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THEMA: Arbeitslosigkeit - um 1930
15 Antwort(en).
Antonius
begann die Diskussion am 19.05.03 (20:05) mit folgendem Beitrag:
Über Arbeitslosigkeit ein nicht veraltetes Gedicht... Siegfried von Vegesack (1888 - 1974): Der humane Rundfunk
Wer ein halbes Jahr erwerbslos war, darf jetzt gratis dem Rundfunk lauschen. Er kann sich an einer Beethovenschen Symphonie oder an einem Vortrag über die Not der Schwerindustrie unentgeltlich berauschen. Er darf alles hören, sich über alles belehren: über die Beziehungen Goethes zu Frau von Stein, über Kaninchenzucht, Deutsche trinkt deutschen Wein, die voraussichtlichen Schöpfungen der kommenden Frühjahrsmode (man trägt wieder Seiden-Voile und Sammet-Kappen mit Reiherfedern!) über die Heilkraft von radioaktiven Bädern, die Eishockey-Meisterschaft in Davos und das Leben nach dem Tode. Auch über diese gegenwärtige Weltwirtschaftskrise kann sich jeder Arbeitslose kostenlos belehren und sich immerhin durch die Gewißheit trösten, daß auch drüben, im allerreichsten und größten Erdteile vierzehn Millionen hungern und frieren. Es liegt also gar kein Grund vor, sich irgendwie zu beschweren: Die Krise ist eben ganz allgemein, naturgegeben und gottgewollt. Der eine verhungert. Der andere erstickt im Gold. Man darf nur nicht das Gottvertrauen verlieren. Achtung! Jazzband aus dem Adlon-Hotel! Auf baldiges Wiederhören! Der neueste Schlager quiekt: "Aber, Emil, warum hast du mich nicht lieb?!" Viereinhalb Millionen Arbeitslose hocken andächtig lauschend davor. Viereinhalb Millionen Arbeitslose sind ganz Ohr, denn ihre Gedärme sind ja schon längst außer Betrieb... Doch für Erwerbslose besonders zu empfehlen ist Orgelmusik mit Chorälen: Radio und Gashahn werden gleichzeitig aufgedreht. Mit dem letzten Wort der Sonntagspredigt - von der man nur noch ein fernes Säuseln versteht - ist alles erledigt... Deutscher Arbeitsloser, lege dich dankbar zur letzten Ruh: Der Rundfunk gibt dir gratis die schönste Musik dazu! (Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift: Das Tagebuch. Jg. 12. 1931. S. 315.)
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Renate2
antwortete am 19.05.03 (21:33):
Wow!
Zufall oder Notwendigkeit? Die Bilder gleichen sich.
Die Ursachen nicht. Jedenfalls die nationalen. Oder stimmen jetzt, siebzig Jahre später, auch die internationalen Ton(an)geber die leidlich bekannte Melodie der Profitmaximierung auf Kosten der lohnabhängigen Bevölkerung an?
Und: Ist das so neu? Und immer noch nicht zu durchschauen?
Nicht alleine ratlos: Renate2.
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Wolfgang
antwortete am 19.05.03 (21:55):
Eine der für mich bedrückendsten Erfahrungen: Wie die Lemminge geht man in Deutschland einen Weg, der schon einmal gescheitert ist. Eine fast 1:1-Kopie der wirtschaftlichen und politischen Machtstrukturen der Weimarer Republik wurde die Bonner (jetzt: Berliner) Republik genannt. Die Massenarbeitslosigkeit haben wir schon. Eine fatale Politik (fast identisch mit der Ende der 20er Jahre und mit haargenau den gleichen Akteuren - SPD und Zentrum/CSU-CDU) führt uns mit einer erschreckenden Zwangsläufigkeit in die Deflation. Wir wissen, was Umverteilung von unten nach oben, Massenarbeitslosigkeit und kollabierende Sozialsysteme für das, was wir grosskotzig und euphemistisch "Demokratie" nennen, bedeuten.
SIEGFRIED VON VEGESACK war ein scharfer Beobachter. Seine Gedichte sind aktuell. Auch dieses hier von 1931:
Arbeitslose vor die Front!
Ja, hätten wir endlich wieder ein Millionenheer mit Kanonen, Tanks, Maschinengewehren und Granaten, dann hätten wir keine Arbeitslosen mehr, - denn Arbeitslose in Uniform nennt man Soldaten. [...]
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Wolfgang
antwortete am 19.05.03 (22:01):
DEFLATION "Deutschland befindet sich in der Hochrisiko-Kategorie" Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die Finanzmärkte mit einer Studie über die Deflationsgefahr in Deutschland geschockt. Der Bundeskanzler reagiert umgehend - indem er die Existenz des Problems rundweg bestreitet. https://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,249292,00.html
Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,249292,00.html
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Antonius
antwortete am 20.05.03 (00:07):
Frage an Wolfgang? Wie hast Du die Gedichte des Livländers von Vegesack kennnen gelernt? Und ihn selber vielleicht auch, in seinem Wohnturm bei Regen, Weißenstein?? Das Arbeitslosengedicht - ich stell es hier ganz ein; wir könnten es einmal mit unseren Dikussionen und Agenda-Sowiesos und den Zumutungen an die "Geringsten in unserer Gesellschaft" vergleichen:
Siegfried von Vegesack: ARBEITSLOSE VOR DIE FRONT!
Ja, hätten wir endlich wieder ein Millionenheer mit Kanonen, Tanks, Maschinengewehren und Granaten, dann hätten wir keine Arbeitslosen mehr, - denn Arbeitslose in Uniform nennt man Soldaten.
Auch Wirtschaft und Industrie würden sich wieder heben. Am rentabelsten sind ja immer die Kriegsgeschäfte. Das sogenannte freie Spiel der Kräfte würde sich am nächsten Massenmord ohne Zweifel beleben.
Durch den modernen Gaskrieg würde ganz Deutschland zur Walstatt. Kurz: wir geben wieder herrlichen Zeiten entgegen. Der Stahlhelm rüstet munter zum nächsten Stahlbad: die einen machen das Geschäft. Die andern bezahlen es mit ihrem Bregen.
So löst sich ganz einfach das Arbeitslosenproblem: Die Arbeitslosen werden Helden und sterben den Heldentod. Helden sind billig, bescheiden und bequem: Helden sind tot. Und brauchen daher kein Brot. (Zeitschriftendruck. 1931. S. 290)
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schorsch
antwortete am 20.05.03 (08:14):
Wie man die Arbeitslosigkeit bekämpfen kann, das hat ja Herr Bush soeben wieder bewiesen......
Er hat aber auch nur Adolfs Rezept aus der untersten Schublade geholt.....
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sofia204
antwortete am 20.05.03 (18:24):
der Kürze wegen: Frauen sind nie arbeitslos, nur erwerbslos :-(
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Antonius
antwortete am 20.05.03 (22:44):
Noch ein Song von S.v.V., aus der uns erkennbar ähnlichen Zeit von 1920/30: Siegfried von Vegesack: Das Börsenspiel
Hab ich einen leichten Schwipps, Geb’ ich dir die besten Tipps: Her damit, mit den bedreckten Lappen: kauf dir feine, feine Prima, prima Anteilscheine, - Kauf Effekten! Kauf Effekten!
Und vor allem die begehrte Phönix-Aktie, Schantung-Werte, Dürkopp, Daimler und die hohe Gelsenkirchen, Hohenlohe, Horenstein und Mannesmann, Siemens-Halske, Scheidemandel, - Alles gibt es ja im Handel, Wenn man es bezahlen kann! Selbst mit Lindes Eismaschinen Läßt sich einiges verdienen.
Mag die Welt auch noch so wettern: Die Papiere klettern, klettern, Klettern hoch ins Riesengroße, Riesenchancen! Riesenhausse! Kattowitz und Laurahütte! Sitz nur still: ich schütte, schütte Dividenden, Anteilscheine, Vorzugsaktien, feine, feine, Junge Aktien, junge, junge, - Und schon türmen sich im Schwunge Die Millionen, die Millionen.
Und du kannst im Bristol wohnen, Und du kannst im Auto sausen, Und du kannst bei Hiller schmausen, - Lehnst dich üppig in dein Kissen, Faltest satt die fetten Hände: Denn bei jedem deiner Bissen, Mögen auch Millionen frieren, Schuften, hungern und krepieren,- Rollt dir, ohne Zahl und Ende, Rollt dir zu die Dividende! Laß den Pöbel, den bedreckten, für dich schuften, kauf Effekten!
(Hier eine Strophe wg. Überlänge gekürzt...)
Mag die Welt auch noch so wettern: Die Produkte klettern, klettern, Klettern hoch ins Riesengroße, Riesenchance, Riesenhausse! Nur Geduld, Geduld, ich bitte, Sitz nur still: ich schütte, schütte Hafer, Wolle, auch von Schafen, Doppelzentner, frei ab Hafen, Seradella, - Junge, Junge, Und schon türmen sich im Schwunge Die Millionen, die Millionen.
Und du kannst im Bristol wohnen, Und du kannst im Auto sausen, Und du kannst bei Hiller schmausen, - Lehnst dich üppig in dein Kissen, Faltest satt die fetten Hände, Denn bei jedem deiner Bissen, - Mögen auch Millionen frieren, Schuften, hungern und krepieren, - Kannst du doch behaglich heizen, Denn es steigen Korn und Weizen! Laß das Volk nur, das verruckte, für dich schuften: kauf Produkte!
Kauf Devisen! Kauf Devisen! Und vor allem die begehrte Dollarnote, Dollarwerte, Gulden, Pfund und Schwedenkrone, Selbst die Lira ist nicht ohne, Schweizer Frank und Yen sodann, - Kauf dir einen ganzen Haufen, Alles, alles ist zu kaufen, Wenn man es bezahlen kann! Selbst mit ein paar Tschechen-Kronen Kann sich das Geschäft schon lohnen.
Mag die Welt auch noch so wettern: Die Devisen klettern, klettern, Klettern hoch ins Riesengroße, Riesenchancen, Riesenhausse! Nur Geduld, Geduld, ich bitte Sitz nur still: ich schütte, schütte, Dollarnoten, Guldenscheine, Schweizer Franken, feine, feine, Schwedenkronen, - Junge, Junge, und schon türmen sich im Schwunge Die Millionen! Die Millionen!
Und du kannst im Bristol wohnen, Und du kannst im Auto sausen, Und du kannst bei Hiller schmausen, - Lehnst dich üppig in dein Kissen, Faltest satt die fetten Hände, Denn bei jedem deiner Bissen, - Mögen auch Millionen frieren, Schuften, hungern und krepieren, - Steigen Dollar, steigen Kronen! Laß den Pöbel nur, den miesen, für dich schuften, kauf Devisen!
Rollt dir, ohne Zahl und Ende, Rollt dir zu die Dividende! Laß den Pöbel, den bedreckten, für dich schuften, kauf Effekten! (Aus: Das Tagebuch. 4. Jg. 1923. S. 563-565)
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e k o
antwortete am 21.05.03 (12:43):
@sofia204:
blinzel - blinzel !! ( hast ja soo recht!)
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missluka
antwortete am 21.05.03 (14:38):
Gutenmorgen..........ja missluka ist wieder da.
@ Wolfgang........Hitlers untere Schublade......(mit sll seinen Toten).....mit President Bush zu vergleichen....kann man auch nur in diesem Forum finden.
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Gudrun
antwortete am 21.05.03 (15:42):
missluka-tärääääää is wieder däääääää
was würde Mr.Bush nur ohne Deine Verteidigung anfangen;-)?????
Was sagt denn die eifrige Verteidigerin zu den neuen Atombömbchen,die da in USA bald gebaut werden dürfen--oder liegen sie schon auf Halde und warten auf den Anpfiff?
Möchtest Du da vielleicht in der Nähe sein und noch schnell rufen: aber UNSER Mr.President hat sie werfen lassen.......
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missluka
antwortete am 21.05.03 (19:32):
@ Gudrun.......im Urlaub hab ich garnix mitbekommen.....( na, ich scheine ja wirklich einiges verpasst zu haben.) Aber,..... ich verlasse mich da ganz auf unseren President. Also......alles in guter Hand.
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Barbara
antwortete am 02.06.03 (12:22):
Endlich legt die CDU-Chefin Angela Merkel ihr eigenes Konzept gegen die wachsende Arbeitslosigkeit auf den Tisch:
>>"Der Westen muss werden, wie der Osten heute ist"
"Im Zweifelsfall wird man im Westen wieder etwas länger arbeiten müssen für den gleichen Lohn und nicht weniger lang. Das heißt, der Westen muss so werden, wie der Osten heute ist", sagte Merkel am Montag im ARD-Morgenmagazin. Angesichts der Globalisierung werde die Einsicht vieler Bürger dahin kommen, lieber eine Stunde länger für das gleiche Geld zu arbeiten, als den Arbeitsplatz zu verlieren.<<
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,251219,00.html
So einfach ist das also..... Warum ist da bloß vorher noch niemand drauf gekommen?
Wie hoch ist eigentlich die Arbeitslosenquote im Osten? Sicher gaaaaanz niedrig :-(
Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,251219,00.html
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rolf
antwortete am 02.06.03 (14:48):
Frau Merkel ist jedenfalls nicht arbeitslos, bei klappts also ;-)))
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schorsch
antwortete am 03.06.03 (08:55):
Merkels Argumentation zeigt auf, wie verzweifelt hilflos sie - und ihre Anhänger - sind. Würde sie nämlich keine Scheuklappen tragen, würde sie zugeben, dass aus einem Pfanne-Kuchen keine Schwarzwäldertorte werden kann. Mit anderen Worten: Das Angebot an Arbeit ist wie ein Kuchen. Will man mehr Leute damit ernähren, dann müssen die Stücke kleiner geschnitten werden - nicht grösser, wie Merkel möchte. Jede Arbeitszeitverlängerung - pro Tag oder pro Leben - heisst also, dass es noch mehr Menschen geben wird, die keine Arbeit haben - weil andere das für sie bestimmte Stück Kuchen fressen!
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Antonius
antwortete am 03.06.03 (10:31):
Ja, schorsch! Ich freu mich auch auf die "blühenden Landschaften", abgebildet als Zuckerguss auf den Torten. Vielleicht - die Prüfung wird's zeigen, sind das Plastikstücke fürs Schaufenster. Und die "Erträge" der Politbäcker (wie bei Kohl, Blüm und den Sommersb ei der telekomm) sind in den "schwarzen Kassen" irgendwo in den Bächereien von Vaduzenstein. Wo nur Möllemännr und Schäubles und Prinzen Kasimire noch den Durchblick haben, weil sie sich die entsprechenden Backchemie- äh, Finanzverater leisten.
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