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THEMA:   Zwei Fälle der "Volksetymologie"

 3 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 25.09.04 (23:03) :

Fälle von "täuschenden Wörtern" - man nennt sie Volksetymologien...:

"Kohldampf schieben"

Kohldampf schieben bedeutet 'Hunger haben'.
Warum heißt hier der Kohldampf Kohldampf und warum wird er geschoben und nicht etwa gehalten oder ausgesessen?
Bei Kohldampf mag man an dampfenden Kohl (nicht an einen Ex-Kanzler) denken, bei "schieben" bleibt man am Verb schieben hängen und assoziiert vielleicht (wenn man sich dabei überhaupt etwas denkt) die hin- und hergeschobenen Schüsseln. Beidesmal ist es sprachgeschichtlich falsch.
"Kohldampf" stammt aus der Gaunersprache Rotwelsch. Es ist zuerst 1835 als Kolldampf belegt. Wahrscheinlich ist es eine Zusammensetzung aus rotwelsch Kohler `Hunger'und neuhochdeutschem Dampf, das im Rotwelschen `Hunger' bedeutet. Das rotwelsche Wort "Kohler" kommt eventuell vom zigeunerischen kälo `schwarz, arm, ohne Geld' und daher `hungrig' oder hängt mit Koller `Wut', von spätlateinisch cholera `Gallenbrechruhr', zusammen.
Das Kompositum wäre so tautologisch, »doppelt gemoppelt«. Bei schieben in der Redewendung vermutet man, daß es für rotwelsch schefften `sein, sitzen, liegen, machen, tun, arbeiten, gehen' eingetreten sei. Dies kommt vielleicht von jiddisch jaschwenen `setzen' (hebräisch "jäsav" `sitzen, bleiben'), ist in seiner Bedeutungsvielfalt aber wohl von hochdeutsch 'schaffen' beeinflußt.

*
"Meineid" - und hat das was mit "gemein" zu tun?

Ein Meineid, ein wissentlicher Falsch-Eid, mag oft ein »gemeiner Eid« sein oder ein Eid »für meinen Vorteil«, auch kann er als »eigene Auffassung einer `Wahrheit'« interpretiert werden oder als Eid, bei dem »im Moment der Aussage der Aussagende, und nur er weiß, die Aussage ist falsch«. In Meineid steckt aber nicht das Possessivpronomen mein, sondern "M/mein" setzt hier germanisch 'maina-' = 'falsch' fort. "Gemein" (nicht richtig, nicht wahrhaftig) ist damit urverwandt.


iustitia antwortete am 26.09.04 (13:22):

Zwei weitere "Fälle" : "kritteln" und "Krug"
(Aus, wie vorher: Heike Olschansky: Täuschende Wörter. Kleines Lexikon der Volksetymoligen. Reclam 1996. S. 195)

„kritteln“

Hängt kritteln mit Kritik zusammen?
Ursprünglich nicht. Das Verb kritteln ist erst im 18. Jahrhundert sekundär an die Wortfamilie um Kritik angelehnt. Es ist aus einem älteren grittel(e)n `zanken, unzufrieden sein, mäkeln' umgebildet, das aus dem 17. Jahrhundert stammt und in seiner Herkunft nicht geklärt ist. Durch die volksetymologische Neuzuordnung nuancierte sich die Bedeutung des Worts zum heutigen `herumkritisieren, kleinlich Kritik üben, tadeln, nörgeln', die Komponente `zanken' ging verloren.
Das Substantiv Kritik `Beurteilung, Bewertung, Besprechung' dagegen ist eine Entlehnung des 17. Jahrhunderts aus französisch critique. Zuerst war es ein Ausdruck des ästhetischen Kunstrichtertums, dessen Ursprünge in Frankreich liegen. Das französische Wort kommt von griechisch kritike (techne) `Beurteilungskunst'. Dessen Basis ist das Adjektiv kritikös `entscheidend', das zum Verb krinein `scheiden, trennen, entscheiden' gehört.
*

der Krug, die `Schenke'

Vor noch nicht allzulanger Zeit fuhren die Vergnügungssuchenden in Bayern mit dem Rad in die Ausflugslokale, tranken ihr Radlermaß (das nach diesen Radlern benannt ist) und fuhren nur leicht `angeschickert' wieder nach Hause. Heute bleiben die meisten gleich zu Hause und beschränken sich auf televisionäre Ausflüge in den `Krug zum grünen Kranze'.
Im Krug als `Schenke' sieht das Sprachgefühl eine Metapher von Krug als `Gefäß'. Denn es erscheint leicht eingängig, daß der Ort, wo Krüge den wesentlichsten Bestandteil des Inventars ausmachen, nach diesen benannt worden sei. Eine sprachliche Täuschung! Der Krug (die Schenke) und der Krug (das Gefäß) sind nicht verwandt.
Krug `Schenke' ist aus dem Niederdeutschen entlehnt. In Altlivland hießen bis 1919 alle ländlichen Wirtshäuser "Krug". Dort ist es auch noch der kröch oder krüch.
Man vermutet, daß das Wort mit Kragen (eigentlich `der Hals, die Kehle') verwandt ist, so daß das Wirtshaus Krug als `Ort, wo viel geschluckt wird' oder als `dunkles Loch', also `Ort, wo man versumpft', gedeutet werden kann.
Für den Krug als `Gefäß' liegen zwei Anknüpfungspunkte vor. Einmal vermutet man, daß das westgermanische Wort nach der Machart der alten Krüge, die geflochten und mit Ton bestrichen waren, zusammen etwa mit krumm auf die indogermanische Wurzel *ger- ‚drehen, flechten' zurückgehen könnte. Andererseits wird ein altes Wanderwort angesetzt, das mit griechisch ‚krössös’ `(Misch-)Krug, Salbgefäß' verwandt ist.
Mit dem Gefäß Krug ist wahrscheinlich auch die Kruke (‚irdenes Gefäß’, ‚Tonflasche’) verwandt.

URL: Ein Krug, schon als Abbild der Sonne...

Internet-Tipp: https://www.toepferei-keck.de/produkte/gebrauch/krug_sonnenbl_ii_n.jpg


Rosmarie antwortete am 26.09.04 (21:05):

Hallo iustitia,

deine Beiträge hier machen mir einen Riesenspaß! Sowas Spannendes! Danke!


iustitia antwortete am 26.09.04 (23:33):

Ja, bitte, wenn jemand mitspricht-denkt-sich wundert...

Morgen: "verbiestert"

und

"Verhohnepipeln"
Oder auch

"Vatermörder" (als Kragen...?
URL- s...

Internet-Tipp: https://www.salzburg-trachtenmode.at/images/masshemd_vatermoerder_18.jpg