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THEMA:   Fraktionszwang gegen Gewissen?

 9 Antwort(en).

jo begann die Diskussion am 29.09.03 (12:01) mit folgendem Beitrag:

Mit Verwunderung habe ich vernommen, daß 6 Abgeordnete der SPD wegen ihres neulich von der übrigen Fraktion abweichenden Abstimmungsverhaltens sich verantworten und zur Rechenschaft gezogen werden sollen und evt. ihre Mandate zurückgeben sollen.

Abgesehen davon, daß - ß38 GG – Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind, steht, was mir in diesem Falle wichtiger scheint, in ß 46 (1) u.a., daß ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden darf.

Dies ist meinerseits keine Artikulierung von Sympathie oder Missfallen für den aktuellen Vorgang oder die beteiligten Leute, sondern nur die wahrscheinlich naive Frage, wer richtig lesen kann – einige Politiker oder ich? Von Fraktionszwang lese ich nämlich im GG weit und breit nichts.


dino9 antwortete am 29.09.03 (12:59):

wer kariere bei einer partei machen will u. bis in den bundestag gekommen ist, kennt keine gewissentsentscheidung.hat in unzähligen wahlkämpfen u.ab-
stimmungen gelernt was fraktionszwang bedeutet u. auch oft geübt. jeder job hat seine schattenseiten.
ich lerne dabei immer wieder für mich das ich scheinbar kein demokrat bin.habe mich noch nie sogenannte behrheitsenscheidungen unterworfen,wenn ich anderer meinung war.


Gitti antwortete am 29.09.03 (16:01):

wo bleibt denn da die Demokratie, wenn die Abgeordneten
solange bearbeitet werden, bis sie die Allgemeine Meinung
vertreten und sogar bestraft werden sollen, wenn sie nach
ihrer Meinung und Gewissen abstimmen:-<


eko antwortete am 29.09.03 (18:21):

Solche Vorgänge, wie von Jo beschrieben und von Gitti nachgefragt, hat es schon immer gegeben und wird es wohl auch in Zukunft geben.

Es ist eine Frage des Machterhalts, egal, von welcher Seite. Wer "dran" ist, will auch dran bleiben.

Wenn es danach aussieht, dass es "Spitz auf Knopf" steht, d.h. dass die Abstimmung möglicherweise daneben geht, sind in der Vergangenheit schon Abgeordnete aus den Krankenbetten und wer weiß sonstwo hergeholt worden.

Bei der SPD liegen derzeit die Nerven blank, was wohl auch verständlich ist. Allerdings habe ich solch harschen Worte von anderen Parteien in so einer Situation noch nicht vernommen. Und ob die SPD sich damit einen Gefallen tut, ist m.E. sehr fraglich.


heinzdieter antwortete am 29.09.03 (19:31):

Es gibt nur eine Möglichkeit solche unschönen Fälle, die in den nächsten Monaten vorkommen werden zu vermeiden,und das ist :
die Einführung der Direktwahl wie sie z.B. in England praktirziert wird.
Dies hat dann ausserdem den großen Vorteil, daß die Politikverdrossenheit der Wähler in einen gewissen Zeitraum abgebaut wird, da der Abgeordnete sich seinem Wahlkreis verpflichtet fühlt und nicht seiner Partei.


Tobias antwortete am 29.09.03 (21:24):

Aber die Abgeordneten kommen doch nur über die Parteien zu einem Wahlkreis. Dies ist auch in England so wenn auch das Wahlrecht dort anders aussieht.

Das Grundgesetz sagt nichts über Franktionszwang aber wie könnte eine Partei regieren wenn es im Parlament immer wechselnde Mehrheiten gäbe. Die Unregierbarkeit wäre vorprogrammiert.

Guten Abend Tobias


rolf antwortete am 30.09.03 (10:07):

Die Direktwahl der Abgeordneten hätte zusätzlich den Vorteil, daß die Zahl der Abgeordneten bequem halbiert werden könnte.
für jeden Wahlkreis einen direkt gewählten Abgeordneten, keine Kanditaten auf Listenplätzen, die per Zweitstimme ins Parlament kommen.
Und der Einfluß der Partei geht auch zurück, da ein Kandidat, der im Wahlkreis keine Aussicht auf Wahl hat, nicht wegen seiner "Parteiverdienste" aufgestellt wird.
Das Risiko der wechselnden Mehrheiten zwingt die Regierung dazu, ihre Vorlagen besser vorzubereiten und zu durchdenken.


Tobias antwortete am 30.09.03 (10:26):

Servus rolf,
deine Meinung teile ich in keinem Punkt. Bei uns in Bayern wären dan nur CSU Abgeordnete im Bundestag. D.h. 49 % der Restbevölkerung wären dann überhaut nicht vertreten. Mit Demokratie hat dies nichts mehr zu tun.

Wenn ich mich auch wiederhole, die Kanditaten werden von den Parteien ausgewählt und nicht von der Bevölkerung. Sie sind auch den Parteien dadurch verpflichtet.

Wechselnde Mehrheiten führen zum Regierungschaos, da geht alles bald den Bach hinunter.

Gruss Tobias


jo antwortete am 30.09.03 (13:11):

@Tobias

einverstanden, aber was dann ist der Sinn des ß 38 (1) des Grundgesetzes? Ist dessen Inhalt nicht realitätsfern und sollte geändert werden? Etwa so: Die Abgeordneten werden von den Parteien aufgestellt und haben so abzustimmen, wie es die Spitze anordnet?

Da Du aus Bayern bist, dann kennst Du vielleicht die Fiserbriefe, Bericht eines bayrischen Landtagsabgeordneten, ich denke, das ist sehr realistisch und auch heute noch gültig - aber die anderen haben auch ihre grauen Eminenzen, keiner gibt dem anderen da was nach.


Mechtild antwortete am 30.09.03 (13:48):

Die Diskussion erscheint mir etwas realitätsfremd. Natürlich muss ich mich als Abgeordneter in meine Fraktion einordnen und manche Dinge mit verantworten, die die Mehrheit beschließt. Eine Fraktion nicht arbeitsfähig, wenn jeder immer seinen Kopf durchsetzen will. Das bezieht sich aber nicht auf Entscheidungen, die ich vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Ein Abgeordneter ist mit allem was er tut vor seinem Gewissen verantwortlich und nur er kann sich nicht herausreden mit Fraktionszwang. Die meisten Entscheidungen sind keine Gewissensentscheidungen. Mitläufer können wir in der Politik nicht gebrauchen, die haben im Laufe der Geschichte schon genug Unheil angerichtet. Das mit Abgeordneten, die eine andere Meinung haben als die Fraktion wünscht geredet wird und das die Gespräche nicht konfliktlos sind ist klar. Das muss ein guter Politiker aushalten, sonst ist er für den Job nicht geeignet.
Es ist übrigens in jeder Familie, Verein und in jedem Betrieb so, dass erwartet wird man ordnet sich der Herrschaftsmeinung unter. Kinder die nicht tun, was ihre Eltern oder Lehrer sagen werden schnell als verhaltensauffällig bezeichnet. Dabei üben sie oft nur Nein-Sagen.