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THEMA:   Schule, wie sie früher war

 7 Antwort(en).

hl begann die Diskussion am 15.08.03 (19:20) mit folgendem Beitrag:

Da das Thema Schule hier gerade so aktuell ist, habe ich mich - zwangsläufig - an meine eigene Schulzeit erinnert.

Wie war das bei Euch damals? Der erste Schultag und das erste Schuljahr?



Vor fünzig Jahren zogen meine Eltern von meinem Geburtsland Bayern nach NRW um. Ich wurde, kaum angekommen, dort eingeschult.

Die Nachbarskinder gingen in die evangelische Volksschule von denen es mehrere in der vorwiegend evangelischen Gemeinde gab, während ich in eine von zwei katholischen Volksschulen ging.

Von meinen Klassenkameraden wurde ich gehänselt, weil ich "ausländisch" sprich "fränkisch" sprach. Ich sagte "grüss Gott" statt "morjen" "naaa" statt "näää", "fei" statt "wohl" und "des is a .." statt "datt is en ..".

Äusserst misstrauisch wurde mein "Dirndlkleid" beäugt. So etwas kannte man im Siegerland nicht. :-)

Mein Lehrer in der ersten Klasse, ein weisshaariger alter Herr, hatte stets einen Rohrstock (selbstgeschnitten vom Haselnussstrauch, wie er stolz erzählte) und benutzte diesen auch, allerdings nur bei den Jungen. Die Mädchen wurden entweder in die Ecke gestellt oder - wenn das Vergehen etwas harmloser war - an den Zöpfen gezogen.

Ach ja, die Zöpfe. Ich wurde auch jeden Morgen von meiner Mutter gequält indem meine Haare schnell und kräftig mit der Bürste glattgestriegelt und dann in zwei feste Zöpfe geflochten wurden. Jeder Tag begann mit dieser Folter.

Die zweite Folter kam dann mit der ersten Schulstunde, die regelmässig mit einem Gebet begonnen wurde. Nun hatte unser Lehrer die Idee, dass jeden Tag ein anderes Kind ein Gebet seiner Wahl sprechen sollte. Die Sache hatte nur einen Haken. Ich kannte kein Gebet. Mein Vater war zwar katholisch, daher wurde ich auch katholisch getauft, aber dass war dann auch alles. Meine Mutter gehörte zu dieser Zeit noch keiner Kirche an und lehrte uns Kinder demzufolge auch keine Gebete.

Frühkindlicher Kulturschock oder Kulturkonflikt? ;-)

Er hat nicht allzu lange gedauert. Die Siegerländer Redensart lernte ich als Erstes (zum Leidwesen meiner Mutter, die sich schon in Bayern darum bemühte uns Hochdeutsch zu lehren). Dann weigerte ich mich strikt, das Dirndl in der Schule anzuziehen. Von einer Klassenkameradin liess ich mir zwei Gebete aufschreiben, die ich auswendig lernte und als letztes entkam ich auch noch meiner Privatfolter mit Hilfe einer Schere (ritsch,ratsch und die Zöpfe waren ab).

Wie war der Unterricht in der ersten Klasse? Lesen und Schreiben, Rechnen, Religion, Handarbeit für die Mädchen, Werken für die Jungen, Turnen (Sport) nach Geschlechtern getrennt. Und dazwischen jede Menge Heimatkunde, sehr häufig unter freien Himmel. Unser Lehrer war ein begeisterter "Heimat- und Naturkundler", wir lernten, jeden Baum nach seinen Blättern zu bestimmen, sahen uns Ameisenhaufen und Kohlenmeiler an und besuchten das örtliche Heimatmuseum.

Lesen und Schreiben war mein Lieblingsfach. Jedenfalls so lange, bis ich beides beherrschte, danach interessierten mich nur noch die Bücher die ich dank dieses Unterrichts lesen konnte. Den Rest des Unterrichts hätte man von mir aus auch streichen können. :-)

Soweit ein kurzer Einblick in mein erstes Schuljahr. Nichts besonderes, Schule halt, wie sie damals war.

Wie war es bei Euch?


jako antwortete am 15.08.03 (20:32):

Also so ein Langzeitgedächtnis habe ich nicht. Ich muss ja genau 70 Jahre zurückdenken und da fällt mir eigentlich sehr wenig ein. Wir hatten damals noch Schiefertafeln. Und mein Schulweg war sehr lang, so zwei drei Kilometer.
Aber ich bin immer leidenschaftlich gern zur Schule gegangen was aber nicht heißt, dass ich Klassenerste oder sowas war. Ich lernte nur einfach gern.
Gut erinnern tu ich mich nur an die Umschulung ins Gymmi und die Jahre bis zum Abbi. Ich wechselte fünfmal die Schule (wegen Umzug und Kriegsgeschehnissen), davon habe ich mich zweimal selber umgeschult (die Unterschrift meiner Mutter holte ich mir erst nachher ein). Einmal wollte ich unbedingt weg aus einer 100pro Nazischule und das andere mal, weil ich ein Jahr bei Bauern auf dem Lande leben wollte.
Wie gesagt, an meine Schulzeit erinnere ich mich gerne. Und wenn ich nach dem Kriege nicht gleich ins Ausland gegangen wäre, hätte ich auch studiert. Ich wollte Agrarwirtschaft studieren. Wäre wahrscheinlich auch besser gewesen, dann hätte ich jedenfalls einen vernünftigen Beruf gehabt.

Tut mir leid, mehr fällt mir zu diesem Thema nicht ein.


hl antwortete am 15.08.03 (20:58):

Richtig, Jako :-) die Schiefertafeln gab es bei uns auch noch, anfangs mit Schiefergriffeln, die so entsetzlich quietschten, danach gab es die sogenannten Milchgriffel, die waren etwas weicher und mit Holz umkleidet.

Wo war deine erste Schule, Jako? In einem Dorf oder in der Stadt. Kannst du dich noch an deine Mitschüler erinnern? Waren sie aus dem gleichen Ort oder gab es zu dieser Zeit auch schon "zugereiste" Schüler? Musstest du den für ein Kind doch recht langen Schulweg alleine gehen?

Vielleicht fällt dir ja doch noch etwas ein? :-)


Marie37 antwortete am 15.08.03 (21:20):

Guten Abend hl,
das ist eine schöne Geschichte und ich finde, du hast im ersten Schuljahr schon sehr viel Praktisches fürs Leben gelernt.
Gruß von Marie

Internet-Tipp: https://www.kraichgaumundart.de


Tessy antwortete am 15.08.03 (21:51):

Schönes Thema!
Die ersten drei Schuljahre besuchte ich eine Elite-Schule;-)
Alle acht Klassen in einem Schulzimmer - kennt das noch jemand von euch?
für heutige Verhältnisse undenkbar, aber ich habe sehr viel gelernt dabei.
Was nicht schön war: mein Schulweg war sehr weit, ich weiß noch daß ich eine 3/4 Stunde unterwegs war, durch Wald und Heide. Manchmal sang ich sehr laut (gegen die Angst), manchmal versuchte ich lautlos zu laufen. :-)
Die anderen in der Dorfschule kannten sich alle, ich niemanden, außerdem war ich "a Flichtlingskind".
Daß ich bei der Einschulung bereits lesen und schreiben konnte machte mich nicht gerade beliebt bei den anderen.
Der Lehrer war ein sehr alter gütiger Herr, ihn habe ich in guter Erinnerung.
Es gab auch Nachmittagsunterricht, Naturkunde hießen diese Stunden, wir lernten einen Garten zu bestellen, von der Aussaat bis zur Ernte. (Es war der Gemüsegarten des Lehrers!)
Enttäuscht war ich von den Schulbüchern und borgte mir regelmäßig die Bücher der höheren Klassen, was aber nichts mit Strebertum zu tun hatte, sondern meine damalige Situation. Wir wohnten auf einer Einöde und Bücher waren meine einzigen Freunde.
Nach einem halben Schuljahr begegnete mir auf dem Heimweg ein Bauer mit einem Korb in dem kleine Hunde lagen, ganz winzige Wesen, und ich bekam.........
Stop, sonst bin ich wieder bei meinem Lieblingsthema...;-)


jako antwortete am 16.08.03 (07:14):

Ja, also den Schulweg musste ich allein gehen, aber das genoss ich, weil es überall immer soviel zu sehen gab. Ich fand alles spannend, denn ich war schon als kleines Kind ein Naturfreak. Auf dem Hinweg hatte ich natürlich keine Zeit für meine Beobachtungen, aber dafür dauerte der Nachhauseweg umso länger. Meine Mutter hatte dafür aber volles Verständnis, sie wusste ja, was für eine Traumsuse ich war.
Ich wohnte in einem Vorort von Hamburg, eine reine Wohngegend. An Mitschüler und Lehrer kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Aber dass auch ich mal in der Ecke stehen musste (fand ich äußerst peinlich) und dass ich mir immer dicke Zöpfe wünschte, aber meine Mutter strikt dagegen war. Das würde zu deutsch aussehen, meinte sie, denn sie war ja halbe Ausländerin.


Karl antwortete am 16.08.03 (16:33):

Wir mussten jeden Morgen erst einmal in Zweierreihen auf dem Vorplatz antreten (1954). Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir die öffentlichen Bestrafungen von Delinquenten. Vor der gesammelten Schülerschar wurden sie an den Ohren gezogen oder bekamen 10 Stockhiebe und wurden verbal als Abschaum und letzter Dreck bezeichnet.

Den Exekutor, Direktor "Gickel", musste man, wenn man ihm im Dorf begegnete immer ehrfurchtsvoll grüßen, auch wenn er auf der anderen Strassenseite ging. Mein armer Zwillingsbruder hatte dabei einmal unpassend gekichert, was ihm an Ort und Stelle eine Ohrfeige und eine Kopfnuss eintrug.

Ich denke, dass diese düsteren Zeiten deutscher Schulerziehung inzwischen weit hinter uns liegen und dass die Lehrer einen aufopferungsvollen, guten Job machen. Leider werden sie von der Politik und von unserer Gesellschaft heute weitgehend im Stich gelassen. Die Politik fordert eine bessere Schulbildung (im Hinblick auf Pisa), aber was sie tut ist genau das Gegenteil: Die Arbeitsbedingungen für Lehrer werden beständig verschlechtert anstatt verbessert. Die Arbeit der Lehrer, obwohl für uns von grundlegender Bedeutung, wird immer weniger anerkannt. Das Image der Lehrer in der Gesellschaft sollte verbessert werden!

Mit freundlichen Grüßen

Karl

Internet-Tipp: https://zum.de


Günter antwortete am 17.08.03 (22:00):

Ich kann mich an meinen ersten Schultag(Sommer 1942 in Berlin)noch ziemlich genau erinnern, weil das auch mein letzter in Berlin war. Der Lehrer war uralt und er sang uns mit zittriger Stimme etwas vor. Alle anderen Lehrer waren eingezogen und man musste nur zu Appel auf dem Schulhof antreten. Was meine Eltern veranlasste mich mit meiner Großmutter auf ein völlig abgelegenes Dorf in die Niederlausitz zu verfrachten. Dorfschule 8Schulklassen in einem Raum gleichzeitiger Unterricht. Das ich schreiben, rechnen und lesen sowie preußische Geschichte und Erdkunde lernte hatte ich fast nur meiner ungeheuren Neugier und meiner Großmutter zu verdanken. Als sie dann diesen Lehrer auch noch holten, durfte ich mich auf eine Dorfschule in der Nähe von Berlin begeben. Im Sommer war jeden Tag Schule im Winter nur dremal in der Woche. Strom und Heizung sparen. Räder müssen Rollen für den Sieg. Ich weiß nicht wie oft ich mir blaue Flecken holte bis ich richtig grüssen lernte laut deutlich und mit Haltung. Ich habe es aber überlebt.