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THEMA:   Einschnitte ins soziale Netz fördern die Verarmung

 26 Antwort(en).

Barbara begann die Diskussion am 23.07.03 (13:05) mit folgendem Beitrag:

Gerhard Bäcker, Professor für Praxisorientierte Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen, forscht und lehrt seit vielen Jahren über die Grundsatzfragen des Sozialstaates. Er vertritt die Meinung, dass die Regierung durch die Einschnitte ins Sozialnetz die Arbeitslosigkeit weiter verstärken wird:

>>Die Massenarbeitslosigkeit ist im Kern weder ein Problem fehlender Arbeitsanreize oder zu hoher Anspruchslöhne, noch eine Folge zu hoher Lohnnebenkosten. Wenn dennoch der Mainstream der Wirtschaftspolitik auf dieser Krisendiagnose basiert, ja geradezu ein Wettlauf von Parteien, Arbeitgeberverbänden und (wirtschafts)wissenschaftlicher Politikberatung um die weitestgehenden Einschnitte in den Sozialstaat eingesetzt hat, schwinden die Aussichten auf einen Abbau der Arbeitslosigkeit.

Allein die negativen Rückwirkungen der Maßnahmen auf die Entwicklung der privaten Nachfrage führen eher zu einer Vergrößerung des Ungleichgewichts auf dem Arbeitsmarkt. Wer in der Situation einer rückläufigen Binnennachfrage die Sozialleistungen absenkt, schmälert gerade die Kaufkraft der Haushalte im unteren und mittleren Einkommensbereich.

Im Ergebnis werden damit Probleme nicht gelöst, sondern noch verschärft. Dies um den Preis einer gesellschaftspolitischen Orientierung, die nicht nur zu erheblichen Belastungen gerade der sozial Schwachen und Benachteiligten führt, sondern insgesamt die Spaltungen und Ausgrenzungen in der Gesellschaft vergrößert und die Dämme für immer weiter gehende Einschnitte in den Kernbestand des Sozialstaates öffnet.<<

Auch das Argument, die Lohnnebenkosten seien in Deutschland zu hoch, widerlegt er:

>> Ob allerdings die Arbeitsgesamtkosten "zu hoch" sind und von den Betrieben nicht mehr verkraftet werden können, hängt nicht von ihrer absoluten Höhe ab, sondern von dem Leistungsergebnis, das auf der Basis dieser Arbeitskosten erwirtschaftet wird. (. . .) Im ökonomischen Prozess kommt es für die Unternehmen darauf an, wie sich Produktionsleistung und Arbeitskosten in ihrem Verhältnis zueinander entwickeln. Niveau und Steigerung von Löhnen und Lohnnebenkosten müssen also der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen und der Volkswirtschaft insgesamt gegenübergestellt werden: Die vorliegenden empirischen Befunde lassen erkennen, dass Deutschland im europäischen Vergleich hinsichtlich der Entwicklung der Lohnstückkosten eine ausgesprochen günstige Position einnimmt. (. . .)
Die Befunde zeigen, dass die Argumentation, die Lohnnebenkosten seien eine zentrale Begründung für die Arbeitsmarktkrise, keineswegs fundiert ist. Ob unbewusst oder bewusst, die Lohnnebenkostendebatte dient als Vehikel zum Abbau von Sozialleistungen.<<

Internet-Tipp Frankfurter Rundschau:
Wer nicht arbeitet, wird kaum etwas kaufen
Kräftige, aber unüberlegte Schnitte ins soziale Netz schaffen noch lange keine Jobs, fördern aber die Verarmung / Von Gerhard Bäcker
https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/dokumentation/?cnt=255729

Befindet sich unsere Regierung auf einem Irrweg?
Brauchen wir wieder eine „linke“ Politik?

Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/dokumentation/?cnt=255729


pilli antwortete am 23.07.03 (13:29):

"solange die deutschen noch genügend geld haben um ein buch von Dieter Bohlen zu kaufen; solange sollten die einschnitte noch viel tiefer gehen!"

am Sonntag hörte ich das bei den "Mitternachtspitzen" und ich möchte dir damit signalisieren, erst wenn die umsatzzahlen verschiedener spaß-faktoren absinken, werde ich unruhig.

gestern nacht hörte ich bei einer diskussion mit dem Prof. Raffelhüsch (?) swr. daß in Norwegen z.bsp. noch nie für zahnersatz gezahlt wurde...so what? da wird sich dann halt mehr für prophylaxis interessiert. und so lange das sparbüchle so mancher seniorin noch wellness-wochen, sauna-besuche und das fettabsaugen an oberschenkeln, die eh niemand mehr betrachtet, erlaubt...schreckt mich das wort verarmung noch nicht...lach

:-)

versuch mal in den nächsten 6 wochen eine kurzfristige urlaubswoche zu buchen...wird schwierig aufgrund des ferienbeginnes. nun...auch da scheint die drohende verarmung nicht im bewußtsein vieler familien mit kindern einlaß gefunden haben.


Barbara antwortete am 23.07.03 (15:08):

Auch Hans-Jürgen Arlt von der Freien Universität Berlin warnt vor einem Festhalten an der Formel: mehr Wachstum bringt mehr Arbeitsplätze. Er sieht Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder im Verfolgen der gleichen Strategie gescheitert und rät, den Begriff "Arbeit" neu zu überdenken:

>>Zu den Mythen der Moderne (.....) gehört die Vorstellung, dass Wirtschaftswachstum und mehr Erwerbsarbeit identisch seien. Doch wenn die Wirtschaft Wachstum sagt, meint sie mehr Umsatz, nicht mehr Arbeit. Zwischen die einfache Gleichung mehr Wachstum = mehr Arbeitsplätze tritt eine dritte Bekannte, die Produktivität. Wären das Warenmeer und das Dienstleistungsheer des Jahres 2003 mit der Produktivkraft des Jahres 1973 ausgestattet, hätten wir dramatischen Arbeitskräftemangel. Das Arbeitsvolumen, die Gesamtzahl der bezahlten Arbeitsstunden, ist seit Jahrzehnten rückläufig, weil wir einen erfreulichen Fortschritt zu verzeichnen haben, den Produktivitätsfortschritt. Die arbeitsfreie Kindheit, die hohe Studierendenzahl, den Urlaub, die kürzere Wochenarbeitszeit, Ruhe- und Vorruhestand - der Produktivitätszuwachs hat es möglich, die Arbeiterbewegung wirklich werden lassen. Ganz nebenbei hat die Produktivität im Bündnis mit der Demokratie auch die Planwirtschaft besiegt.
Der Produktivitätsfortschritt rettet Arbeitsplätze - indem er Arbeitsplätze abschafft.
.....

Das könnten wir in den letzten 150 Jahren doch gelernt haben: Blinde Gewinnmaximierer, die Menschen und Natur ausbeuten, um wettbewerbsfähig zu bleiben, schaffen keine bewohnbare Welt, keine lebenswerte Gesellschaft, noch nicht einmal eine funktionierende Wirtschaft. Das Leitbild des Gewinnmaximierers gehört in das ‚Museum für Wirtschaft und Fehlentwicklung'.

Die kapitalistische Erwerbsarbeit weiter zu zivilisieren und ihre Hegemonie zu brechen, ist und bleibt die Kernaufgabe der Zivilgesellschaft. Aber die Fixierung auf ein einfaches Feindbild wird ideologisch und macht realitätsuntüchtig, wenn sie die Suche nach Alternativen blockiert. Der Aufgabe, Arbeit neu zu denken und soziale Sicherheit neu zu begründen, entgehen weder die Freunde des Wachstums noch die Kritiker des Kapitals.<<

https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/debatte/?cnt=249669

Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/nachrichten_und_politik/debatte/?cnt=249669


dino9 antwortete am 23.07.03 (15:39):

hallo
die neue spielbox von windows wude mal in ungarn produziert.
die arbeiter bekamen 350 euro im monat.
zu teuer vor einem jahr haben sie die produktion nach asien verlegt.
sie haben sich wohl ein beispiel an adidas genommen.
weil sich banken u. versicherungen an der börse verspekuliert haben zahlen wir jetzt die zeche.
gruß dino9


Wolfgang antwortete am 23.07.03 (16:19):

Menschen in absoluter Armut verfuegen nicht ueber die zu ihrer Lebenserhaltung notwendigen Gueter wie Nahrung, Kleidung, Obdach und Mittel der Gesundheitspflege (Quelle... STIMMER, 2000, Lexikon für Sozialpaedagogik und Sozialarbeit). Sie sind unfaehig, sich selbst ueber laengere Zeit zu erhalten. Die absolute Armut spielt in der deutschen Armutsdiskussion nur eine sehr geringe Rolle (obwohl es auch absolut Arme in Deutschland gibt).

Wenn wir ueber Armut diskutieren, meinen wir in aller Regel die relative Armut. Diese Armut betrifft weit mehr Menschen. Relativ arm sind Menschen innerhalb einer Gesellschaft, die sich gegenueber anderen Menschen (der Mehrheitsgesellschaft) deutlich schlechter stehen... Nennenswertes Vermoegen ist nicht vorhanden und das Einkommen erreicht nicht einmal die Haelfte des durchschnittlichen Einkommens der in dieser Gesellschaft vorhandenen Einkommen aus Arbeitnehmertaetigkeit.

Relativ Arme (im Gegensatz zu absolut Armen) verstecken sich gerne... Sie schaemen sich ihrer Armut und sind gezwungen (wollen sie nicht ueber alle Massen diskriminiert werden), Strategien zu entwickeln, die ihre Armut nicht fuer alle sofort offensichtlich werden laesst. Trotzdem gibt es Orte, an denen relativ Arme besonders haeufig beim Geldausgeben anzutreffen sind. Allerdings sind es nicht gerade Buchhandlungen oder Praxen von ModeaeztInnen oder teure Feriengebiete.


Wolfgang antwortete am 23.07.03 (16:55):

Hier sind die genauen Zahlen (fuer 1998), aus denen deutlich wird, wie viele Menschen mittlerweile von relativer Armut betroffen sind:

Armutsquote für relative Armut

Definition: Anteil der Bevölkerung mit einem nach der alten OECD-Skala bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen unterhalb 50 Prozent des entsprechenden durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens (Aequivalenzeinkommen) in Prozent.

Quelle... EVS-Datenbank der Universität Frankfurt a.M.; Becker & Hauser (2002)

Im Westen Deutschlands sind im Bezugsjahr 1998 11,2 Prozent der Gesamtbevoelkerung relativ arm gewesen (im Osten Deutschlands waren es zu der Zeit 4,5 Prozent). Zum Vergleich: Innnerhalb von 25 Jahren (1973-1998) hat sich die relative Armutsquote fast verdoppelt... Von 6,5 Prozent (West) auf 11,2 Prozent (West). Tendenz: Weiter steigend...


Medea. antwortete am 23.07.03 (18:27):

Eine Beobachtung, Wolfgang, die ich ebenfalls gemacht habe:
relativ Arme trifft man in den Lebensmittelabteilungen der Supermärkte - und dort vornehmlich in der Fleischabteilung und bei den Spirituosen ..... Warum mag das so sein? Ich vermute mal, daß sich diese Menschen sagen: wenn ich/wir schon nicht an den allgemeinen Luxusdingen teilhaben können, dann wollen wir wenigstens uns das Vergnügen des Essens und Trinkens nicht versagen .....
Weiß jemand mehr oder anders darüber???


Wolfgang antwortete am 23.07.03 (18:54):

Es gibt sogar Studien, Medea, die sich mit diesem Phaenomen beschaeftigen. Wenn ich etwas Zeit habe, schaue ich mal nach, was ich dazu an Informationen finde. Eine persoenliche Beobachtung: Ab und zu verkehre ich im McDonald's und ziehe mir einen Cheeseburger rein (*wuerg*, nur mit viel Kaffee geht das, ist aber nicht zu vermeiden, wenn man Vater eines Halbwuechsigen ist und mit ihm zusammen etwas unternehmen will)... Dort sind viele Menschen anzutreffen, die m. E. nach zu den sogenannten relativ Armen gehoeren. Ganze Kindergeburtstage werden dort gefeiert, was nicht billig ist. Ich glaube, ohne die Staatsknete vom Sozialamt wuerden McDonald's et al. einen bedeutenden Teil ihrer Kundschaft verlieren.

Relativ Arme essen und trinken genau so gerne, wie relativ Wohlhabende. Es ist die Art und Weise, wie sie das machen, die sie unterscheidet. Der Alkohol spielt bestimmt auch eine grosse Rolle (obwohl ueberall gesoffen wird, aber vielleicht nicht ganz so extensiv). Ich meine, es gibt mittlerweile wieder in vielen Bereichen eine ganze Kultur gepraegt von der (relativen) Armut. Eine Wachstumsbranche, weil die Armut waechst...


Barbara antwortete am 23.07.03 (21:25):

>>relativ Arme trifft man in den Lebensmittelabteilungen der Supermärkte - und dort vornehmlich in der Fleischabteilung.....<<

Vielleicht liegt es ganz einfach daran, dass die Anzahl der „relativ Armen“ immer mehr wird, und wir aus diesem Grund verhältnismäßig mehr Menschen aus diesem Kreise dort antreffen. Vielleicht verhalten sich diese Menschen auch nur kostenbewusst, denn der Preis beispielsweise für Schweinefleisch ist in den letzten vierzig Jahren im Gegensatz zu dem für Brot- und Backwaren kaum angestiegen.

Ich denke, diese Anwürfe gegen Menschen am Rande unserer Gesellschaft bringen uns nicht weiter. Können wir uns nicht einfach einmal fragen, wie wir diese Menschen vom Rand wieder in die Mitte unserer Gesellschaft bringen können?

Arbeitsplätze werden zu Tausenden wegrationalisiert. Den Menschen, der seine Arbeit verliert, trifft in den meisten Fällen keine Schuld. In unserer Gesellschaft büßt er jedoch an Ansehen ein, politisch straft man ihn mit einer Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Umwandlung der Arbeitslosenhilfe in eine Quasi-Sozialhilfe.

Zum Begriff „Arbeit“, über die das Ansehen in unserer Gesellschaft definiert wird, las ich von Professor Erich Ribolits in der Frankfurter Rundschau folgendes:

>>Bis zur Neuzeit war Arbeit ein notwendiges Übel. Wer immer es sich leisten konnte, hat sich der Arbeit entzogen. Bis Menschen sich nicht mehr über ihre unsterbliche Seele definierten, sondern ihr Schicksal durch Intelligenz und Willenskraft bestimmten. Der Mensch definierte sich fortan über Arbeit. Die Arbeiterbewegung hat das später gefestigt. Parasitäre Faulheit war Kennzeichen des Adels, Arbeit wurde zu etwas hochstilisiert, um das es sich zu kämpfen lohnte. Ihr Sinn wurde nicht mehr hinterfragt, sie wurde zu einem Zweck an sich. Was und wofür, unter welchen humanen, sozialen oder ökologischen Folgen produziert wird, war nebensächlich geworden - Hauptsache Arbeit! Der Zentralslogan der Arbeitsgesellschaft hieß: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Heute tritt für immer mehr Menschen sinnloses Lernen an die Stelle des sinnlosen Arbeitens. Genauso wenig wie der Inhalt des Arbeitens hinterfragt wird, wird nun nach dem Ziel von Bildung gefragt. Auch Lernen wird zu einem Zweck an sich. Und der Slogan heißt jetzt: Wer nicht lernt, soll nicht essen.

Welche Bildung hätte Sinn?

Bildung, die eine ichstarke Persönlichkeit zum Ziel hat. Menschen, die ihre Arbeitssituation hinterfragen, die wissen, wie sich neue Technologien auf Arbeitsbedingungen auswirken, dass Qualifikation ein Standortvorteil ist und auf der anderen Seite der Welt andere zwangsläufig das Nachsehen haben.<<

Jeder Mensch lebt von der Achtung seiner Mitmenschen. Wer erkennt, dass Arbeitslose und Arme in den meisten Fällen keine Schuld an ihrer Situation trifft, kann ihnen auch zu ihrer lebensnotwendigen Achtung in der Gesellschaft verhelfen. Dieses sehe ich als politische Aufgabe an.


pilli antwortete am 23.07.03 (22:23):

"Ich denke, diese Anwürfe gegen Menschen am Rande unserer Gesellschaft bringen uns nicht weiter. Können wir uns nicht einfach einmal fragen, wie wir diese Menschen vom Rand wieder in die Mitte unserer Gesellschaft bringen können?"
-------------------
ich stimme dir zu bezüglich der "Anwürfe" und das "nicht weiter bringen".

ich habe mich gefragt und frage nun dich:

"was tust du?" die menschen in die mitte zu bringen?

vielleicht können wir uns austauschen?


Medea. antwortete am 23.07.03 (22:27):

Liebe Barbara -
es lag nicht in meiner Absicht, irgendwelche Gesellschaftsgruppen zu diffamieren, ich habe hier lediglich eine Beobachtung mitgeteilt, die mir verstärkt aufgefallen ist .....
Gerade Schweinefleisch, aber auch Geflügel, wird oft zu einem derartigen Dumpingpreis angeboten, das es einen graust....., auf welche schlimme Art sind diese armen Tiere "schlachtreif" gemacht worden, um dann als Billigfleisch in den Supermärkten zu landen ....
und ich kann mir gut vorstellen, daß es in vielen Köpfen noch immer herumspukt, habe ich reichlich Fleisch auf meinem Teller, geht es mir auch gut ....


Barbara antwortete am 23.07.03 (23:38):

Wenn immer weniger menschliche Arbeitskraft zur Erfüllung eines angemessenen Bruttosozialproduktes nötig ist, müsste das für uns alle doch eigentlich ein Segen sein. Heute stehen jedoch die einen unter einem ständig steigenden Erfolgsdruck, arbeiten oft bis zum Umkippen und die anderen schleichen mit Schuldgefühlen und einem Knurren im Bauch durch die Einkaufszentren, um die Zeit totzuschlagen. Meiner Meinung nach müsste es möglich sein, die vorhandene Arbeit gerechter auf mehr Schultern zu verteilen. Wenn es auch nicht in jedem Fall machbar sein sollte, so könnte man es wenigstens probieren. Schließlich hat VW vor Jahren gute Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln können.

Eine andere Möglichkeit wird in Dänemark praktiziert. Dort vertritt ein Arbeitsloser einen Arbeitnehmer, damit sich dieser ein Jahr lang fortbilden kann. Fortbildung verstehe ich nicht als rein betriebliche Schulung sondern als Persönlichkeitsbildung.

Eine weitere Aufgabe wäre, die Wertigkeit von Statussymbolen in Frage zu stellen. Gute Theaterstücke könnten einiges in den Köpfen bewirken. Leider können sich heute sehr viele Mitmenschen einen Theaterbesuch finanziell gar nicht leisten. Muss das so sein?


Medea. antwortete am 24.07.03 (07:53):

Um vielen Menschen Theaterbesuche zu ermöglichen, wurden nach dem Kriege (vielleicht auch schon vorher (?) ) die sogenannten Volksbühnen-Abonnemente geschaffen - sie erfreuen sich nach wie vor reger Beliebtheit, die Theater sind ausgebucht .....
Das sind Menschen, die Freude an dieser Art von Unterhaltung haben und dafür dann auch monatlich einen Etat beiseitelegen.
Meine Liebe zu Theater-, Musik- und Konzertaufführungen wurde in der Schulzeit gelegt - ich glaube, es begann bereits in der ersten Klasse mit den jeweiligen Weihnachtsmärchen ....
Es ist jedoch unbestritten, daß es eine große Gruppe Menschen gibt, die man zwar erreichen könnte, die aber einfach nicht wollen ..... und Bildung von "oben" verordnen, wäre wohl auch nicht der richtige Weg :-(

Obwohl ...... ?


Barbara antwortete am 24.07.03 (09:37):

>>Das sind Menschen, die Freude an dieser Art von Unterhaltung haben und dafür dann auch monatlich einen Etat beiseitelegen.<<

.... und die diesen Betrag beiseite legen KÖNNEN. Außerdem gibt es Menschen, die eine Führung zu derartigen Veranstaltungen benötigen... vielleicht wurde ihnen in der Schulzeit nicht der Weg ins Theater gezeigt. Ich wohne im Speckgürtel Hamburgs. Meine drei Kinder waren während ihrer Schulzeit kein einziges Mal mit der Schule in einem der vielen Hamburger Theater. Wahrscheinlich war es nicht möglich, die Landesgrenze zu überwinden :-(

Mir fällt Justuz Frantz ein. Er hat es mit seinem Schleswig-Holstein Musikfestival geschafft, Menschen für klassische Musik zu begeistern, die nie im Leben einen Konzertsaal betreten hatten. Seine Konzerte fanden in Turnhallen und Scheunen statt und waren ein Riesenerfolg...


Medea. antwortete am 24.07.03 (11:29):

Liebe Barbara - wo ein Wille ist, ist auch ein Weg ....
das wissen wir beide und Tausende andere auch ....
Unzählige Schüler und Studenten haben es möglich gemacht, auch von karg bemessenem Taschengeld etwas für eine Theater-oder Konzertkarte "beiseitezulegen" - das ging dann allerdings zu Lasten eines T-Shirts oder eines Disco-Besuchs ....
Inzwischen glaube ich eher an Desinteresse, als an die nicht aufzubringenden 12 Euro ....
Die wirklich teuren Zigarettenpäckchen finden ja auch ihre Abnehmer bei Schülern Lehrlingen und Hausfrauen .....
Ich habe einige Zeit in einer Straße gewohnt, die an ein Problemviertel grenzte - ob schwanger oder Baby in der Kinderkarre, die Zigarette hing im Mundwinkel....., also war auch Geld dafür da . :-(


Rosmarié V. antwortete am 24.07.03 (17:30):

Und w i e wir eine linke Politik brauchen!!!!!


Hanskarl antwortete am 24.07.03 (17:33):

@Barbara

Nicht nur die "relativ Armen" auch die
"relativ Reichen" werden immer mehr.

Gruß Hanskarl


pilli antwortete am 25.07.03 (10:28):

tja...:-)

wäre unter diesen voraussetungen die von den "grünen" überlegte und mittlerweile querbeet diskutierte "Bürgerversicherung" nicht das zauberwort?

ist es nicht gerecht, daß nicht nur "abhängig beschäftigte", alle einkunftsarten, wie da wären:

- einkommen aus zinsen, mieteinahmen, und aktiengewinnen

zur basis einer berechnung von zu zahlenden beiträgen, offenlegen?

Internet-Tipp: https://morgenpost.berlin1.de/archiv2003/030617/politik/story610843.html


Wolfgang antwortete am 25.07.03 (13:43):

Gerecht und ausgleichend waere das... Im Wahlprogramm von BUENDNIS 90 / DIE GRUENEN steht die Buergerversicherung als Forderung drin (s. Link).

https://www.gruene-partei.de/rsvgn/rs_dok/0,,41410,00.htm

Sogar eine Grundsicherung - also eine staatlicher Unterhalt fuer jede(n), unabhaengig von irgend einer Beduerftigkeit oder einer wie immer auch gearteten Arbeitsleistung - ist eine ziemlich alte Foderung der GRUENEN.

Bei Gelegenheit werden diese Forderungen immer wieder publicitytraechtig aus dem Fundus geholt - um danach wieder dort zu verschwinden. Zur Zeit zeichnet sich aber keine politische Konstellation ab, die einer Buergerversicherung und einer diese ergaenzende Grundsicherung zum Leben verhelfen wuerde.

Internet-Tipp: https://www.gruene-partei.de/rsvgn/rs_dok/0,,41410,00.htm


Angelika antwortete am 25.07.03 (18:17):

@medea: zu deiner beobachtung fiel mit folgender alter jiddischer witz ein: der baron rothschild hatte einem schnorrer in new york 10 dollar in die hand gedrückt und staunte nicht schlecht, als er ihn minuten später an einem tisch in einem cafe den schnorrer sieht, der genüsslich ein glas sekt trinkt und eine zigarre raucht. rothschild stellt ihn zu rede und fragt, warum er, der arme stachel, denn mit dem geld so prassen würde? darauf der schnorrer: nuna - herr baron - wann nicht jetzt, wann dann?


:-)


Barbara antwortete am 31.07.03 (07:27):

In den USA ist ein Plan des Pentagon gescheitert, wie die Börse den Tod gehasster Regierungschefs forcieren könnte. An der Internetbörse sollte man auf den Tod von Saddam oder Arafat wetten können. Mit derart perversen Ideen versuchen Strategen wie Wolfowitz, die Geldströme anzulocken, Geld, das unter immer schwierigeren Bedingungen hart erarbeitet wurde...

>>An der geplanten Internetbörse namens Policy Analysis Market (PAM) sollten Händler auf Ereignisse im Mittleren Osten setzen können. Wer richtig liegt, kassiert das Geld, wer falsch liegt, verliert es. Das Darpa-Team rund um den Ex-Admiral John Poindexter hielt auf der mittlerweile abgeschalteten Internetseite für die PAM anschauliche Beispiele bereit. Demnach hätten die Händler Anleihen für potenzielle Ereignisse wie den Sturz des jordanischen Königs, die Ermordung von Palästinenser-Präsident Yassir Arafat oder einen Raketenschlag Nordkoreas kaufen können. Am Freitag sollte die Registrierung beginnen, am 1. Oktober der Handel. Bis 2004 hatten die Macher mit bis zu 10 000 Marktteilnehmern gerechnet, das Pentagon wollte für das Projekt insgesamt acht Millionen Dollar bereitstellen.<<

US-Opposition macht der Todesbörse den Garaus

Pentagon wollte Händler auf Terroranschläge im Mittleren Osten wetten lassen / Internetprojekt nach Protest gestoppt

https://www.frankfurter-rundschau.de/startseite/startseite/?cnt=261023

Internet-Tipp: https://www.frankfurter-rundschau.de/startseite/startseite/?cnt=261023


Barbara antwortete am 31.07.03 (11:01):

Die Deutsche Bank kündigt an, ca. 100 000 Stellen in den nächsten Jahren abzubauen, die Vereins- und Westbank (1856 gegr.) wird von ihrer "Mutter", der Münchner HypoVereinsbank geschluckt, womit weitere 4500 Arbeitsplätze in Gefahr sind. Täglich erreichen uns weitere Meldungen über Arbeitsplatzabbau.

Die Manager leisten gute Arbeit. Da dürfen sie sich auch einen gewaltigen Schluck aus der Pulle genehmigen:

>>2002, das offenbart ein Blick in die Geschäftsberichte, sind die Bezüge der Vorstandsmitglieder deutscher Großkonzerne im Durchschnitt um vier Prozent gestiegen. Bei manchen fiel das Plus deutlich kräftiger aus: DaimlerChrysler etwa stockte die Vergütung der Führungsriege um 113 Prozent auf, pro Kopf verdienten die Manager 3,8 Millionen Euro. Bei Siemens stiegen die Bezüge um 90, bei RWE um 65 Prozent, und die Lufthansa honorierte den Einsatz in schwierigen Zeiten mit einem Aufschlag von 100 Prozent. Damit blieben die Manager der Fluggesellschaft aber vergleichsweise bescheiden. Sie kassierten eine Million Euro, wenig im Vergleich zu jenen 6,9 Millionen Euro, die Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann bekam.<<

https://www.sueddeutsche.de/sz/wirtschaft/red-artikel2410/

Internet-Tipp: https://www.sueddeutsche.de/sz/wirtschaft/red-artikel2410/


Barbara antwortete am 31.07.03 (21:36):

Heute beziehen 2,8 Mio Menschen Leistungen auf Sozialhilfe-Niveau. Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird sich die Zahl um 60% auf 4,5 Mio. erhöhen. Die Zahl der in Armut lebenden Kinder wird sich dadurch auf 1,5 Mio. erhöhen. Mehr als die Hälfte dieser Kinder wachsen bei nur einem Elternteil auf.

Lt. Barbara Stolterfoht, der Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, handelt es sich dabei um den „massivsten sozialpolitischen Kahlschlag seit Bestehen der Bundesrepublik“.

Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, moniert, dass seit 20 Jahren Ganztagsschulen und Kinderbetreuung versprochen werden.
>>Arme Kinder seien häufiger krank, schlechter ernährt und lebten oft in vernachlässigten Stadtvierteln. Mit Folgen für ihre Schul-Leistungen: "Mit leerem Bauch lernt es sich verdammt schlecht", sagte Hilgers. Die Bildungs- und Aufstiegs-Aussichten sind entsprechend. Eltern "vererben" damit ihre Armut an ihre Kinder.
"Wann kommen denn endlich die Ganztagsschulen und Kindertagesstätten, die seit 20 Jahren versprochen werden?" fragt der Chef des Kinderschutzbunds. Stattdessen stünden viele Eltern unter dem starken Druck, durch die Arbeit ihre Kinder zu vernachlässigen. Das Arbeitslosengeld II werde diese Situation noch verschärfen: "Das halte ich für moralisch verwerflich", donnerte Hilgers.<<

Internet-Tipp:
ARBEITSLOSENGELD II
Armuts-Zeugnis für Kinder
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,259418,00.html

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,259418,00.html


schorsch antwortete am 01.08.03 (09:15):

Um einen einzigen Milliardär zu schaffen braucht es zehn millionen Arme....

Schorsch


pilli antwortete am 03.08.03 (08:59):

Hanskarl antwortete am 24.07.03 (17:33):

@Barbara

Nicht nur die "relativ Armen" auch die
"relativ Reichen" werden immer mehr.

Gruß Hanskarl
---------------------------------

mich interessiert tatsächlich ob die "relativ Reichen" in diesen zeiten die "relativ Armen" brauchen, damit reichtum gebildet werden kann.

:-)


Wolfgang antwortete am 03.08.03 (11:31):

Natuerlich brauchen die Reichen die Armen, pilli... Das ist wie in kommunizierenden Roehren: Dort steigt das Wasser (resp. das Geld) auf der einen Seite, und nimmt im gleichen Verhaeltnis ab auf der anderen Seite (oder umgekehrt).

Erwirtschaftet wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von allen kollektiv, aneignen tun es sich dann Individuen, die aeusserst ungleiche Befugnisse bezueglich der Herrschaft ueber Produktionsmittel besitzen. In kapitalistisch verfassten Volkswirtschaften ist das so. Deshalb bildet sich zunehmender Reichtum bei den Reichen, was immer einhergeht mit zunehmender Armut bei den Armen.

Dieser Effekt ist besonders ausgepraegt zwischen den Volkswirtschaften. Wie sonst waere es zu erklaeren, dass es einen reichen 'Norden' - die sogenannten entwickelten Laender - und einen armen 'Sueden' - die sogenannten unterentwickelten Laender - gibt.


Barbara antwortete am 03.08.03 (19:39):

Die Gräben zwischen arm und reich werden noch viel tiefer werden...

Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU, Angela Merkel, will nun klar und deutlich sagen, was sie will. Sie fängt schon mal an: täglich zwei Stunden länger arbeiten ohne Lohnausgleich, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung.... alles privatisieren.... damit die Arbeitgeber entlastet werden...

Und damit es auch wirklich gerecht ist, zahlt jeder Bürger... ob arm oder reich.... den gleichen Betrag:

>>"Die jetzt vereinbarte Lösung beim Zahnersatz hat für mich klare Priorität und besitzt Modellcharakter", sagte Merkel zum SPIEGEL. Ihr Ziel ist eine pauschale Gesundheitsprämie, die für alle Bürger gleich hoch sein soll.<<

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,259780,00.html

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,259780,00.html