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THEMA:   Eine Chance für die Versöhnung der Welten: Der EU-Beitritt der Türkei!

 25 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 03.09.03 (09:13) mit folgendem Beitrag:

Aufgrund der sehr negativen Erfahrungen mit der Diskussion ähnlich gelagerter Themen hier im ST habe ich gezögert, dieses Thema einzustellen. Aber es ist m.E. so wichtig, dass ich mich über meine Bedenken hinwegsetze.

Heute (3. September 2003) habe ich mich über einen Kommentar auf Seite 1 der Badischen Zeitung von Annemarie Rösch gefreut, weil sie mir aus dem Herzen gesprochen hat.

Frau Rösch stellt fest, dass es zur Zeit wenig positive Nachrichten aus dem islamischen Raum gebe und es deshalb um so erfreulicher sei, dass sich in der Türkei eine islamisch-konservative Regierung daran gemacht habe, das Land nach EU-Standards zu reformieren. Es sei also richtig, dass Schröder dem türkischen Premier Erdogan seine Unterstützung bei der Annäherung an die EU versprochen habe. Denn - sollte es gelingen - die Türkei zu einer stabilen rechtsstaatlichen Demokratie umzubauen, sei das ein Fanal und eine der größten historischen Leistungen der jüngeren Geschichte. Die Türkei könnte zum demokratischen Vorbild für arabische Staaten werden. Dies sei eine weltpolitisch äußerst bedeutsame Dimension und die Querschüsse aus den Reihen der Unionsparteien - vornehmlich aus der CSU - seien gefährliche, populistische Wahlkampftaktik.

Frau Rösch fährt fort: "Muslimen in Deutschland würde mit derartigen Parolen doch vor allem signalisiert: Ihr könnt Euch anstrengen, wie ihr wollt, in Europa seid ihr nicht willkommen. Den Radikalen unter den Islamisten wäre damit ein Gefallen getan".

Bravo, Frau Rösch! Auch ich sehe in der Möglichkeit, die Türkei in Europa stabil zu verankern, eine Chance für die Integration der in Europa lebenden Millionen von Muslimen. Wir haben hier in den Diskussionen ja bisher immerhin herausgearbeitet, wie heterogen auch die Strömungen innerhalb des Islams sind. Es gilt diejenigen Strömungen zu stärken, die für Demokratie und Menschenrechte eintreten und die Reformierung der Türkei im Sinne der EU-Standards ist hierbei eine geschichtliche Großchance, die es zu Unterstützen gilt.

Ich hoffe, auf eine ernsthafte und sachliche Diskussion.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


hl antwortete am 03.09.03 (09:46):

"Angesichts dieser weltpolitischen Dimension ist es unverständlich, dass Unionspolitiker - vornehmlich aus der CSU - ein Nein zur Integration der Türkei in die EU zum Wahlkampfthema machen möchten."

Zumal sich die Unionspolitiker mit diesem Wahlkampfthema in die direkte Nähe der "NPD" begeben. Mir flatterte kürzlich ein Pamphlet von "Die Stimme" ins Haus, bei deren rassistischen Parolen (ich möchte sie hier nicht wiederholen) mir die Luft weg blieb.


Karl antwortete am 03.09.03 (09:55):

Da mich zu diesem Thema auch die Meinung der "Nur-Lesenden" interessiert, habe ich die Möglichkeit zur Abstimmung geschaffen:

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/fr-umfragen.html


schorsch antwortete am 03.09.03 (09:59):

Ein junger Elefant wird nie zu einem gesitteten Herdentier, wenn man ihn aus der Herde ausschliesst......


Wolfgang antwortete am 03.09.03 (10:17):

Zur Zeit ist bei uns in Bayern Wahlkampf. Die rechten WahlkaempferInnen sind fast voellig unter sich und bestimmen die Themen. Die CSU (die bayerische CDU) fischt Stimmen am rechten Rand. Eine Kostprobe:

Die 'Tatsache, dass die Tuerkei einem voellig anderen Kulturraum angehoert' nannte MICHAEL GLOS (Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag) als Grund fuer seine Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft.

In Bayern ist der Rassismus mehrheitsfaehig. :-(


rolf antwortete am 03.09.03 (10:28):

Obwohl ich finde, daß erst die geografisch zu Europa gehörenden Länder in die EU aufgenommen werden sollten, habe ich nichts gegen den Beitritt der Türkei, wenn sie die Voraussetzungen erfüllt.


mart antwortete am 03.09.03 (10:49):

Bitte, wo ist die Beweisführung, daß die Türkei sowohl geographisch als auch kulturell dem europäischen Kulturraum angehört?

Bitte, wo ist - wenigstens in Spuren - die Bereitschaft, die Verbrechen der Türkei, die sich nicht so sehr von denen des Naziregimes unterschieden haben, aufzuarbeiten?


BarbaraH antwortete am 03.09.03 (11:45):

In der Süddeutschen Zeitung ist heute ein Leitartikel von Heribert Prantl zu lesen, der meine Meinung sehr gut wiedergibt. Die Argumente gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU sieht Prantl als Stellvertreter-Debatte:

>> Das Thema Türkei hat magnetische Kraft; es kann alle Ängste auf sich ziehen, Ängste jeder Couleur und verschiedenster Genese, Ängste vor Überfremdung, vor dem Islam, vor der Gefährdung und Zerstörung der inneren Ordnung Europas. Alles, was man schon immer gegen die Ost-Erweiterung der EU sagen wollte, aber aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht deutlich gesagt hat, kann nun leichter gesagt werden, weil es einen Sammelbegriff gibt: Türkei.<<

Außerdem erinnert er daran, dass dieser Beitritt erst für 2020 vorgesehen ist, dass es also einen sehr langen Entwicklungsprozess gibt, auf dem die Türkei bereits ein großes Stück gegangen und noch ein größeres zurück zu legen hat. Auf jeden Fall liegt hier eine riesige Chance zur friedlichen Annäherung, der wir uns nicht leichtfertig verschließen sollten:

>>Weltpolitisch geht es um Dimensionen, die die der Ostverträge noch übertreffen: Ein westlicher Staat mit islamischer Bevölkerung wäre Gegenmodell zum Kampf der Kulturen. Eine EU mit einem Vollmitglied Türkei wäre Symbol dafür, dass Demokratie und Menschenrechte keine christliche Veranstaltung sind. Eine voll integrierte demokratische und ökonomisch stabile Türkei hätte Strahlkraft in den Nahen und Mittleren Osten hinein. Das sind die langfristigen Chancen. Das Risiko: Wenn Europa sich zu viel zumutet, fällt es zurück auf einen labilen Staatenbund. Die Europäer müssen sich entscheiden, wie mutig sie sein wollen. Die Risiken sind nicht so akut, weil der Weg, den die Türkei zurückzulegen hat, noch so weit ist: Die Türkei soll ja nicht morgen, sondern, wenn alles klappt, im Jahr 2020 aufgenommen werden.Es geht nun erst einmal um den Beginn von Verhandlungen<<.

https://www.sueddeutsche.de/sz/meinungsseite/red-artikel188/

Internet-Tipp: https://www.sueddeutsche.de/sz/meinungsseite/red-artikel188/


Medea. antwortete am 03.09.03 (12:01):

Hat nicht gerade ein deutsches Gericht die Auslieferung des "Kalif von Köln" (Islamistenführer Kaplan) verhindert, weil nach Auffassung des Gerichts kein rechtsstaatlich einwandfreies Strafverfahren gesichert sei?
Amnesty international prangert immer noch die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei an. " Trotz Verbesserungen mangele es in der Türkei in vielen Fällen an einer konsequenten Umsetzung der Gesetze. Die Folter sei immer noch weitverbreitet, die Folterer würden nicht effektiv verfolgt" kritisierte die Menschenrechtsorganisation in Berlin.
"Bei Vernehmungen sei die Anwesenheit eines Anwalts bisher nicht erlaubt. Dies widerspricht internationalen Standards. Gerade bei Verhören würden Menschen immer wieder Opfer von Folter und Mißhandlungen."


Medea. antwortete am 03.09.03 (12:27):

Es wird noch ein weiter, dornenreicher Weg für die Türkei sein, bevor sie die internationalen Standards erfüllt.

- Dieser Satz sollte noch unter den obigen Beitrag, da war er plötzlich bereits verschwunden. -


rolf antwortete am 03.09.03 (12:36):

Hallo mart,
daß EU-Mitglieder auch kulturell dem europäischen Kulturraum angehören müssen steht, m. W., nirgends.
Die Voraussetzungen, die alle anderen EU-Staaten und Bewerber erfüllen müssen, müssen selbstverständlich auch von der Türkei erfüllt sein.


Wolfgang antwortete am 03.09.03 (12:41):

Es ist ja auch noch etwas Zeit, Medea - 20 Jahre noch, Barbara hat darauf hingewiesen. Viele hier duerften also die EU-Mitgliedschaft der Tuerkei gar nicht mehr selbst erleben. Hoffen wir, dass sich die Standards fuer Menschenrechte bis dahin in den anderen Laendern gehalten haben. ;-)

Internet-Tipp: https://www.ecotrip.de/


Mechtild antwortete am 03.09.03 (13:31):

Die Türkei gehörte einem völlig anderen Kulturraum an. Mittlerweile wohnen so viele Menschen aus dem türkischen und arabischen Kulturraum hier, dass wir nicht mehr sagen können, das ist uns allen fremd. Die Dinge, die uns angenehm sind, haben wir alle integriert. Die anderen Dinge bezeichnen wir als fremde Kultur. Die Kultur aus den osteuropäischen Ländern ist mir persönlich auch fremd. Die christlichen Feste wie Prozessionen und Walfahrten kenne ich aus meiner Kindheit, aber sie haben nichts mit meinem heutigen Leben zu tun.
Wenn wir Kriege weiter verhindern wollen müssen wir die Menschen zu einander führen und den Menschen helfen Ängste vor dem Fremden abzubauen. Das die Menschenrechte eingehalten werden müssen, ist klar. Darauf kann man eher Einfluss nehmen, wenn die Türkei Mitglied der EU ist.


wanda antwortete am 03.09.03 (17:17):

für mich bedarf es keiner Beweisführung, wir können geografisch und auch kulturell grosszügig sein, für mich gehört die Türkei auf jeden Fall dazu.


jako antwortete am 03.09.03 (17:40):

Beurteilen kann ich gar nichts, dafür bin ich nicht kompetent genug. Aber vom Herzen her möchte ich die Türkei integriert sehen.

Gruß

jako


Ebba antwortete am 03.09.03 (18:05):

Ich befürworte den EU-Beitritt der Türkei aus voller Überzeugung. Den Stellungnahmen von A. Rösch und H.Prantl kann ich nur zustimmen.

Aber, lieber Wolfgang, da ist sie wieder, die Polarisierung und Diffamierung:

"In Bayern ist der Rassismus mehrheitsfaehig. :-( "

Dass die Türkei einem anderen Kulturkreis angehört, ist doch wohl unbestreitbar. Es ist eine Feststellung und keinerlei Werturteil. Wenn Politiker Bedenken gegen einen Beitritt haben, so kann man sie doch deshalb nicht in die Rassisten-Ecke stellen. Das macht jede Diskussion unmöglich.
Trotz ihrere Haltung in dieser Frage werde ich die CSU wählen (und ich habe durchaus gute Gründe dafür). Bin ich jetzt in Deinen Augen ein Rassist?


Wolfgang antwortete am 03.09.03 (18:31):

Ich glaube nicht, Edda, dass Du ein Rassist bist (denn Du hast ja eindrucksvoll beschrieben, dass Du die rassistische Politik der CSU ablehnst).

Ich kenne eine ganze Reihe Leute, die sagen mir beim Smalltalk, dass sie ganz und gar nicht einverstanden sind mit der Politik der CSU... Dass ihnen deren Auslaenderhetze zuwider ist... Dass sie deren Pro-Atomkraft-Politik fuer falsch halten... Dass sie ueberhaupt etwas dagegen haben, dass die CSU solch eine gewaltige politische Macht auf sich konzentriert und damit dem Spezl-Unwesen Tuer und Tor geoffnet wird.

Wenn ich sie dann frage, warum sie trotzdem CSU waehlen (oder nach aussen zumindest so tun, als ob sie das taeten), kommt ein Verschaemtes: 'Ich habe meine guten Gruende dafuer.' Und: 'Man muss sehen, wo man bleibt.' Und: 'Sie haben es gut; Sie sind ein freier Mensch (damit spielen meine Kollegen darauf an, dass sie eingebunden sind in ein Netzwerk von Spezln, die sich gegenseitig Posten und Auftraege verschaffen).

Nein, nicht jeder, der CSU waehlt ist ein Rassist... Es ist wohl bei vielen eher ein Problem des Opportunismus. Wobei ich Dir natuerlich nicht zu nahe treten will. Hier in den ST-Foren ist es guter Brauch, dass MtdiskutantInnen nicht persoenlich beleidigt werden und ihnen etwas nicht unterstellt wird, nur deswegen, weil man sie und ihre persoenlichen Umstaende nicht gut genug kennt. ;-)


Wolfgang antwortete am 03.09.03 (18:32):

Entschuldige, Ebba, Deinen Namen habe ich im vorigen Beitrag falsch geschrieben...


mart antwortete am 04.09.03 (00:17):

Die CSU führe eine "fast rassistische Hetzkampagne gegen die Türkei"; das Argument der Grünen - Politikerin und Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth, lautet dafür folgendermaßen:

"Wer die Türkei als nicht kompatibel mit der EU bezeichne, halte offenbar auch die mehr als zwei Millionen Türken in Deutschland für nicht kompatibel mit Europa."

Dieses Argument klingt für mich leicht schwachsinnig!


Felix antwortete am 04.09.03 (00:41):

Ich frage mich ernsthaft ... wer wohl zuerst in der EU sein wird .... Die Türken oder die Eidgenossen?
&:>))


mart antwortete am 04.09.03 (00:52):

Meiner Meinung nach die Türkei, die Schweiz hat sich schon bisher sehr klug mit den politischen Gebenheiten arrangiert und lukriert Vorteile der EU und vermeidet deren viele Nachteile. Die Schweiz wäre wohl ein enormer Nettozahler.

Bisher ist die Schweiz mit ihrer Politik bestens gefahren; warum change a winning team?

Tu felix Schweiz, ...


Medea. antwortete am 04.09.03 (09:29):

Kleine Korrektur:

nach Pressemittlungen zu urteilen, leben in Deutschland derzeit an die vier Millionen Türken.


mart antwortete am 05.09.03 (10:55):

In diesem Link wird ein sehr interessantes Projekt vorgestellt, dem ich jeden Erfolg wünsche! So etwas stelle ich mir Initiativen vor, die in Deutschland Parallelwelten aufbrechen können, die Lage der Muslima verbessern und zu einer Integration führen könnten.

aus

https://www.islamische-zeitung.de/archiv/artikel.cgi?nr=3269

"Amina Theißen, Leiterin des Begegnungs- und Fortbildungszentrums muslimischer Frauen BFMF, sprach mit der Islamischen Zeitung über die Arbeit ihrer Einrichtung und die Lage muslimischer Frauen.



Islamische Zeitung:
Sehr geehrte Frau Theißen, könnten Sie uns kurz erläutern, was das BFMF genau ist?

Amina Theißen:
Das BFMF ist Träger eines muslimischen Frauenbildungswerks, welches eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung ist. Es ist Träger der freien Jugendhilfe und erfüllt die Funktion einer Begegnungs- und Bildungsstätte von und für muslimische Frauen........"

Internet-Tipp: https://www.islamische-zeitung.de/archiv/artikel.cgi?nr=3269


York65 antwortete am 05.09.03 (23:09):

Seit die EU in letzter Zeit gewachsen ist ist sie auch an ihre Grenzen gestoßen.So haben wir uns auch die hohe Zahl der Arbeitslosen eingehandelt,die wir dadurch auch nicht mehr weg bekommen.
Die EU sollte lieber die Türkei in einem neuen Nahostbund
Unterstützen,wo ein Zusammenschluß von Staaten wie Türkei,Syrien Libanon Israel/Palestina/Irak(nachdem der Agressar USA abgezogen ist) Agypten anzustreben wäre.


schorsch antwortete am 06.09.03 (09:15):

@ York65

Bitte nicht anachronistisch werden. Dass so viele Millionen Türken in Deutschland sind hat damit zu tun, dass damals, als die ersten kamen, Hochkonjunktur im Westen herrschte und die Arbeitgeber jeden Knochen, der sich noch bewegen konnte, einstellten. Der Gewinnmaxierung halber schielte man nach allen möglichen Ländern - und sei es, dass die eingeführten Menschen noch so eine andere Mentalität hatten. Heute haben die damaligen Verursacher dieser Völkerwanderung ihr Scherflein (Schäflein?) im Trockenen und waschen ihre Hände in Unschuld....


Tobias antwortete am 06.09.03 (19:36):

Django Asül witzelte, wäre die BRD mit der Türkei und nicht mit der DDR zusammen gegangen, könnten die Türken im eigenem Land arbeiten und die Deutsche könnten im eigenem Land Urlaub machen.