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THEMA:   Anzeige, weil zwei die Wahrheit sagen

 57 Antwort(en).

Wolfgang begann die Diskussion am 06.06.03 (12:19) mit folgendem Beitrag:

Zwei Professoren - JOACHIM WIEMEYER und FRIEDRICH BREYER - haben in einer Sendung des ZDF auf einen Sachverhalt hingewiesen: Künftig werden wir uns teure lebenserhaltende Therapien (z. B. die Dialyse) für alle nicht mehr leisten können. Ihr Vorschlag. Rationierung solcher Therapien zugunsten junger Menschen... Teure lebenserhaltende Therapien für alte Menschen (ab 75 Jahren) sollen die gesetzlichen Krankenkassen dagegen nicht mehr bezahlen.

Diese Vorschläge hört man nicht gerne. Deshalb wurden die Professoren jetzt angezeigt: Wegen angeblicher Anstiftung zum Mord.


RoNa antwortete am 06.06.03 (12:42):

Wieso "angeblich"?


Wolfgang antwortete am 06.06.03 (12:57):

"Angeblich" deswegen, weil die vorgebrachte angebliche Anstiftung zum Mord eben nur eine Anzeige ist, also bis jetzt nur eine private Meinung. Bisher gibt es weder Ermittlung, noch Anklage noch Urteil. Meine Prognose: Die Sache wird sich auch in Luft auflösen.

Im übrigen bin ich der gleichen Meinung, die die Professoren vertreten. Wir werden um eine Rationierung teurer Therapien nicht herumkommen. Die Frage ist: Welche Kriterien werden der Rationierung zugrunde gelegt? Das Kriterium "Alter" halte ich für sinnvoll.


Ursula B antwortete am 06.06.03 (13:05):

Anzeige erstattet hat der Sozialverband Deutschland. Den folgenden Artikel habe ich heute Morgen im Netz gefunden:

Freitag 6. Juni 2003, 09:52 Uhr

Sozialverband zeigt Sozialprofessoren an

Osnabrück (AP) Wegen des «Verdachts der Anstiftung zum Mord aus niedrigen Beweggründen» hat der Sozialverband Deutschland Strafanzeige gegen die beiden Wissenschaftler erstattet, die eine Altersgrenze für teure medizinische Leistungen vorgeschlagen hatten. Bei den Ausführungen der Sozialethik-Professoren Joachim Wiemeyer und Friedrich Breyer handle es sich um «die unverblümte Aufforderung zur Euthanasie aus Altersgründen», sagte Verbandspräsident Peter Vetter der «Neuen Osnabrücker Zeitung». Das einzige Motiv sei dabei die Sanierung der Krankenkassenfinanzen - «ein eindeutig niedriger Beweggrund, nichts als die pure Unmenschlichkeit».

Es sei ernsthaft zu befürchten, dass einzelne Ärzte diesen Aufruf ernst nähmen und ihre «älteren Patienten demnächst aus Kostengründen eher sterben lassen als ihnen zu helfen», kritisierte Vetter. Wiemeyer und Breyer hätten sich auch als Hochschullehrer disqualifiziert. Der Verbandschef verlangte, beide Professoren sofort fristlos zu entlassen und ihnen die Lehrbefugnis zu entziehen. «Auch in einer Demokratie hat die Meinungsfreiheit ihre Grenzen - allemal dann, wenn damit das Leben anderer Menschen zerstört wird», betonte Vetter. ....

Der vollständige Artikel ist nachzulesen unter

https://de.news.yahoo.com/030606/12/3hax3.html


Ursula

Internet-Tipp: https://de.news.yahoo.com/030606/12/3hax3.html


RoNa antwortete am 06.06.03 (13:47):

Wie wär's mit dieser "Lösung":
Weil du reich bist, mußt du früher bluten.
?


mechtild antwortete am 06.06.03 (14:07):

Es muss nicht alles gemacht werden, was machbar ist. Ich halte es für positiv, dass diese Diskussion in Gang gekommen ist. Kosten sollten zwar nicht den Ausschlag geben bei der Diskussion, aber sie sind der Anlass für die Diskussion. Das Alter und der Gesundheitszustand eines Patienten sollten vor einer Behandlung immer auch berücksichtigt werden. Man muss immer die Kosten (damit meine ich auch Schmerzen) und den Nutzen einer Behandlung gegeneinander stellen. Nur wenn eine Behandlung eine Verbesserung der Lebensqualität verspricht, sollte sie auch durchgeführt werden.
Was Verbesserung der Lebensqualität ist, können nicht die Ärzte entscheiden. Sie können nur die Nebenwirkungen aufzeigen. Die Entscheidung hat der Patient, auch heute wenn er gesundheitlich dazu fähig ist. Die wenigsten Patienten sind jedoch bereit diese Entscheidung bewusst zu treffen. Die meisten schieben sie auf die Ärzte ab. Sie sagen der Arzt hat gesagt..., also muss ich. Einfach sind solche Entscheidungen nicht, weder für den Arzt im Beratungsgespräch noch für den Patienten.


Ursula B antwortete am 06.06.03 (14:16):

@Wolfgang
... und wie stellst Du Dir die "Rationierung teurer Therapien" bei alten Menschen (auch bei Behinderten und chronisch Kranken?)konkret vor?

Da die (menschenverachtenden) Vorschläge zur Altersbegrenzung medizinischer Leistungen auch bei Politikern und Ärzteverbänden Empörung ausgelöst haben, dürfte ein "öffentliches Interesse" gegeben sein, so dass die Staatsanwaltschaft zumindest gegen die beiden Professoren ermitteln muss.

Was juristisch dann weiter geschieht, bleibt natürlich abzuwarten, aber Unannehmlichkeiten bekommen die Beiden auf jeden Fall - und das finde ich gut so!

Gruß, Ursula


mulde antwortete am 06.06.03 (14:24):

Wolfgang!
Ich glaub es nicht, da reden zwei angeblich so kluge
Leute über ein ernstes Problem
Meinen aber in wirklichkeit die Neuauflage der Euthanasie!
Das ist pure KZ Medizin nur anders verpakt.
Der alte Mensch wird zum unwerten Leben erklärt
bis 1945 waren es Juden und Zigeuner jetzt sind es die alten???
Wolfgang bist Du der Meinung nur die Jugend hat ein Recht auf Leben, wo man den alten schon das Recht auf Arbeit
abgesprochen hat!
Das ist doch sehr perfide!
Sei überzeugt bei entsprechender Vorkasse sind auch die
"Professoren" im SONDERFALL bereit von ihrer Meinung
abzugehen, um im nächsten Zimmer bei einem kleinen Rentner
wieder zur Euthanasie zurück zukehren.
War bis jetzt der Meinung in Deutschland sei die Anwendung
der Euthanasie in Wort -Bild und Praxis verboten?


Barbara antwortete am 06.06.03 (17:41):

Im Thread "Gesundheit und Fitness" läuft die gleiche Diskussion, zu der ich mich bereits geäußert habe. Fakt ist, dass die höchsten Krankenkosten - auf das gesamte Menschenleben bezogen - kurz vor dem Lebensende entstehen. Insofern macht der willkürliche Schnitt "75 Jahre" keinen Sinn.

Ärzte können in der Regel erkennen, ob ein Menschenleben zu Ende geht... sei es nun mit 30, 50, 70 oder 88 Jahren. Wird durch eine teure Behandlung nicht das Leben sondern das Sterben verlängert, wäre unter Umständen der Verzicht auf diese Behandlung in meinen Augen menschlich und somit zu befürworten. Alles andere hielte ich für unmenschlich und hoffe, dass unsere Gesellschaft eine derartige Entscheidung nie tragen wird.

Die durchschnittliche Lebenserwartung soll in den nächsten Jahren weiter steigen. Würde die Grenze für den Einsatz kostspieliger Therapien dadurch von Jahr zu Jahr heraufgesetzt werden, weil 75J. dann praktisch kein Alter mehr wäre oder würde man sie sogar herabsetzen, da die Alten den Jungen durch die höhere Lebenserwartung ja noch länger zur Last fallen würden? Wer maßt sich an, diese willkürliche Grenze zu ziehen? In meinem Bekanntenkreis sind mehrere Marathonläufer, die die siebzig überschritten haben. Sie sind fitter als manch ein junger wandelnder Aschenbecher, der keine zwei Treppen hintereinander steigen kann.... Der "Aschenbecher" bekäme die lebensrettende Behandlung und der Läufer nicht? Vor einer derartigen Gesellschaft käme mir das Grausen.


Karl antwortete am 06.06.03 (18:03):

Das Kriterium Alter, würde es denn auf alle Menschen gleich angewandt, könnte man, vorausgesetzt, es gibt die Notwendigkeit für Leistungsbegrenzungen, noch eher akzeptieren als das, was zu erwarten ist. Nicht "Alter" wird das Kriterium sein, sondern es steht zu befürchten, dass die Regel "Geld" oder "Macht" oder "Bekanntheitsgrad" über die Anwendung extrem teurer Therapien entscheiden wird.

Ich glaube nicht, dass Wolfgang der Euthanasie der Alten das Wort reden will. Das ist auch begrifflich hier nicht anwendbar, denn Euthanasie bedeutet aktives Töten. Was Wolfgang sieht ist das Problem der Knappheit der Resourcen und die Frage stellt sich, wie beschränkte Resourcen gerecht verteilt werden.

Schon heute wird z.B. bei Spenderherzknappheit zwischen den Empfängern ausgewählt. Ungerecht fände ich die gekaufte Bevorzugung eines alten Empfängers gegenüber einem armen Jungen. Die Ethikkommissionen an den Kliniken entscheiden heute geldunabhängig für den Jungen mit der längeren Lebenserwartung und das ist gut so.

Was m.E. nicht geht, das ist eine scharfe Altersgrenze zu setzen nach dem Motto "75 Jahre sind genug o.ä.". Was aber bei Resourcenknappheit immer notwendig und ethisch richtig ist, das ist eine Abwägung bei der Verteilung knapper Resourcen. Nicht das Alter an sich sollte hier ein Kriterium sein, sondern die zu erwartende Lebensspanne, die gewonnen werden kann. Leider ist diese immer sehr altersabhängig, weshalb Alte bei Transplantationen die geringeren Chancen haben. Aber ich weiß, dass z.B. auch der Allgemeinzustand eines Patienten in die Überlegungen der Ärzte einfließt, so hat ein akuter Alkoholiker keine Chance auf eine neue Leber, weil immer Patienten mit besseren Prognosen vorhanden sind.

Dank der modernen Medizin und Ernährung werden die meisten Menschen heute wesentlich älter als ihre Großeltern. Teilweise wird dies durch die extrem kostspielige Entwicklung neuer Therapien erkauft. Wir sollten uns bemühen, diese Therapien allen Menschen zukommen zu lassen, aber zunächst ist dies natürlich nur ein frommer Wunsch und nicht realisierbar.

Die Entscheidungen, die Ethikkommissionen in Kliniken zu treffen haben, sind nicht leicht und werden auch nicht auf die leichte Schulter genommen. Simplizistische Fallbeillösungen wie eine scharfe Altersgrenze sind abzulehnen - ihre Diskussion ist aber keineswegs ein Straftatbestand.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Barbara antwortete am 06.06.03 (22:37):

@ Karl

Dabei geht es um zwei vollkommen unterschiedliche Sachverhalte:

1. Wollen wir aus Kostengründen einem 75jährigen eine Dialyse verweigern und ihn dadurch töten?

2. Wenn nur ein einziges Spenderorgan zur Verfügung steht: soll es ein 75jähriger oder ein junger Familienvater erhalten?

zu 1. Der Wert des Geldes ist relativ. Warum kommen andere Länder mit gleich guter Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung mit sehr viel weniger Geld aus? Warum müssen einzelne Ärzte horrende Summen verdienen, während andere Ärzte trotz enormer Arbeitsbelastung mit einem Minimalgehalt auskommen müssen? Warum sind die Preise für Arzneimittel in Deutschland weitaus höher als in Nachbarländern? Gäbe es kostengünstigere Techniken für Dialyse und andere Indikationen?

Bevor man Menschen aus angeblichem Geldmangel sterben lässt, wären wohl vorher -zig andere Möglichkeiten auszuschöpfen. Außerdem würden ganze Wirtschaftszweige zusammenbrechen, wenn die gesundheitliche Versorgung von Menschen ab einem bestimmten Alter entfiele. Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger müssten um ihre Arbeitsplätze bangen. Auch diese Konsequenzen einer Behandlungsverweigerung mit Todesfolge würden somit die Sozialkassen belasten....

zu 2: Würde die Entscheidung in meinen Händen liegen, würde ich dem jungen Familienvater das Spenderorgan zukommen lassen, weil er aufgrund der Transplantation die höhere Lebenserwartung hat. Unheimlich schwer würde mir die Entscheidung trotzdem fallen, denn der 75jährige könnte ein Vordenker unserer Gesellschaft und der junge Familienvater mehrfach vorbestraft sein....


RoNa antwortete am 07.06.03 (08:44):

Diese ganze Diskussion ist entsetzlich!
Es wird überlegt, was und wie man entscheiden würde, wenn es einen nicht selbst betrifft.
Diskutiert doch einmal aus der Sicht des betroffenen Alten.

Ich - selbst "alt" - hätte nichts gegen die Verweigerung einer lebenserhaltenden Maßnahme zugunsten eines "wertvolleren" Körpers.
Aber ich würde mir dann wünschen, daß ein gesetzlich genehmigtes Medikament mir meinen Tod sanft gestaltet!!


Karl antwortete am 07.06.03 (08:52):

@ Barbara,

wir sind nicht weit auseinander. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Eine Altersgrenze, ab der Leistungen zu verweigern sind, ist inhuman und darf niemals sein. Alter als ein (!) Faktor bei zu treffenden Entscheidungen, falls es gilt knappe Resourcen (z.B. Spenderorgane) zu verteilen, ja.

Eskimolösungen sollte unsere Gesellschaft aber nicht nötig haben. Wir sind immer noch eine Wohlstandsgesellschaft!

@ Rona

Natürlich würden wir als persönlich Betroffene die Prioritäten gerne selber setzen. Das würde aber darauf hinauslaufen, dass Geld über alles entscheidet. Ich finde es schon wichtig, dass "gerechtere" Lösungen gefunden werden.


Epigon antwortete am 07.06.03 (09:42):

Und ich dachte: ein Glück, daß Du noch so jung bist.

Denn die Gesetze hatten sich geändert. Weil du alt bist, mußt du früher sterben. Auch das Unwort des sozialverträglichen Frühablebens war erneut modern geworden. Sie unterhielten sich darüber im Wartezimmer: der eine, extrem blaß und aufgedunsen, und eine andere, hochgradig Abgemagerte. Man konnte heraushören, daß sie sich betroffen fühlten -, denn sie waren beide schon alt, älter, sehr alt. Ich komme schon Jahre hierher, sagte der Mann, und man wird mich doch dabeibehalten. Das glaube ich nicht, meinte die Frau, - und mich wird man gar nicht mehr dazunehmen. Ich wußte, wovon sie sprachen, und beglückwünschte mich erneut, noch so jung zu sein. Ich wartete auf eine Transplantation. Eine Spenderin hatte sich im letzten Moment dann doch geweigert. Nun, es störte mich wenig. Wie gesagt, ich gehörte ja noch nicht zum Ausschuß.

Als ich nach der Behandlung wieder ins Wartezimmer kam, war der Aufgedunsene kollabiert. Sie reanimierten ihn. Und ich fragte mich, ob auch das aus Kostengründen demnächst nur noch bei jungen Menschen erfolgen würde. Die Magere ging jetzt hinein – zur Dialyse. Heute würden sie ihr wahrscheinlich sagen, daß sie sie nicht mehr behandeln könnten -, sie läge bereits ein Jahr über der festgesetzten Altersgrenze, bis zu der Patienten noch mit teuren Geräten behandelt würden. Gesetzlich gesehen! Einige Mediziner hatten sich schon umgebracht oder ihren Beruf aufgegeben. Dies war für sie keine Ethik mehr. Dies war aktive Euthanasie. Weil du alt bist, mußt du früher sterben. Der Staat ist noch fähig, Gesetze zur Renten-Kürzung zu erlassen, nicht mehr aber, seine Alten am Leben zu erhalten. Klingt unlogisch -, ist es auch. Wem soll man denn dann die Renten kürzen, wenn man gesetzlich festlegt, bis zu welchem Alter die Alten in Würde leben dürfen? Entsetzliche Erinnerungen. Ist Alter lebensunwürdig? Oder was sagt der Staat zu den jungen Behinderten? Geht es in dieser Richtung weiter?

Ich stürzte aus der Praxis. Ich war (noch) nicht betroffen. Ich stürzte, stürzte ... Ich erwachte. In einem hellen Raum. In einer anderen Praxis? Hier saß nur noch einer außer mir. Er trug einen langen Bart und eine Mönchskutte. Er sagte: Willkommen! - Wo? - Du hast geträumt. Du bist auch schon zu alt gewesen.

(Copyright: EPIGON)


Ana antwortete am 07.06.03 (10:23):

Hier in Spanien reguliert sich das Problem fehlender Resourcen auf andere Weise:

Wenn man auf Krankenschein zum Arzt geht, muss man zum örtlichen ambulatorio (staatl. Gesundheitszentrum). Dort braucht man zunächst einen Termin. Warteschlange - Dauer 1-2 Stunden.
Der Termin bei einem der dortigen staatlich angestellten Ärzte ist dann in einigen Tagen, jetzt aber nicht mehr mit Uhrzeit.
Jeder Arzt arbeitet dort täglich ca. 2 Stunden. für diesen Zeitraum werden ihm ca. 30 Patienten zugeteilt. Alle 30 Personen müssen um 9 Uhr erscheinen, Wartezeit, manchmal einige Stunden. Der Arzt rechnet sich die Behandlungszeit pro Patient aus - ca. 4 Minuten - und er möchte keine unbezahlten Überstunden machen.. Wenn man rein kommt, sitzt er mit Rezeptblock und Stift vor einem und hofft, dass man nicht viel mehr als ein Rezept will. Als ich einmal sagte, ich hätte mehrere Beschwerden, zog er ein "Gesicht" und sagte "joder" ( bedeutet etwa:verdammt, o Gott o Gott....).
Einen Notfalldienst gibt es dort auch, allerdings mit gefährlich!!! langen Wartezeiten.
Da muss man sich möglichst ein Taxi leisten können.

Jeder, der das nötige Geld hat, schliesst eine private Krankenversicherung ab. Die sind hier deshalb ziemlich billig. Bei den billigen kann man allerdings nur zu den Vertragsärzten. Auch bei denen gibt es Wartezeiten, aber die sind freundlicher und haben etwas mehr Zeit.
Und dann gibt es noch die teuren Versicherungen, die sich aber nicht viele leisten können.

Also, ich bin froh, dass ich bis heute ziemlich gesund bin! Wie es hier mit lebensverlängernden Massnahmen aussieht, weiss ich nicht genau. Aber bei dem "sparsamen" Sozialstaat lässt sich das denken.


Wolfgang antwortete am 07.06.03 (11:37):

Setzt man folgende Rahmenbedingungen...

1.) Alle als medizinisch notwendig geltenden Behandlungsmethoden sind im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enthalten,

2.) Dieser Leistungskatalog wird (entsprechend dem medizinischen Fortschritt) stets um verbesserte und neue Behandlungsmethoden aktualisiert bzw. erweitert,

3.) Die Zuzahlung der kranken Versicherten zu den von ihnen verursachten Krankenkosten ist bescheiden (wie zur Zeit),

dann werden sich die Ausgaben pro versichertem Mensch wie folgt entwickeln (vom Jahr 2000 ausgehend bis zum Jahr 2040):

Ausgaben der GKV pro Mitglied: 5.470 DM (2000), 80.119 DM (2040)

Ändert man jetzt die Rahmenbedingungen, indem die 2. Rahmenbedingung weggelassen wird, also ein konstanter Stand der Medizintechnik des Jahres 2000 eingehalten wird, dann werden sich im gleichen Zeitraum die Ausgaben pro versichertem Mensch wie folgt entwickeln:

Ausgaben der GKV pro Mitglied: 5.470 DM (2000), 53.112 DM (2040)

Im ersten Fall wird sich der durchschnittliche Beitragssatz von derzeit (2000) 13,1 Prozent auf dann (2040) 23,1 Prozent erhöhen.

Im zweiten Fall, bei konstant gehaltenenem medizinisch-technischen Stand (Jahr 2000) wird sich der durchschnittliche Beitragssatz von derzeit (2000) 13,1 Prozent auf dann (2040) 15,3 Prozent erhöhen.

Man sieht deutlich, dass der medizinisch-technische Fortschritt der eigentliche Kostentreiber ist und Kosten induziert, die das Funktionieren unserer Volkswirtschaft gefährden. Oder, anders ausgedrückt: Unsere derzeitige boomende Krankheitsindustrie ist nicht nachhaltig und wird innerhalb einer Generation an seine Grenzen stossen.

Quelle der Zahlen... Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt: eine Regressionsanalyse (von FRIEDRICH BREYER und VOLKER ULRICH), Greifswald 1999


Barbara antwortete am 07.06.03 (12:04):

Die Gefahr besteht, dass die boomende Krankenindustrie unser Sozialsystem sprengen wird, das sehe ich auch so. Da wohl niemand den medizinisch technischen Fortschritt aufhalten kann und will, ist der Staat aufgerufen, nach vertretbaren, gerechten Möglichkeiten zu suchen. Nicht jede teure Operation muss sich für die Gesellschaft langfristig als kostspielig darstellen. Als Beispiel möchte ich die Möglichkeit neuer Hüften, Schultern, Knie etc. nennen. Auf den ersten Blick kommen sie der Krankenkasse teuer zu stehen. Langfristig gesehen erhalten sie dem alten Menschen die Selbstständigkeit und ersparen oftmals einen sehr viel kostspieligeren Pflegebedarf.

Von Seiten des Staates müsste allerdings geprüft werden, ob bei einigen Behandlungen nicht ein Eigenanteil vom Versicherten zu fordern wäre. Mir fallen z.B. verformte Gliedmaßen durch Arthrose ein. Hier finden z.Zt. immer häufiger Operationen statt, die mehr einem schöneren Äußeren dienen als unbedingt notwendig zu sein. Wenn ich weiter meine schönen Schuhe tragen möchte und nicht auf altengerechte Treter angewiesen sein will, könnte ich eine derartige Operation meiner Meinung nach auch selbst bezahlen.... wenigstens mich an den Kosten beteiligen, was z.Zt. nicht vorgesehen ist.

Da alte Menschen in der Regel der jungen Generation nicht zur Last fallen möchten, wäre es längst überfällig, sie endlich über die von ihnen verursachten Krankenkosten zu informieren. Heute zeigt man nach gelungener OP stolz sein hübsches Füßchen und hat überhaupt keine Ahnung, was diese OP der Kasse gekostet hat.

Ich bin wie Karl für "gerechte" Lösungen mit Augenmaß. Es wird endlose, zähe Diskussionen geben müssen, was unter "gerecht" zu verstehen ist..... Auf jeden Fall hielte ich eine strikte Alterbegrenzung für sinnvolle lebenserhaltende Maßnahmen für ausgesprochen ungerecht.


Ursula B antwortete am 07.06.03 (13:58):

Hallo Barbara,

Deinem Beitrag stimme ich voll und ganz zu.

Im Gesundheitswesen muss ein Umdenken erfolgen - bei allen Beteiligten. Aber n i e m a l s darf die Lebensverkürzung aus Kostengründen oder Sparen auf Kosten der Lebensqualität ein Gedanke zur Lösung finanzieller Probleme sein.

Die Vorschläge der Professoren Breyer und Wiemeyer sind ethisch verwerflich und kommen für mein Empfinden in gefährliche Nähe der Euthanasie.

Ich könnte ohne langes Nachdenken etliche Beispiele aufzeigen, wo durch unnötige oder gar unsinnige Diagnostik und Therapie immer noch das Geld regelrecht zum Fenster hinausgworfen wird.

Mein Bruder (bis auf eine im vergangenen Sommer erfolgreich behandelte Krankheit kerngesund) bekam kürzlich Durchfall und konsultierte seine Internistin.

Ohne die Wirkung des Medikamentes gegen Durchfall abzuwarten, schickte die Ärztin meinen Bruder als erstes zur Darm- und Magenspiegelung und dann wegen eines plötzlich mäßig erhöhten Leberwertes und trotz unauffälligem sonographischen Befund auch noch zur Kernspintomgraphie des Bauchraumes und riet "unbedingt" zur Leberpunktion.

Glücklicherweise war der Radiologe ein besonnener Mann und empfahl meinem Bruder, keine weitere Diagnostik mehr machen zu lassen und diese Ärztin vielleicht besser zu meiden. So ist ihm wenigsten die Leberpunktion erspart geblieben und der Krankenversicherung die Kosten dafür.

Natürlich ergaben sämtliche Untersuchungen einen normalen Befund, und wie sich herausstellte, war der vorübergehend erhöhte Leberwert Folge der bei der - unnötigen - Darmspiegelung verabreichten Medikamente ... ;-)

Gruß, Ursula





Ursula B antwortete am 07.06.03 (14:23):

Nachtrag:

Der Durchfall war nach einer Auslandsreise aufgetreten. Nur um eine bakterielle Infektion ausschließen zu lassen, hatte mein Bruder die Ärztin aufgesucht ....


RoNa antwortete am 07.06.03 (14:40):

Seit wann bekommt denn ein Patient vor einer Coloscopie leberschädigende Medikamente?
Und wieso sollte die Leber bei unauffälliger Ultraschall-Untersuchung nicht dennoch geschädigt sein können?

Vor dem Anraten einer Leberpunktion hätte ich allerdings noch mindestens zweimal die Leberwerte kontrollieren lassen.


Ursula B antwortete am 07.06.03 (15:19):

@RoNa

ich habe nichts von "leberschädigenden" Medikamenten geschrieben ;-), sondern von einem einzelen Leberwert, der im zeitlichen Zusammenhang mit der Darmspiegelung kurzfristig angestiegen war. Dieser Laborwert war bereits 10 Tage nach der Darmuntersuchung wieder völlig normal.

Ein einzelner Laborwert rechtfertigt keine umfangreiche Diagnonstik, Laborkontrollen wären völlig ausreichend gewesen, zumal der Zusammenhang mit den diagnostisch verabreichten Medikamenten leicht erkennbar war und es für andere Ursachen keine Hinweise gab ... ;-)

Gruß, Ursula


mechtild antwortete am 07.06.03 (23:00):

Mich wundert bei der Diskussion, dass immer nur von Kosten gesprochen wird und nicht problematisiert wird, dass die Medizin uns vorgaukelt alles heilen zu können, wenn nur die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden würden. Tatsache ist jedoch, dass es sehr viele unheilbare Krankheiten gibt, bei denen auch die teuersten Medikamente weder Heilung noch Linderung bringen. Wie viele krebskranke Menschen erhalten eine sehr belastende Chemo, die die Lebensqualität der letzten Monate verringert, aber kaum Nutzen bringt. Wäre es nicht menschlicher dem Krebskranken zu sagen, wie seine Diagnose ist, ihm die Belastung der Chemo aufzuzeigen und dann mit ihm gemeinsam eine Entscheidung zu treffen?
So eine Entscheidung ist nicht einfach, aber leider häufig notwendig. Sie setzt aber voraus, dass die Allmacht der Medizin infrage gestellt wird.
Durch Verzicht auf Behandlung, weil sie keine bessere Lebensqualität mehr bringt würden Kosten gespart und vielen Schwerkranken unnötiges Leiden durch belastende Behandlungen erspart.


hl antwortete am 07.06.03 (23:24):

"..dass die Medizin uns vorgaukelt alles heilen zu können, wenn nur die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden würden..."

Ja, Mechthild, das ist eine weitere Kehrseite der Medaille. Passend zum Thema darf ich einmal aus einem kürzlich gelesenen Buch von Ivan Illich zitieren:

"(..)Dabei hatte Illich nichts anderes getan, als einer ausufernden und krebsartig wuchernden Gesundheits- und Medizintechnokratie den Spiegel vorzuhalten. Detailreich und mit kritischer Brillanz wird gerade auch dem medizinischen Laien gezeigt, wie die verschiedenen Interessengruppen, wie Ärzteschaft, Pharmaindustrie und die sie begleitende Ideologie den Patienten zum süchtigen Verbraucher und die Medizin zum Verbrauchsgut werden lassen. Entfremdet von der natürlichen Erfahrung von Gesundheit, Krankheit und Tod, deren Definitionen wir lieber den Ritualen der Ärzteschaft vorbehalten, sind wir so dem Irrglauben verfallen, der Mensch sei vollständig reparabel. (..)

DIE NEMESIS DER MEDIZIN, IVAN ILLICH
Beck'sche Reihe, ISBN 3406392040


Es ist also nicht nur so, dass wir uns eine umfassende "Gesundheitsversorgung" nicht mehr leisten können, diese "Versorgung" versorgt uns erst mit Krankheiten. Iatrogenesis , so heisst das bei Illich. Interessantes und empfehlenswertes Buch. :-)


Titus(WolfgangM.) antwortete am 08.06.03 (11:58):

Wenn ich die beiden merkwürdigen Professoren richtig verstanden habe, geht es um Kosten unseres Gesundheitswesens, die reduziert werden müssen, weil den Kassen das Geld ausgeht.

Ein vernünftiger Ansatz wäre doch, dass Mitmenschen, die gefährlich Freizeitbeschäftigungen haben, einen Zuschlag zu ihrem Beitrag zahlen. Ich sehe nicht ein, warum Skifahrer, die sich die Knochen brechen, auf Kosten der gesetlichen Kassen behandelt werden. Oder Motorradfahrer. Allle wissen, dass das ein gefährlicher Sport ist. Oder Fallschirmspringen und dergleichen mehr.

Ferner ist es ein Unding, dass wir rund 300 oder 400 Kassen haben. Das ist unnötig, die Beiträge werden durch Verwaltungskosten aufgebraucht.

Brauchen wir Privatkassen für die Vollversorgung, oder würde es nicht reichen, wenn Privatkassen nur zuätzliche Leistungen bieten? Erster Klasse Krankenhaus, Sportunfälle und dergleichen.

Warum haben wir keine oder wenige Polikliniken? Wenn Ärzte unbedingt eine eigene Praxis haben wollen, Ärzte, die immerwieder betonen, dass sie sich zum Arztberuf berufen fühlen, dann sollen sie doch in Entwicklungsländer gehen, dort werden sie gebraucht.

Und noch etwas:
Wir reden von der "Reform unseres Sozialstaates". Ja, wer gehört denn eigentlich zu unserem Staat? Nur Arbeiter, Angestellte, Arbeitslose und Rentner?

Kostenreduzierung - das ist ein riesiges Potential an Möglichkeiten, Leistungsverweigerung oder Leistungskürzung werden wir nicht brauchen, wenn Kosten an den richtigen Stellen gesenkt werden. Und brauchen wir rund 50.000 Medikamente?

Fazit:
Wer meint mit 75 Jahren beginnen die Krankheiten, der ist auf dem Holzweg. Man kann mit 75 oder 73, oder 80 oder auch wesentlich früher, ernsthaft krank werden. Dagegen ist man kaum gefeit.

Wer rüstige und dem Alter entsprechend gesunde "Alte" erleben möchte, der kann mich in unserem Wohnstift besuchen.

Aber: Die sogenannte "Patientenverfügung" wird prakltisch nicht anerkannt, weil die Ärzte Konsequenzen mit Recht befürchten. Also werden hilflose Menschen gequält, die nichts weiter wollen, als friedlich einzuschlafen, so, wie sie es schriftlich in einer Verfügung festgelegt haben. Hier muss ganz schnell etwas geschehen - es kann ausnahmslos jeden treffen, egal wie alt!

Hoffen wir, dass durch das saudumme Geschwätz dieser Herren Professoren nicht eine Hatz auf Rentner insgesamt ausgelöst wird - die Gefahr gibt es, weil es genügend Verrückte und Spinner gibt.

Das meint Titus, 72, gesund und schaffensfroh - genauso, wie viele "Alte", die noch mit über 90 (!) topfit sind.


mechtild antwortete am 08.06.03 (12:23):


@hl
das meinte ich. Es ist bewiesen, dass Ärzte sich seltener operieren lassen als Laien, dass wird doch wohl einen Grund haben.
Die meistem Menschen sagen nicht, ich nehme jetzt die oder jenes Medikament oder ich gehe ins Krankenhaus, sondern der Doktor hat gesagt ich muss.... Man kann nicht einem Berufsstand, der an einer Operation oder dem Verkauf von Medizin verdient, die alleinige Entscheidung über medizinische Maßnahmen überlassen. Solange nur über die Kosten und nicht über den Nutzen diskutiert wird und über sehr unangenehme Nebenkrankheiten, wird sich ein Patient immer für die chemische Keule entscheiden. Er muss es ja nicht selbst zahlen, bedenkt aber nicht, dass Schmerzen oder Folgekrankheiten ein sehr hoher Preis sind.
Wo noch viel getan werden muss, was natürlich auch mit Kosten verbunden ist, ist in der Sterbebegleitung. Dazu ist aber ein andere Ausbildung als die der Mediziner notwendig.


Tobias ( Fred Reinhardt ) antwortete am 08.06.03 (13:14):

Hallo Mechthild,

dein letzter Satz " Sterbehilfe " ist richtig und wird auch in manchen Städten als Wichtigkeit eingestuft.

Bei uns in Bamberg haben sich vor einigen Jahren Frauen mit Erfolg bemüht, ein Hospitz für Sterbende zu gründen. Mittlerweile ist dem Hospitz eine Schule angeschlossen, die Fachkräfte für diese schwierige Aufgabe ausbildet. Soweit ich informiert bin, entstehen nicht mal Mehrkosten. Bisher haben viele Menschen im Krankenhaus auf ihre letzte Stunde gewartet. Dies hat sich jetzt mit dem Hospitz geändert.

Ich schätze diese Gründerfrauen. Sie haben mit Durchhaltekraft etwas auf die Beine gestellt. Niemand hier in Bamberg hat dies für möglich gehalten.


Ursula J. antwortete am 08.06.03 (13:41):

@Titus,

weißt du nicht, dass Leute die gefährliche Sportarten betreiben, sich in der Regel darauf körperlich vorbereiten, Fitness o.ä. betreiben und damit ihren Körper fit halten und demzufolge seltener krank sind und seltener zum Arzt gehen?


Titus(WolfgangM.) antwortete am 08.06.03 (14:02):

@ Ursula J.

Ich habe keine Ahnung, wie man sich durch Fitnesstrainig vor Skiunfällen, Motorradunfällen etc. schützen kann.

Vielleicht werden sie seltener krank, vielleicht aber erleiden sie Krankheiten, die sie sich durchs Training zuziehen?

Mir geht es darum, dass die Heilung oder Linderung von Erkrankungen durch die Kassen bezahlt werden.

Unfälle, die praktisch selbst verursacht werden, gehören nicht hierzu.

Jedenfalls meine Meinung.


Wolfgang antwortete am 08.06.03 (14:47):

Eine in Deutschland weit verbreitete "Krankheit" ist es, Menschen zu beschimpfen, und ihnen Bösartiges zu unterstellen, nur weil sie auf eine drohende Gefahr hinweisen. Aber auch die neuesten Zahlen des Bundesamtes für Statistik bestätigen die Befürchtungen der beiden Professoren. "Die Alterung der deutschen Gesellschaft wird nicht erst in 50 Jahren zu Problemen führen, sondern bereits in den nächsten beiden Jahrzehnten eine Herausforderung darstellen." (Zitat aus der Pressekonferenz des Amtes am 06.06.2003 zur "Bevölkerungsentwicklung in Deutschland bis 2050", siehe Link)

Jeder Dritte wird 2050 älter als 60 Jahre sein. Es wird dann dreimal mehr 80-Jährige geben als heute schon da sind. Das und - damit korresondierend - der zu erwartende technische medizinische Fortschritt haben allerdings ihren Preis: Die Ausgaben für die Krankheits- und Pflegeindustrie werden ungeheuer stark ansteigen.

Das "weiter so, wie bisher" wird nicht mehr lange gut gehen. Reförmchen und Placebos à la "Kostensenkungsprogramme" nützen nichts mehr. Unsere für andere Zeiten konzipierte Sozialversicherungssysteme kollabieren vor unseren Augen und viele meinen, es genüge, diejenigen zu beschimpfen, die auf das Kollabieren aufmerksam machen. Ein neues nachhaltiges System muss her.

Internet-Tipp: https://www.destatis.de/presse/deutsch/pk/2003/bev_2050b.htm


Titus(WolfgangM.) antwortete am 08.06.03 (15:40):

Ein weit in Deutschland verbreitete "Krankheit" ist auch sich an Prognosen und unbewiesenen Behauptungen zu klammern und als unabwendbares Schicksal hinzunehmen.

Wie wäre es mit selber Nachdenken? Wo liegen die Gründe dafür, dass derartige Prognosen tatsächlich "zukunftsweisend" sein könnten?

Dieser unser Staat wurde in den letzten zwanzig Jahren heruntergewirtschaftet, was die CDU/FDP nicht schaffte, das gelang der SPD-Regierung. Und es wird sich absolut nichts ändern, wenn nicht umgedacht wird.

Wenn heute eine Familie mit zwei Kindern und einem Verdiener am Rande des Existenzminimums leben muss, immer in Sorge um den Arbeitsplatz, dann stimmt etwas mit dem Gesamtkonzept nicht.

Und das Gesamtkonzept - so es eines gäbe - müsste umsetzbar sein. Dazu wäre gegenwärtig nur eine grosse Koalition notwendig, weil sonst die Opposition schon wegen ihrer späteren Wahlchancen im Länderrat gegen alles stimmen muss - trotz aller gegenteiliger Bekundungen.

Wäre ich Opposition, würde ich den Unsinn, dass durch Kürzungen von Arbeitslosengeld Arbeitsplätze entstehen (wie denn wohl?) auch nicht mittragen.

Warum muss die Alterspyramide unbedingt so - wie prognostiziert - wachsen? Warum nicht eine Familienpolitik, die Familien mit mehreren Kindern ein angemessenes Leben gestattet? Warum nicht Familien mit vielen Kindern ins Land holen, damit unsere Bevölkerung wieder wächst? Arbeitslosigkeit steigt? Warumm wohl - weil in dem Chaos an Vorschriften und Beschränkungen kein vernünftiger Unternehmer durchblickt.

Steuerreform? Ja, dann aber richtig. Grossunternehmen müssen wieder Steuern zahlen und die sogenannte "Organschaft" mit ausländischen Tochterunternehmen muss gestrichen werden, damit sich die Unternehmen nicht "arm" rechnen. Geht nicht? Warum nicht?

Nein, entweder die gesamte Bevölkerung wird in den Umbau eingeschlossen - oder es wird nie funktionieren.

Das, was die beiden merkwürdigen Professoren da geäussert haben, ist ein Skandal und bedarf weiter keinen Kommentars.

Denken, nicht nachplappern ist gefragt - auch wenn Spiegel und Co noch so "intellegente" Artikel veröffentlichen.

Ich bin wütend, weil hier keine Diskussion über dieses Thema in Gang kommt.

Sagt doch einmal Eure Meinung, Eure eigene Meinung. Sollen wir tatsächlich zusehen, wie der Karren BRD gegen die Wand kracht? Sollen wir schweigen und unter Bezug auf irgendwelche "Fachleute" und Statistikenproduzenten unser Schicksal beweinen?

Nee, mit mir nicht!

Und nun dürft Ihr wieder - so Ihr wollt - mit wohlgesetzten Worten über mich herfallen.

Na, denn, freundliche Pfingstgrüsse von

Titus Punkt!


mechtild antwortete am 08.06.03 (19:54):

@ Titus zu dem vorherigen Beitrag
„Ein vernünftiger Ansatz wäre doch, dass Mitmenschen, die gefährlich Freizeitbeschäftigungen haben, einen Zuschlag zu ihrem Beitrag zahlen. Ich sehe nicht ein, warum Skifahrer, die sich die Knochen brechen, auf Kosten der gesetzlichen Kassen behandelt werden. Oder Motorradfahrer. Allle wissen, dass das ein gefährlicher Sport ist. Oder Fallschirmspringen und dergleichen mehr.“
Auf diesen Dampfer sollen wir springen. Die Krankenversicherung soll die Möglichkeit haben, wie jede andere Versicherung auch, bestimmte Risiken auszuschleißen. D.h. bevor ich etwas mache muss ich zuerst meinen Versicherungsvertrag durchlesen ob ich dagegen auch versichert bin.
„Teile und spalte.“ Wir werden dann in Zukunft nicht nur an den Zähnen erkennen können, wer arm ist. Die Sozialversicherungen sollen alle großen Lebensrisiken abdecken, wenn sie das nicht mehr machen, sind sie nicht mehr „sozial“ sondern eine ganz normale Versicherung auf privatrechtlicher Basis. Das wäre im Sinne der FDP und der Versicherungsunternehmen.

@ Wolfgang,
der Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung kann für die Sozialsysteme doch nur heißen, dass die Sozialsysteme nicht wie bisher nur auf den Faktor Arbeit aufgebaut werden können. Es müssen mehr Menschen in die Sozialsysteme einzahlen als bisher und es muss ein kapitalgedeckter Sockel auf staatlicher Basis geschaffen werden. Mehr Privatisierung kann doch wohl nicht die Alternative sein oder?


Wolfgang antwortete am 08.06.03 (21:46):

Die einen schreien nach mehr Markt, die anderen nach mehr Staat... Beides ist nicht mein Ding, Mechtild, denn die beiden wesentlichsten Ursachen für den drohenden Kollaps unserer stattlichen Finanzierungssysteme der boomenden Krankheits- und Pflegeindustrie klammern die lautstarken VertreterInnen des status quo wohlweislich aus. Die wesentlichsten Ursachen sind:

- Der doppelte Alterungsprozess (immer mehr Alte, die immer älter werden, dafür weniger Junge), und - damit korrespondierend als Ursache und Wirkung zugleich -
- der Prozess des medizinisch-technischen Fortschritts.

Diese beiden Prozesse dürfen meiner bescheidenen Meinung nach nicht mehr länger Triebfeder für die (besonders für die Jungen) ständig steigende Kosten in den staatlichen Zwangsversicherungen sein. Deshalb befürworte ich zum Beispiel - wie die beiden Professoren auch - eine Rationierung teurer lebenserhaltender Therapien nach dem Kriterium "Alter". Denn: Kein vernünftiger Mensch kann ein Interesse an einer per staatlichem Zwang von den Jungen gesponsorten alternden, also nicht nachhaltigen Gesellschaft haben.

P.S.: Bitte beachten... Es geht mir in dieser Diskussion nur um die staatlichen Zwangsversicherungen und darum, welche medizinischen Leistungen diese bezahlen sollen oder, anders ausgedrückt, wie hoch die Kosten dafür höchstens sein sollen.


Mart antwortete am 08.06.03 (22:30):

"...Jeder Dritte wird 2050 älter als 60 Jahre sein. Es wird dann dreimal mehr 80-Jährige geben als heute schon da sind..."

Wie bereits angeführt ist eine Grundursache für die prozentuell ansteigenden Kosten für Renten und Krankenkassen ist die auf dem Kopf stehende Bevölkerungspyramide.
Die Frage, warum zuwenig Frauen zu wenig Kinder haben, wird zwar immer wieder gestreift, aber m.E. zu wenig intensiv in der Öffentlichkeit thematisiert. Wohl auch deshalb, weil die Politik mit ihrer Familienpolitik gröbste Fehler begangen hat. - für mich ist der Grund klar: Familienpolitik muß langfristig angelegt sein und bringt erst in der Zukunft "Zinsen", dann wenn die Politiker nicht mehr an der Macht sind. Die Folgen, das Ungleichgewicht in der Alterspyramide und damit die Schwierigkeiten der Finanzierung, sind von Wolfgang anschaulich angeführt worden.
Es ist klar, daß eine kinderfreundlichere Gesellschaft die augenblicklichen und kurzfristigeren Probleme nicht lösen kann. Langfristig muß aber auf jeden Fall auch hier der Hebel angesetzt werden.


Barbara antwortete am 09.06.03 (01:42):

Ja, Mart,

die Frage, warum sich immer weniger Frauen für Kinder (und wenn überhaupt, dann meistens nur für eins) entscheiden, ist lediglich vor den Wahlen ein Gesprächsthema von Politikern. Nach den Wahlen scheitern die meisten Pläne für eine kinderfreundliche Gesellschaft am angeblichen Geldmangel.

Allerdings würde selbst in einer gebärfreudigeren Gesellschaft der Anteil der alten Menschen aufgrund der höheren Lebenserwartung drastisch ansteigen.... es handelt sich hierbei um eine weltweite Tatsache.

Ich zitiere aus einem Aufsatz unserer früheren Familienministerin Ursula Lehr:

>>Die Gruppe der über 80jährigen ist die am stärksten steigende Bevölkerungsgruppe – weltweit!<<

Bevor wir jedoch Menschen ab einer willkürlich festgelegten Altersgrenze eine lebensrettende Maßnahme verweigern, was in vielen Fällen ihren sicheren Tod bedeuten würde (z.B. bei der Dialyse), sollten wir u.a. die Frage beantworten, warum unser Gesundheitssystem zu den teuersten aber bei weitem nicht zu den besten gehört.

Ursula Lehr dazu:

>>Die Schweizer, die Schweden und die Niederländer beispielsweise geben weniger Geld für das Gesundheitswesen aus und haben sogar eine höhere Lebenserwartung und einen höheren Prozentsatz über 65jähriger. Man könnte – wie in der Welt am Sonntag am 19.5.02 (S.11) zu lesen war – spöttisch behaupten „mehr Geld für die Gesundheit bedeutet nicht automatisch mehr Gesundheit; überdurchschnittliche Ausgaben können ein Beweis für unterdurchschnittliche Effizienz sein“<<

Weiter weist sie in ihrem Aufsatz darauf hin, dass die heutige Großeltern-Generation eher zu den Gebenden als zu den Nehmenden in unserer Gesellschaft gehört:

>>Die Großeltern- Generation ist heute oft die „sandwich-generation“, die oft sowohl für Kinder- und Kindeskinder als auch noch für die alten Eltern sorgt. Die viel gepriesene Familienpflege sieht heute oft so aus, dass die Großmutter die Urgroßmutter pflegt. - Großeltern sind heutzutage weit öfter die „Gebenden“ als die „Nehmenden“. Wir sollten Ältere nicht nur als Kostenfaktor sehen, sondern auch deren „Nutzen“ deutlicher herausstellen. Schließlich gehen erhebliche finanzielle Unterstützung wie auch sog. „Dienstleistungen“ von der älteren Generation (33 bzw.39%) auf die mittlere Generation wie auch auf die Enkelgeneration (33 bzw. 38%) über (ATTIAS DONFUT 1995; KOHLI & KÜHNEMUND, 1998).<<

Meiner Meinung nach hilft die starke Lobby der Ärzte und der Gesundheitsindustrie kräftig dabei, unser Sozialsystem an die Wand zu fahren. Hier müsste durch Aufklärung der Bevölkerung gegengesteuert werden. Vor allem müssen wir lernen, dass Alter keine Krankheit ist. Mit vielen altersbedingten Gebrechen kann und muss man lernen zu leben. Damit nicht bei jedem Wehwehchen der Facharzt aufgesucht wird, halte ich die Stärkung des Allgemein-Mediziners für eine richtige Entscheidung.

Prof. Dr. Dr, h.c. Ursula Lehr
DZFA, Universität Heidelberg

Ist das Alter noch bezahlbar?
Ausführungen zur „Geriatriefalle“
https://www.friwind.de/20020608-vor2.html

Internet-Tipp: https://www.friwind.de/20020608-vor2.html


Wolfgang antwortete am 09.06.03 (11:14):

Ich denke auch, Barbara, dass unsere Krankheitsindustrie (im Vergleich zu anderen Ländern) nicht besonders effizient ist. Ein Beispiel für eine äusserst ungünstige Kosten-Nutzen-Relation sind die vielen Koronarangiographien (meist Herzkathederuntersuchungen).

In Deutschland wurden (1998, Anzahl bezogen auf 1 Mio. Einwohner) 6.441 dieser Koronarangiographien durchgeführt. In Frankreich waren es 3.584 und in Italien gar nur 1.574. Dabei gleichen sich Altersstruktur und Lebenserwartung in diesen drei Ländern.

Es muss also einen nicht-medizinischen Grund geben, warum in Deutschland fast doppelt bzw. mehr als viermal so häufig koronar interveniert wird als woanders. Die Ärzte werden sagen, die Deutschen sind eben durchschnittlich kränker. Ich meine aber, dass das nicht stimmt. Es liegt wohl an unserer enorm hohen Arztpraxen- und Krankenhausdichte. Verständlicherweise wollen die dort Tätigen alle von ihrem Unternehmen leben. Da sie (gesamtökonomisch gesehen) Anbieter und Nachfrager medizinischer Leistungen in einer Person sind, darf man sich über die Zahlen nicht wundern.

Quelle der Zahlen... Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2001


mechtild antwortete am 09.06.03 (12:34):

„Die einen schreien nach mehr Markt, die anderen nach mehr Staat... Beides ist nicht mein Ding, Mechtild, denn die beiden wesentlichsten Ursachen für den drohenden Kollaps unserer stattlichen Finanzierungssysteme der boomenden Krankheits- und Pflegeindustrie klammern die lautstarken VertreterInnen des status quo wohlweislich aus. Die wesentlichsten Ursachen sind:“
Was schlägst Du denn vor? Massnahmen, die nicht notwendig sind weglassen halte ich auch für vernünftig. Die Frage ist nur, wer entscheidet was notwendig ist. Die Entscheidung eines Mediziners fällt da sicher anders aus, als die einer anderen Berufsgruppe. Untersuchungen sind teuer, bringen wenig und wenn Belastung für den Patienten und belegen meist, was man eh schon weiss. Wenn der Patient es wünscht oder der Arzt es vorschlägt wird es gemacht und meist auch von der Kasse bezahlt. Teuren Geräte müssen sich bezahlt machen. Ich hielte es für sinnvoll, dass medizinische Geräte nur in Kliniken angeschafft werden dürften und staatlich festgelegt werden müsste wie viele es pro Kopf der Bevölkerung geben müsste. Wenn frau dann noch sagt, wie damals in der DDR in den Polikliniken, wird man sicher gelyncht. Auch heißt das mehr Staat.
Nach meiner Ansicht sollte Papa Staat mehr regeln. Auch wenn es dem Sohn oder der Tochter (BürgerInn) nicht passt. Ich brauche einen starken Staat und bin und war immer bereit dafür Steuern zu zahlen. Nur meine ich alle sollten zahlen nicht nur die arbeitenden Kinder, auch die Selbständigen und Beamten. Ich weiss zwar, dass nicht alle Staatsbürger gleich sind, aber ich meine alle sollten ihren Anteil am Gemeinwohl leisten. Jeder so gut er kann. Vater Staat macht nicht alles richtig und seine Staatsdiener kassieren kräftig ab. Die Privaten kassieren aber noch kräftiger. Nenn mir einen Staatsbetrieb, der privatisiert wurde, bei dem es heute besser läuft als vor der Privatisierung?


Funk antwortete am 09.06.03 (20:57):

Mein Schwager hatte mit seinem Lungenkrebs noch wenige Wochen zu leben. Er lag im Spital. Die Aerzte bedrängten meine Schwester, ihm ein neues Hüftgelenk einsetzen zu dürfen. Sie lehnte ab.
Meine Mutter blieb nach 10 Jahren intensiver Hauspflege durch meine andere Schwester nach einem von vielen Hirnschlägen bewusstlos und wäre nur noch im Spital durch Sonden etc am Leben zu erhalten gewesen. Ich fragte den Hausarzt, was er täte, wenn es seine Mutter wäre. "Sterben lassen", sagte er. Sie starb (82 Jahre alt) nach drei Tagen daheim.
Meine Schwiegermutter, 83, dement, trotz zwei neuen Hüftgelenken gehunfähig, extrem schwach, war kaum noch fähig, etwas zu schlucken. Die Oberschwester fragte, wie eine allfällige Lungenentzündung behandelt werden solle. Sie riet uns, keine Antibiotika geben zu lassen. Eine Woche später starb die Frau, welche vor Jahren immer gesagt hatte, sie verzichte auf Intensivpflege.
In allen drei Fällen sprachen sich die Angehörigen für einen Behandlungsverzicht aus. Aerzte geben nie von sich aus auf, sie setzen auch in hoffnungslosen Fällen ihre Mittel ein, wenn Angehörigen sich nicht äussern.


mechtild antwortete am 09.06.03 (22:02):

@ Funk
Es ist Aufgabe der Ärzte Leben zu retten. Sie müssen lebenserhaltende Maßnahmen anbieten. Es ist Aufgabe des Patienten und der Angehörigen diese, falsch nicht erwünscht oder nicht sinnvoll abzulehnen. Leider haben nur wenig Patienten und Angehörige das Selbstbewusstein Ärzten zu widersprechen.


Funk antwortete am 09.06.03 (22:13):

Mechthild, die Angehörigen und Sterbenskranken wissen viel weniger als der Arzt und sind ihm gewissermassen ausgeliefert. Es braucht vielleicht ein Gegengewicht, eine erfahrene Krankenschwester, die man als Laie um Rat fragen kann.


V.E. antwortete am 10.06.03 (08:17):

Als meine Mutter auf eine Pflegestation zu Diakonissen kam, suchte ich einen in der Nähe praktizierenden Art auf und bat ihn, ihr Hausarzt zu sein und im Falle eines Falles keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr zu betreiben. Nach 3 Schlaganfällen würde sie kein lebenswertes Dasein mehr führen können.
Ein paar Tage später bekam sie eine Lungenentzündung. Der Arzt wurde gerufen. Er behandelte das Fieber, sagte aber zu den Schwestern, daß sie keine sonstigen Medikamente brauche. Ihr Herz hielt die Erkrankung nicht mehr aus: sie starb nach drei Tagen in Frieden.


Funk antwortete am 10.06.03 (11:28):

So wie du es gemacht hast, V.E. , geschieht es sicher öfter als man vermutet. Es gibt keine öffentlich anerkannte Grenze, über die in der Pflege hinauszugehen sinnlos ist. Wahrscheinlich darf man einfach nicht darüber offen reden. Im Extremfall müsste man sein ganzes Vermögen dafür hergeben, um einem Angehörigen das Leben um eine Minute zu verlangern. Ist denn die Dauer des Lebens der einzige Wertmassstab?


Tobias antwortete am 10.06.03 (14:35):

Werter Funk, es ist der Wertmasstab, solange ER oder SIE dem Leben geistig folgen kann.

Wir, meine Frau und ich wissen dies und handeln danach.


mechtild antwortete am 10.06.03 (14:47):

„Ist denn die Dauer des Lebens der einzige Wertmassstab?“ Nein, sicher nicht aber in unserer Gesellschaft wird der Tod totgeschwiegen. Töten ist ein Verbrechen und jemanden den Tod wünschen ist sehr schlimm. Das es auch einen schönen Tod geben kann und dass jemand der schön gelebt hat und jetzt krank ist gerne sterben möchte, ist in unserer Gesellschaft nicht erlaubt. Wenn man so etwas äußert ist man depressiv, also krank. Wünscht man seinem Angehörigen einen schnellen Tod, ist man lieblos und hat es nur auf das Erbe abgesehen.
Es gibt in einigen Städten jetzt Hospizbewegungen und auch viele Beerdigungsinstitute bieten Hilfe an für Angehörige, die Abschied nehmen müssen. Aber man muss sich um das Thema kümmern. Es ist kein schönes Thema, aber es betrifft jeden.


Funk antwortete am 10.06.03 (15:58):

Tobias, ich verstehe nicht, du schreibst, ihr handelt danach. Heisst das ihr werdet danach handeln, wenn ihr dem Leben nicht mehr geistig zu folgen vermögt? Wie werdet ihr handeln? Ich freue mich auf deine Antwort.


Funk antwortete am 10.06.03 (16:08):

mechtild, ich habe es lange niemandem gesagt, wie ich mich erleichtert fühlte, als mein Vater immer langsamer atmete und endlich starb. Ich war nicht traurig, wie man doch sein müsste. Ich habe es viel später meinem Freund erzählt und die Gründe erklärt, warum ich nicht trauern konnte. Ganz unerwartet gestand er, dass es ihm einmal gleich ergangen war. Es ist wie du sagst, man verdrängt Gedanken an den Tod. Man verhält sich so, wie die Leute es von einem erwarten, es gehört sich nicht, ehrlich zu sein.


mulde antwortete am 10.06.03 (16:32):

Kaum eine dieser Antworten, kann man verneinen.
Jeder dieser Chater sieht es aus seiner Sicht
Es ist persönlich gesehen, etwas was bei jedem
von uns in die privateste Ecke geht.
Der möchte es so erleben- der andere so.
Aber alle schieben es vor uns her.
Weil es uns ja direkt (noch) nicht betrifft.
Ist doch verständlich weil es der eigenen Psyche entspricht.
Zuletz wurde der Grund dieses Themas schon nicht mehr
Erwähnt und das ist meine Kritik
Ich sage es ganz offen mir gefällt es nicht, wenn da zwei
sich intelligent nennende Menschen einer sogar
ein Katholischer Humantheologe
solche Menschen verachtenden Vorschläge machen darf
Die beide haben es ja nun getan, weil im Moment die Rentendiskussion
im vollen Gange ist.
Nein diese entspricht wohl doch eher ihrem Intellekt
für sie ist der Mensch ab 70 und höher nichts weiter als unwertes Leben
Nicht das ein alter Mensch auch ohne med. Technik in Frieden sterben möchte,
nein er ist nach ihrer Ansicht mit 75 überhaupt zu alt, das sind deren
Beweggründe.
Ist das nicht auch eine verordnete Euthanasie - diese Frage sollte hier
Anfänglich besprochen werden.
Eingeschlossen die damit verbunden neu entstehenden Fragen
Wer es wohl würdig ist das gedankliche Gnadenbrot zu bekommem
und doch älter werden darf.
Karl hat hier eigentlich schon mal gute Antworten gegeben
Kehren wir zu dem zurück
Leisten wir älter werdenden uns den Luxus den beiden
Professoren die notwendige Antwort zu geben.
Uns nicht mit versteckten Worten ihnen Recht zu geben.
Die Zeit wo wir 75 werden ist nicht mehr fern.


mechtild antwortete am 10.06.03 (17:49):

@ Mulde
Es geht nicht um verordnete Euthanasie, sondern darum Ausgaben zu begrenzen und dafür Kriterien zu finden. Ärzte und Angehörige bewegen sich heute häufig in einer Grauzone, wenn sie mögliche Therapien nicht anwenden wollen.
Das Alter ist als einziges Kriterium um Ausgaben zu begrenzen sicher ungeeignet. Aber die Diskussion über Ausgabenbegrenzung bei den Krankenkassen ist notwendig.
Du wirst mit Deinen 75 Jahren sicher noch topfit sein und Dir eine belastende Behandlung wie Dialyse oder Chemotherapie auch zumuten können, wenn es erforderlich sein sollte.
Es gibt jüngere Menschen, die gerne auf solch eine Behandlung verzichten, wenn man ihnen die Belastung und die Erfolgsaussichten ehrlich sagt.
Ich bin den Professoren dankbar dafür, dass sie die Diskussion in Gang gebracht haben. Ohne zu provozieren wäre sicher kaum einer bereit über ein solch negativ besetztes Thema zu diskutieren.
Tod und Sterben ist nicht schön, aber wir müssen alle sterben. Krankheit und Schmerzen sind auch nicht schön. Aber weder das eine noch das andere kann man mit Geld aus der Welt schaffen, auch wenn uns das häufig vorgegaunert wird von geschäftstüchtigen Damen + Herren aus der Gesundheitsindustrie.


Karin antwortete am 10.06.03 (18:26):

Es gibt doch auch das Phänomen des Sterben wollen und nicht können. Es gibt doch auch das Leiden am Leben und eine Sehnsucht nach dem Ende. Von Ärzteseiten wird alles getan,
das Leben zu erhalten, dies ist ihre Konditionierung oft gegen den Wunsch der Patienten. Das ärztliche Eingreifen in natürliche Abläufe führt sehr oft zu iatrogenen Schäden.
Man muss nur mal sehen , wie die ärztliche Betreuung in den Pflegeheimen abläuft. Abfüttern mit bunten Pillen in grossen Mengen.....


Tobias antwortete am 10.06.03 (19:00):

Ja Funk sehr leicht erklärt.

Seit 7 Jahren wohnt bei uns im Haus meine Schwiegermutter. Weil sie nicht alleine sterben wollte zog sie zu uns. Es waren nur 60 km aber zum pflegen für meine Frau war es zu weit. Mittlerweile ist die Mutter 94 Jahre geistig topp fit aber leider total unbeweglich in den Beinen. Also behandelt meine Frau ihre Mutter so, wie ihre Mutter sie als Kleinkind behandelt hat. Sie will und hat das Recht zu leben, dies ist unsere Auffassung.

Mein Bruder ( 68 J. ), ledig betreut meine Mutter. 91 Jahre wird sie in 2 Monaten. Im höchsten Grad demenz und fast ohne Sehkraft. Bei ihr hat man die Zuckerkrankheit zu spät erkannt. Sie hat 9 Kinder zu Welt gebracht und ohne zu jammern durch die schlechteste Zeit gebracht. Mein Bruder sieht dies jetzt als seine Lebensaufgabe an, unsere Mutter bis zum Schluss im Elternhazs zu pflegen , wenn auch ihr Geist nicht mehr auf dieser Welt ist. Sie hat bei den ersten Anzeichen ihrer Krankheit dem Arzt gebeten, er möge ihr, wenn es schlimmer wird, etwas geben, damit sie später niemanden zur Last fallen würde. Leider durfte dies der Arzt nicht. Solch ein letzter Wille sollte legealisiert werden.


Funk antwortete am 10.06.03 (21:44):

Tobias, es ist sicher schön, wenn man seine sterbenskranken Eltern daheim pflegen kann. Danke für Deine Erklärung. Als Vater möchte ich aber niemals, dass meine Kinder sich dereinst so abrackern und auf ihr eigenes Leben verzichten müssen. Eine Nachbarin hat sich mit der Pflege ihres dementen Ehemannes bis an den Rand des Todes erschöpft und gequält. Er starb zum Glück noch rechtzeitig, aber jetzt ist ihr Sohn (45, noch ledig) an der Reihe, sie zu pflegen. Die moralische Verpflichtung, seine geistig und körperlich zerfallenden Eltern zu pflegen kann nur aufgehoben werden durch uns Alten selbst, solange wir eine entsprechende Patientenverfügung schreiben und beim Hausarzt hinterlegen können.


RoNa antwortete am 11.06.03 (08:45):

"Als Vater möchte ich aber niemals, dass meine Kinder sich dereinst so abrackern und auf ihr eigenes Leben verzichten müssen. " (Funk)

@ Funk,
wenn das Wort "Vater" in Deinem Text durch "Mutter" ersetzt wäre, könnte das ein Text von mir sein. Aus vollem Herzen!


Angelika antwortete am 11.06.03 (12:04):

Die hier beschriebenen Zustände in Spanien von Ana kann man aus meinen Erfahrungen nicht verallgemeinern und die medizinische Grundversorgung wird nicht über Krankenkassen sondern zum größten Teil über Steuern finanziert. Proportional zum Einkommen zahlt jeder hier ein - wer nichts verdient, zahlt auch nichts, bekommt aber medizinische Versorgung, so er eine Sozialversicherungsnummer hat oder einen entsprechenden Behandlungsschein au bi-lateralen Abkommen mit den verschiedenen Ländern. Die privaten Krankenkassen sind selbst bei den niedrigeren Durchschnittsgehältern in Spanien immer nur sehr günstig, günstiger als zB in Deutschland. Und selbst wenn man den Arzt "bar" bezahlt, sind die Tarife weit unter den Honoraren in D.

In anderen Ländern wie zB Schweden ist es ähnlich. Schweden zB hat darüber hinaus eine Art "Qualitätskontrolle" in Form eines Zentralamtes für Patientenbeschwerden.

Auch werden die notwendigen Medikamente nur in der Stückzahl ausgegeben, die notwendig ist - also keine 100 Pillen, wenn der Patient nur 10 Tage lang jeden Tag 1 nehmen soll. Die Pillen und Dragees werden in den Apotheken abgezählt.

In Italien ist es sogar möglich,auch für Ausländer, die medizinische Versorgung völlig kostenlos zu beanspruchen und das ganz legal.


Funk antwortete am 14.06.03 (21:17):

RoNa, wenn du es wirklich willst, müsstest du eine schriftliche Erklärung schreiben, eine sogeannte Patientenverfügung, und diese nach einer Besprechung deinem Hausarzt geben. für deine Kinder ist es allzu hart, wenn sie deinem Wunsch entsprechen müssten. Sie bringen es wahrscheinlich nicht übers Herz, dir zu sagen: Mutter, es ist Zeit für Dich, geh jetzt!


Medea. antwortete am 15.06.03 (09:29):

Vor ca. 30 Jahren war unser Hals-Nasen-Ohren-Arzt schon so fortschrittlich, die u.U. benötigten Schmerztabletten seinen Patienten abgezählt mitzugeben. Er war jederzeit bereit, bei Bedarf "nachzuliefern".
Er war ein hervorragender Arzt, galt aber gewissermaßen als "Sonderling" ob seines Verhaltens.
Wahrscheinlich hat er den heute drohenden Kollaps der Krankenkassen bereits vorausgesehen.


Felix antwortete am 16.06.03 (04:44):

Ich habe ... wie einige ja wissen ... meine krebskranke Frau diese Tage in den Tod begleitet.
Auch ich wurde dabei von gegensätzlichen Gedanken hin- und hergerissen ... ja geradezu gemartert.
Da gab es eine grössere Anzahl von Ärztinnen und Ärzte mit denen wir Besprechungen hatten. In einem Riesenbetrieb wie diesem Kantonsspital, das gleichzeitig auch Universitätsspital ist, wimmelt es von medizinischem Personal.
Erstaunlich war, wie unterschiedlich ... ja gegensätzlich sie auf meine todkranke Frau und mich gewirkt haben.

Etwa 1 Jahr vor dem Tod :
"Glauben sie nicht, dass sie dann in ihrem alten Ehebett sterben können. Wir haben in der Gegend sehr gute Hospize. Organisieren sie jetzt ... wo sie noch klar entscheiden können ... etc."
Wir fielen beide ins Leere ... man hatte uns den Boden unter den Füssen weggezogen!

Vor der Chemotherapie mit dem 3. Medikament:
"Die andern Medikamente haben sich als wirkungslos erwiesen ... wollen sie es wirklich ein drittes Mal versuchen. Die Nebenwirkungen sind folgende ...." Es folgte eine Aufzählung von schlimmen Begleitsymptomen, so dass man für eine Zustimmung Mut brauchte.
"Denken sie daran ... im Moment zählt nur die Lebensqualität ... und das spricht eher gegen eine weitere Therapie!"

Im Gegensatz dazu eine junge Ärztin, die ursprünglich aus Korea stammt.
"Hören sie ganz auf ihre innere Stimme ... lassen sie nur das zu .. von dem sie überzeugt sind, dass es gut ist für sie!"
Dies war auch die einzige, die nach dem Hinschied meiner Frau mich gehalten hat ... und mit mir weinte.

Bis zu hochspezialisierten Fachärzten, die das Problem nur fachtechnisch beurteilen konnten ... und die emotionelle Seite ausklammerten.

Auch mich quälte die Frage bis zum bitteren Ende ... was soll man noch unternehmen? ... oder vergrössert man damit lediglich das Leiden und reduziert die Lebensqualität unter die Schmerzgrenze.

Auch ich war wie erlöst, als die Antworten auf diese Fragen durch den sanften Tod gegenstandslos wurden.

Ich möchte für die Wahl zwischen Leben und Tod nicht die Verantwortung übernehmen müssen. Sogar für meine eigene Person dürfte es mein Kräfte übersteigen ...


Gudrun antwortete am 16.06.03 (07:25):

Lieber Felix

Was Du von Euerm erlittenen Leiden an uns weiter gibst,macht mich traurig für Dich und im Nachhinein für Deine Frau!
Wenn die erwähnten Ärzte tatsächlich so gefühlsroh argumentierten,ist das unverzeihlich!
für einen Angehörigen könnte ich wahrscheinlich auch keine letzte Verfügung treffen!
für mich selber habe ich schon seit langen Jahren eine diesbezügliche rechtsgültige und notariell beglaubigte Verfügung verfasst.(die ich jedes Jahr aufs neue mit Datum unterschreibe,damit sie gültig bleibt)für mich ist das eine zuversichtliche Sicherheit,im Wennfall nicht unnötig "am Leben" erhalten zu werden.
So schmerzlich für Dich der Verlust Deiner geliebten Frau ist - irgendwann wird ein Zeitpunkt kommen,da Du dem Schicksal dankbar sein kannst,dass Margit so sanft einschlafen durfte.


dutchweepee antwortete am 01.07.03 (16:19):

mein geliebter bruder, der eigentlich mein vater war, ist anfang mai an krebs gestorben. er hatte ein melanom im darm, was eigentlich höchst ungewöhnlich ist. chemotherapie und bestrahlungen haben bei einem melanom keinen zweck, also waren die ärzte geraume zeit nur damit beschäftigt, jede neue methastase aus ihm herauszuschneiden. er wurde in ganz europa herumgereicht, weil diese spezielle art krebs jeden schirurgen interessierte. ein französischer spezialist sagte ihm dann: "...sie werden sterben. wir können nichts dagegen tun. jede weitere operation vergrössert nur ihr leiden. ich rate ihnen, die letzte zeit so gut wie möglich mit ihren lieben zu verbringen."

mein bruder war zeitlebens militär ...kommandeur einer panzerdivision. diese antwort war das beste, was ihm passieren konnte, denn er hasste heuchelei! er ist tapfer und selbstbestimmt zuhause gestorben ...am krebs ...nicht durch freitod, obwohl er oft sagte: "wenn ich jetzt meine dienstwaffe hätte...."!

die wahrheit ist wichtig und nicht jede operation ist sinnvoll.
nicht alles was geht muss getan werden ...im interesse des patienten.

p.s.: wenn mein bruder gewusst hätte, dass sein grab in dresden ca. 25 meter entfernt vom grab des general feldmarschall paulus (stalingrad) ist, würde er sein verschmitztes lächeln aufsetzen.