä, dann muss er sich schon mit üblichem Geschäftsgebaren befassen, also z.B. Herstellung, Materialeinsatz, Löhne, Umsatz, Absatz, Steuerrecht, Geldanlage usw um eine Verdoppelung zu erreichen, es sei denn er braucht "nur" Schwarzgeld" zu waschen oder Fördermittel zu privatisieren.
Zumindest seh ich hier im Osten inmitten der blühenden Felder noch ne ganze Menge Unkräuter blühende Diesteln, Kahlschläge und Stillgelegte Felder, die man als außenstehender Betrachter aus sicherer Entfernung nicht wahrhaben kann (und vielleicht auch nicht will)


guenter antwortete am 16.11.03 (21:31):

Das Hauptproblem in userem Land sind zur Zeit die Gewerkschaften. Wenn ich mir die Lohnzuwächse im Öffentlichen Dienst von 4%, bei gleichzeitiger Pleite unserer Gemeinden betrachte, so ist das ein deutliches Zeichen der Unvernunft. So geht es in allen Branchen. Die Tarifforderungen der IG-Metall gehen in die gleiche Richtung, Lohnerhöhung für Wenige und der Rest der Arbeitsplätze wird ins östliche Ausland verlegt. Geht ganz einfach. Man wartet dort. Wer ein bischen Einblick hat, weiß genau wohin der Weg geht. Die Gewerkschaften hatten mal eine sehr wichte Funktion, heute sind sie eine Arbeitsplatzvernichtungseinrichtung.
Das ist unser Problem in Deutschland. Wenn diese Problem gelöst ist, gibt es auch wieder mehr Arbeitsplätze, mehr Steuereinnahmen, mehr Wachstum und mehr Renten und Pensionen.


BarbaraH antwortete am 17.11.03 (01:09):

Helmut Spitzley, Professor am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen, hält es für völlig illusionär, durch Wachstumsraten Arbeitsplätze zu schaffen. Auch eine Arbeitszeitverlängerung zur Absenkung der Lohnkosten hält er für fatal, da sie noch mehr Arbeitskräfte freisetzen würde. Er plädiert für eine Reduzierung der Arbeitszeit:

>>Drei Viertel der in einer Umfrage kontaktierten Geschäftsleitungen bewerteten ihre Erfahrungen mit einer Beschäftigung sichernden Absenkung der Arbeitszeit positiv, erklärte Spitzley. Die Erwartung, die anhaltend hohe Erwerbslosigkeit könne allein mit wirtschaftlichem Wachstum überwunden werden, trügt nach seiner Auffassung. „Um die Massenarbeitslosigkeit zu beenden, müsste die Wirtschaft über viele Jahre um mindestens fünf Prozent wachsen. Derartige Wachstumsraten hat es zwar in der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Heute sind sie jedoch völlig illusionär.“<<

https://www.sueddeutsche.de/sz/wirtschaft/red-artikel68/

Internet-Tipp: https://www.sueddeutsche.de/sz/wirtschaft/red-artikel68/


Tobias antwortete am 17.11.03 (08:58):



„ Das Hauptproblem in unserem Land, sind die Gewerkschaften“. Nein dies glaube ich nicht guenter.
Meist sind es die Menschen, die alles mitgenommen haben was die Gewerkschaften für sie erstritten hat aber gleichzeitig sind diese Arbeitnehmer die größten Kritiker. Soll mir einer helfen wie so etwas kommt.

Wir haben in Deutschland halbstaatliche Kammern für Handwerksbetriebe, Industrie,
Architekten, Rechtsanwälten, Ärzten usw. Arbeitnehmer hingegen haben dies nicht sodass ihnen nur eine Organisation wie die Gewerkschaft übrig bleibt und dies ist auch nötig. In Österreich gibt es eine Arbeiterkammer leider aber nicht in Deutschland.

Ich finde Gewerkschaften wichtig, obwohl ich als immer noch Selbständiger in meiner Innung - Handwerkskammer gut aufgehoben bin.


guenter antwortete am 17.11.03 (22:06):

Hallo BarbaraH und Tobias,
die Anmerkungen von Prof Spitzley sind nur zum Teil richtig.
Richtig ist, daß Arbeitszeitverkürzungen Arbeitsplätze schaffen könnten, wenn nicht die Tarifverträge und damit der volle Lohnausgleich festgeschrieben wurde. In den 50er Jahren hatten wir die 48 Stunden Woche, heute sind es in der Metallindustrie die 35 Stunden Woche, wohlbemerkt mit vollem Lohnausgleich.
Ich will ein Beispiel nennen: In einem sehr großenBetrieb waren Anfang der 80er Jahre 30 Pförtner beschäftigt, alles ältere Mitarbeiter, die nicht mehr so mithalten konnten. Aso eine soziale Lösung.Mit dem großen Streik wurden auch die Tarifbedingungen der Pförtner geändert, so daß sie dann an Sonntagen mt allen Zuschlägen damals rund 48,- DM Stundenlohn hatten, wohlbemerkt bei einer 12 Stunden Schicht. Das waren Kosten, die sich selbt ein großer Betrieb nicht mehr leisten konnte. Das Ergebnis war, man trennte sich mit einer Abfindung von den Mitarbeitern installierte Nachts Elektronische Überwachungsanlagen ein und tagsüber beauftrage man ein Wachunternehmen für etwa 20,- DM je Stunde. Sicher haben die Gewrkschaften viel Gutes erreicht, aber sie haben in den letzten Jahren oft überzogen.


schorsch antwortete am 18.11.03 (10:21):

Ich denke, die Gewerkschaften habens heute schwer: Wirklich neue Forderungen, die das Los der arbeitenden Bevölkerung lindern müssten, gibts fast nicht mehr. Also muss man sich darauf konzentrieren, die erkämpften Werte zu erhalten. Die Jungen erwarten aber, dass Gewerkschaften Neues erkämpfen - sonst bleiben sie draussen. Bleiben sie aber den Gewerkschaften fern, schrumpfen diese - und verlieren ihre Kampfkraft, die nötig ist, den Sozialabbauern paroli bieten zu können....