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THEMA:   Die Schweiz wird noch kleinbürgerlicher und unsozial!

 17 Antwort(en).

Felix begann die Diskussion am 18.05.03 (16:26) mit folgendem Beitrag:

Im Moment erfahre ich, wie die Schweiz über mehrere Vorlagen abgestimmt hat ... und bin frustriert!
Zwar liegen noch keine Schlussresultate vor ... aber die bisherigen Hochrechnungen und Kantonsresultate sind klar.
Ablehnung aller Volksinitiativen:
- Ja zu fairen Mieten (gegen missbräuchliche Mietpreise, Verbesserung des Mieterschutzes)
- 4 autofreie Sonntage pro Jahr
- Anpassung der Krankenkassenprämien an das Einkommen und Vermögen der Versicherten, Entlastung der Minderbemittelten.
- Gleiche Rechte für Behinderte (Abbau der Hindernisse, behindertengerechte Gebäude, Strassenübergänge, Verkehrsmittel etc.)
- Strom ohne Atom (schrittweise Stilllegung der bestehenden AKWs bis 2014)
- MoratoriumPlus (Verlängerung des AKW-Baustopps bis 2013 und Begrenzung des Atomrisikos, Bewilligungserneuerung bei Betrieb über 40 Jahre hinaus.)
- Lehrstelleninitiative (Verpflichtung der Betriebe, je nach Grösse Lehrstellen anzubieten, Regulation mit Bonussystem)

Alle diese Initiativen wurden von der Linken und den Grünen unterstützt aber von den Bürgerlichen mit unfairen Argumenten bekämpft.
Offensichtlich genügt es dem Stimmvolk Angst einzujagen. Finanzielle Untragbarkeit, Energieengpässe, Stellenverlust z.T. erstunken und erlogen.
Obwohl die Mehrheit sogar profitieren könnte, entscheiden sie wie ihnen die Geldsäcke und Angstmacher einreden!

Dafür wird eine Modernisierung der Schweizerarmee, die kleiner aber kostspieliger und auch natokompatibler werden wird befürwortet.
Auch die Neugestaltung des Bevölkerungsschutzes und Zivilschutzes wird mit wenigen Gegenstimmen an genommen.


schorsch antwortete am 18.05.03 (18:37):

Ja Felix, betrüblich. Ich habe zwar noch keine offiziellen Nachrichten gehört. Danke für die Vorwarnung!


Medea. antwortete am 18.05.03 (21:31):

Ja, Felix und Schorsch - ich kann Euren Frust gut verstehen, - was treibt die Mehrheit des Volkes wohl dazu, die Initiativen, die der Schweiz gut angestanden hätten, nicht zu Unterstützen? Es waren doch keine übertriebenen Forderungen - woher mögen die Ängste rühren?


Wolfgang antwortete am 19.05.03 (07:25):

Was mich besonders betroffen macht, ist das Scheitern der Initiative "Strom ohne Atom". In der Schweiz wird es also keinen Ausstieg aus der Atomwirtschaft geben, obwohl das leicht machbar und locker finanzierbar gewesen wäre. Zwei Drittel der WählerInnen waren gegen die Initiative (oder - im Umkehrschluss - waren für den Atomstrom).

Insgesamt haben sich noch nicht einmal 50 Prozent der WählerInnen an den Abstimmungen beteiligt. Vielleicht eine Erklärung für das Scheitern der Linken und den Erfolg der Rechten.

In der Schweiz können die WählerInnen immerhin direkt politisch entscheiden, was bei uns so nicht möglich ist. Dafür beneide ich die SchweizerInnen. Aber, wie man sieht, ist das Entscheiden dürfen keine Garantie für vernünftige Entscheidungen. :-(


schorsch antwortete am 19.05.03 (10:34):

@ Wolfgang: "...In der Schweiz können die WählerInnen immerhin direkt politisch entscheiden, was bei uns so nicht möglich ist. Dafür beneide ich die SchweizerInnen. Aber, wie man sieht, ist das Entscheiden dürfen keine Garantie für vernünftige Entscheidungen. :-( ...

Man könnte auch sagen: Nur die allderdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber!

Leider merken genau die "Unteren Sozialklassen" oft nicht, dass sie nur Kanonenfutter für jene sind, die mit Millionenbeträgen Wahl- und Abstimmungspropaganda finanzieren können.

Knapp einen Kilometer von meiner Behausung steht ein Kühlturm. Daran hängt seit ein paar Wochen ein riesiges Transparent, das Werbung gegen den Atomaustieg macht. Frage: Wer bezahlt wohl die halbe Million, die das Tuch plus das Anbringen gekostet hat? Antwort: Der Strombezüger!

Siehe oben: Nur die allerdümmsten Kälber.....


Felix antwortete am 20.05.03 (00:25):

- Von allen Kantonen war Basel der einzige, der den Ausstieg aus dem Atomstrom angenommen hat.
- Die Mieterinitiative wurde nur in Genf angenommen.
- Die Initiative für die Gleichstellung der Invaliden wurde lediglich im Tessin, in Genf und im Jura gutgeheissen.

Je katholischer, ländlicher, rückständiger ... umso höhere Neinanteile bei den sozialen Initiativen!

Gibt es doch so etwas wie einen Volkscharakter?


schorsch antwortete am 20.05.03 (08:16):

Gratulation an die Basler, lieber Felix. Vielleicht hätten sie in den anderen Kantonen auch ein Bisschen weibeln sollen?


Medea. antwortete am 20.05.03 (10:34):

Lieber Felix, lieber Schorsch -
in der gestrigen Vorstellung des BürgerKonvents wurde die Schweiz geradezu als Modell für soziale Gerechtigkeit genannt: Ein jeder Bürger zahlt nach seinem realen Einkommen einen bestimmten Satz an den Staat, der dann wiederum dieses Geld für seine Bürger verwendet. Klingt ja erst einmal gut - wie aber sieht es denn tatsächlich aus?


Wolfgang antwortete am 20.05.03 (11:41):

Aber, Felix... Das ist doch kein "Volkscharakter"... Du nennst doch selbst die vermuteten Ursachen: ländlich, katholisch, rückständig. Diese Phänomene gibt es überall. In Amerika, im sogenannten "bible belt", wo bigotte Protestanten ihr Unwesen treiben und ihren Kreuzzug in die ganze Welt tragen. Oder, hier bei uns in Bayern, in abgelegenen Gegenden Frankens oder - regio horribilis - in der Oberpfalz, im Reich der Moosbüffel, wo es selbst einen oberbayerischen an Recht und Ordnung und "oben" und "unten" glaubenden Gebirgsschützen graust, und wo (zwar nicht alle, aber viele) Protestanten und Katholiken gleichermassen autoritätsgläubig alles absegnen, was von den Kirchen- und Parteikanzeln gepredigt wird.

Und von "oben" kommt nun mal - das ist bei Euch so und bei uns auch - die Order, sozial sei schlecht, Atom sei gut und Militär müsse sein und das Allerheiligste, das Kapital und der Profit daraus, sei sowieso sakrosankt.

Wahlen haben auch Herrschaftscharakter. Das Volk, grosspurig der Souverän genannt, hat seine Macht gezeigt - und genau so abgestimmt, wie es den Herrschenden in den Kram passt. ;-)


Karin antwortete am 20.05.03 (12:22):

Wolfgang, Kritik üben ist einfach, zeige Alternativen auf, schaue mal etwas genauer hin beim Urteilen von Menschen und schere nicht eine Volksgruppe oder Religionsgemeinschaften über einen Kamm. Das geht immer auf Kosten von differenzierendem Denken.


Felix antwortete am 21.05.03 (00:20):

Unverständlich ist der Umstand, dass viele sich gegen ihre eigenen Vorteile entschieden haben. Sei es, weil sie das Sachgeschäft einfach nicht durschauen können oder wollen. Oder weil sie der angstmachenden Gegenpropaganda Glauben schenken.
Dann gibt es auch noch die notorischen Nein-Sager. Diese Dummköpfe sind einfach prinzipiell dagegen ... gegen was wissen sie in der Regel sowieso nicht.
Genau genommen funktioniert eine Demokratie nur unter autonomen Mitgliedern, die selbständig entscheiden können. Wir sind trotz langjähriger Tradition weit von diesem Ideal entfern.
Solange der Raubtierkapitalismus herrscht, werden die Geldsäcke das tumpe Volk mit Hilfe gemeiner Lüge für ihre Zwecke missbrauchen!


Erika Kalkert antwortete am 21.05.03 (14:19):

"Kath.,ländlich, rückständig" diesen Vorurteilen widerspreche ich entschieden.
Auch ich wohne in einer ländlichen Gegend und bin dazu auch noch katholisch.
Unsere Dorfbevölkerung ist weder rückständig, noch autoritätsgläubig. Wir haben durchaus eine eigene Meinung, denken fortschrittlich und können es in jeder Hinsicht mit den "Städtern" aufnehmen.
Ich habe immer wieder festgestellt, dass viele bekannte und verdiente Persönlichkeiten ihre Wurzeln im ländlichen Bereich haben.
Die klischeehafte Beurteilung durch einige Diskutanten finde ich daher überheblich und diskriminierend.


schorsch antwortete am 21.05.03 (18:11):

Es gibt viele Wähler, die immer "Nein" schreiben, wenn sie überfordert sind. So ist also anzunehmen, dass ein Grossteil der SchweizerInnen nur Nein gestimmt hat, weil es zu viele Vorlagen gab, über die abgestimmt werden musste. In meinem Kanton z.B. waren es sooo viele, dass jemand, der seriös stimmen wollte, sich mehrere Stunden mit den Unterlagen beschäftigen musste.....


Karin antwortete am 21.05.03 (19:58):



.... ...wo bigotte Protestanten ihr Unwesen treiben und ihren Kreuzzug in die ganze Welt tragen...
........ in Bayern, in abgelegenen Gegenden Frankens oder - regio horribilis ....
........ Protestanten und Katholiken gleichermassen autoritätsgläubig alles absegnen, was von den Kirchen- und Parteikanzeln gepredigt wird.
.......leider bemerken die unteren Klassen nicht, dass sie nur Kanonenfutter sind.
Dies ist eine arrogante Sprache. Vor Menschen mit diesem Stil graut es mir.


Wolfgang antwortete am 22.05.03 (11:04):

Es ist so: Eine Demokratie - soll sie nicht nur ein schöner Name für ein herrschaftsstabilisierendes Ritual sein - braucht den vielbeschworenen "mündigen Bürger". Nur: Gibt es die mündigen BürgerInnen in grosser Zahl? - Ich meine, mit dem, was wir "Demokratie" nennen und mit den angeblich "mündigen Bürgern", ist es nicht weit her. Sicher: Die Schweiz hat Elemente der direkten Demokratie - eine Demokratie, von der wir in diesem Ausmass in Deutschland nur träumen können. Mit der Mündigkeit der BürgerInnen, das ist mein Eindruck, sieht es aber auch dort nicht gut aus.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - diese Ideale haben es überall schwer. Ergänzen wir das Trio um den Begriff Nachhaltigkeit, sieht es noch trüber aus. Viel zu wenig Menschen verteidigen diese Werte gegen die Angriffe der Herrschenden. Viel zu wenig Menschen haben überhaupt ein Interesse daran, diese Werte mit Leben zu füllen mittels praktischer Politik. Alte, provinzielle, muffige, enge Denkgebäude prägen die meisten Menschen mehr als ihnen lieb sein kann. Das Überschaubare und Gewohnte ist ihnen lieber, als das Komplexe und Neue. Sicherheit gilt den Gläubigen und Provinzlern (die es auch in der Stadt gibt) mehr als Kreativität. Die Herrschenden freuts. Können sie doch relativ unbehelligt ihren Katastrophenkurs fortsetzen - sogar noch "demokratisch" legitimiert.


Felix antwortete am 23.05.03 (01:21):

@ Wolfgang

leider muss ich dir beipflichten. Ich kenne einigermassen demokratische Entscheidungsstrukturen, eigentlich nur bei übersichtlichen Gruppen, die sich freiwillig zusammen getan haben, die einen ausgeglichenen Informations- und Bildungsstand haben und die auch gut motiviert sind, sich jeweils zu einem gemeinschaftlichen Entscheid durchzuringen. Mehrheitsentscheide sind nicht das gleiche ... wie Lösungen, die man gemeinsam erarbeitet hat.

@ Karin & Erika

Ich kann nur das Abstimmungsverhalten innerhalb der Schweiz, innerhalb der eigenen Region und im Vergleich der Stadtquartiere von Basel beurteilen.
In Sachabstimmungen ist die Unterschiedlichkeit des Stimmverhaltens der einzelnen Regionen hochsignifikant. In der Regel kann man schon voraussagen, welche Regionen grosse oder schwache Ja-Anteile haben werden.
Das Verteilungsmuster der tatsächlichen Resultate stimmt mit dem Verteilungsmuster städtisch-ländlich, konservativ-aufgeschlossen, schwarz katholisch - reformiert, aufgeklärt, bodenständig, fremdenfeindlich - liberal, weltoffen, multikulturell etc. weitgehend überein.

Oft stimmen die Resultate der Baslerregion eher mit den französischsprechenden Kantonen überein ... als mit unsern deutschweizerischen Nachbarkantonen. Zufall ... nein!


schorsch antwortete am 23.05.03 (08:14):

Felix

Gestern fuhren wir mit den Pensionierten unseres ehemaligen Arbeitgebers über den Passwang nach Seewen ins Musikautomaten-Museum, und dann über die Saalhöhe wieder heim. Dabei quert man ja - wie du weisst - einen Teil des Basellandes. Alle Häuser waren beflaggt, wir konnten uns aber nicht erklären warum. Könnte es wohl daran liegen, dass BL und BS die einzigen Kantone sind, die bei den Atominitiativen eine Ja-Mehrheit hatten?


Felix antwortete am 23.05.03 (10:53):

Lieber Schorsch

eine eindrückliche Sammlung dieses Musikautomatenmuseum in Seewen. Ich habe persönlich erlebt, wie sie sich entwickelt hat.
Anfangs war es eine private Sammlung, die man nur mit einer Einladung von Heinrich Weiss bewundern konnte. Mit den Jahren baute er an seinem Haus immer weitere Sammlungsräume an. Heute ist es ein richtiges Museum.
Heinrich Weiss wollte seine reichhaltige Kollektion der Stadt Basel schenken. Diese war aber nicht bereit, die Bedingungen des Sammlers zu erfüllen.
Die Beflaggung, die du in diesen Gemeinden gesehen hast, hat nichts mit der Abstimmung zu tun. Ich habe nicht herausgefunden, was diese Gemeinden zu feiern haben. In der Umgebung von Basel ist davon nichts zu sehen.